Klimanotstand oder Klimakrise? Rat Dortmund entscheidet sich gegen die Wortwahl von Grünen, Linken und Piraten

Die Grünen, Linken und Piraten hatten beantragt, in Dortmund den Klimanotstand auszurufen. Die Mehrheit des Rates lehnt dies aufgrund der Begrifflichkeit ab, ist sich jedoch der Klimaproblematik durchaus bewusst. Foto: Alex Völkel

Im Zuge der anhaltenden Proteste der Fridays for Future-Bewegung weltweit werden die Forderungen an die Politik, endlich zu handeln und Maßnahmen zu ergreifen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und den globalen CO2-Ausstoß zu verringern, immer lauter. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen sowie der Linken und Piraten hatten einen Antrag auf Ausrufung des Klimnotstandes gestellt, mit dem sich der Stadtrat Dortmund in seiner gestrigen Sitzung befasste. Deren Anträgen – aber auch dem von SPD und CDU sowie einer Vorlage der Verwaltung wurde zwar zugestimmt. Doch der Begriff des „Klimanotstandes“ wurde gestrichen.

Grüne, Linke und Piraten wollen den Schwung der FfF-Bewegung positiv nutzen

Ingrid Reuter (Bündnis 90/ Die Grünen)
Ingrid Reuter (Bündnis 90/ Die Grünen)

Es sei dem zivilen Protest der FfF-Bewegung zu verdanken, dass das Thema Klimaschutz/Klimanotstand an erster Stelle der Tagesordnung stehen würde, so die Fraktionssprecherin der Grünen, Birgit Reuter. Die Grünen wollten sich mit ihrem Antrag ganz bewusst in die von FfF angestoßene Bewegung einreihen.

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Das Thema Klimawandel sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen und es sei nicht mehr von der Hand zu weisen, dass das Problem menschengemacht ist. Diese Einsicht, die leider noch nicht bei allen Menschen angekommen sei, ermögliche die Chance, etwas zu tun.

„Wir müssen den Notstand benennen und etwas ändern“, so Reuter. „Wenn es brennt, kann man nicht darüber diskutieren, wie man die Feuerwehr organisiert oder Pläne effektiver macht, sondern man muss löschen.“ Ihre Fraktion fordere die Ausrufung des Klimanotstandes in Dortmund, auch wenn hier in den letzten Jahren schon vieles auf den richtigen Weg gebracht worden sei, gebe es noch allerhand zu tun.

Reuter: „Wir kämpfen um unser Leben und alle sollten sich beteiligen.“

Die Fridays for Future-Bewegung drängt die Politik zum Handeln.

Beispielsweise bei der Verkehrswende hätten entscheidende Maßnahmen keine Mehrheiten erhalten. Die offizielle Anerkennung des Klimnotstandes sei wichtig, um den Erfahrungen der letzten Jahre mit zunehmenden Wetterphänomenen wie Hitzewellen, Ernteausfällen, Stürmen oder Starkregenereignissen, gerecht zu werden.

„Wir befinden uns im Klimanotstand. Wir kämpfen um unser Leben und alle sollten sich beteiligen“, plädierte sie an die Abgeordneten des Stadtrates. Unterstützung in ihrem Ansinnen bekam sie vom Fraktionssprecher der Linken und Piraten, Utz Kowalewski. Er machte deutlich, dass das Jahr 2050 bei Expertinnen und WissenschaftlerInnen als das Jahr gelte, ab dem Klimaentwicklungen für Jahrhunderte nicht mehr zu ändern sein werden.

Bei einem steten Weiter so, sei ein Kollaps der Ökosysteme in über 120 Staaten weltweit in den nächsten Jahrzehnten absehbar. Auch wenn sich selbst die Fraktionen der Linken und Piraten und der Grünen nicht in allen Punkten einig seien, wolle man gemeinsam ein starkes Zeichen setzen, um solchen Untergangsszenarien schnellstmöglich vorzubeugen. 

Linke zweifeln an unendlichem Wachstum in einer endlichen Welt

Utz Kowalewski (Linke & Piraten)
Utz Kowalewski (Linke & Piraten) Foto: Leopold Achilles

„Noch können wir unseren Beitrag zur Rettung unserer Zivilisation leisten. Dies setzt jedoch die Erkenntnis von der Endlichkeit des Wachstums voraus“, so Kowalewski. Mit den bisher in Dortmund getroffenen Maßnahmen befinde sich die Stadt gerade mal im Mittelfeld der Bemühungen zum Klimaschutz, nehme aber definitiv keine Vorreiterrolle ein.

Neben den Umweltfaktoren müsste bei allen Maßnahmen auch der soziale Bereich berücksichtigt werden. „Wir brauchen eine soziale Akzeptanz der ökologischen Wende“, so der Fraktionssprecher weiter. Die Ausrufung eines Klimanotstandes sei weit mehr als reine Symbolpolitik, denn die Gesellschaft befinde sich in einer echten Notlage, einem Notstand der entsprechenden Handlungsbedarf mit sich bringe.

So müsse unter anderem der ÖPNV ausgebaut werden und günstigere bis kostenlose Tarife angeboten werden. Selbiges gelte für das Radwegenetz. Die Stadt müsse sich bei Baumaßnahmen beispielsweise am Flughafen und bei der Planung von Schnellstraßen an stadtökologischen Notwendigkeiten orientieren.

AfD sieht eine Klimahysterie, die den Öko-Populismus begünstige

Heiner Garbe (AfD)
Heiner Garbe (AfD) Foto: Leopold Achilles

Gegen diese düsteren Untergangsszenarien verwehrt sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, Peter Bonhof. Er sieht in der aktuellen Debatte eine gesteuerte Klimahysterie, die die Menschen verunsichern würde. Es sei nicht wirklich erwiesen, dass die Klimaerwärmung auf den Menschen zurückzuführen sei. Außerdem sei es fraglich, ob der CO2-Ausstoß Einfluss auf den Temperaturanstieg habe.

Durch einen Klimanotstand würden falsche Signale gesendet, die bisherige Entwicklungen nicht berücksichtigen würden. Laut Bonhof sei der CO2-Ausstoß in Deutschland seit den 90er Jahren von 1.052 Millionen Tonnen auf 800 Millionen Tonnen reduziert worden. Im gleichen Zeitraum sei dieser in China von 2.444 Millionen Tonnen auf 10.100 Tonnen gestiegen.

Angesichts dieser Zahlen und der Tatsache, dass China weiterer Emissionanstieg zugestanden würde, sieht er keinen Sinn in der Ausrufung eines Klimanotstandes für die Stadt Dortmund. „Die Klimafrage ist eine gesteuerte Hysterie. Wir werden uns nicht vor diesen ökopopulistischen Karren spannen lassen“, so Bonhof. 

AfD spricht von Schaufensterantrag bezüglich der Ausrufung des Notstands

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Heinrich Theodor Garbe titulierte den Antrag der Grünen, Linken und Piraten als Schaufensterantrag. Wenn man sich beim Thema Klima um einen Notstand Gedanken mache, müsse man dies erst Recht bei den Themen Zuwanderung und Sicherheit machen. 

Hierfür wurde er scharf vom Fraktionsvorsitzenden der SPD, Norbert Schilff, kritisiert. Er bezeichnete es als Unredlichkeit, die Themen Klimawandel und Zuwanderung in dieser Form zu verknüpfen und die Klimadebatte mit etwaigen Wahlversprechen der Parteien in Verbindung zu setzen. „Sparen Sie sich das. Das ist völlig überflüssig“, so Norbert Schilff.

FDP sieht im Notstand eine Einschränkung persönlicher Freiheit und von Bürgerrechten

Lars Rettstadt (FDP/ Bürgerleiste)
Lars Rettstadt (FDP/ Bürgerleiste) Foto: Leopold Achilles

Mit dem Begriff Klimanotstand kann sich auch der Fraktionsvorsitzende der FDP/Bürgerliste, Lars Rettstadt nicht wirklich anfreunden. Anders als die AfD sei die Fraktion dennoch überzeugt, dass der Klimawandel auf den Menschen zurückzuführen sei. Es gebe sehr wohl ein Klimaproblem, das weiteren Handlungsbedarf nötig mache, jedoch sei die Art und Weise der Entwicklung bedenkenswert.

Denn es ginge eigentlich schon länger nicht mehr nur um Klimaschutz sondern um Kapitalismus-Kritik, was die Tagebaubesetzungen der letzten Zeit beweisen würden. Die Fraktion sei bereit einen Beitrag zur Verbesserung des Klimas zu leisten aber den Notstand auszurufen, sei der falsche Weg, denn dies bedeute nur die Einschränkung von persönlichen Freiheiten und Bürgerrechten.

Die Klimafrage dürfe nicht dafür instrumentalisiert werden, um Menschen zu bevormunden oder gar mundtot zu machen. Man hätte in der Vergangenheit bereits gemeinsam gute Maßnahmen beschlossen und wolle dies auch in Zukunft zusammen tun. Die Ausrufung eines Klimanotstandes könne man in dieser Form jedoch nicht mittragen.

CDU-Fraktion fordert Sachpolitik statt Symbolpolitik

CDU Planungsfachmann Uwe Waßmann Foto: Carmen Körner
Uwe Waßmann ist planungspolitischer Sprecher der CDU-Ratsfraktion.
Foto: Carmen Körner

CDU-Ratsmitglied und planungspolitischer Sprecher Uwe Waßmann macht klar, dass es der CDU um mehr ginge als um die symbolische Ausrufung des Klimanotstandes. Für seine Fraktion beinhaltet der Antrag der Grünen, Linken und Piraten zu wenige konkrete Maßnahmen zur Klimaverbesserung.

Diese wolle seine Partei auf der Grundlage des jahrzehntelangen Handelns der Stadtverwaltung in die Debatte einbringen. „Wir wollen handeln, statt dramatische Worthülsen zu platzieren und einen lokalen Beitrag in einer lokalen Krise leisten“, so Waßmann. Auch seine Fraktion lehnt die Ausrufung des Notstandes daher ab. 

Aufgabe der Politik sei es, die Stadt insgesamt sozialverträglich weiter zu entwickeln. Dabei müsse immer die Sachpolitik im Vordergrund stehen und Ziele könnten nur erreicht werden, wenn die Bevölkerung mitgenommen würde. Aus diesem Grund hatten die Fraktionen von CDU und SPD einen eigenen Antrag für eine „Dortmunder Initiative gegen die globale Klimakrise“ vorgelegt.

Dieser sei laut SPD-Fraktionsmitglied Monika Lührs selbsterklärend und stelle im Zusammenspiel mit der Verwaltungsvorlage der Stadt eine gute Grundlage für die nächsten Jahre.

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Reaktionen

  1. at

    Interessante Darstellung. Tatsächlich sind nicht die Anträge von Grünen, Linken und Piraten abgelehnt worden, sondern ausschließlich die Bezeichnung Klimanotstand. Wäre ja auch seltsam, wenn SPD und CDU laut eigenem Antrag Fridays for Future unterestützten, die von Fridays for Future unterstützten Anträge aber ablehnten.

  2. Nordstadtblogger-Redaktion

    Die Überschrift und der Vorspann waren in der Tat missverständlich. Wir haben den text geändert. Danke für den Hinweis.

  3. Fridays for Future Dortmund (Pressemitteilung)

    Klimanotstand in Dortmund: „Die Stadt brennt nicht“? Sie brennt lichterloh!

    Am 04. Juli 2019 versammelten sich Aktivist*innen von Fridays for Future Dortmund ab 14:30 Uhr auf dem Friedensplatz, um auf die Dringlichkeit der Abstimmung um den Klimanotstand hinzuweisen. Dieser sollte ab 15 Uhr im Stadtrat behandelt werden. Fridays for Future Dortmund forderte eine Ausrufung des Klimanotstands und daher im Vorfeld alle Fraktionen auf, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit, den Anträgen der Fraktionen Die Linke/Piraten und Bündnis 90 Die Grünen zuzustimmen. Diese forder- ten in ihren Anträgen ebenfalls einen Klimanotstand.

    „Das Ergebnis der Sitzung ist nicht zufriedenstellend!“, bilanziert die 17-jährige Merle Bösing. So stimmten die Abgeordneten dem Antrag der SPD und CDU, dem Antrag der Verwaltung, dem Antrag der Linken und dem Antrag der Grünen zu, jedoch wurde bei den letzten beiden Anträgen das Wort „Klimanotstand“ gestrichen.
    Dies begründete ein Abgeordneter der SPD-Fraktion damit, dass er bei der Feuerwehr sei. Ein Notstand sei nur Einer, wenn die Stadt brenne und das tue sie, laut dem Ab- geordneten, nicht.

    Dem widerspricht Fridays for Future Dortmund vehement! Schon jetzt sterben weltweit tausende Menschen an den Folgen der Klimakatastrophe. Auch hier in Deutschland und in Dortmund, auch wenn die genaue Lokalisation der Opfer eigentlich nicht von Relevanz sein sollte. Mit einem ewigen „weiter so“ und „wir tun ja schon genug“ werden wir dem Problem nicht gerecht. Es braucht jetzt sofort eine radikale Wende der Klimapolitik, denn unsere Stadt und unsere Welt stehen lichterloh in Flammen. Daher brauchen wir auch einen Notstand. Mit der Ablehnung dieses Wortes wird uns signali- siert: Wir werden noch immer nicht ernst genommen und das obwohl die letzten Wah- len gezeigt haben: Dieses Thema ist nicht nur relevant. Es wird Wahlen entscheiden und das muss es auch.

    Daher werden unsere Streiks solange weitergehen, bis gehandelt wird. Wir weichen keinen Millimeter, denn für uns ist der Kampf gegen die Klimakatastrophe ein Existenzkampf.

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