Ratsmitglieder stellen sich vor: Die Zuwanderungsgeschichte beeinflusst die Ratsarbeit in Dortmund positiv

Ratssitzung in Dortmund - in Zeiten von Rathausumbau und Corona-Pandemie. Foto: Alex Völkel
Ratssitzung in Dortmund – in Zeiten von Rathausumbau und Corona-Pandemie. Archivfotos: Alex Völkel

Politiker*innen mit Zuwanderungsgeschichte, das sieht man eher selten in der deutschen Politiklandschaft – schade, meinen die (neuen) Ratsmitglieder der Stadt Dortmund. Politik sei wichtig und um die Interessen aller Teile der Bevölkerung zu vertreten, braucht es auch Politiker*innen aus allen Bevölkerungsschichten. Damit Politik interessant bleibt und junge Menschen ermutigt sind, nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Zuwanderungsgeschichte politisch aktiv zu werden, braucht es Vorbilder. Fünf stellten sich auf Einladung von Planerladen und Auslandsgesellschaft.de beim Online-Bürger*innen-Forum „Nord trifft Süd“ vor. Sie alle kommen aus verschiedenen Parteien, was sie verbindet ist der Aufruf zur Wahl und ihr Einsatz für Migrant*innen. Der Fokus neben den Kandidaten selbst soll auf den Themen: Wohnen, Jugend- und Sozialarbeit und Wahlbeteiligung liegen.

Neu-Ratsmitglied: Emre Güleç für die Partei Bündnis für Vielfalt und Toleranz

Emre Gülec (mi.) und Sadi Ucuram (re.) ziehen eine positive Bilanz der Arbeit des Integrationsrates.
Emre Güleç (Mitte) in der vergangenen Legislaturperiode im Integrationsrat – mittlerweile sitzt er für die BVT im Stadtrat.

Emre Güleç ist Neuling und Einzelmitglied im Dortmunder Rat. Mit ihm ist das erste Mal auch das Bündnis für Vielfalt und Toleranz – kurz BVT – im Stadtrat vertreten. Sein Ziel ist es, Migrant*innen in Dortmund ein Vorbild zu sein und zu zeigen, dass Demokratie etwas Gutes ist.

Wohnen: Das soll in Dortmund künftig bezahlbarer werden. Die Forderungen des BVT an die Stadt ist, mehr Wohnfläche zur Verfügung zu stellen – auch für Studierende. Über 50.000 leben in der Stadt und seien auf bezahlbare Wohnungen angewiesen. Gleichzeitig sei es jedoch auch wichtig, endlich gegen die Diskriminierung von Migrant*innen am Wohnungsmarkt aktiv zu werden: „Forschungen zeigen, dass die Wohnungssuchenden mit ausländischen Namen weniger Einladungen zu Besichtigungen erhalten, als die mit deutschen Nachnamen“. Mit diesen Schwerpunkten müsse sich der Rat beschäftigen, fordert Emre Güleç.

Jugend- und Sozialarbeit: Dass Kinder und Jugendliche ihre Sprachvielfalt pflegen, sei wichtig. Mehrsprachigkeit ist ein großes Thema. Seine Partei möchte sich für die Förderung von Mutter- und Zweitsprache in Kitas und Schulen stark machen: „Die Förderung der Muttersprache und der Zweitsprache stehen nicht im Widerspruch zueinander“, betont er. Auch der Punkt, wie es nach der Schule für junge Menschen weiter gehe, beschäftigt Güleç. Dass Migrant*innen statistisch gesehen weniger Einladungen zu Vorstellungsgesprächen bekommen, sollte zukünftig ein Punkt bei der Jugendarbeit sein.

Warum sollten Menschen wählen gehen? „Wir können nur mitbestimmten, wenn wir auch wählen gehen. Wo ich lebe, möchte ich auch entscheiden, deshalb muss ich auch wählen.“

Langjähriges Ratsmitglied: Şaziye Altundal-Köse für die Partei Bündnis90/Die Grünen

Saziye Altundal-Köse (Vorsitzende des Schulausschusses)
Saziye Altundal-Köse, Ratsmitglied der Grünen

Seit insgesamt zwölf Jahren ist Şaziye Altundal-Köse schon im Dortmunder Stadtrat aktiv. Sie beschreibt sich selbst als kritische Stimme, auch innerhalb ihrer eigenen Fraktion.

Wohnen: In der Wohnungspolitik möchte sie ihr Augenmerk vor allem auf das Thema Platz und Wohnfläche legen. Es gehe vor allem um bezahlbaren Wohnraum – besonders für Familien. Mit Blick auf die Nordstadt sagt sie, dass die Wohnungen dort häufig nicht geeignet für große Familien seien – zu wenig Außenfläche, Balkons oder Terrassen. Man müsse den Blick für Familien mit Kindern außerhalb der Nordstadt lenken.

Jugend- und Sozialarbeit: Hier möchte sie sich für die Schaffung von Jugendparlamenten einsetzen, um Jugendliche am Demokratieprozess zu beteiligen. Aber auch der Austausch von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Herkunftsdeutschen müsse ein wichtiger Blickpunkt werden: „Man braucht diesen Austausch, um sich kennenzulernen.“ Besonders im Bereich Bildung sieht Altundal-Köse Handlungs- und Nachholbedarf für den Stadtrat. Sie setzt sich beispielsweise dafür ein, dass es auch in der Nordstadt eine Stadtteilbibliothek geben soll.

Wahlbeteiligung:  Eine höhere Wahlbeteiligung, auch von Menschen mit Migrationshintergrund hält sie für zwingend notwendig. Mit Blick auf die Kommunalwahl 2020 sagt sie: „Es gibt nicht die Wahlbeteiligung, die man sich wünscht. Im Grunde ist das Meinungsbild der Hälfte der Menschen, die hätten wählen können, gar nicht dargestellt.“ Den Grund sehe sie im fehlenden Demokratie-Leben-Prozess. Es sei in den vergangenen Jahren zu wenig investiert worden, damit Politik und Demokratie verstanden werden. Dafür das sich das künftig ändert, setzt sie sich im Rat verstärkt ein.

Warum sollten Menschen wählen gehen? „Jede Stimme zählt, deine Stimme besonders. Ungleichheit verändert sich durch deine Stimme.“

Langjähriges Ratsmitglied: Emmanouil Joannis Daskalakis für die Partei CDU

Emmanouil Joannis Daskalakis. Foto: CDU
Emmanouil Joannis Daskalakis. Foto: CDU

Bereits seit 1999 ist Emmanouil Joannis Daskalakis festes Mitglied im Dortmunder Stadtrat. Zur Wahl gestellt hatte er sich damals, weil er als Vorbild gelten wolle, auch für andere Migrant*innen, damit diese mehr Interesse an kommunaler und allgemeiner Politik zeigen.

Wohnen: Das Thema bezahlbarer Wohnraum liegen Daskalakis und seiner Partei besonders am Herzen. Er möchte auch große Wohngesellschaften in die Verantwortung ziehen und Druck auf diese ausüben. Dabei verweist er auf den Hanniball-Wohnkomplex in Dorstfeld, wo rund 400 Wohnungen zur Verfügung stünden und mahnt, man dürfe diese Projekte nicht aus den Augen verlieren.

Mit Blick auf die wachsende Bevölkerungszahl gibt er sich entschlossen: „Wir wollen Wohnungen schaffen, wir werden Wohnungen schaffen“. Die derzeit geplanten Projekte seien realistisch. Viele Weitere seien in Planung – allerdings noch nicht genehmigt. Zum Thema Sozialwohnungen sagt er, diese müsse es auch außerhalb der Nordstadt geben, damit eine gewisse Entzerrung entstehe.

Wahlbeteiligung:  Auch er bestätigt den Eindruck seiner Kollegen – die Wahlbeteiligung in Dortmund, vor allem bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, lässt zu Wünschen übrig. Das möchten auch die CDU und Daskalakis ändern. Konkrete Pläne nannte er in der Gesprächsrunde allerdings nicht.

Warum sollten Menschen wählen gehen? „Wählen stärkt das Selbstvertrauen, wenn man gewählt hat, fühlt man sich besser in die Gesellschaft integriert und daran beteiligt.“

Langjähriges Ratsmitglied Fatma Karacakurtoğlu für die Partei „Die Linke“

Die linke Dortmunder Lokalpolitikerin und Flüchtlingsaktivistin Fatma Karacakurtoglu gab kräftig Contra.
Linken-Politikerin Fatma Karacakurtoglu

Seit 2014 ist sie Ratsmitglied und damit das zweite Mal wiedergewählt. Integration ist ihr sehr wichtig, man müsse als Mehrheitsgesellschaft, aber auch Strukturen ermöglichen, die zur Integration beitragen. Sie selbst möchte nicht nur als Mensch mit Migrationshintergrund wahrgenommen werden, denn sie sei auch Teil der Gesellschaft.

Jugend- und Sozialarbeit: In diesem Bereich haben sich Karacakurtoğlu und ihre Partei in den vergangenen Jahren sehr engagiert. Das möchte sie auch für die kommenden Jahre beibehalten. Ein Fokus soll dabei auf der Jugend- und Sozialarbeit am Nordmarkt liegen, aber auch das über Thema der Prostitution unter jungen Menschen müsse gesprochen werden. Sie möchte gemeinsam mit Jugendlichen sprechen, Gespräche mitgestalten und politisches Interesse fördern.

Der Dortmunder Rat habe in der Vergangenheit besonders die Arbeit des Jugendforums unterstützt und gefördert, das soll weiterhin beibehalten werden. Mit Blick auf die Jugend- und Sozialarbeit müssen aber auch die Eltern verstärkt mit eingebunden werden, ohne diese funktioniere es nicht. Unabhängig davon, wie viel in den vergangenen Jahren schon geschafft wurde, reiche das noch lange nicht. Damit mehr getan wird, setzen sich Fatma Karacakurtoğlu und die Partei die Linke auch in Zukunft ein.

Warum sollten Menschen wählen gehen? „Von dem Moment, wo wir aufstehen bis zu dem Moment, wo wir schlafen gehen – alles was wir tun hat auch was mit den bundespolitischen Entscheidungen zu tun – deshalb wählen gehen.“

Neues Ratsmitglied: Cüneyt Karadaş für die Partei SPD

Cüneyt Karadas
Cüneyt Karadas

Cüneyt Karadaş ist dieses Jahr neu in den Stadtrat gewählt worden. Er beschreibt sich selbst als Lokalpatriot und möchte sich verstärkt auch für seinen Stadtteil einsetzen: „Wenn es dem Norden gut geht […] Dann geht es auch der Stadt gut.“

Wohnen: Cüneyt Karadaş möchte sich künftig für den sozialen Wohnungsbau einsetzen. Die 25 Prozentquote im Sozialbau sei nur eine Stellschraube, an der er – gemeinsam mit der SPD – in den nächsten Jahren kräftig drehen will und zwar nur in eine Richtung: nach oben.

Er betont aber auch, dass wohnen ein Grundrecht sei und zwar für alle: „Wenn jemand ein Eigenheim bauen möchte, ist das auch ein Grundrecht. Nachhaltigkeit ist wichtig, aber wichtig ist auch, dass Leute, die ein Einfamilienhaus bauen wollen, auch die Möglichkeit haben.“ Die Mischung macht es und für diese will sich Karadaş im Rat einsetzen.

Wahlbeteiligung: Die geringe Wahlbeteiligung schreibt Karadaş auch fehlenden politischen Vorbildern zu. Man müsse vor allem Jugendlichen zeigen, dass auch Menschen mit Zuwanderungsgeschichte die Möglichkeit haben, in Deutschland zu studieren. Damit habe man einen Zugang zum politischen Berufsweg und kann zukünftig selbst zum Vorbild für die Nachfolgegeneration werden. Warum die Wahlbeteiligung ausgerechnet unter Migrant*innen so gering sei, könne Karadaş nicht sagen: „Wenn ich das Geheimnis weiß, warum die Wahlbeteiligung so niedrig ist, dann werde ich Spitzenkandidat“.

Warum sollten Menschen wählen gehen? „Jetzt ist es ganz wichtig zur Wahl zu gehen, weil wir in den Landtagswahlen gesehen haben, dass es auch eine Mehrheit jenseits der CDU gibt.“


Aufgrund der begrenzten Zeit und ungleich verteilter Redeanteile sind möglicherweise nicht alle Perspektiven und Ziele der Ratsvertreter*innen aufgegriffen worden und konnten somit in diesem Artikel gegebenenfalls nicht vollständig aufgezeigt werden.

 

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Reaktionen

  1. Bernd H. Schoppe

    Eine „Legislaturperiode“ gibt es nur im Bundestag und in den Landtagen. Im Rat einer Stadt werden keine Gesetze (leges) gemacht, sondern Beschlüsse gefasst.

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