Poesie und Pyro: Spielorte der Extraschicht 2018 in Dortmund überzeugen tausende BesucherInnen mit Vielfältigkeit

Die Pyro-Show in der Kokerei Hansa zog viele BesucherInnen an. Foto: Leonie Krzistetzko

Von Leonie Krzistetzko und Sascha Fijneman (Text und Fotos)

50 Spielorte, 22 Städte, eine Nacht. In Dortmund gab es am Wochenende Kultur und Unterhaltung pur. Nachdem im Westpark die Summersound DJs auflegten, hunderte Menschen bei entspannten Beats ins Freie lockten und rund 37.000 Pokémon-JägerInnen durch die Innenstadt schwirrten, bildete vor allem die Extraschicht 2018 das Highlight des Samstagabends. Seit 2001 zieht die Nacht der Industriekultur zahlreiche BesucherInnen in die 21 Teilnehmerstädte innerhalb des Ruhrgebiets. Auch in diesem Jahr begeisterte ein Mammutprogramm mit unzähligen ausgefallenen und spannenden Attraktionen Jung und Alt, Groß und Klein. Allein in Dortmund waren zehn Spielorte in das Programm involviert.

WM-Aus für Deutschland färbte nicht auf die Stimmung im Fußballmuseum ab

Gespannt hörten die BesucherInnen bei der Führung durchs Fußballmuseum zu. Foto: Leonie Krzistetzko.

Von 18 Uhr bis tief in die Nacht konnten die rund 300.000 BesucherInnen zwischen den Städten hin- und herpendeln oder die eigene Stadt erkunden. Am Bahnhof angekommen ließen sich schnell die langen Schlangen vor dem DFB-Fußballmuseum in Dortmund erkennen. 30 Minuten brauchte es mindestens, bis man eintreten durfte.

„Im Erfolg ist es leicht Stolz zu sein“, prangt zurzeit in großen Lettern über dem Museum – eine Anspielung auf das Deutschland-Aus am vorherigen Mittwoch. Doch von Trauer spürte man am Museum wenig. Insgesamt waren rund 3000 Fußballfans während der Extraschicht zu Gast im Fußballmuseum.

Draußen genossen BesucherInnen das Sommerwetter mit kleinen Speisen und Getränken. Drinnen konnte man eine 45-minütige Führung durch die Sonderausstellung „FußballLebenRuhrgebiet“ genießen oder sich entspannt beim „Private Viewing“ das Achtelfinale der WM anschauen.

Passend zum Thema „FußballLebenRuhrgebiet“ wurde die Ausstellung im „Grubenmodus“, bei dunklen Lichtverhältnissen, gezeigt. Nur einige Exponate waren angestrahlt, darunter der WM-Pokal von 2014. „Noch nie hat das Fußballmuseum thematisch so gut zur Extraschicht gepasst“, sagte Jens Krömer, Pressesprecher des Museums. Mit der Ausstellung möchte das Fußballmuseum den Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau Ende 2018 würdigen. Am Ende der Ausstellung konnten BesucherInnen ihr eigenes Grubentuch mit Vereinswappen bedrucken.

Ein weiteres Highlight: Zur Extraschicht gab es im Fußballmuseum Gutscheintickets für zehn Euro zu kaufen, wobei der Eintritt ins Museum normalerweise 17 Euro kostet. Auch können BesucherInnen der Extraschicht mit Vorzeigen des Bändchens die Ausstellung weiterhin für zehn Euro besuchen.

Extraschicht im JunkYard: Die Newcomer sind sicher nicht zum letzten Mal dabei gewesen

Graffitikunst im Junkyard. Foto: Sascha Fijneman

Wenige Meter vom Museum entfernt hielt die eigens für die Extraschicht eingerichtete Buslinie, deren Busse schon am frühen Abend durch die Innenstadt kurvten, um die BesucherInnen zu den jeweiligen Spielorten zu kutschieren.

Der JunkYard in der Schlägelstraße war in diesem Jahr zum ersten Mal dabei. Hier erwartete die Gäste eine multimediale Ausstellung des Dortmunder Fotokünstlers Sascha Duenow, die die Transformation des ehemaligen Thyssen-Geländes von der Eisenhütte zur Eventlocation veranschaulichte.

Auf der Außenbühne gab es Beats and Poetry. Der Vorplatz des JunkYard füllte sich am frühen Abend immer mehr. Die Gäste ließen sich in den aus alten Autoreifen selbst gebauten Sitzmöbeln im Freien nieder, genossen ein kaltes Getränk, lauschten dem Bühnenprogramm oder beteiligten sich an diversen Upcycling-Workshops.

So wurden zum Beispiel Schlüsselanhänger aus alten Kronkorken gebastelt und an jeder Ecke gab es GraffitikünstlerInnen zu bewundern. Um das Thema Industriekultur und Strukturwandel noch weiter aufzugreifen, waren im Hof Fotowände mit themenbezogenen Motiven aufgestellt. Die Gäste nahmen die Angebote interessiert an, so dass das JunkYard-Extraschicht-Debüt zum vollen Erfolg wurde.

Kreativität und World Press-Fotoausstellung im Depot in der Nordstadt

Im Depot konnte man sein eigenes Daumenkino basteln. Foto: Leonie Krzistetzko

Nicht weit entfernt konnten die BesucherInnen im Depot in der Immermannstraße ihre Kreativität aufleben lassen. Im Rahmen der offenen Ateliers boten einige KünstlerInnen Workshops zum Erstellen eines Kaleidoskops oder Daumenkinos an.

Ob fahrende Autos oder verwehende Blüten, erlaubt war, was Spaß macht. Besucherin Melanie und ihr Sohn waren zu Gast beim Daumenkino-Workshop im Depot.

Die Besucherin nahm bereits zum zweiten Mal an der Extraschicht teil und war begeistert: „Die Extraschicht bietet immer etwas anderes. Interessant sind für mich die Lichtinstallationen, die mit der Industriekultur gemischt werden.“ Neben den Workshops konnten sich die Gäste im Depot auch die Ausstellung World Press Photo 2018 anschauen, die gestern ihre Finissage hatte.

 Virtual Reality-Erfahrung war einer der Höhepunkte im Dortmunder U

Das Dortmunder U beförderte seine Gäste in die virtuelle Realität. Foto: Sascha Fijneman

Wieder in der Innenstadt öffnete auch das Dortmunder U für die Extraschicht seine Pforten. Auf allen Etagen konnten hier die aktuellen Ausstellungen besichtigt werden. Mal hatten sie einen direkten Themenbezug zur Industriekultur, wie zum Beispiel die Ausstellung Kunst und Kohle, die sich mit bergmännischer Laienkunst auseinandersetzt, mal auch nicht.

„Was ist die Kohle der Zukunft?“ hieß das Motto in der zweiten Etage. Auf der sogenannten „UZWEI“ gab es dazu diverse Mitmachaktionen, in denen gezeichnet, gedruckt und gestempelt wurde, was das Zeug hält. Für die Kleinsten war es sicherlich ein Highlight, ihre eigene Währung drucken zu können: Geldscheine und auch Münzen mit ihren eigenen Portraits.

Durch die starke Nachfrage passierte es leider auch, dass gegen circa halb elf die Druckmaschine ihren Geist aufgab und repariert werden musste. Bis dahin hatten allerdings schon unzählige Gäste ihren Spaß und waren in den Genuss gekommen, wenigstens für ein paar Minuten Krösus zu sein.

Ein weiteres spannendes Highlight im U war die Möglichkeit, sich mittels VR-Brille in die virtuelle Realität zu begeben: auch für außenstehende BetrachterInnen schon eine interessante, irgendwie fremd wirkende Erfahrung, da die Protagonisten so unvermittelt und unvorhergesehen auf die Ereignisse oder Begebenheiten in der virtuellen Realität reagieren. Amüsant und spannend zugleich, war dies einer der Höhepunkte im Dortmunder U.

 Viel Humor bei der DASA-Arbeitswelt-Ausstellung in Dortmund-Dorstfeld

Die Sonderausstellung „Experiment“ in der DASA arbeitet industrielle Geschichte der Chemie auf. Foto: Sascha Fijneman

Etwas ruhiger ging es in Dorstfeld, bei der DASA-Arbeitswelt-Ausstellung, zu. Neben der Besichtigung der Dauerausstellung hatten die BesucherInnen die Möglichkeit die Sonderausstellung „Experiment“ zu besuchen.

Hier wurde die industrielle Geschichte der Chemie aufgearbeitet. Nach einem kurzen einleitenden Film wurden die ZuschauerInnen mit viel Humor durch die Ausstellung geführt. BesucherInnen erwartete eine spannende und informative Reise durch die Geschichte von Chemie, Pharmazie und Medizin.

Es gab unter anderem spannende Exponate zu bestaunen, wie ein Amputationsbesteck aus dem Jahre 1920, bei dessen schierem Anblick einem schon der Schmerz durch die Glieder fuhr. Fragen waren unter anderem: Wie ging man mit dem Tabuthema Abtreibung vor der Antibabypille um? Und was genau war noch mal Contergan?

Mit viel Humor wurden die Gäste durch die Sonderausstellung „Experiment“ geführt. Foto: Sascha Fijneman
Mit viel Humor wurden die Gäste durch die Sonderausstellung „Experiment“ geführt. Foto: Sascha Fijneman

Humorvoll ging es auch in der großen Stahlhalle zu. Hier trat am frühen Abend zunächst Gerd Kolbe mit einer Lesung aus seinem Buch „Die magische 6 des BVB“ auf. Unterstützt wurde der renommierte BVB-Archivar vom ehemaligen Chef des Museums für Kunst- und Kulturgeschichte in Dortmund, Wolfgang E. Weick. Gemeinsam klärten sie das zunächst recht verhaltene Publikum sowohl humorvoll als auch informativ über die lange Geschichte des BVB auf.

Als dann schließlich gegen 21 Uhr der Auftritt von Kabarettist Fritz Eckenga anstand, füllte sich die große Halle zunehmend und die Stimmung stieg. Eckenga, der sich vor allem als Mitglied des Rocktheaters Nachtschicht einen Namen gemacht hat, nahm hier unter anderem mit sichtlicher aber sympathischer Schadenfreude das frühe Ausscheiden der Deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Russland auf’s Korn.

Die DASA zeigte ein Programm für die ganze Familie. Für Getränke und kleine Grillsnacks war bestens gesorgt. Ein angenehmer Kontrapunkt zum bunten Trubel der anderen Spielorte.

Eine Fahrt über das Kokereigelände in der nostalgischen Bimmelbahn „Hansa-Express“ 

Das bewährte Shuttlebuskonzept wurde wieder gerne genutzt. Foto: Sascha Fijneman

Um kurz nach elf wurde es schließlich immer voller in den Shuttle-Bussen der Extraschicht. Das große Abschlussfeuerwerk an der Kokerei Hansa zog die BesucherInnen massenweise zu sich. Darunter: die Besucher Jörn und Katja.

Bevor sie sich das Feuerwerk in der Kokerei Hansa angesehen haben, waren sie zu Gast in der Jahrhunderthalle Bochum und in der Zeche Karl in Essen. „Bei der Extraschicht gibt es unwahrscheinlich viel unwahrscheinlich Interessantes zu sehen“, erzählt Jörn. Während viele Menschen dem Pyro-Finale beiwohnten, bildeten sich im Hof der Kokerei lange Schlangen vor den Essensständen.

Ein kleiner Streetfood-Markt sorgte für ausreichend Kulinarisches. BesucherInnen konnten hier unter anderem israelische und brasilianische Spezialitäten verkosten.

Ein Highlight war, neben dem Feuerwerk, auch der Hansa-Express. Die nostalgische Bimmelbahn bezeichnet sich selbst als der einzige „ICE der nie zu spät kommt, weil er keinen Fahrplan hat.“ Mit einer ordentlichen Prise Sarkasmus zeigte er seinen Gästen das Gelände der Kokerei Hansa.

Nach und nach wurde es immer stiller in Dortmund, die letzten Shuttle-Busse brachten die BesucherInnen nach Hause. Nun heißt es warten: bis die Extraschicht im nächsten Jahr in eine neue Runde geht – wie immer am letzten Samstag im Juni.

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