Amtsgericht Dortmund: Unverhältnismäßiger Angriff eines Sicherheitsmannes auf BVB-Fan zerstört dessen Leben

Der Ngeklagte Mohammed A. und seine Anwälte Tobias Eskowitz und Jan-Henrik Heinz. Fotos: Sascha Fijneman
Der Angeklagte Mohammed A. und seine Anwälte Tobias Eskowitz und Jan-Henrik Heinz. Fotos: Sascha Fijneman

Von Sascha Fijneman

Im Mai vergangenen Jahres kam es im Rahmen der Bundesligabegegnung Werder Bremen gegen Borussia Dortmund zu einem Zwischenfall mit tragischen Konsequenzen für den geschädigten BVB-Fan Marc S.. Das Amtsgericht Dortmund eröffnete am Dienstag, 23. Oktober 2018, den Prozess gegen den Angeklagten Mohammed A. Der Mitarbeiter der Gülich-Gruppe, die für die Sicherheit der StadionbesucherInnen auf dem Weg zur U-Bahn verantwortlich war, soll dem Opfer so heftig vor den Brustkorb getreten haben, dass dieses direkt bewusstlos zu Boden ging, mit dem Kopf aufschlug, ein schweres Schädelhirntrauma erlitt und unter massiven Folgeerscheinungen des brutalen Angriffs zu leiden hat.

Rechtsanwalt Heinz: „Das Ganze ist ein Albtraum für alle Beteiligten!“

Der Vorsitzende Richter Schwengers und die Schöffen.
Der Vorsitzende Richter Schwengers und die Schöffen.

Tateinheitliche schwere und gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz, da der Angeklagte unbefugt einen Teleskopschlagstock getragen haben soll, lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund. Zum Prozessauftakt vor dem Schöffengericht informierte sich der Vorsitzende Richter Schwengers über Biografie und Lebensumstände des Angeklagten.

Der 34-jährige Mohammed A.ist türkischer Staatsbürger und lebt in Dortmund. Er ist verheiratet und Vater eines Kindes. Ohne Schulabschluss absolvierte er eine einjährige Umschulung zur Sicherheitsfachkraft.

Sein Verteidiger Jan-Henrik Heinz sprach für den Angeklagten. „Das Ganze ist ein Albtraum für alle Beteiligten, insbesondere natürlich für die Familie von Marc S.“, so Heinz. Es gelte jedoch, die Dinge sachlich zu betrachten und somit dürfe nicht übersehen werden, dass der geschädigte Marc S. durch sein Verhalten die Kausalkette der Ereignisse erst in Gang gesetzt hätte.

Opfer kann nicht mehr riechen und schmecken und leidet unter starkem Verlust der Sehkraft

Mohammed A. gestand die Tat, rechtfertigte sich jedoch damit, auf die Bewegung des Opfers in Notwehr reagiert zu haben. Er entschuldigte sich aufrichtig bei Marc S., der die Entschuldigung annahm und sich sogar bedankte, dessen Leben seither allerdings nicht mehr das ist, was es einmal war. „Es geht mir psychisch einfach nur schlecht“, so der Dortmunder.

Auf seinem Weg in den Zeugenstand waren die Folgen der Tat unübersehbar. So hatte er Schwierigkeiten beim Laufen und wurde von einer Pflegekraft begleitet. An den Tathergang kann er sich nicht mehr erinnern. Dafür erzählte er, wie es ihm seit dem Tag ergangen ist. Er könne seinen Beruf als Elektriker einer Aufzugbaufirma nicht mehr nachgehen, könne nicht mehr ins Stadion gehen, kein Auto mehr fahren, nicht mehr lesen, da er nichts mehr sehen könne. „Mein Leben ist kaputt“, hieß es von dem erst 39-Jährigen.

In Folge des Angriffs hat er auf dem rechten Auge nur noch eine Sehkraft von 20 Prozent, auf dem linken Auge gar von 10 Prozent. „Ich war in einer Spezialklinik in Thüringen doch leider konnte man mir auch dort nicht helfen. Der Sehnerv ist fast tot und die Forschung ist auf diesem Gebiet noch nicht weit genug“, erklärte der Geschädigte. Er erzählte dem Richter, dass er ihn nur schemenhaft erkennen könne.

30 Jahre Erinnerungen des Opfers Marc S. sind einfach verschwunden

Körperlich sei er auf dem Weg der Besserung. Das linke Bein mache immernoch Probleme aber durch den Rehasport seien Fortschritte spürbar. Auch seine linke Hand war zunächst gelähmt, aber auch hier seien deutliche Verbesserungen zu verzeichnen. Die Erinnerungen an seine bisheriges Leben sind verschwunden.

„30 Jahre sind einfach weg. Ich erinnere mich an Bruchstücke aus meiner Grundsschulzeit, an meine Familie und an meine Kinder aber sonst ist da nichts mehr“, so Marc S. Er ist extrem eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen.

Aus diesem Grund lebt er momentan auch bei seinen Eltern in Dortmund-Aplerbeck nachdem seine Beziehung aufgrund seiner Wesensänderung nach dem Vorfall in die Brüche gegangen ist. Außerdem kann er seit dem Angriff weder schmecken noch riechen.

Opfer beleidigte die Sicherheitsbeamten im Vorfeld und wurde handgreiflich

Die vier geladenen Zeugen der Gülich-Gruppe berichteten, dass sie am Abend des 20. Mai 2017 an einer U-Bahnstation in der Nähe des Westfalenstadions eingeteilt waren, um hier für den geregelten Ablauf der StadionbesucherInnen zu sorgen. Zu diesem Zweck wurde eine Seite der Station als Zugang genutzt, während auf der anderen nur der Ausgang gestattet war.

Auf dieser Seite soll Marc S. versucht haben, in die Station zu gelangen. Nachdem man ihn freundlich aufgefordert habe, außen herum zum Eingang auf der anderen Seite zu gehen, soll er zunächst verbal ausfällig geworden sein.

Anschließend versuchte er mehrfach, sich an den Sicherheitskräften vorbei zu schieben. Hierbei soll er körperlich aufdringlich geworden sein und wurde zurückgeschoben, wobei er sein Bier verschüttete. Daraufhin soll Marc S. noch aggressiver geworden sein und einen Faustschlag Richtung Kopf eines Sicherheitsmannes geführt, jedoch nur dessen Schulter erwischt haben. Daraufhin seien der Angeklagte Mohammed A. und sein Kollege von der anderen Seite der Station zu Hilfe geeilt.

Situation eskalierte, als Marc S. versuchte, der Kontrolle zu entkommen

Der Prozess stieß auf reges Interesse der Öffentlichkeit.
Der Prozess stieß auf reges Interesse der Öffentlichkeit.

Als sie die Personalien von Marc S. feststellen wollten, habe dieser die Flucht ergriffen worauf drei Sicherheitsmänner die Verfolgung aufnahmen. Augenzeugen konnten beobachten wie Mohammed A. Marc S. anging. Einer von ihnen sprach diesbezüglich von einer Art „spektakulärem Kung Fu-Tritt, der das Opfer, welches sich gerade umdrehen wollte, direkt auf den Brustkorb traf und ihn wie einen „gefällten Baum“ zu Boden schickte.

Zwei Augenzeugen waren sich nicht hundertprozentig sicher, meinten jedoch erkannt zu haben, dass der Angeklagte mit beiden Beinen voran in seinen Kontrahenten gesprungen sei. Ein Zeuge aus Bremen empörte sich über die Unverhältnismäßigkeit der Aktion, wo Sicherheitsdienste doch eher deeskalierend wirken sollten. Ihm ginge das Geräusch, als der Kopf auf den Boden schlug einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Als er die Sicherheitsleute zur Rede stellen wollte, habe man ihm mit „Der hatte selber Schuld, weil er uns angemacht hat“, geantwortet. Außerdem habe man versucht, ihn vom Ort des Geschehens zu entfernen, woraufhin er standhaft geblieben sei, bis Rettungskräfte und Polizei vor Ort waren.

Fragen der Anwälte des Angeklagten stoßen auf Unverständnis bei Publikum und Schöffen

Trotz aller Sachlichkeit und Zurückhaltung des Publikums vor Gericht, ging bei bestimmten Fragen der Anwälte des Angeklagten ein lautes Raunen durch den Saal, welches selbst die Schöffen ergriff. So wollten die Verteidiger von mehreren Zeugen genau wissen, ob sie wirklich gesehen hätten, wie der oder die Füße den Brustkorb getroffen hätten und ob es nicht im Rahmen des Möglichen sei, dass Marc S. aufgrund der eigenen Körperdrehung zu Boden gegangen sei.

Selbstverständlich sind diese Fragen bei aller Empathie, die man für Marc S. auch empfinden mag zulässig. Dies machte der Vorsitzende Richter Schwengers unmissverständlich deutlich. Nach Anhörung der Augenzeugen wurde die Sitzung auf kommenden Freitag (26. Oktober) vertagt. Mit einem endgültigen Urteil ist Anfang November zu rechnen. Als maximale Strafe vor dem Schöffengericht könnten Mohammed A. vier Jahre Haft drohen. Marc S. und seine Familie werden ihr Leben lang mit den Folgen des unverhältnismäßigen Angriffs klarkommen müssen.

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