„Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“ setzt auf gemeinsames Engagement gegen Pflegenotstand in Dortmund

Dr. Bernd Tenbensel, Barbara Granseuer und Hanfried Brenner sind einige der Aktiven. Foto: Alex Völkel

Barbara Granseuer ist eigentlich keine Frau der großen Worte. Sie drängt sich nicht vor Kameras und Mikrofone. Im Gegenteil: Es kostet sie sichtlich Überwindung. Dennoch erhebt die 50-Jährige ihre Stimme. Der Grund: Ihre Liebe und Leidenschaft zu ihrem Beruf, der Altenpflege. Sie sorgt sich um ihren Berufsstand und die Lage der PatientInnen. Deshalb hat sie sich entschlossen, beim „Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“ mitzumachen. 

Solidaritätsaktion am Internationalen Tag der Pflege in Körne

Fast 30 Jahre ist sie dabei. „Ich mag meinen Beruf immer noch. Deshalb sitze ich hier“, sagt Barbara Granseuer. Das „hier“ ist das DGB-Büro, wo sich einige Aktive zum Pressegespräch getroffen haben, um über die Idee des Bündnisses zu informieren und ihre Forderungen vorzustellen. Dafür hat Barbara Granseuer ihren Arbeitsplatz verlassen. Ihre KollegInnen springen in die Bresche. Und auch die Leitung der städtischen Seniorenheime gibt ihr Rückendeckung.

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Allen gemeinsam ist wichtig, über die Probleme und Herausforderungen zu berichten. Daher werden sie auch am morgigen Muttertag (Sonntag , 12. Mai 2019) auf den Internationalen Tag der Pflege aufmerksam machen. Aktive des Bündnisses werden ein Wohn- und Begegnungszentrum in Körne besuchen. 

„Wir werden zusammen mit der Heimleitung über die vier Wohnbereiche und zur Küche gehen, um den dort Beschäftigten unsere Solidarität zu zeigen und ihnen stellvertretend für alle Beschäftigte im Gesundheitswesen in Dortmund ein ,kleines Dankeschön’ vorbei zu bringen“, erklärt die 50-Jährige.

Das Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen will am Tag der Pflege den Beschäftigten Anerkennung für ihre gute Arbeit zollen. Sie leisten eine wichtige Arbeit. Doch die Rahmenbedingungen sind schlecht – nicht nur die Bezahlung. Überall fehlt es an Personal. Die Belastungen sind immens.

Beseitigung des Pflegenotstands ist ein zentrales politisches Thema

Der Olympische Brief mit Forderungen an Jens Spahn wurde auch in Dortmunder Kliniken unterschrieben. Foto: Bündnis

„Der Pflegenotstand ist kein neues Thema. Viele wissen, dass es vor allem im Pflegebereich einen enormen Personal-Mangel gibt“, berichtet Dr. Bernd Tenbensel. Der Rentner engagiert sich ebenfalls im Bündnis. Seit der Gründung von ver.di war Tenbensel im Landesbezirk für Krankenhaus-Politik zuständig.

Land auf und Land ab kennt er Krankenhäuser und Pflege-einrichtungen, wo die Personaldecke auf Kante genäht oder auch schon längst gerissen ist. 60.000 bis 100.000 Pflegekräfte sollen bundesweit fehlen. Das Thema ist mittlerweile in der Politik angekommen. Doch entschlossenes und konsequentes Handeln vermissen die Aktiven dennoch. Deshalb haben sie das Bündnis gegründet. 

Denn 20 Beschäftigte in 20 Kliniken – darunter auch die Uni-Kliniken in Essen und Düsseldorf – waren in den Arbeitskampf gegangen, um eine bessere personelle Ausstattung in den Kliniken zu erzwingen. Vor Ort gab es zivilgesellschaftliche Unterstützungsbündnisse. Denn das Thema gehe alle Menschen an: „Wer nicht im Krankenhaus ist, kann aber schon morgen da sein“, verdeutlicht Tenbensel. 

In Dortmund hat es zwar keinen Streik für mehr Personal gegeben. Dennoch haben sich auch hier Menschen auf den Weg gemacht und ein Bündnis geschmiedet, welches im April 2019 gegründet wurde (wir berichteten bereits). „Ich finde es bemerkenswert, dass sich Beschäftigte direkt auf den Weg machen“, lobte die DGB-Vorsitzende Jutta Reiter die Initiative. 

Das Dortmunder Bündnis engagiert sich für mehr Personal im Gesundheitswesen

Pflegekräfte bilden die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Sie fordern nun eine eigene Pflegeberufekammer. Foto: Klinikum DO
Pflegekräfte bilden die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Foto: Klinikum DO

Aufgerufen zum Mitmachen sind dabei Beschäftigte in der Gesundheitsbranche – über alle Bereiche hinweg. „Wir haben uns ganz bewusst für den Namen ,mehr Personal im Gesundheitswesen’ entschieden“, so Tenbensel. Auch die Beschäftigten in Reinigung, Küche, Betreuung, Therapie und Service – nicht nur in der Pflege – waren eingeladen. „Überall wird an den Grenzen gearbeitet.“ 

Während andere Bündnisse sich direkt auf die Situation im Krankenhaus fokussieren, wird in Dortmund der ganze Bereich in den Blick genommen. Auch die Bevölkerung ist eingeladen – schließlich kann jeder und jede schon morgen vom Pflegenotstand betroffen sein.

Deshalb engagiert sich auch Hanfried Brenner. Der Bildende Künstler engagiert sich deshalb im Bündnis: „Wir wollen verhindern, dass die einen gegen die anderen ausgespielt werden. Wir sind da klar bei der Forderung von ver.di“, so Brenner. Bei Streiks in Düsseldorf und Essen habe es sich bewährt, dass nicht nur Pflegekräfte oder Ärzte, sondern auch die anderen Bereiche eingebunden waren. 

„Die Einheit der Kämpfenden war dort groß. Sonst wäre der Arbeitskampf nicht durchzusetzen gewesen“, ist sich Brenner sicher, der aus erster Hand über die Probleme der Beschäftigten weiß. Seine Frau hat jahrzehntelang in der Pflege gearbeitet. 

Fürsorgepflicht: Pflegekräfte können nicht einfach streiken – daher ist Solidarität wichtig

„Ich finde interessant, wie breit die Anwesenden aufgestellt waren. Da waren Arbeitnehmer, aber auch Arbeitgeber, die sahen, dass es so nicht weitergehen kann. Auch Psychotherapeuten waren dabei“, berichtet Jutta Reiter. 

„Die Gründungsversammlung hat deutlich gemacht, dass es an der Daseinsfürsorge hapert. Wir können nicht einfach auf die Straße gehen und streiken. Das müssen andere auch stellvertretend machen, wir haben ja eine Fürsorgefunktion für unsere Patienten“, sagt Altenpflegerin Barbara Granseuer. 

Das noch junge Bündnis war bisher schon mit dem „Olympischen Brief“ in den Dortmunder Einrichtungen unterwegs, um Unterschriften für ein politischen Umdenken im Pflegebereich zu sammeln. Die Unterschriften sollen im Juni bei der Gesundheitsministerkonferenz übergeben werden.

„Eine gesetzliche Personalbemessung muss her. Das darf nicht dem einzelnen Arbeitgeber im Wettbewerb überlassen werden“, findet Hanfried Brenner. Die anderen Aktiven können da nur zustimmen. Daher setzt das Bündnis auch darauf, die Öffentlichkeit zu informieren. 

Pläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als mediales Placebo

Das Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen möchte die Öffentlichkeit sensibilisieren.
Das Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen möchte die Öffentlichkeit sensibilisieren.

Die Öffentlichkeit solle nicht auf mediale Placebos reinfallen, wie das 2018 beschlossene Personalstärkungsgesetz. 13.000 zusätzliche Stellen für die Altenpflege hatte der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn darin angekündigt. 

Doch von der Verstärkung ist nichts angekommen. 13.000 Stellen: Was viel klingt, bedeutet aber nur rund 0,6 zusätzliche Stellen pro Einrichtung mit vier Stationen und 80 BewohnerInnen. 

Und obwohl das Gesetz seit 1. Januar in Kraft ist, gibt es noch immer keine Bearbeitungsstelle für Anträge im Ministerium. Doch die bisherigen Förderungen sind deshalb schon ausgelaufen. „Wir arbeiten daher seit Monaten mit weniger als mit mehr Personal“, verdeutlicht Granseuer.

Wann die neuen Stellen bewilligt und besetzt werden können, ist noch völlig offen. Ganz abgesehen davon, dass die zusätzlichen Beschäftigten nur schwer zu finden sind. Es herrscht immenser Fachkräftemangel.

Hohe Belastungen: Pflegefachkräfte suchen nach beruflichen Alternativen

Daher schauen sich immer häufiger Menschen, die derzeit schon in der Pflege arbeiten, nach Alternativen um. Die Verweildauer sei gering. Durchschnittlich nur sieben Jahre verblieben Pflegekräfte in ihrem Beruf, verdeutlicht Jutta Reiter. „Die Situation wird sich nicht entschärfen, wenn sich die Bedingungen nicht verändern. Dann werden wir ein riesiges Problem bekommen. Der Beruf ist toll, aber nicht durchzuhalten“, sagt die DGB-Vorsitzende.

Das sieht auch die 50-jährige Altenpflegerin so: „Und unsere Azubis gucken schon jetzt, ob sie sich weiterbilden können. Sie wollen nicht am Bett weiterarbeiten“, berichtet Barbara Granseuer. Sie ist da offenbar eher die Ausnahme – mit fast 30 Jahren im Beruf. Sie liebt ihren Job weiterhin. „Man trifft auf Menschen mit viel Lebenserfahrung, wo man viel voneinander lernt“, sagt sie.

Doch auch sie hat zu kämpfen. „Es gibt körperliche und psychische Beeinträchtigungen. Wenn ich meine Arbeit nicht schaffe, gehe ich mit ungutem Gefühl nach Hause“, skizziert sie die Arbeitsbelastungen. Doch sie und ihre MitstreiterInnen haben den Mut nicht verloren. „Ich mag meinen Beruf immer noch“, sagt Barbara Granseuer. Und nicht nur am Internationalen Tag der Pflege wollen sie gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Situation verbessert. 

Mehr Informationen:

  • Die Aktion des Bündnisses soll am Sonntag um 11 Uhr im Wohn- und Begegnungszentrum am Zehnthof 119 in 44141 Dortmund stattfinden.
  • Am 22. Mai um 17 Uhr findet im ver.di-Haus am Königswall (neben dem Fußballmuseum am Hauptbahnhof) in Raum E das nächste Bündnistreffen statt. Interessierte sind willkommen.

 

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Reaktionen

  1. Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen (Pressemitteilung)

    Einladung zum Film „Der marktgerechte Patient“

    Das „Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“ lädt am Dienstag, den 23.Juli 2019, um 17.00 Uhr zu einer Filmvorführung ins ver.di Haus (Königswall 36, Raum A/B im 2. Stock).

    Der Film hat den Titel: Der marktgerechte Patient. Danach schließt sich, wenn gewollt, eine Diskussion zu diesem Thema an. Im Film geht es um die Folgen der Ökonomisierung der Krankenhäuser und die Auswirkungen auf die Patienten, deren Gesundheit eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte.

    Seit der Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf sogenannte Fallpauschalen steht für viele deutsche Kliniken nicht mehr der kranke Mensch, sondern der Erlös aus seiner Behandlung im Vordergrund. DER MARKTGERECHTE PATIENT handelt von den Ursachen und fata- len Folgen dieser Ökonomisierung der Krankenhäuser.

    In den deutschen Krankenhäusern stehe nicht mehr der Patient sondern das Geld im Mittelpunkt aller Gedanken, sagt der Oberarzt für Anästhesie Peter Hoffmann im Film. „Das Geld ist immer im Hintergrund aller Entscheidungen. Man tut etwas, um die Kosten zu reduzieren oder man tut etwas, um mehr Erlöse, mehr Einnahmen für das Krankenhaus zu generieren.

    Das Krankenhaus wird geführt wie eine Fabrik. Maximaler Output, minimaler Aufwand, schneller, und der Patient wird zum Werkstück, die Abläufe werden industriell strukturiert, der Patient wird vorne eingefüllt und kommt hinten raus, und zwar bitte ein bißchen schneller. Geht das nicht einen Tag schneller?“

  2. Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen (Pressemitteilung)

    Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Altenpflege: Noch in diesem Jahr soll der bundesweite Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Altenpflege abgeschlossen werden!

    Die Gewerkschaft ver.di und die Arbeitgeber der Pflegebranche haben im Oktober Verhandlungen über einen bundesweiten Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Altenpflege begonnen. Noch in diesem Jahr soll der Tarifvertrag abgeschlossen werden, der dann durch Beschluss des Bundesarbeitsministers auf die gesamte Altenpflege erstreckt wird.

    Diese tariflichen Regelungen werden dann auch Arbeitgeber einhalten müssen, die bisher sehr niedrige Löhne zahlen und schlechte Arbeitsbedingungen bieten. Bestehende bessere Tarifverträge bleiben von dem neuen bundesweiten Tarifvertrag unberührt. Die ver.di-Tarifkommission fordert für Beschäftigte ohne Ausbildung ein Einstiegsentgelt von 13,50 Euro pro Stunde, für Beschäftigte mit dreijähriger Ausbildung soll es 16,70 Euro pro Stunde betragen. (Zum Vergleich: Der Pflegemindestlohn liegt derzeit im Westen bei 11,05 Euro pro Stunde und im Osten bei 10,55 Euro; der gesetzliche Mindestlohn beträgt derzeit 9,19 Euro pro Stunde.) So sollen die Entgelte den Lohnabstand zwischen Alten- und Krankenpflege deutlich verringern.

    Dieser Tarifvertrag wird notwendig sein, um den ruinösen Wettbewerb unter den gewerblichen Pflegediensten um die niedrigsten Löhne zulasten der Beschäftigten zu beenden. Gute, engagierte Beschäftigte für die Altenpflege können nur durch gute Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung gewonnen werden. Es geht nicht an, dass die Altenpflege als Daseins- vorsorge wie auch das gesamte Gesundheitswe- sen nach dem Gewinnerzielungsprinzip organi- siert wird. Es ist unmoralisch, Pflegebedürftige als „Kunden“ auf einen „Pflegemarkt“ zu schicken und sie als solche zu behandeln.

    Pflegebedürftigkeit ist oft ein plötzlich auftretendes Ereignis (z. B. Schlaganfall). In solch einer Situation kann ein „Kunde“ kaum eine souveräne Entscheidung treffen. Sowohl für die Pflegebedürftigen als auch ihre Angehörigen ist die Abkehr von der Beschränkung auf eine Grundversorung in der Pflegeversicherung (“Barmherzigkeit mit beschränkter Haftung“) und die Einführung des Bedarfsprinzips, wie in der gesetzlichen Krankenversicherung, notwendig.
    Als erster Schritt ist die Begrenzung des von den Pflegebedürftigen zu tragenden Eigenanteils der Pflegekosten erforderlich. Bisher steigen bei jedem Tarifabschluss die Kosten für die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen. Der Zielkonflikt zwischen angemessener Bezahlung, ausreichendem Personal und Begrenzung der Kosten muss endlich gelöst werden: Letztlich durch die Einführung der Bürgerversicherung.

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