Frauen leisten weiterhin mehr unbezahlte Carearbeit als Männer

SERIE Weltfrauentag: Gravierende Unterschiede bei Einkommen und Arbeitszeit bleiben bestehen

Gender pay gap, Berichtsjahr 2023 Quelle: Statistisches Bundesamt

Die Nordstadtblogger haben sich entschieden, in diesem Jahr anlässlich des Weltfrauentags am 8. März eine Themenwoche zu gestalten, mit interessanten Beiträgen rund um feministische Themen. Jeden Abend um 18 Uhr erscheint ein neuer Artikel. Viel Spaß! Eure Nordstadtbloggerinnen

Frauen und Männer haben in Deutschland – nach einer heteronormativen Definition von Gleichstellung – weitestgehend gleiche Rechte, gleiche Pflichten und gleiche Chancen. Zumindest auf dem Papier ist die Gleichberechtigung der Geschlechter weit fortgeschritten.

Die Regierungschefin Deutschlands war über einen langen Zeitraum eine Frau. Frauen dürfen jeden Beruf ausüben, jedes Fach studieren und Führungsrollen übernehmen, was sie auch in wachsendem Ausmaß tun. Allerdings kämpfen Arbeitnehmer:innen in Deutschland noch immer für eine vergleichbare Anerkennung ihrer Leistungen. Trotz einem Entgelttransparenzgesetz, das der Ungleichbehandlung seit 2018 entgegenwirken soll.

Höhe des Gender Pay Gap ist seit vier Jahren unverändert: 18 Prozent

Der Gender Pay Gap bezeichnet die Lohnlücke zwischen den Einkünften, die die binärgeschlechtliche Landschaft in Deutschland trennt. Seit 2020 stagniert der Wert auf 18 Prozent weniger Lohn, den Frauen weniger bekommen als ihre männlichen Kollegen in vergleichbarer Position. Und von der weiteren Ungleichbehandlung von Personen, die sich auf dem Arbeitsmarkt offen als non-binär, homosexuell oder trans* vorstellen, ist hier noch gar nicht die Rede. Auch eine potentielle intersektionale Mehrfachdiskriminierung (z.B. weiblich, zugewandert, behindert) ist in diesem Pay Gap nicht ausdifferenziert.

Am 6. März 2024 ist dieses Mal der Equal Pay Day – nicht etwa, weil sich beim Gender Pay Gap etwas gebessert hätte, sondern weil 2024 ein Schaltjahr ist.
Am 6. März 2024 ist dieses Mal der Equal Pay Day – nicht etwa, weil sich beim Gender Pay Gap etwas gebessert hätte, sondern weil 2024 ein Schaltjahr ist.

Für diese Lohnlücke gibt es zahlreiche Ursachen. Die Branchen, Berufe und Anforderungsniveaus, in denen Frauen arbeiten, sind nachweislich schlechter bezahlt. Aber selbst für ähnliche, vergleichbare Tätigkeiten erhalten Frauen nicht den gleichen Stundenlohn: im Berichtsjahr 2023 erhielten sie pro Stunde sechs Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. In Ostdeutschland sogar sieben Prozent. ___STEADY_PAYWALL___

Aber sechs Prozent klingt schon mal besser als 18. Um statistisch auf diesen Wert zu kommen, müssten Frauen aber zukünftig in ähnlichem Ausmaß berufstätig sein und in etwa gleich viele Stunden wie Männer arbeiten.  Aktuell ist nämlich nicht nur die Bezahlung schlechter (pay gap), Frauen arbeiten auch weniger Stunden pro woche (hours gap) und sind in höherer Zahl nicht erwerbstätig (employment gap). Dreimal mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit.

Kinderbetreuung und die Pflege bedürftiger Menschen als Hauptgründe für Teilzeitarbeit

Schüler:innen im Bildungsgang „Kinderpfleger:in“ am Romberg-Berufskolleg Anna Tenholt | Nordstadtblogger

Den Grund für die Reduzierung der Arbeitszeit haben die Statistiker:innen des Bundesamts direkt mit angegeben: die Geburt des ersten Kindes.“

„Carearbeit“ – Kinderbetreuung und die Pflege bedürftiger Menschen – war für Frauen 2021 einer der Hauptgründe, in Teilzeit zu arbeiten. Dagegen gaben Männer an, hauptsächlich aufgrund eines Studiums oder einer Schulausbildung mit reduziertem Stundenumfang zu arbeiten. Besonders selten nannten Männer Kinderbetreuung als Grund für Teilzeitarbeit“ (Statistisches Bundesamt).

Deswegen werden inzwischen auch die Daten zur Care-Arbeit erhoben und untersucht. Der „unterschiedliche Zeitaufwand, den Frauen und Männer für unbezahlte Sorgearbeit aufbringen“ ist somit wichtiger Indikator für die Gleichstellung in einer Gesellschaft.

Dhruba und Nikita Sharma aus Dortmund kennen das Problem. Nikita wollte eine Ausbildung zur Pflegefachkraft am am St. Johannes-Hospital beginnen. Das bedeutet: Arbeit im Schichtdienst. Sie haben zwei Kinder, Devyansh und Dia, die Kita und Grundschule besuchen. „Ich war kurz davor, zu kündigen“, so Dhruba, der eine Vollzeitstelle hat. Reguläre Betreuungsangebote sind nur tagsüber zu festgelegten Zeiten vorhanden, die sogenannten „Randzeiten“ werden nicht abgedeckt.

Ehrenamtliche Unterstützung dank „Randzeitennetzwerk“

Familie Sharma hatte allerdings Glück: die Kath. St.Paulus Gesellschaft, zu der das St.Johannes-Hospital gehört, ist Teil des „Randzeitennetzwerks“. Und hier entstand das Projekt „Eulen und Lerchen“, das vom Mütterzentrum Dortmund umgesetzt wird. Wenn Dhruba und Nikita beide arbeiten müssen, kommt Tamina Datko vorbei. Sie hilft, je nach Bedarf der Familie, am Morgen oder am Nachmittag und bringt die Kinder auch mal weg oder holt sie ab.

V.l. Maureen Schneider, Tamina Datko, Nikita Sharma mit Tochter Dia und Dhruba Sharma mit Sohn Dev Anna Tenholt | Nordstadtblogger

Die ehrenamtlichen Kinderbetreuer:innen unterstützen „als „Eule“ (spät) oder „Lerche“ (früh) die Familien, wenn die Betreuungseinrichtung noch nicht oder nicht mehr geöffnet hat. So sollen „Eltern ihren Job weiter oder wieder ausführen, an Weiterbildungen teilnehmen oder ihre Arbeitszeiten ausbauen”. Das Projekt „Eulen und Lerchen“ entstand 2021 auf Initiative der Arbeitgeber:innen mit Unterstützung der Wirtschaftsförderung Dortmund.

„Die Not war so groß“, berichtet Maureen Schneider vom Mütterzentrum mit Blick auf den Mangel an Fachkräften. Sie hat Tamina und Ulla, die zweite ehrenamtliche Betreuerin, an Familie Sharma vermittelt: „Zwei Ehrenamtliche besuchen je eine Familie, um auch Urlaubstage oder Fehlzeiten abzudecken. Unsere Ehrenamtlichen sind zuverlässig, aber so haben wir mehr Flexibilität“. Sie beschreibt die Entwicklung des Projekts als dynamisch und arbeitet daran, mehr Arbeitgeber zu gewinnen. Denn „aktuell profitieren nur die Mitarbeiter der Kooperationspartner.“

Der Bildungsgang Kinderpfleger:in wurde 2022 als praxisintegrierte Ausbildung eingerichtet

Im Projekt werden momentan 23 Familien durch das Mütterzentrum unterstützt, 15 davon sind alleinerziehende Elternteile. Auch ohne Schichtdienst haben viele Mütter und Väter Schwierigkeiten, Kinderbetreuung und Berufstätigkeit zu vereinbaren. Für viele ist es ein wackeliges Kartenhaus, das schnell zusammenbrechen kann: Schließzeit während normaler Werktage, erkranktes Personal, verkürzte Betreuungszeiten oder Ausfall von Unterrichtsstunden. Gegen Personalmangel und die notorische Unterbesetzung bildet das Gisbert-von-Romberg Berufskolleg in Dortmund Helfer:innen für Kitas und OGS (offene Ganztagsbetreuung) aus.

Zwei Auszubildende der Kinderpflege mit Lehrerin Mechthild Preska am Gisbert-von-Romberg-Berufskolleg. Anna Tenholt | Nordstadtblogger

Der Bildungsgang Kinderpfleger:in wurde 2022 als praxisintegrierte Ausbildung eingerichtet, dieses Jahr kommt noch die (schulische) Ausbildung zum/zur Sozialassistent:in dazu. Kinderpfleger:innen helfen in Kitas bei der Betreuung, die Sozialassistent:innen können demnächst das Personal in der OGS entlasten.

Die Voraussetzung für diese Art der Ausbildung ist ein erster Schulabschluss (z.B. Hauptschulabschluss), für die praxisintegrierte Ausbildung müssen sich Interessierte bei einem Träger, z.B. Fabido, um den Ausbildungsplatz bewerben. Sie erhalten dann auch ein Ausbildungsgehalt.

Gleichstellung geht nur durch kontinuierlichen Ausbau der Betreuungsangebote

Mit kontinuierlichem Ausbau der Betreuungsangebote werden die Grundlagen geschaffen, damit die Gleichstellung nicht nur auf dem Papier besteht, sondern in heterosexuellen Beziehungen auch nach Geburt eines Kindes  tatsächlich gelebt werden kann. Ausschlaggebend ist hier natürlich auch das Rollenverständnis von jungen Vätern und Müttern. Wenn man die Gesetzeslage betrachtet, sind in der Theorie einige Werkzeuge vorhanden, um Care- und Erwerbsarbeit gerechter aufzuteilen. Wenn sich Gehälter von Männern und Frauen über das ganze Erwerbsleben ähnlich entwickeln, könnte sich der Gender pay gap verkleinern.

Ein selbst hergestelltes Geschichtssäckchen für den Einsatz in der Kita. Anna Tenholt | Nordstadtblogger

Gleichzeitig muss an vielen anderen Stellschrauben gedreht werden, damit Frauen, non-binäre, homosexuelle und trans* Personen nicht weiterhin finanziell benachteiligt werden. Auf den Seiten des Statistischen Bundesamts werden auch fiktive Lohnuntergrenzen und -obergrenzen simuliert: https://service.destatis.de/DE/paygap.

Die Simulation zeigt, dass insbesondere männliche Topverdiener den Gender Pay Gap in die Höhe treiben. Von einer fiktiven Lohnobergrenze wären überwiegend Männer (14 Prozent) betroffen: Der Gender Pay Gap würde deutlich sinken. Öffentlich diskutiert wird dies zum Beispiel im Profisport. Die Diskussionen zu diesem und anderen Themen zeigen, dass mehr Bewusstsein für die Benachteiligung besteht – und hoffentlich ein gesellschaftlicher Wandel folgen wird.

Weitere Informationen:

  • Randzeitenbetreuung: Unterstützt wird das Projekt auch von der Wirtschaftsförderung Dortmund. Die Stadt stellt dieses und andere Projekte zur Arbeitswelt der Zukunft auf einer zentralen Veranstaltungswoche vom 29. April bis 3. Mai 2024 in der Dortmunder City vor: Die Initiative „to:DO – Dortmunds neue Arbeit“
  • Kontakt zum Mütterzentrum für Unternehmen, interessierte Arbeitnehmer:innen und Freiwillige:
    Maureen Schneider, Randzeitenbetreuung Eulen & Lerchen, Mehrgenerationenhaus Mütterzentrum Dortmund e.V., Hospitalstraße 6, 44149 Dortmund, Telefon: 0231 – 997896 – 54
  • Bildungsgänge am Berufskolleg: Berufsfachschule für Kinderpflege und Berufsfachschule für Sozialassistenz

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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