SkF e.V. Dortmund: Eröffnung exklusiver Mädchenschutzstelle im ehemaligen Pfarrhaus an der Westerbleichstraße

Willkommen: große und ganz besondere Mädchen! Fotos (9): Thomas Engel

Eröffnung einer neuen Schutzstelle ausschließlich für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren im Hafenquartier. Aus seiner Erfahrung weiß der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), dass sie häufiger Obhut benötigen als Jungen ihres Alters. Und unter Umständen wegen traumatischer Erlebnisse nicht von männlichen Betreuern oder Mitbewohnern umgeben sein können. Die Einrichtung ist ein Kriseninterventionsraum und zugleich Ruhestätte, um Kraft zu sammeln und neue Perspektiven in enger Kooperation mit dem Jugendamt der Stadt Dortmund zu entwickeln. Es stehen sieben Plätze zur Verfügung.

Anteil schutzbedürftiger Mädchen deutlich höher relativ zu dem von Jungen und männlichen Jugendlichen

Freudige Gesichter, soweit das Auge reicht, im Kirchinnenhof an der Westerbleichstraße 42. Gleichwohl die tieferliegenden Gründe, dass die neue Schutzstelle hier überhaupt geschaffen werden musste, dafür eigentlich wenig Anlass bietet: es geht um schutzbedürftige Mädchen, die sich in einer akuten Notlage oder Krisensituation befinden. Die (manchmal nach traumatischem Erleben) dringend einen geschützten Raum, vor allem einen der Verlässlichkeit benötigen.

AktivistInnen gegen Gewalt / soziale Deprivilegierung

Weibliche Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren, denen hier ein vorübergehender Zufluchtsort geschaffen worden ist. Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) betreibt bereits seit vielen Jahren eine koedukative Einrichtung dieser Art in der Nordstadt; dort in der Münsterstraße. Sie bieten Raum für jeweils sieben Kinder oder Jugendliche.

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Aus ihrer Erfahrung wissen die PädagogInnen: relativ zu den Jungen, sind es viel mehr Mädchen, die Obhut benötigen. Weil in aller Regel daheim was gewaltig schief läuft.

Und: zunehmend mehr Mädchen können wegen spezieller Traumata – wie durch sexuellen Missbrauch – nicht von männlichem Fachpersonal betreut oder mit Jungen oder männlichen Jugendlichen zusammen untergebracht werden. Ohne angstfrei zu sich selbst (zurück) zu finden. Denn das Unfassbare lauerte für sie zuweilen hinter jeder Tür.

Nach (u.U.) traumatischen Erlebnissen: ein Ort, um Kraft zu tanken, „damit das Leben ein gelungenes wird“

Zwar kann keine Kirche mit den Mitteln der Vernunft sinnvoll die Frage beantworten, wo denn der allwissende, allgütige und allmächtige Gott war, als ihnen so Schreckliches widerfuhr; aber immerhin versucht sie mit ihren Möglichkeiten – und jenseits seiner unergründlichen Ratschlüsse – tatkräftig zu heilen.

Indem sie – mit viel ehrenamtlichem Engagement – einen Ort schuf, um Kraft zu tanken, damit das Leben ein gelungenes wird, wie Dr. Nicole Wolf, Vorstand SkF, eingangs bei der offiziellen Eröffnung der Einrichtung erklärt.

„Ein Ort, wo Schutz und Ruhe geboten werden“, ergänzt Alwin Buddenkotte, Geschäftsführer der Katholischen Sozialen Dienste (KSD).

Für den bedrängten Personenkreis soll die neue, reine Mädchenschutzstelle des SkF in dem ehemaligen Pfarrhaus der Gemeinde St. Michael inmitten des  Hafenquartiers einen besonderen, auf ihre speziellen Bedürfnisse zugeschnittenen Zufluchtsort bieten. Wo für die Opfer jederzeit helfende Hände bereitstehen, Frauen rund um die Uhr zuhören oder den Wunsch nach Ruhe und Innehalten respektieren, ohne zu drängen.

Kein einheitliches Bild zu den Ursachen für eine verfügte Unterbringung in die Schutzeinrichtung

Ein Missverständnis möchte Alwin Buddenkotte vermeiden: um Gewalt – wie Misshandlung oder Missbrauch – ginge es nur in den „krassesten Fällen“. Es könne sich auch schlicht um „pubertätsbedingte Krisen“ handeln. Weswegen eine Inobhutnahme unter Umständen erforderlich ist.

Alwin Buddenkott, Nicole Wolf

Die Ursachen könnten auch bei schwerwiegenden Konflikten im Elternhaus oder Defiziten in der Erziehungsfähigkeit von Eltern liegen. Typisch ist ebenso Vernachlässigung oder, dass Mädchen überfordert werden, indem sie etwa die Mutterrolle übernehmen müssten, sagt der Dortmunder KSD-Chef. Es ist also kein einheitliches Bild, das sich hier zeichnen lässt.

Doch eines ist ziemlich sicher unabweisbar. Was vielen jungen Leuten gemeinsam sein dürfte, werden sie denn finaliter in der Krisenstelle untergebracht: dass sie in einer gründlichen Situation sozialer Deprivilegierung leben.

Denn nur so ist erklärbar, wenn pubertäre Hormonverwirrungen, die wir alle mehr oder weniger durchlebt haben, faktisch dazu führen, dass das Jugendamt an die Stelle der Eltern oder eines Elternteils treten muss.

Jugendämter sind zur Inobhutnahme bei Gefährdung des Wohls von Kindern oder Jugendlichen verpflichtet

Ein erzieherischer Offenbarungseid. Weil daheim, wo  – auch, wenn es Mal kracht – stets Verständnis und Liebe atmosphärisch klingen sollten, das Wohl des jungen Menschen nicht mehr gesichert ist, daher die Gesellschaft einschreiten muss.

Erste Gespräche, BesucherInnen: in einem Aufenthaltsraum für die neuen Bewohnerinnen

Wenig überraschend, wenn der KSD-Geschäftsführer hinzufügt: häufig kämen die Kinder und Jugendlichen, die bei ihnen vorübergehend Schutz finden, aus Trennungsfamilien. Überforderung allenthalben.

Die Voraussetzungen für die Aufnahme in Einrichtungen wie an der Münstertraße oder jetzt in der Westerbleichstraße sind von Gesetzes wegen immer dieselben: eine mehr oder minder vorhandene Gefährdung besagten Wohls des Kindes oder Jugendlichen nach §42, SGB VIII.

Das Jugendamt ist auch dann berechtigt und verpflichtet, zum Schutz der Betroffenen, eine Inobhutnahme zu veranlassen und sie in einer geeigneten Einrichtung zur weiteren Klärung der Situation unterzubringen, wenn das Kind oder der Jugendliche ausdrücklich darum bittet oder minderjährige MigrantInnen unbegleitet in die Bundesrepublik kommen.

Konzeption: gute Lösungen sollen möglichst gemeinsam mit allen Betroffenen gesucht werden

Alles Fälle, in denen es – nach unserem anthropologisch und entwicklungspsychologisch gestützten Selbstverständnis – fahrlässig wäre, anzunehmen, die jungen Menschen könnten sich weitgehend autonom selbst helfen. Sie brauchen in dieser prekären Lebenssituation unsere verständige Hilfe, sonst könnten später unheilbare Brüche erzeugt werden.

Auch, wenn sie es nicht immer gleich einsehen. Das aber bedeutet gleichsam: diese für die Erwachsenenwelt verständliche „Uneinsicht“ zu respektieren, statt sofort pater- oder maternalistisch freundlich, aber bestimmt mit dem für sie Besseren zu winken. Einschließlich einer gewissen Demut, denn vielleicht sind Erwachsene die Dummen?

Die Konzeption der Auffanginstitutionen des SkF beinhaltet aus diesem Grund, möglichst gemeinsam mit den Jugendlichen und Sorgeberechtigten nach Lösungen zu suchen. Blinder Autoritarismus ist unzeitgemäß. Doch es gibt Grenzen. Selbsttötung etwa, geht gar nicht. Da spräche die katholische Kirche nicht einmal bei Erwachsenen drüber. Denn immerhin hat besagter Gott uns das Leben geschenkt – und nimmt es nach Gutdünken, wie Augustinus und der Hl. Thomas bereits lehrten. Geschenk, Verfügungsgewalt hin oder her.

Im Zentrum aller Bemühungen: jungen Menschen zu vermitteln, dass sie – sie:  jedes Einzelne es wert ist

Aber bei jungen Menschen, die ein ganzes Leben noch vor sich haben – das geht dann wirklich gar nicht. Manchmal führen Auswege aus der von der Suizidologie beschriebenen präsuizidalen Verengungungssituation eben nur in die geschlossene Psychiatrie. Doch: Suizidalität sei unter den jungen Leuten beim SkF sehr selten, sagt die prospektive Leiterin der neuen Mädchenschutzstelle, Maria Daniel. In ihrer Zeit, seit November 2017, habe es nur zweimal eine entsprechende Einweisung geben müssen.

Es handelt sich also um Einzelfälle, um exzeptionellen Zwang, der dem eigentlichen Konzept widerstreitet. Es sei ein offenes Haus, bestätigt Alwin Buddenkotte. Es gäbe hier keine geschlossenen Türen. Die einzelnen Zimmer können lediglich von innen verriegelt werden. Wenn eine Bewohnerin sich einmal zurückziehen, allein sein möchte.

Die Einzelzimmer in der neuen Einrichtung, sie sind freundlich, hell. Auf den Schränken, Oberfläche selbstverständlich in Schwarz, steht „Selbstbewusstsein“. Wir-Gefühle über positive Gruppenidentifikationen werden erzeugt: Dortmund, Frauen usf., alles cool.

Die traumatische Angst, Schweiß, Schlaflosigkeit, bedrängende Bilder – all das erzeugt Selbstschutz. Mich kann niemand mehr, und Punkt. Das ist wichtig. Grenzen setzen, das Nein-Sagen! definitiv durchsetzen, wachsen, stärker werden.

Ein offenes Haus ohne geschlossene Türen mit 24-stündigem Betreuungsangebot

Dazu braucht es Sicherheit, Vorhersehbarkeit, anders als beim drohenden Gewitter. Die Leiterin der neuen Mädchenschutzstelle sagt im Gespräch, dass den Kindern und Jugendlichen ein gut strukturierter Tagesablauf geboten würde.

Frühstück, Mittagessen, Abendessen – alles geschieht zu geregelten Zeiten, aber adaptiert an individuelle Tagespläne der Bewohnerinnen. Die, wenn möglich, weiter zur Schule gehen und dafür ganz unterschiedlich lange Wege zurücklegen müssen.

Deshalb müsse es auch eine günstige Verkehrsanbindung an den ÖPNV geben, betont Alwin Buddenkotte. Für das Hafenquartier zwischen Schützenstraße und Münsterstraße denkbar gut erfüllte Voraussetzungen: mengenweise U-Bahnen, die für starke Mädchen überall hinführen.

Die Mitarbeiterinnen sind 365 Tage im Jahr, 24 Stunden erreichbar. Neben der Krisendeeskalation geht es in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt um die Erarbeitung individueller Wege aus der Notlage. Acht Tage dauert ein durchschnittlicher Aufenthalt, 21 Tage können es nach gegenwärtiger Rechtslage maximal sein.

Vertrauensbeweise geschundener Seelen: einfach Mal eine Freundin mitbringen – weil Du hier Du sein kannst

Was die BewohnerInnen für eine Stabilisierung ihrer psychischen Notlage benötigen – es sind essentiell Verlässlichkeit und Schutz. Die individuelle Betreuung der jungen Leute wird von sozialpädagogischem Fachpersonal mit Erfahrung gewährleistet

Natürlich, es käme auch schon einmal zu Konflikten, sagt Maria Daniel. Erfahrungsgemäß würden sie aber relativ schnell wieder beigelegt. Zicken in einem guten Sinne eben, die sie sind, sein dürfen und vor allem: sein wollen. Und das ist gut so: ganz besondere Menschen – dass sie es überhaupt bis hierhin schaffen werden.

Dann ging’s bei der offiziellen Eröffnung zur Schlüsselübergabe an die neue Leiterin der Einrichtung, deren verantwortungsvolle Arbeit jetzt erst beginnt. – Warum sie den Job gerne mache, wird Maria Daniel später gefragt. Ein Lächeln. Weil die Kinder in der Krise sie erleben – da könne es vorkommen, dass sie hinterher eine Freundin mitbringen. So ähnlich war die Antwort. Aber sie bedeutete eins: den Vertrauensbeweis einer geschundenen Seele, der etwas wiegt, weil es ihn so leicht nicht gibt.

 

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Reaktionen

  1. BicycleFriend

    Schon bemerkenswert, dass genau der Verein eine Einrichtung für Mißbrauchsopfer eröffnet und unterhält, der vorher jahrzehntelang Mißbrauch in den eigenen Reihen geduldet hat! Es ist fraglich, ob man ein Kind oder Jugendliche, die so gelitten hat, dort hin schickt. Es ist der selbe Verein, der sich schuldig gemacht hat und bis heute sind die Täter, oft genug Pfaffen, nicht verurteilt worden. Wie genau sollen die Jugendlichen dort ‚behandelt‘ oder betreut werden? Warum macht die Leiterin diese Arbeit gern? Das kommt nicht so genau aus dem Text heraus. Es bleibt auch fraglich, ob das so sinnvoll ist, wenn nur Ehrenamtliche dort arbeiten, besser wären professionelle Psychologinnen. Woher weiß der SkF eigentlich, dass Mädchen mehr Hilfe bräuchten als Jungen? Wieder so eine ungeklärte Aussage. Bei dieser Einrichtung bleiben zuviele Fragen offen, als dass sie als vertrauenswürdig gelten könnte.

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