Literatur im Schauspiel: „Der Widersacher“ als Studio-Stück – „Die Dämonen“ nach Dostojewski auf der großen Bühne

Probenfotos zu „Der Widersacher“ mit Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke und Uwe Rohbeck. Foto: Birgit Hupfeld
Probenfotos zu „Der Widersacher“ mit Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke und Uwe Rohbeck.

Derzeit feiert das True Crime-Genre insbesondere im Internet eine Renaissance. Dass das echte Leben unfassbare Geschichten zu schreiben vermag, beweist auch der französische Kultroman „Der Widersacher“ von Emmanuel Carrère. Auch er erzählt einen Kriminalfall, den man beinahe nicht glauben mag, obwohl er wahr ist – und der 1993 ganz Frankreich erschütterte. Jetzt kommt er im Schauspiel Dortmund in einer Fassung von Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Matthias Seier auf die Bühne.

Jahrzehntelang hatte Romand ein gigantisches Bauwerk aus Lügen errichtet

Premiere ist am kommenden Sonntag, 1. Dezember, um 18 Uhr im Studio. Erzählt wird die wahre Geschichte von Jean-Claude Romand, der im Laufe mehrerer Tage vom unauffälligen Familienvater zum Mörder seiner Ehefrau, seiner Kinder, seiner Eltern und deren Hund mutiert.

Nach der Tat herrscht große Ratlosigkeit: was trieb diesen kompetenten, freundlichen Traumschwiegersohn zu der monströsen Gewalttat? Die Ermittlungen der Polizei bringen schnell die Wahrheit über ihn ans Licht. Seine gesamte Existenz war nichts als Fassade.

Die Arbeit bei der WHO, wichtige Geschäftsreisen, berühmte Kollegen – alles frei erfunden. In Wahrheit verbrachte er die Zeit auf Raststätten oder ziellos durch die Wälder streifend. Das Geld für sein Doppelleben erlog er sich mit angeblichen perfekten Finanzkonditionen in der Schweiz aus seinem engsten Familienkreis. Jahrzehntelang hatte Romand ein gigantisches Bauwerk aus Lügen errichtet, bis es in einer Eruption aus Gewalt in sich zusammenstürzte.

„Was mich faszinierte, war die Banalität des Vorgangs und die Brutalität des Verbrechens gleichermaßen“

Probenfotos zu „Der Widersacher“ mit Max Ranft, Alida Bohnen und Björn Gabriel. Foto: Birgit Hupfeld
Probenfotos zu „Der Widersacher“ mit Max Ranft, Alida Bohnen und Björn Gabriel. Fotos: Birgit Hupfeld

Für seinen Roman ging der Schriftsteller Emmanuel Carrère auf Spurensuche, besuchte Romand im Gefängnis, recherchierte vor Ort, befragte ehemalige Freunde. Wie konnte die Hochstapelei so lange unbemerkt bleiben?

Ed. Hauswirth seziert den Fall: als Annäherung an das Monströse, als Blick hinter die Vorortfassade – und als zutiefst menschliche Auseinandersetzung mit dem Widersacher, der in uns allen steckt.

„Was mich faszinierte, war die Banalität des Vorgangs und die Brutalität des Verbrechens gleichermaßen. Das Besondere an diesem Fall ist, dass diese furchtbare Tat auf einer banalen Notlüge fußt: Romand wollte als Student ein Scheitern nicht eingestehen und behauptete überall, er habe eine Medizinklausur bestanden, zu der er in Wahrheit gar nicht erschienen war“, sagt Regisseur Ed. Hauswirth über die Arbeit an seiner Inszenierung.

„Auf diese Lüge folgte die nächste, und daraufhin die nächste, und irgendwann war das gesamte Leben nichts als Lüge. Ich glaube, diese Ursprungslüge hätte vermutlich jedem von uns in einem schwachen Moment passieren können.“

Für die Premiere am Sonntag gibt es nur noch Restkarten – weitere Termine im Dezember

Bühne und Kostüme hat Susi Priebs entworfen, die bereits mehrfach mit ihm und auch mit Jörg Buttgereit in Dortmund gearbeitet hat. Es spielen Björn Gabriel, Caroline Hanke, Marlena Keil, Uwe Rohbeck, Alida Bohnen, Berna Celebi und Max Ranft.

Für die Premiere am Sonntag gibt es nur noch Restkarten (19/12,50 Euro) an der Vorverkaufskasse im neuen Kundencenter (Platz der Alten Synagoge), unter www.theaterdo.de und 0231/50-27222. Die weiteren Termine sind am 6., 13. Dezember (jeweils 20 Uhr) und 29. Dezember (18 Uhr).


„Die Dämonen“ nach Fjodor Dostojewski hatte Premiere –
Regisseur Sascha Hawemann inszeniert im Schauspiel
Probenfotos zu „Die Dämonen“ mit Friederike Tiefenbacher, Alexandra Sinelnikova, Frank Genser, Ekkehard Freye, Christian Freund und Jakob Benkhofer.
Probenfotos zu „Die Dämonen“ im Schauspielhaus Dortmund mit Friederike Tiefenbacher, Alexandra Sinelnikova, Frank Genser, Ekkehard Freye, Christian Freund und Jakob Benkhofer. Freitag war Premiere. Fotos: Birgit Hupfeld

Nach dem großen Erfolg von „Der Kirschgarten“ ist Regisseur Sascha Hawemann ins Schauspiel Dortmund zurückgekehrt – diesmal hat er Fjodor Dostojewskis Klassiker der Weltliteratur „Die Dämonen“ als großes Ensemblestück auf die Bühne des Schauspielhauses gebracht. Liebe und Intrigen, Leidenschaft und dunkle Geheimnisse – Dostojewskis Vorlage verspricht große Themen und bietet einzigartige Rollen für das Dortmunder Ensemble.

Russland zu Zeiten des politischen Umbruchs – spannendes Figurenuniversum

Premiere war am vergangenen Freitag. „Die Dämonen“ spielt in Russland zu Zeiten des politischen Umbruchs: Im Zentrum steht eine Kleinstadt in der russischen Provinz, in der die Hoffnung auf Veränderung und die Chance auf Neues in der Luft liegen.

Ein Figurenuniversum um die beiden Protagonisten Nikolaj (Frank Genser) und Pjotr (Ekkehard Freye) steht vor der Frage nach politischen Alternativen zwischen Tradition und Revolution – nicht ohne dabei von privaten Verstrickungen eingeholt zu werden, die Überzeugungen und Gefühle in Frage stellen: Der alternde Stepan (Andreas Beck), tief verschuldet, hängt den Ideen seiner Jugend nach, seine Mäzenin Warwara (Friederike Tiefenbacher) ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Zuneigung zu Stepan und ihrem Interesse für das Neue der jungen Generation.

Unterdessen versucht der junge, progressive Pjotr mit Machtspielen und Intrigen die Stimmung zugunsten seiner Vision zu beeinflussen – und dazwischen der von allen hoch angesehene Nikolaj, Sohn Warwaras, der von allen Seiten zu vereinnahmen versucht wird – aber mehr als ein dunkles Geheimnis in sich trägt, das auch nicht spurlos an der aufkeimenden Liebe zur schönen Lisa (Alexandra Sinelnikova) vorübergeht.

Regisseur und Dramaturg Dirk Baumann stellt die Schauspieler in den Mittelpunkt

Probenfotos zu „Die Dämonen“ - mit Andreas Beck (vorne). Fotos: Birgit Hupfeld
„Die Dämonen“ – mit Andreas Beck (vorne).

Die Stückfassung des Regisseurs und des Dramaturgen Dirk Baumann stellt die Schauspieler in den Mittelpunkt: Sie verkörpern die zentralen Figuren und führen durch die Geschichte, zu der Autor Fjodor Dostojewski von wahren Begebenheiten inspiriert wurde.

Es ist seine Version der unglaublichen Geschichte des linken Revolutionärs Sergej Netschajew, der um 1870 seine revolutionären Ideen in Russland mit allen Mitteln durchsetzen wollte – und dabei auch nicht vor drastischen Mitteln zurückschreckte.

Die auf Swetlana Geiers Übersetzung „Böse Geister“ beruhende Dortmunder Stückfassung fängt die Stimmung eines Landes und einer Gesellschaft ein, die weiß, dass alles anders werden kann, aber zwischen den Alternativen umherirrt. Im Zentrum des Stücks stehen die ebenso zeitlosen wie existentiellen Fragen des Lebens – und die nach der Moral: Welche Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen sind legitim? Wer manipuliert wen? Welche Dämonen schlummern in Dostojewskis Figuren, welche in unserer Gegenwart?

Die RAF und weitere Gruppen beriefen sich auf den Roman „Die Dämonen“

„Die Dämonen“ war mehr als einmal eine Referenz für politische Gruppen, die eine Veränderung anstrebten – auch die RAF berief sich auf den Roman.

Neben den genannten Schauspielern stehen außerdem Christian Freund, Annou Reiners, Uwe Schmieder und als Gast Jakob Benkhofer auf der Bühne, der zuletzt am Schauspiel Hannover spielte. Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit dem Musiker Xell (u.a. „Der Kirschgarten“), der live bei den Vorstellungen dabei ist.

Nach der Premiere am Freitag gibt es noch Karten (12 bis 33 Euro) für die weiteren Termine an der Vorverkaufskasse im neuen Kundencenter (Platz der Alten Synagoge), unter www.theaterdo.de oder 0231/50-27222. Die weiteren Vorstellungen sind am 6., 13. und 21. Dezember, Beginn ist jeweils um 18 Uhr (nicht wie ursprünglich geplant um 19.30 Uhr) im Schauspielhaus Dortmund (Hiltropwall 15).

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