„Bremer Modell“: Elektronische Gesundheitskarte für Flüchtlinge scheint in Dortmund nicht mehrheitsfähig

Gesundheitsamt Dortmund
Das Gesundheitsamt muss prüfen, ob die Behandlung von Flüchtlingen erfolgen soll.

Aktuell sind 2700 kommunal zugewiesene Flüchtlinge in Dortmund. Die Stadt plant bislang mit 50 Flüchtlingen pro Woche. Aktuell bekommt sie 75 Menschen pro Woche vom Land zugewiesen. Um deren Situation zu verbessern, lag eine ganze Reihe von Anträgen von verschiedenen Fraktionen vor.

Sie wurden allesamt an die Verwaltung weitergeleitet, um die Forderung in eine Gesamtvorlage für die nächste Sitzung am 26. März einzuarbeiten. Sechs Anträge steuerten allein die Grünen bei. Der weitreichendste  – die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge („Bremer Modell“) – wurde allerdings kontrovers diskutiert.

Grüne Kritik am bürokratischen Gesundheitssystem

Ulrich Langhorst, Grüne
Ulrich Langhorst kritisiert das bürokratische Verfahren.

Bislang müssen Flüchtlinge bei medizinischen Problemen im Sozialamt vorsprechen.

Von dort werden sie an das Gesundheitsamt überwiesen. Nicht, um die Menschen zu behandeln, sondern um zu prüfen, ob diese Behandlung nach den Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes notwendig ist. Wenn dies als notwendig erachtet wird, bekommen sie einen Behandlungsschein.

Dies kritisierten die Grünen als bürokratisch: „Der Weg über Sozial- und Gesundheitsamt ist suboptimal“, betont Ulrich Langhorst (Grüne). „Unser Vorschlag dient der Verbesserung der Situation der Flüchtlinge und auch der Minimierung des Verwaltungsaufwands. Die Leute sind gut an anderer Stelle einzusetzen.“

Sozialverwaltung sieht kein Bürokratiemonster – Land soll handeln

Allerdings sah Sozialamtsleiter Jörg Süshardt kein Bürokratiemonster: Flüchtlinge könnten den Behandlungsschein im Vorhinein für das ganze Quartal bekommen – nicht erst bei einem Akutfall.

Allerdings – das zeigt die Erfahrung in der Praxis – ist dies nicht bekannt. Nicht wenige Flüchtlinge und Betreuer erleben das Verfahren als sehr bürokratisch – sie müssten viele Stationen bewältigen, bevor ein Arztbesuch anstünde.

In Akutfällen sei dies aber nicht nötig: Zur Not könnten die Flüchtlinge auch ohne Behandlungsschein zum Arzt. Die meisten Ärzte wüssten mittlerweile, welche Leistungen abrechenbar sind. Außerdem sei die Prüfung die Ausnahme, nicht die Regel:  „5000 bis 6000 Behandlungsscheine werden von uns pro Jahr ausgegeben, aber nur 200 Anträge zur Prüfung vorgelegt“, so Süshardt.

Zoerner setzt auf Regelung durch den Gesetzgeber

Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Foto: Stadt Dortmund
Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Foto: Stadt Dortmund

Laut Sozialdezernentin Birgit Zoerner favorisiert auch das Land die Einführung der Gesundheitskarte und wolle den Kommunen den rechtlichen Rahmen zu geben.

Die Regionalkassen – sie werden als Partner benötigt – stünden dem jedoch ablehnend gegenüber. „Bundesgesetzliche Regelungen sind daher der richtige Weg. Wir laufen uns sonst einen Wolf bei den Kassen – Kommune für Kommune“, so Zoerner.

Dabei erinnerte sie an die Probleme bei der Versicherung für Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Auch wenn dies eine andere Ausgangslage sei, seien die Probleme ähnlich. „Der Gesetzgeber ist bei den Flüchtlingen in der Pflicht. Von isolierten Bemühungen seitens der Stadt halte ich nichts.“

Fatma Karacakurtoglu (Linke/Piraten) möchte nicht auf gesetzliche Regelungen warten: „Natürlich wäre es besser, wenn das Land für den Rahmen sorgt.“ Doch das könne noch Jahre dauern. „Wir sollten daher überlegen, wie wir die Möglichkeiten vor Ort nutzen können.“

Bremer Modell läuft seit 1993 sehr erfolgreich – Münster will es jetzt auch

Das Modell läuft seit 1993 sehr erfolgreich in Bremen – seit 2005 gibt es dort die Gesundheitskarte. 2012 wurde auch in Hamburg das Modell eingeführt – Partner ist jeweils die AOK Bremen/Bremerhaven.

Mittlerweile ist das „Bremer Modell“ auch in NRW angekommen: Als erste Stadt hat Münster im Dezember 2014 die Einführung beschlossen: „Das Modell macht die Gesundheitsversorgung transparenter, selbstbestimmter und kostengünstiger“, verdeutlicht Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Stefan Neuhaus.

SPD- und CDU-Vertreter waren sehr skeptisch: Zwei Ausschussmitglieder arbeiten selbst für Krankenkassen und glauben an eine ablehnende Haltung. Große Kassen würden dies nicht mitmachen.

Allerdings verkannten sie oder wussten nicht, dass die AOK aus Bremen bereits auf Vorstandsebene mit der AOK Nord-West in Dortmund spricht, da es aus NRW mehrere Anfragen gibt. Die Bremer wollen ihr Know-how ihrer NRW-Schwester anbieten.

Ausschuss spricht sich dagegen aus, Experten aus Bremen einzuladen

In Bremen und Hamburg bekommen die Asylbewerber die elektronische Gesundheitskarte mit Foto. Die Abrechnung erfolgt wie bei allen Kassenpatienten. „Bei der Versorgung körperlicher Erkrankungen hat sich das vergleichsweise kostengünstige Bremer Gesundheitsprogramm für Asylsuchende gut bewährt“, zieht das Bremer Gesundheitsamt Bilanz.

Allerdings wollen die Ausschussmitglieder keine Experten aus Bremen oder Hamburg einladen, um sich aus erster Hand berichten zu lassen. Die Verwaltung soll stattdessen den Vorschlag der Grünen prüfen.

Dafür hatten die Grünen nur Kopfschütteln übrig. Die Politik müsse Eckpfosten und Letplanken versetzen, nicht aber die Verwaltung – bei aller guten Arbeit – Vorgaben machen. Der Verwaltung dies zu überlassen, hielt Langhorst für falsch. Denn für ihn ist das Ergebnis dieser „Prüfung“ klar, da Dezernentin und Amtsleiter bereits im Ausschuss ihre ablehnende Haltung deutlich gemacht hatten.

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Reaktionen

  1. Grünen-Fraktion

    Gesundheitskarte für Flüchtlinge auch in Dortmund einführen – GRÜNE begrüßen Vereinbarung des Landes

    Nach langen Verhandlungen zwischen dem Gesundheitsministerium NRW, Krankenkassen und Kommunalen Spitzenverbänden ist nun eine Rahmenvereinbarung zur Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete unterzeichnet worden. Die GRÜNEN im Rat begrüßen, dass damit nach Bremen und Hamburg auch Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland den Städten und Gemeinden ermöglicht, eine Gesundheitskarte für die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge einzuführen.

    Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher der GRÜNEN:
    „Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist seit längerem eine unserer Forderungen. Wir wollen die Karte auch für Dortmund. Damit können Flüchtlinge im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger direkt zu dem Arzt oder der Ärztin ihrer Wahl gehen, um dort die notwendige Behandlung zu erhalten. Mit der Karte kann aber nicht nur die gesundheitliche Versorgung der zu uns geflüchteten Menschen verbessert werden, zusätzlich wird die Stadt von erheblichem Verwaltungsaufwand entlastet. Es profitieren letztendlich alle davon. Wir werden uns deshalb nun dafür einsetzen, dass Dortmund umgehend der Rahmenvereinbarung des Landes beitritt und einen entsprechenden Antrag stellen.“

    Die GRÜNE Ratsfraktion hatte bereits Anfang des Jahres die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Dortmund beantragt. Hintergrund ist der bessere Zugang zu einer medizinischen Versorgung und Behandlung, der bisher für Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland stark eingeschränkt ist. In Bremen und Hamburg gibt es eine solche Karte bereits seit vielen Jahren. Die dortigen Erfahrungen haben gezeigt, dass sich mit einer Gesundheitskarte in erheblichen Umfang administrative Kosten einsparen lassen, da die bisher oftmals notwendige Genehmigung jeder einzelnen Behandlung sowie Abrechnungen durch die Sozialverwaltung entfallen. Gesundheitsökonomen der Universitäten Heidelberg und Bielefeld haben vor kurzem sogar errechnet, dass die Ausgaben der bisherigen medizinischen Versorgung bei Flüchtlingen um bis zu 40 Prozent höher sind als bei Flüchtlingen, die bereits Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen haben. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Umsetzung auch in Dortmund zumindest kostenneutral erfolgen kann.

    Ulrich Langhorst:
    „Die Sozialverwaltung hat sich bisher gegen die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ausgesprochen. Mit der Rahmenvereinbarung des Landes muss die Stadt nun allerdings nicht mehr selber mit den Krankenkassen verhandeln. Wir werden deshalb beantragen, dass Dortmund der Vereinbarung zwischen dem Land NRW und den Krankenkassen beitritt und die Verwaltung die weiteren Schritte zur Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Dortmund einleitet.“

  2. Grünen-Fraktion

    GRÜNE stellen Antrag zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge – Stadt soll sich Rahmenvereinbarung des Landes anschließen

    Die GRÜNE Fraktion im Rat fordert, dass sich die Stadt schnellstmöglich der Rahmenvereinbarung des Landes mit den Krankenkassen zur Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge anschließt. Das sieht ein Antrag der Fraktion für die Sitzung des Sozialausschusses in der kommenden Woche vor.

    Ulrich Langhorst, Sprecher der GRÜNEN Ratsfraktion:
    „In Dortmund leben zurzeit bereits über 4000 kommunal unterzubringende Flüchtlinge. Diese Zahl wird in den nächsten Monaten weiter steigen. Ein großes Problem ist ihre gesundheitliche Versorgung. Der Zugang zu einer ärztlichen Behandlung ist
    in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland stark eingeschränkt. Das führt teilweise zu einer Verschleppung von Krankheiten, deren Folgen und Folgekosten im Nachhinein viel gravierender sind. Deshalb halten wir die Idee einer Gesundheitskarte für richtig und wichtig. Flüchtlinge können dann von Anfang an im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger direkt zu dem Arzt oder der Ärztin ihrer Wahl gehen, um dort die notwendige Behandlung zu erhalten.

    Während die Bundesregierung hier nichts tut, hat Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland nun eine Rahmenvereinbarung zur Einführung einer solchen Gesundheitskarte abgeschlossen. Wir wollen deshalb in der kommenden Woche die Verwaltung beauftragen, die notwendigen Schritte zur Einführung der Gesundheitskarte in Dortmund einzuleiten und umgehend der Rahmenvereinbarung des Landes beizutreten.“

    Die GRÜNE Ratsfraktion hatte sich bereits Anfang des Jahres für die Einführung einer Gesundheitskarte in Dortmund ausgesprochen. Neben der Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Flüchtlingen haben Erfahrungen in Bremen und Hamburg gezeigt, dass sich mit einer Gesundheitskarte in erheblichem Umfang auch administrative
    Kosten einsparen lassen. Gesundheitsökonomen der Universitäten Heidelberg und Bielefeld hatten vor kurzem errechnet, dass die Ausgaben der bisherigen medizinischen Versorgung bei Flüchtlingen um bis zu 40 Prozent höher sind als bei Flüchtlingen, die
    bereits Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen haben. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Umsetzung auch in Dortmund zumindest kostenneutral
    erfolgen kann.

    Ulrich Langhorst: „Die Sozialverwaltung hat sich bisher gegen die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ausgesprochen. Mit der Rahmenvereinbarung des Landes, die mit den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt worden ist, muss die Stadt nun allerdings nicht mehr selber mit den Krankenkassen verhandeln. Ein Beitritt zur Vereinbarung reicht. Wenn die Stadt dies bis Ende Oktober erklärt, dann kann die Gesundheitskarte bereits zum 1. Januar eingeführt werden.“

  3. Grünen-Fraktion

    Situation von Flüchtlingen in Dortmund: GRÜNE fordern Gesundheitsgipfel

    Die GRÜNEN im Rat fordern einen städtischen Gesundheitsgipfel, auf dem es um die gesundheitliche Versorgung der in Dortmund lebenden Flüchtlinge gehen soll.
    Dazu soll sich die Dortmunder Gesundheitskonferenz zeitnah in einer öffentlichen Sitzung treffen und beraten. Das sieht ein Antrag der GRÜNEN für den Sozialausschuss in der kommenden Woche vor.

    Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher der GRÜNEN:
    „In Dortmund leben bereits jetzt über 4000 kommunal unterzubringende Flüchtlinge. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Viele der zu uns kommenden Menschen sind aufgrund von Verfolgung, Krieg und Flucht gesundheitlich eingeschränkt, häufig auch traumatisiert.
    Ihre gesundheitliche Versorgung wird in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts auf der Grundlage des eingeschränkten Leistungskatalogs des Asylbewerberleistungsgesetzes geregelt.

    Zu diesen Beschränkungen kommen vielfach vorhandene Sprachbarrieren. Das alles macht eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung schwierig. Umso wichtiger ist es, alle – auch ehrenamtlichen – Ressourcen zu bündeln und ein Handlungskonzept zu erstellen. Das wurde auch öffentlich von Ärzten angemahnt. Dabei soll es sowohl um eine Bestandsaufnahme der momentanen Strukturen der gesundheitlichen und psychologischen Versorgung von Flüchtlingen als auch um die Entwicklung von Handlungsansätzen und -empfehlungen gehen. Die Dortmunder Gesundheitskonferenz ist das geeignete Gremium dafür. Zusätzlich sollten dann auch Vertreter*innen der Träger von Flüchtlingsunterkünften sowie aus Organisationen der Flüchtlingshilfe eingeladen werden.“

    Die Dortmunder Gesundheitskonferenz besteht seit 1999. Sie berät zu Fragen der gesundheitlichen Versorgung auf der örtlichen Ebene mit dem Ziel einer verbesserten Abstimmung und Weiterentwicklung und gibt bei Bedarf Handlungsempfehlungen. Alle wichtigen Akteure, die an der gesundheitlichen Versorgung in Dortmund beteiligt sind, sind Mitglieder der Konferenz.

    Ulrich Langhorst: „Die Gesundheitskonferenz hat sich 2014 schwerpunktmäßig mit der Situation von EU-Zuwander*innen aus Südosteuropa befasst und eine Dortmunder Erklärung zur medizinischen Versorgung beschlossen. Analog sollten nun aus unserer Sicht auch Handlungsempfehlungen zur gesundheitlichen und psychologischen Versorgung der Flüchtlinge erarbeitet werden, die dann anschließend politisch beraten werden können.“

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