Verwaltungsgericht kippt das Verbot der Neonazidemo am 28. März in Dortmund – Polizei legt Beschwerde ein

Neonaziaufmarsch zum Nationalen Antikriegstag am 31. August 2013.
Die Verwaltungsrichter erlauben den Neonaziaufmarsch am 28. März in Dortmund.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat das Verbot der rechtsextremen Demonstration im 28. März in Dortmund gekippt. Die Richter folgten nicht der Meinung des Dortmunder Polizeipräsidenten, dass diese Aktionen am zehnten Todestag des durch den Neonazi Sven Kahlin ermordeten Punker Thomas „Schmuddel“ Schulz“ nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt sind. Die Polizei wird dagegen beim OVG Beschwerde einlegen.

Verwaltungsrichter sehen Neonazi-Aufmarsch von der Versammlungsfreiheit gedeckt

Thomas Schulz wurde am 28. März 2005 in der U-Bahnstation Kampstraße erstochen.
Thomas Schulz wurde am 28. März 2005 in der U-Bahnstation Kampstraße erstochen.

Die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen hat auf Antrag des Landesverbandes NRW der Partei „Die Rechte“ entschieden, dass die Versammlung nach dieser Entscheidung stattfinden kann.

„Die Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten stellt sich als rechtswidrig dar, weil sie den Anforderungen, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – auch gerade zu Verboten „rechter“ Demonstrationen in Dortmund – entwickelt wurden, nicht entspricht“, heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltungsrichter.

Das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht hält die die Aktion der Neonazis sehr wohl von der Versammlungsfreiheit gedeckt.

Richter sehen keine ausreichenden Belege

Zwar verkenne das Gericht nicht, dass es in der Vergangenheit in Dortmund immer wieder zu Übergriffen und Ausschreitungen gekommen ist, die zweifellos der „rechten Szene“ in Dortmund zuzurechnen sind und ihren Ursprung im Umfeld der Partei „Die Rechte“ haben dürften.

"Kein Vergeben - Kein vergessen" ist das Motto der Antifa zur Erinnerung an die Ermordung von Thomas "Schmuddel" Schulz.
Die Antifa erinnert an die Ermordung von Thomas Schulz.

Allerdings sei das zentrale Argument der Verbotsverfügung nach Auffassung der Kammer nicht tragfähig belegt. Polizeipräsident Gregor Lange hatte argumentiert, dass das angemeldete Versammlungsthema lediglich vorgeschoben und in Wahrheit beabsichtigt sei, anlässlich des zehnten Todestages den erstochenen Thomas Schulz zu verunglimpfen und das Gedenken an ihn zu stören.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein – Westfalen eingelegt werden. Dies wird die Dortmunder Polizei auch tun.

Polizei sieht Einschüchterungen und Verherrlichung von Gewalt

„Die Polizei begründete diese Verbote mit der Prognose, dass die Versammlungen keinen friedlichen Verlauf nehmen werden“, heißt es in einer Stellungnahme des Polizeipräsidiums. „Die Polizei sieht aufgrund der Ermittlungsarbeit der letzten Monate konkrete Anhaltspunkte dafür, dass gegen Strafgesetze verstoßen wird.“

Begründet wurde das Verbot auch mit der Besonderheit des Datums 28. März: „Die Verknüpfung zweier dieser rechtsextremistischen Versammlungen mit diesem Datum ist eine weitere Provokation der Rechtsextremisten, deren einziges Ziel es ist, die große demokratische Mehrheit in Dortmund einzuschüchtern und die Gewalttat vom 28. März 2005 zu verherrlichen“, so die Polizei.

„Dieser Argumentation ist das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seiner heutigen Entscheidung nicht gefolgt.“

Über das Rechtsrock-Konzert wurde noch nicht entschieden

„Die Polizei Dortmund hat jedoch weiterhin ein hohes Interesse daran, die Rechtslage bezogen auf die beiden rechtsextremistischen Versammlungen nunmehr auch obergerichtlich klären zu lassen. Daher reicht die Polizei gegen diese Entscheidung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein“, heißt es in der Stellungnahme.

Noch nicht entschieden ist über das Rechtsrockkonzert, dass der Bundesverband der Partei „Die Rechte“ am selben Tag machen will. Damit wird sich das Verwaltungsgericht in Kürze befassen.

Hier gibt es die Stellungnahmen im Wortlaut (als PDF zum Download):

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Reaktionen

  1. Michael Motzkus

    Es kann (oder sollte) nicht sein, dass sich Nazis in unserer Stadt festsetzen. Ich hoffe, das Oberverwaltungsgericht trifft eine andere Entscheidung. Wenn nicht, bin ich am 28. März bei den Gegendemonstranten dabei.

  2. Ula Richter für das Bündnis Dortmund gegen Rechts

    So neu wie empörend ist die Begründung des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen, mit dem sie das vom Dortmunder Polizeipräsidenten verhängte Verbot eines Naziaufmarsches plus „Konzert“ am 28. 3. 15 aufhebt – an diesem Tag vor 10 Jahren tötete der Nazi Sven Kalin den Punk Thomas Schulz mit einem Messerstich ins Herz: „Die Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut ist von der Versammlungsfreiheit geschützt, so weit die Strafbarkeitsschwelle nicht überschritten ist.

    Diese „Strafbarkeitsschwelle“ war bei der Tötung von Thomas Schulz und bei den zahlreichen weiteren Schandtaten der Dortmunder Nazis weit überschritten und war praktische Anwendung des nationalsozialistischen Gedankenguts, dem die Gelsenkirchener Richter mit ihrem Spruch freien Lauf lassen. Ein skandalöses Urteil, das sich vom antifaschistischen Konsens des Grundgesetzes entfernt und sich gegen die von Nazigewalt Betroffenen, die es in Dortmund reichlich gibt, und insbesondere gegen die Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen, richtet.

    Dass der Dortmunder Polizeipräsident gegen dieses Urteil bei der nächst höheren Instanz in Münster Einspruch einlegt, ist sehr zu begrüßen, ebenfalls die Aufforderung an die Politik, endlich Maßnahmen zum Verbot dieser sogenannten Partei „Die Rechte“ zu ergreifen.

  3. VVN-BdA-Bundessprecher Ulrich Sander

    Skandalöse Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen - Justiz als Helfer der Dortmunder Naziszene

    Am 28. März 2015 wird es in Dortmund antifaschistische Aktionen und ein Gedenken an den von Nazis vor zehn Jahren ermordeten Punk Thomas Schulz geben, aber – Dank Gelsenkirchener Verwaltungsgericht – auch eine Nazifeier für diesen Mord.

    Laut Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gilt neuerdings dies: „Auch das öffentliche Auftreten neonazistischer Gruppen und die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts in öffentlichen Versammlung – ‚soweit sie die Strafbarkeitsschwelle nicht überschreiten‘ – sei durch die Versammlungsfreiheit geschützt.“ Somit dürfen Dortmunds Neonazis den zehnten Jahrestag eines Nazimords an einen Punk öffentlich feiern.

    Im Jahre 2000 erschoss ein Dortmunder Neonazi drei Polizistinnen und Polizisten und sich selbst. „Er war einer von uns“, schrieben Neonazis später in anonymen Flugblättern. Trotz dieses Bekenntnisses wurden die Polizistenmorde nie zu Ende recherchiert. Einer der NSU-Morde von 2006 steht offenbar mit der Dortmunder Szene im Zusammenhang, was nie aufgeklärt wurde. Und was nun andernorts für Entsetzen sorgte, die bedrohlichen Aufmärsche vor Wohnhäusern ihrer Opfer, ist in Dortmund gang und gäbe. Fast täglich findet vor einer Flüchtlingsunterkunft derzeit ein Naziaufmarsch statt.

    Lang ist es her, dass höchste Gerichte so entschieden: „Rechte Aufmärsche, die von einem Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sind, müssen nach Ansicht des Präsidenten des NRW-Oberverwaltungsgerichtes, Michael Bertrams, verboten werden. Eine rechtsextremistische Ideologie sei von Grundgesetz von vornherein ausgeschlossen und lasse sich auch mit Mitteln des Demonstrationsrechtes nicht legitimieren.“ (DPA am 26. März 2001)

    Derartiges wird nun durch Karlsruhe verhindert.

    Allerdings gab es auch dies: Nachdem die Nazis den Antikriegstag zu vereinnahmen versuchten („Nie wieder Krieg – nach unserm Sieg“), belebte der DGB sein Friedensengagement. Seit Jahren finden mehrtägige Aktionen des DGB am Hauptbahnhof zum Antikriegstag 1. September statt.

    Im Zusammenhang mit dem Tod von Ex-Bundespräsident von Weizsäcker wurde oft daran erinnert, dass er 1985 von dem 8. Mai 1945 mutig als Tag der Befreiung sprach. Dieser Begriff steht jedoch seit 1948 in unserem Grundgesetz. Der Artikel 139 des Grundgesetzes bestimmt: „Die zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‘ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmung dieses Grundgesetzes nicht berührt.“

    Also handeln wir danach.

  4. BV Innenstadt-West

    Resolution der BV Innenstadt-West zu den Neonaziaktivitäten am 28.03.2015

    Die BV Innenstadt-West hat in ihrer Sitzung am 18.03.2015 folgende Resolution einstimmig beschlossen, der sich auch der Integrationsrat und das Stadtgymnasium in der Sitzung angeschlossen haben:

    Wir, die Bezirksvertretung Innenstadt-West verurteilen die rechtsextremen Einschüchterungsversuche der letzten Zeit in Dortmund. Wir verurteilen insbesondere die fremdenfeindlichen Angriffe gegen Flüchtlinge und einzelne Menschen in unserer Stadt. Wir wehren uns gegen die menschenverachtenden Versuche der Rechten, in unserem Stadtbezirk einen Mord zu feiern. Wir unterstützen die Gegenveranstaltungen der demokratischen Gruppen und Vereine gegen diese Aktivitäten.

    Wir fordern weiter die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Partei „Die Rechte“. Die weitere Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts in der Bevölkerung muss endlich ein Ende haben!

    Unterzeichner: SPD-Fraktion, Fraktion B90/Die Grünen, CDU-Fraktion, Fraktion Die Linke & Piraten, Integrationsrat, Stadtgymnasium

  5. OVG Münster

    Beschwerden des Polizeipräsidenten Dortmund ohne Erfolg

    Der 15. Senat hat mit Beschlüssen vom 25. März 2015 die Beschwerden des Polizeipräsidenten Dortmund gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 17. März 2015 zurückgewiesen.

    Das Verwaltungsgericht hatte den Eilanträgen des Landesverbands NRW und des Bundesverbandes der Partei „DIE RECHTE“ gegen Demonstrationsverbote des Polizeipräsidenten Dortmund für Demonstrationen am 28. März 2015 stattgegeben. Dagegen hatte der Polizeipräsident Beschwerden eingelegt, die das Oberverwaltungsgericht nun zurückgewiesen hat.

    Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Polizeipräsident habe auch zur Begründung seiner Beschwerden keine ausreichenden Tatsachen benannt, die die Demonstrationsverbote rechtfertigten. Etwaigen Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit müsse zunächst mit Auflagen begegnet werden. Wie das Verwaltungsgericht hat auch das Oberverwaltungsgericht es nicht als hinreichend belegt angesehen, dass die Versammlungsthemen lediglich vorgeschoben und in Wahrheit beabsichtigt sei, anlässlich des 10. Todestages des von einem Dortmunder Rechtsextremisten erstochenen Thomas Schulz dessen Persönlichkeit zu verunglimpfen und das Gedenken an ihn zu stören.

    Die weiter vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, für ein auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gestütztes Demonstrationsverbot seien die Voraussetzungen ebenfalls nicht erfüllt, habe der Polizeipräsident im Beschwerdeverfahren nicht entkräftet.

    Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts sind unanfechtbar.

    Aktenzeichen:
    15 B 358/15 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen – 14 L 474/15 -)
    15 B 359/15 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen – 14 L 543/15 -)

    http://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/17_150325/index.php

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