Beiweisaufnahme im Mordfall Nicole-Denise Schalla: Verteidiger beantragen Aufhebung des Haftbefehls

Nicole-Denis Schalla. Foto: Privat-Archiv
Die 16-jährige Dortmunderin Nicole-Denise Schalla wurde vor 25 Jahren ermordet. Foto: Privat-Archiv

Von Sascha Fijneman

Nachdem der Angeklagte Ralf H. sich am zweiten Tag der Hauptverhandlung im Landgericht Dortmund im Dezember 2018 zu den Tatvorwürfen geäußert, seine Unschuld mit den Sätzen „Ich habe niemanden umgebracht. Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun“, beteuert und respektvollen Umgang mit seiner Person vor Gericht und in den Medien eingefordert hatte, setzte das Gericht am heutigen Montag (7. Januar 2019), die Beweisaufnahme fort. Neben diversen Zeugen aus Nicole Schallas näherem Umfeld standen am dritten Verhandlungstag vor allem die rechtsmedizinischen Gutachten im Mittelpunkt. Denn schließlich war es die DNA-Übereinstimmung einer einzelnen Hautschuppe, die für die Inhaftierung des 53-jährigen gelernten Speditionskaufmannes Ralf H. aus Castrop ausschlaggebend gewesen war. Am Ende der Verhandlung beantragten die Anwälte des Angeklagten die Aufhebung des Haftbefehls gegen ihren Mandanten, da nach der Beweisaufnahme kein dringender Tatverdacht mehr bestehe.

Erste rechtsmedizinische Untersuchungen ergaben nur wenig Ergebnisse

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Ralf H. wird vorgeworfen, die damals 16-jährige Nicole-Denise Schalla am späten Abend des 14. Oktober 1993 auf ihrem Nachhauseweg abgefangen, sie erwürgt zu haben und sich anschließend sexuell an ihr vergangen zu haben.

Die Ermittler der Kripo kamen ihm nach über 25 Jahren durch die DNA-Analyse einer einzelnen Hautschuppe, die sich auf einem Folienträger befand, der damals von der Leistengegend der Leiche genommen wurde, auf die Spur.

Um mehr über die Aussagekraft einer solchen DNA-Analyse einer einzelnen Hautschuppe zu erfahren, hatte das Gericht unter Vorsitz von Richter Windgätter eine Expertin des Rechtsmedizinischen Instituts München geladen. Dorthin waren die Folienträger der Spuren von Nicoles Leiche zur weiteren Analyse überstellt worden.

Die Expertin erklärte, dass das Institut in den Jahren 2007, 2016 und 2018 diverse Spurenträger den unterschiedlichsten, jeweils technisch innovativsten Analysemethoden unterzog. Nachdem die herkömmlichen Verfahren der Auskratzung und Auswaschung von Spurenträgern keine nennenswerten Ergebnisse lieferten, entschlossen sich die Experten des Münchener Instituts zur Untersuchung der Folien mittels Lichtmikroskop.

Durchbruch gelingt 2018 durch fortschrittliche Analysemethoden

Auf diese Weise, so die Biologin, konnten Einzelpartikel der Folien der näheren Betrachtung unterzogen werden. Bei der ersten Untersuchung im Jahr 2007 waren bereits zwei unterschiedliche DNA-Identifizierungsmuster an der Leiche festgestellt worden, wobei eines davon Nicole-Denise Schalla selbst zugeordnet werden konnte.

Beim zweiten konnte lediglich bestimmt werden, dass es sich um die DNA einer fremden männlichen Person handelte. 2016 wurden das gefundene Einzelmuster und verschiedene DNA-Mischungen mit 87 Vergleichsmustern des Landeskriminalamtes erfolglos abgeglichen

Doch 2018 macht die Technik wieder einen Schritt nach vorn. In der Einzelpartikelanalyse konnten 2018 117 Einzelpartikel festgestellt werden. Aus diesen Partikeln ergaben sich zehn DNA-Identifizierungsmuster, wovon neun wiederum dem Opfer zugeordnet werden konnten. Die letzte Spur war ein männliches Muster, von dem man ein zweifelsfreies, vollständiges Identifizierungsmuster erstellen konnte. 

DNA-Treffer beweist nicht, dass Ralf H. am Tatort war oder das Opfer berührt hat

Nach Abgleichen mit den Datenbanken der Ermittlungsbehörden konnte die DNA der gefundenen Hautschuppe zweifelsfrei dem Angeklagten Ralf H. zugeordnet werden. Die Münchener Gutachterin betonte jedoch, dass bei aller Exaktheit der DNA-Zuordnung keine Aussage darüber getroffen werden könne, ob die DNA durch direkten körperlichen Kontakt oder anderweitigen Transfer an den Leichnam gelangt sei.

Durch die Übereinstimmung der DNA sei also noch nicht gesagt, dass Ralf H. tatsächlich am Tatort war oder das Opfer berührt habe, auch wenn dies wahrscheinlich erscheine. Neben der Expertin aus München wurden auch Ärzte der Dortmunder Rechtsmedizin vernommen.

Sie bestätigten, dass die körperlich gesunde Nicole-Denise Schalla durch rohe Gewalteinwirkung verstorben war. „Mechanische Erstickung“ durch Gewalteinwirkung gegen den Hals habe zu Pumpblutungen im Gesicht, der Mundhöhle und zu Druckstellen am Hals geführt. Vor allem der Bruch des Zungenbeins, das bei jungen Menschen im Normalfall sehr elastisch sei, beweise die Todesursache Würgevorgang.

Todesursache des gewaltsamen Erstickens durch Forensik bestätigt 

Auch Aktenzeichen XY ungelöst berichtete über den Fall Nicole Schalla.
Auch Aktenzeichen XY ungelöst berichtete über den Fall Nicole Schalla.

Hinweise auf sexuelle Handlungen konnten durch die Rechtsmediziner nicht festgestellt werden. Ein Diplombiologe der Dortmunder Forensik erläuterte, dass neben den Folienspuren auch Fingernagelabschnitte und gynäkologische Abstriche untersucht wurden. Bei keinem dieser Spurenträger sei jedoch männliche DNA festgestellt worden.

Auch er machte darauf aufmerksam, dass der erfolgte DNA-Treffer der Hautschuppe nichts darüber aussage, ob Ralf H. tatsächlich am Tatort gewesen sei und das junge Mädchen berührt habe. „Die Übertragung muss nicht zwingend durch direkten Kontakt zustande gekommen sein. Es kann durch Speichelübertagung, Händeschütteln oder das Verlieren von Haarschuppen passiert sein“, erläutert der Forensiker.

Am dritten Verhandlungstag wurde erneut eine Zeugin angehört, die schon am ersten Verhandlungstag berichtet hatte, wie sie in der Tatnacht beobachtet hatte, dass eine männliche Person hinter Nicole den Bus verließ. Sie erklärte vor Gericht, dass ihr nach der Verhandlung das Gesicht des Angeklagten irgendwie nicht mehr aus dem Kopf ging. „Das Gesicht des Angeklagten kam mir von früher bekannt vor“, so die heute 39-jährige Zeugin.

Zeugin kommt das Gesicht des Angeklagten „irgendwie“ bekannt vor

Nach der Verhandlung hatte sie angefragt, ob es Bilder des Angeklagten aus der Tatzeit gebe, um diese begutachten zu können. Dieser Wunsch wurde ihr vom Gericht erfüllt und zusammen mit allen Verfahrensbeteiligten wurden Aufnahmen des Angeklagten aus verschiedenen Epochen begutachtet. 

Dies führte jedoch zu keinen neuen Erkenntnissen und angesichts der Bedeutung des Verfahrens sowohl für die Opferfamilie als auch für den Angeklagten, wollte sich die Zeugin nicht weiter festlegen und blieb bei der Aussage, der Angeklagte käme ihr von damals bekannt vor.

Nach den Zeugenvernehmungen ließ Richter Windgätter nochmals den Angeklagten zu Wort kommen und befragte ihn zu seinem Lebenslauf. Ralf H. gab Auskunft darüber, dass er nach seiner Bundeswehrzeit mehrmals in Haft gesessen habe. Hier habe er eine Lehre zum Speditionskaufmann absolviert. Er habe in seinem Leben Erfahrungen mit Drogen gemacht, sei aber niemals süchtig gewesen und aktuell drogenfrei.

Keine Aussage zu sadomasochistischen Tendenzen

Vor dem Landgericht Dortmund wird der Fall verhandelt.
Vor dem Landgericht Dortmund wird der Fall verhandelt.

In seinen Haftzeiten habe er diverse Antiagressionstherapien absolviert und sei von 2005 bis 2015 diesbezüglich in psychologischer Behandlung gewesen. Es habe Zeiten gegeben, da das dringend nötig gewesen sei. Er habe über die Jahre hinweg mehrere längere Beziehungen geführt, aber immer alleine gelebt.

Auf die Frage der Nebenklägeranwältin, ob es zutreffe, dass er sadomasochistische Vorlieben hätte und Mitglied in einem einschlägig bekannten Club sei, verweigerte er aus persönlichen Gründen die Aussage. Nach der Beweisaufnahme und den Zeugenvernehmungen beantragten die  Verteidiger des Angeklagten, Giebeler und Demir, die Aufhebung des Haftbefehls gegen ihren Mandanten, da kein dringender Tatverdacht mehr bestehe.

Der Vorsitzende Richter Windgätter schlug eine Entscheidung hierüber außerhalb der Hauptverhandlung vor, womit die Anwälte einverstanden waren. Die Hauptverhandlung wird am Montag, den 14. Januar 2019, fortgesetzt.

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