Jobperspektiven in Dortmund: „Die Flüchtlinge sind nicht Fachkräfte von morgen, sondern von übermorgen“

Schlangestehen beim Jobcenter - doch wer Arbeiten darf, darüber entscheidet der ausländerrechtliche Status.
Schlangestehen beim Jobcenter – immer mehr Geflüchtete drängen auf den Arbeitsmarkt. Fotos: Alex Völkel

Der „Integration Point“ von Arbeitsagentur und Jobcenter ist für immer mehr Geflüchtete die zentrale Anlaufstelle. Mit neun Leuten gestartet, kümmern sich mittlerweile rund 60 Beschäftigte um die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten in Dortmund. 3800 gemeldete Flüchtlinge sind es beim Jobcenter, mehr als 500 bei der Agentur für Arbeit.

Dietmar Geißen: „Wir haben gelernt, dass man etwas Geduld haben muss“

Dietmar Geißen ist Teamleiter „Markt und Integration“ des Jobcenters im Integration Point.
Dietmar Geißen ist Teamleiter „Markt und Integration“ des Jobcenters im Integration Point.

Die größten Gruppen bilden die Menschen aus Syrien, Irak, Iran, Somalia und Eritrea  – die „Großen Fünf“ unter den Herkunftsländern von Geflüchteten. Doch dutzende weitere Nationalitäten finden sich hier – mit sehr unterschiedlichen schulischen, sprachlichen und beruflichen Voraussetzungen.

„Wir haben gelernt, dass man etwas Geduld haben muss. Mitnichten sind alle so qualifiziert, dass sie direkt  einen Arbeitsplatz ausfüllen können“, räumt Dietmar Geißen, Teamleiter „Markt und Integration“ des Jobcenters im Integration Point, ein. Von dem Gedanken, die Menschen „schnell an die Werkbank zu schicken, weil man da schneller Deutsch lernt“, hat man sich verabschiedet. Daher finanziert die Arbeitsverwaltung mittlerweile auch im großen Stil Sprachkurse für Geflüchtete.

Doch nicht nur die Sprache, auch die Qualifikationen stellen die Arbeitsvermittler vor Herausforderungen: „Syrer und Iraker bringen formale Qualifikationen auf akademischer Ebene mit. Es gibt einen gewissen Anteil von akademisch Vorgebildeten – aber auch das muss man in Anführungszeichen setzen“, so Geißen. Die Ärzte stellen eine „relevant große Anzahl“, auch „Ingenieure im weitesten Sinne“ – zum Beispiel aus den Bereichen  Agrar, Bewässerung etc..

Zur Sprachbarriere kommen weitere Vermittlungshemmnisse

Dazu kämen „relativ wenig IT-Fachleute auf konkurrenzfähigem Niveau und nennenswert viele Lehrer“, konstatiert der Teamleiter „Markt und Integration“ des Jobcenters im Integration Point. Doch alle diese Gruppen haben – neben der Sprachkompetenz – unterschiedliche Vermittlungshemmnisse. „Bisher ist es relativ schwer, im Ausgangsberuf Fuß zu fassen. Den Akademikern fehlen zumeist Bescheinigungen“, weiß Geißen.

Bei den Ärzten sei die Anerkennung komplex und teuer. Sie müssten Bildungs- und Vorbereitungsangebote, die Ärztefachprüfung und eine Kenntnisprüfung  absolvieren. „Das ist ziemlich schwierig. Wahrscheinlich hätten auch viele deutsche Ärzte ein Problem, wenn sie 20 Jahre als Augenarzt gearbeitet haben und jetzt allgemeinmedizinische Nachweise erbringen müssen“, verdeutlicht der Arbeitsmarktexperte.

Ein anderes Problem: Lehrkräfte unterrichten in den meisten Ländern nur ein Schulfach. Doch in Deutschland werden zwei Fächer erwartet. Daher ist es schwierig, die Lehrerinnen und Lehrer zu vermitteln. Erst langsam widmet man sich dem Thema – es gibt ein Umdenken und erste Projekte. Doch die meisten Lehrkräfte gucken bisher noch in die Röhre.

Die Flüchtlinge sind zumeist jung und wollen arbeiten – doch sie brauchen Zeit

3800 gemeldete Flüchtlinge sind es beim Jobcenter, mehr als 500 bei der Agentur für Arbeit. 
3800 gemeldete Flüchtlinge sind es beim Jobcenter, mehr als 500 bei der Agentur für Arbeit.

Dass Azubis und Fachkräfte gesucht werden, weiß auch Dietmar Geißen vom Integration Point. Doch was kann man erreichen? Schaffen wir „das“ mit den Flüchtlingen? Viele der Geflüchteten sind jung und wollten lernen und arbeiten.

„Aber wir müssen längere Zeiträume einplanen. Die meisten können nicht nach einem Jahr gut deutsch und sind in Arbeit. Es dauert vielleicht fünf Jahre – zumindest für eine auskömmliche Arbeit“, so Geißen.

Das gilt allerdings nicht für alle Hilfesuchenden: Auch dem Integration Point ist bewusst, dass es eine ziemliche „Unwucht“ durch die Priorisierung der Herkunftsländer gibt. Es gibt die Länder, wo die Menschen aus rechtlicher Sicht beruflich alles machen können und dürfen.

Und dann auf der anderen Seite die vielen Menschen aus angeblich sicheren Herkunftsländern, denen der Weg in Ausbildung und Arbeit zumeist versperrt bleibt.

Fehlende Nachweise und falsche Vorstellungen als Hemmnisse

Die größte Hürde sind jedoch unrealistische Vorstellungen und mangelnde Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt. Die meisten Geflüchteten müssten feststellen, dass sie nicht 1:1 in Deutschland mit dem weiter machen könnten, was sie in der Heimat getan hätten.

Die formalen und theoretischen Grundlagen fehlten, ebenso die Nachweise. „Wir müssen dann gemeinsam einen Plan B entwickeln und Alternativen finden, die verwandt sind“, betont Geißen. Dabei müssten eben auch Widerstände durchbrochen werden, – gerade bei unrealistischen Vorstellungen.

„Es ist ja gut, dass sie ja relativ jung sind. Da sollten wir frühzeitig eine Ausbildung in den Blick nehmen.“ „Ausbildung“ ist für viele Geflüchtete ein Synonym zum Studium. „Aber auch das können sie nicht einfach schaffen. Nach einer ausführlichen Beratung ist meist schnell der Wunsch nach einem Studium weg“, weiß Geißen.

Gute Chancen: Erstmals wieder nennenswert viele Stellen im Helferbereich

An der Steinstraße in der Nordstadt ist der gemeinsame „Integration Point“ von Jobcenter und Arbeitsagentur.
An der Steinstraße in der Nordstadt ist der gemeinsame „Integration Point“ von Jobcenter und Arbeitsagentur.

Doch bei allen Schwierigkeiten und Herausforderungen: Für Geflüchtete gibt es Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt. „Die Not der Arbeitgeber ist zwar nicht so groß wie in Süddeutschland. Aber wenn nicht jetzt, wann dann“, findet Geißen.

So dynamisch wie jetzt sei der Dortmunder Arbeitsmarkt lange nicht gewesen. „Aufbruchsorientiert“ findet Geißen die Grundstimmung bei den Unternehmen. „Viele Arbeitgeber sind offen, auch Flüchtlinge zu beschäftigen. Daher glaube ich schon, dass wir Jobs haben für die, die jetzt arbeiten wollen“, betont der Teamleiter „Markt und Integration“ des Jobcenters im Integration Point.

Zum ersten Mal seit Jahren gebe es zudem nennenswerte Arbeitsplätze im Helferbereich. „Logistik, Pflege und Handwerk schreien, dass sie Nachwuchs brauchen“, weiß Geißen. Nun gehe es darum, die Menschen entsprechend zu qualifizieren – auch wenn es dafür Zeit und Geduld brauche. Das positive Fazit: „Die Flüchtlinge sind nicht Fachkräfte von morgen, sondern von übermorgen.“

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