SERIE »Stadt-Bauten-Ruhr« (2): Die Tradition der Kulturbauten in den Städten des Ruhrgebiets

Im ehemaligen Museum am Ostwall soll das Baukunstarchiv entstehen. Foto: Podehl Fotodesign
Das ehemalige Museum am Ostwall in Dortmund beherbergt heute das Baukunstarchiv NRW. Foto: Podehl Fotodesign

In unserer Serie »Stadt-Bauten-Ruhr« beschäftigen wir uns mit prägnanter Nachkriegsarchitektur im öffentlichen Raum des Ruhrgebiets, schwerpunktmäßig in Dortmund. Es geht um Kirchen, Rathäuser, Museen, Theater, Universitäten u.a., die einer ansonsten von Schwerindustrie geprägten Region urbane, ja fast mondäne Gesichter verleihen sollten. Mit einem überraschenden Resultat: Geformt im 20. und 21. Jahrhundert, ist heute der Landstrich zwischen Rhein und Ruhr der mit den meisten Kulturbauten in der Bundesrepublik wie in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit. So zumindest die Herausgeber*innen eines fast 400 Seiten starken Konvoluts, 2020 erschienen im Dortmunder Verlag Kettler, welches die Grundlage unserer mehrteiligen Beitragsreihe bildet.


Die Tradition der Kulturbauten in den Städten des Ruhrgebiets

Ein Buchbeitrag von Wolfgang Sonne

»Der stärkste Eindruck, den ein Besucher empfängt, der die Städte des Reviers 1919 gekannt hat und sie 1929 wiedersieht, ist nicht der Zuwachs an Grundfläche und Bevölkerung, sondern der innere Ausbau, die Verschönerung des Stadtbildes, die Verbesserung der Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen, die Entwicklung der Zivilisation. […] Der Geist dieser Entwicklung wird besonders deutlich, wenn man bemerkt, daß keine Stadt sich selbst als Reinprodukt der Industrie erkennt, sondern immer als ›Industrie- und Gartenstadt‹, als ›Industriestadt im Grünen‹, als ›kultureller Mittelpunkt‹.« (1) Heinrich Hauser

Dass Kulturbauten als Imageträger von Städten fungieren, erscheint uns heute als selbstverständlich. Jörn Utzons Opernhaus in Sydney steht als architektonische Ikone symbolisch für die ganze Stadt; Frank Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao löste durch einen Bau in außergewöhnlichen Formen einen seitdem sprichwörtlich gewordenen Wandel, den Bilbao-Effekt, aus. Doch dass Kulturbauten das Stadtbild prägen, ist ein in der Städtebaugeschichte vergleichsweise junges Phänomen. Um es mit einem Beispiel plastisch zu illustrieren: Die Kirche Notre-Dame prägt das Pariser Stadtbild seit dem 12. Jahrhundert, das monumentale Opernhaus von Charles Garnier kam erst 1875 hinzu.

Im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund. Foto: Thomas Engel

Das späte 19. Jahrhundert ist nun genau die Zeit, in der sich die Städte des Ruhrgebiets ebenfalls anschicken, zu Großstädten zu werden – und tatsächlich zugleich beginnen, eine großstadtbürgerliche Kultur mit entsprechenden Kulturbauten zu etablieren.

Dass dies nicht zum allgemeinen Bewusstsein zählt, liegt an der stetigen Wiederholung einer einseitigen Wahrnehmung des Ruhrgebiets, nach der es sich vor allem durch seine Zwischenräume, Infrastrukturen, Industrieanlagen und seinen Netzcharakter auszeichne, der es von anderen Städten und Stadtregionen grundsätzlich unterscheide. ___STEADY_PAYWALL___

So enthält beispielsweise die neueste Publikation »Zeit-Räume Ruhr«, die in umfassender Weise »Erinnerungsorte des Ruhrgebiets« thematisiert, unter 50 Erinnerungsorten nur zwei mit tatsächlich innenstädtischem Charakter, das Hagener ehemalige Folkwang Museum und das Bochumer Schauspielhaus. (2) Völlig verloren gehen bei dieser Ansicht die zahlreichen Kernstädte und Ortskerne mit ihren spezifischen architektonischen und städtebaulichen Qualitäten – und das, obwohl keine andere Region in Deutschland so stark von Architektur und Städtebau geprägt ist wie das Ruhrgebiet.

»Innerer Ausbau« der Ruhrgebietsstädte als »kultureller Mittelpunkt« im frühen 20. Jahrhundert

Doch auch der Netzcharakter, die Zwischenräume, die Industrieanlagen und Siedlungen des Ruhrgebiets sind nur zu verstehen in ihrem Verhältnis zu den Kernstädten, die ihrerseits nach urbanen Prinzipien angelegt wurden, die anderen europäischen Städten vergleichbar sind. Im Zuge der Industrialisierung beginnt dieser Ausbau der Städte und Dörfer im Ruhrgebiet zu Großstädten Mitte des 19. Jahrhunderts – ein Prozess, der in verschiedenen Schüben und unterschiedlichen Facetten bis heute anhält.

Charakteristisch für diesen Prozess ist nicht allein die ungeheure Ausdehnung der Stadtflächen verbunden mit einem entsprechend ungeheuren Anstieg der Bevölkerung, sondern auch die Differenzierung des Stadtlebens durch vielfältige neue Institutionen und dementsprechende Bauaufgaben.

Es ist diese neue Vielfalt der Bauaufgaben, die das eigentliche Großstadtleben ausmacht. Und es ist die absichtsvoll urbane Prägung, mit der diese Bauten eine großstädtische Atmosphäre zu schaffen vermögen. (3) Neben neuen Rathäusern, Kirchen, Kaufhäusern, Bürobauten und Wohnblöcken sind es auch neue Kulturbauten wie Theater, Museen, Konzertsäle und Kinos, mit denen das Stadtbild – insbesondere in den Stadtzentren – markante Akzente erhält (#Liste wichtiger Kulturbauten).

Dass gerade dieser »innere Ausbau« der Städte als »kultureller Mittelpunkt« im frühen 20. Jahrhundert als die eigentliche und charakteristische städtebauliche und architektonische Leistung im Ruhrgebiet angesehen wurde, mag das oben als Motto gesetzte Zitat aus dem unter dem Titel »Schwarzes Revier« 1930 publizierten Bericht des reisenden Journalisten und Fotografen Heinrich Hauser schlaglichtartig verdeutlichen.

Ein wesentlicher Motor für diese Urbanisierung, die Hauser als »innere Kolonisation« beschrieb, sei die Konkurrenz der Städte untereinander: »Da streiten Städte um das beste Theater, um die bedeutendste Ausstellung, um den Sitz eine Kunstschule, man ringt nach dem Ruhm, die besten Konzerte, den schönsten Park, den größten Sportplatz, die modernste Badeanstalt, das erste Hotel zu haben.« (4) Nicht allein Zechen und Stahlwerke, Siedlungen und Infrastrukturen prägen Raum und Bild im Ruhrgebiet; nein, auch und gerade in den Aufschwung- und Blütezeiten der Industrialisierung sind es die innenstädtischen, ja großstädtischen Bauten und Stadträume, an denen gerade die Kulturbauten einen prägenden und programmatischen Anteil haben.

Aufbau von Kulturinstitutionen in Städten des Ruhrgebiets fernab höfischer Traditionen

Theater. Die prägenden Kulturinstitutionen mit ihren Bauten wie Theater, Museum oder Konzertsaal haben alle ihren Ursprung in der höfischen Kultur der Neuzeit. Sie wurden an den Residenzen Europas entwickelt und waren dort auch baulich in den Komplex der Residenz integriert. Erst im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts entstehen eigene einzeln stehende Bauten für diese Bauaufgaben – und auch im 19. Jahrhundert sind die prominenten und wegweisenden Kulturbauten wie etwa die Opernhäuser in Dresden und Wien oder die Museumsbauten in Berlin und München höfische Aufträge, wenngleich auch neben dem adligen bereits für ein bürgerliches Publikum mitgedacht.

Ansichten, kolorierte Collage auf >Karton, 70 x 100 cm, Entwurf zur Fassadengestaltung des Grillo-Theaters, Werner Ruhnau, ca. 1986

Vor diesem Hintergrund wird eine Besonderheit der Kulturinstitutionen mit ihren Bauten in den Städten des Ruhrgebiets deutlich: Hier gab es – anders als in den umliegenden Residenzstädten wie Düsseldorf, Bonn oder Münster – keine prägende höfische Kulturtradition. Umso bemerkenswerter ist es, wie früh sich die aufstrebenden Industriestädte des Ruhrgebiets durch kulturelle Institutionen und die dazugehörigen Bauten eine stadtbürgerliche Kultur zulegten. Zumeist entstanden sie durch Initiativen von kulturbeflissenen Bürgern und Unternehmern (#Essay Weiterbauen).

So verdankt etwa das Essener Grillo-Theater seinen Namen dem Stifter Friedrich Grillo, der es 1889–1892 durch den Berliner Theaterarchitekten Heinrich Seeling als pompös-neobarocken Bau mitten in der Stadt errichten ließ. Nach Kriegszerstörungen wurde es 1950 in einer reduziert-monumentalen Formensprache mit einer Pfeilerfront nach Plänen von Wilhelm Seidensticker wiederaufgebaut, bevor 1990 Werner Ruhnau den Innenraum spielerisch umgestaltete (#Miniatur Grillo-Theater).

Abkehr vom Historismus: Das Dortmunder Theater am Wallring mit seiner Reformarchitektur

Als Baustein des Dortmunder Wallrings war das 1901–1904 von Martin Dülfer nach einer Initiative der Dortmunder Bürger errichtete Theater konzipiert (Abb. 1). Dieser Bau, in dem Dülfer eine ganz neuartige Architektursprache aus der Bauaufgabe mit ihren geschlossenen Wandflächen entwickelte, markiert deutlich die Abkehr vom Historismus und den Willen, einen modernen Baustil für die Großstadt zu finden.

Abb. 1

Tatsächlich stellte Dülfers Bau ein ganz frühes Beispiel der Reformarchitektur dar, die dann 1907 durch die Gründung des Deutschen Werkbundes weite Verbreitung finden sollte. Von Dülfers Bau lassen sich Wirkungen etwa auf Oskar Kaufmanns Theaterbauten in Berlin nachweisen.

Umso trauriger ist es, dass dieser durch den Krieg nur leicht zerstörte, architekturgeschichtlich so bedeutsame Bau nach dem Krieg nicht repariert wurde. Nur noch einige innere Mauerzüge stecken im heutigen Opernhaus – unsichtbar und verkannt. Dieses wiederum entstand 1966 mit spektakulärer Betonschale als ostentativer Neubeginn nach Plänen von Heinrich Rosskotten.

Von Dülfer stammt ebenfalls das 1911/12 erbaute und nach dem Krieg wiederaufgebaute Theater in Duisburg. Im Unterschied zum archaisierenden Monumentalismus in Dortmund gibt es sich klassisch gezähmt: Weniger das Dionysische, wie es die Pantherfiguren auf dem Dortmunder Theater beschworen, als vielmehr das Apollinische war hier zum Leitbild einer zivilisierten Stadtkultur geworden.

Monumentaler Theaterbau in Hagen nach den Plänen von Ernst Vetterlein

Im Umkreis der von Karl Ernst Osthaus angestoßenen Kulturreform (#Essay Weiterbauen) legte sich Hagen 1910/11 einen monumentalen Theaterbau zu (Abb. 2). Er wurde nach einem von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb nach den Plänen des Zweitplatzierten Ernst Vetterlein an der Hauptstraße in der Innenstadt ausgeführt.

Abb.: 2

Mit seiner Komposition von giebelbekrönten Kuben nimmt er das Tempelmotiv auf und abstrahiert es im Sinne des Reformklassizismus ähnlich dem gleichzeitig entstehenden Festspielhaus in Hellerau von Heinrich Tessenow. Den Anspruch der Reformkultur präsentieren zudem ostentativ die vier steinernen Musen von Milly Steger an der Fassade.

Auch Bochum erhielt noch im Kaiserreich seinen ersten Theaterbau. Das zunächst 1907/08 von Paul Engler als Varietétheater errichtete Gebäude wurde 1914/15 von Carl Moritz zum Stadttheater umgebaut. Der Wiederaufbau nach der Kriegszerstörung als Schauspielhaus Bochum erfolgte 1951–1953 nach den Plänen von Gerhard Graubner, der mit diesem Backsteinbau eine elegante Monumentalität schuf, die einerseits einem städtischen Kulturbau Rang und Würde verleiht und andererseits festlich-fröhliche Zugänglichkeit signalisiert.

Der Bau für das Theater in Oberhausen entstand 1920 und wurde 1939 vom Stadtbaumeister Ludwig Freitag, der 1927–1930 auch das nahegelegene Rathaus errichtet hatte, ausgebaut. Der Wiederaufbau erfolgte 1949 durch den Stadtbaumeister Friedrich Hetzelt. Das Gebäude fügt sich an einer Blockecke in das Straßenraster der Stadt ein, deutet seine besondere Bedeutung aber durch seine kubische Ausprägung und seine kolossale Fensterrahmung an der Fassade an.

Theaterneubauten im Ruhrgebiet der 50er Jahre: zumeist als freistehender Monumentalbau

(Abb. 3:) Stadttheater Marl, Heinz Kiel, 1952-1953, Postkarte

Neben diesen prägnanten Wiederaufbauten kriegszerstörter Theaterbauten kommt es in den 1950er Jahren zu einer Welle programmatischer Theaterneubauten in den Städten des Ruhrgebiets.

Zumeist folgen sie dem Typus des freistehenden Monumentalbaus mit prägnant vertikal gegliederter Fassade und markantem Bühnenturm – dem architektonischen Markenzeichen des Theaterbaus seit dem 19. Jahrhundert.

Das vor allem durch die jährliche Grimme-Preis-Verleihung medial präsente Theater Marl von Heinz Kiel war 1952/53 überhaupt der erste Theaterneubau in der jungen Bundesrepublik Deutschland (Abb. 3).

Mit seiner großflächigen Glasfassade wendet sich das ebenfalls von Gerhard Graubner 1956–1958 errichtete Heinz-Hilpert-Theater in Lünen offensiv der Stadt und den Theaterbesuchern zu (Abb. 4). Obwohl unmittelbar neben der Altstadt gelegen, ist es dennoch wegen der Abtrennung durch eine vielspurig ausgebaute Bundesstraße bis heute ein Opfer der autogerechten Stadtplanung.

(Abb. 4:) Stadttheater Lünen, Gerhard Graubner, 1956-1958, Postkarte

1956–1959 folgte das revolutionäre innenstädtische Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen von Werner Ruhnau, das ebenfalls mit seiner Ganzfassadenverglasung den öffentlichen Außenraum der Stadt mit seinem kulturellen Innenraum zu verschmelzen suchte (#Miniatur Musiktheater im Revier). Auch Wesel erhielt 1957/58 ein gleich neben dem Rathaus gelegenes Städtisches Bühnenhaus durch den Planungsamtsleiter Apitz.

Von zentraler Bedeutung für die gesamte Region sollte das Festspielhaus für die nach dem Zweiten Weltkrieg als programmatische neue Kulturinstitution gegründeten Ruhrfestspiele werden. Mit starker Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes sollte auf dem grünen Hügel am Rande Recklinghausens gleichsam ein neues Bayreuth für die Arbeiterschaft im Ruhrgebiet entstehen. Nach einem 1956 ausgeschriebenen Wettbewerb entstand schließlich 1960– 1965 das Ruhrfestspielhaus durch die ortsansässigen Architekten Felix Ganteführer und Fritz Hannes. Seine durch kolossale Betonpfeiler gegliederte brutalistisch anmutende Vorhalle wurde 1996–1998 durch einen ganzgläsernen Vorbau mit weit ausladendem Sonnenschutz-Flugdach von Auer und Weber entschärft.

In Essen ging 1959 der finnische Architekt Alvar Aalto als Sieger eines Ideenwettbewerbs für ein neues Opernhaus hervor. Mit seinen organischen Formen brachte der Bau trotz seiner Innenstadtlage ein landschaftliches Element in die Stadt (#Essay Begegnung, Umschau und Ausschau). Errichtet wurde das heute nach dem Altmeister der modernen Architektur Aalto-Theater genannte Gebäude schließlich 1983–1988 von Harald Deilmann (#Miniatur Aalto-Theater). Mit die sen Bauten besitzen die Städte des Ruhrgebiets nichts weniger als die dichteste Theaterlandschaft Deutschlands.

Folkwang-Museum in der Hagener Innenstadt und Museum Folkwang Essen

Abb. 5

Museen. Zu den zentralen Bildungsinstitutionen einer bürgerlichen Großstadtkultur zählt seit dem 19. Jahrhundert das Museum. So entstanden auch in den Städten des Ruhrgebiets meist auf Initiative kultur- und geschichtsinteressierter Bürger Vereine zur Gründung von Museen, die dann meist von den Städten getragen wurden.

Mit höchstem kulturreformerischem Anspruch ließ Karl Ernst Osthaus als Mäzen in der Hagener Innenstadt das Museum Folkwang errichten, ab 1898 durch den Architekten Carl Gérard in späthistoristischem Eklektizismus, ab 1900 durch den Architekten Henry van de Velde in reformorientiertem Jugendstil (Abb. 5; #Essay Weiterbauen). Neueste moderne Kunst und vorbildliches Kunsthandwerk wurden dort zur Bildung eines neuen Stils präsentiert und diskutiert.

Abb. 6

Nach Osthaus’ Tod verkauften seine Erben die Sammlung an eine Gruppe von Stiftern und die Stadt Essen, die durch den Architekten Edmund Körner 1925–1929 einen eigenen Bau unter Einbeziehung von zwei Villen für die Sammlung errichten ließ (Abb. 6).

Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entstand 1954–1960 ein völliger Neubau, der zum europäischen Kulturhauptstadtjahr RUHR.2010 einen von der KruppStiftung finanzierten sachlich-repräsentativen Erweiterungsbau von David Chipperfield erhielt (#Essay Auf dem Weg in die Stadt; #Miniatur Museum Folkwang).

Dortmund: Vom Kunst- und Gewerbemuseum zum Museum am Ostwall ins Dortmunder U

Im MKK wird die Ausstellung zu sehen sein. Foto: Stadt Dortmund
Das MKK in der Dortmunder Innenstadt. Foto: Stadt

Eine andere spannende Museumsgeschichte, die in ähnlicher Weise von Umbauten und Umzügen geprägt ist, bietet die Stadt Dortmund.

Sie ließ 1911 im ehemaligen Oberbergamt am Ostwall ihren ersten Museumsbau, das städtische Kunst- und Gewerbemuseum, mit dem Einbau eines monumentalen Lichthofs durch ihren Stadtbaumeister Friedrich Kullrich herrichten – die wohl früheste Umnutzung eines Gebäudes der Montanindustrie für Kultur im Ruhrgebiet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Bau als erster Museumsbau in Deutschland 1949–1956 wiederauf- und umgebaut und zeigte als Museum am Ostwall programmatisch moderne Kunst, die von den Nationalsozialisten als »entartet« gebrandmarkt worden war (#Essay Im Revier der Transparenzen; #Miniatur Baukunstarchiv NRW).

Die alte Sammlung, die im Krieg nach Schloss Cappenberg ausgelagert worden war, zog 1983 als Museum für Kunst und Kulturgeschichte in die ehemalige Stadtsparkasse von Hugo Steinbach aus dem Jahr 1924. Zum europäischen Kulturhauptstadtjahr RUHR.2010 zog die Sammlung des Museums am Ostwall in das neu von Eckhard Gerber ausgebaute Dortmunder U, ein markantes Bierlagerhochhaus, um (#Miniatur Dortmunder U).

Abb. 7

Das alte Museum am Ostwall konnte in neuer Funktion als Baukunstarchiv NRW erhalten werden und kann heute die bauliche Kultur des Landes sichern, erforschen, präsentieren und diskutieren (#Essay Bewahren, Erforschen, Ausstellen).

Als stadtbildprägender Monumentalbau entstand 1909/11 in Witten das Märkische Museum von Carl Franzen (Abb. 7). Von einem Bürgerverein gegründet,

reicht seine Sammlung von Naturkunde über Heimatkunde und Kunsthandwerk bis zu den bildenden Künsten. Mit seinem rustizierten Mauerwerk und fassadenbekrönenden Segmentgiebel betont der Bau das Urwüchsige und vermeidet das Klassische.

Museumsneugründungen und -neubauten mit demokratischen Wiederbeginn nach dem 2. Wk

Abb. 8

Der demokratische Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg zeitigte eine ganze Reihe von Museumsneugründungen und -neubauten.

Auch baulich signifikant ist die Einrichtung der Kunsthalle Recklinghausen, die als Parallelinstitution zu den Ruhrfestspielen geschaffen wurde. Sie fand ihren Ort in einem zentral gegenüber dem Bahnhof gelegenen Hochbunker, dessen roher Betonkasten mit einem monumentalen zentralen Schaufenster versehen wurde (Abb. 8).

In diesem sichtbar transformierten Kriegszeugnis fand 1950 zur Eröffnung programmatisch eine Ausstellung deutscher und französischer Kunst der Gegenwart als Zeichen friedlicher europäischer Zusammengehö rigkeit statt.

Weitere markante und mit ihrem Bezug auf die Architektur Ludwig Mies van der Rohes programmatisch moderne Museumsbauten sind das Lehmbruck-Museum in Duisburg von Manfred Lehmbruck 1964 (Abb. 9) oder das Museum Quadrat in Bottrop von Bernhard Küppers 1976 (#Miniatur Quadrat).

(Abb. 9:) Lehmbruck Museum Duisburg, Manfred Lehmbruck, 1964, Postkarte

Das 1960 gegründete Kunstmuseum Bochum, das in den imposanten Neorenaissancebau der Villa Marckhoff-Rosenstein am Stadtpark von 1900 einzog, erhielt 1983 einen speicherartigen Anbau der dänischen Architekten Jørgen Bo und Vilhelm Wohlert.

Ebenfalls als Anbau an eine alte Villa entstand 1984 das Kunstmuseum Gelsenkirchen von Albrecht Egon Wittig.

Wiederum von Bo und Wohlert stammt der Neubau für das Gustav-LübckeMuseum in Hamm 1993, der mit seiner geschwungenen Backsteinwand einen neuen Stadteingang am Bahnhof markiert. Die Institution ist deutlich älter und steht paradigmatisch für die von Bürgerinitiativen getragenen Museumsgründungen der Städte im Ruhrgebiet: Ihren Ursprung hatte sie im bereits 1886 gegründeten Museumsverein Hamm, einen wesentlichen Schub erhielt sie 1917 durch die Übergabe der Sammlung des Kunsthändlers Gustav Lübcke an die Stadt.

Statt Neubauten: kongeniale Umbauten durch internationale Stararchitekten

Der internationale Museumsbauboom um die Jahrtausendwende hat auch im Ruhrgebiet seine Spuren hinterlassen. Im Unterschied zu den weltweit gefeierten Neubau-Ikonen entstanden hier jedoch durch internationale Stararchitekten kongeniale Umbauten.

In Duisburg fügten 1997–1999 die Schweizer Herzog & de Meuron das Museum Küppersmühle für Moderne Kunst in einen ehemaligen Speicher am Binnenhafen ein; auf dem Weltkulturerbe Zollverein in Essen installierte 1997 der Brite Norman Foster das Red Dot Design Museum in dem ehemaligen Kesselhaus, und der Niederländer Rem Koolhaas transformierte 2006 die Kohlenwäsche zum Ruhrmuseum. Damit war die Bühne für die europäische Kulturhauptstadt RUHR.2010 geschaffen.

Konzerthäuser und Kulturforen: Essen, Duisburg, Mülheim an der Ruhr

Konzerthäuser. Eine Baugattung, die gerade in jüngster Zeit einen großen Aufschwung erfährt, ist das Konzerthaus, das seinerseits eine lange Geschichte aufweist. An Stelle eines bereits 1864 errichteten Veranstaltungssaals entstand 1902–1904 in Essen der Saalbau, in dem beispielsweise Gustav Mahler seine 6. Sinfonie uraufführte. Nach Kriegszerstörungen wurde er 1949/50 vereinfacht von Walter Engelhardt wiederaufgebaut und bildet heute zusammen mit dem Aalto-Theater eine Art Kulturforum.

(Abb. 10:) Tonhalle Duisburg, 1887, Postkarte

Auch in Duisburg kann der Konzertsaal auf eine lange Tradition zurückschauen. Von 1887 stammte der klassizistische Bau der Tonhalle an der Königstraße (Abb. 10), an dessen Stelle 1957–1962 die Mercatorhalle von Graubner, Stumpf und Voigtländer erbaut wurde (#Miniatur Mercatorhalle).

Trotz Denkmalschutz wurde sie 2005–2007 durch den Neubau der Mercatorhalle im CityPalais ersetzt. Ihre architektonisch-städtebauliche Prägnanz ist dabei in der Banalität einer Shopping Mall untergegangen.

Die von Arthur Pfeifer, Hans Großmann und Emil Fahrenkamp 1923– 1926 erbaute Stadthalle in Mülheim an der Ruhr wurde als multifunktionaler Veranstaltungssaal auch für Konzerte genutzt. Der der Innenstadt am anderen Ruhrufer gegenüberstehende Monumentalbau liegt mit seinen Arkaden wie ein venezianischer Palazzo am Wasser und bezieht den Landschaftsraum des Ruhrtales in das Stadtbild mit ein.

Zuletzt setzten das Konzerthaus Dortmund von Schröder SchulteLadbeck 2002 an Stelle eines alten Kinos und das Anneliese Brost Musikforum in Bochum von Bez und Kock 2016 mit der Umnutzung der St. Marien-Kirche architektonische Zeichen eines vollzogenen Strukturwandels hin zur wirtschaftlich vielfältig getragenen Großstadt, zu der auch ein entsprechendes kulturelles Angebot gehört.

Architektonisch anspruchsvolle Kinobauten im Ruhrgebiet

Kinos. Eine neue Kultursparte bildete in den 1920er Jahren das Kino. Mitten in Essen, gegenüber dem Dom, erbaute 1928 Ernst Bode die Lichtburg als moderne Großstadtarchitektur, seinerzeit nichts weniger als das größte Kino Deutschlands. Zahlreiche architektonisch anspruchsvolle Kinobauten bereicherten in den 1920er und 1950er Jahren die Innenstädte im Ruhrgebiet, bevor sie Ende des 20. Jahrhunderts durch gestaltlose Kinokomplexe ersetzt wurden.

Multifunktionale Kulturzentren zwischen Rhein und Ruhr

Kulturzentren. Ein typisches Produkt der sozial motivierten Funktionsballung der 1970er Jahre analog zu den Gemeindezentren und den Schulzentren waren die Kulturzentren. Das 1976 in Herne fertiggestellte Kulturzentrum beherbergt in einem unförmigen Baukomplex neben einem für Theater wie Konzerte nutzbaren Veranstaltungssaal auch die Stadtbibliothek, das Stadtarchiv, die Volkshochschule und das Kulturbüro. Die 1981 eröffnete filigrane Stadthalle Hagen von Eckhard Gerber fügt sich in die terrassierte Landschaft eines ehemaligen Steinbruchs ein und zeichnet sich durch ihre vielfältige Nutzbarkeit aus.

Stadtregion in Europa mit den meisten Kulturbauten, die von Beginn an Teil der Industriestadt sind

Schluss. Schon diese Kurzgeschichte zeigt: Die Städte des Ruhrgebiets sind reich an prägnanten und signifikanten Kulturbauten. Prägnant sind sie, da sie mit anspruchsvollen Formen das Stadtbild an oftmals zentralen Stellen prägen wollen und prägen; signifikant sind sie, da sie mit ihrer prägnanten Form und zentralen Lage ihrer herausgehobenen Rolle als wichtige öffentliche Bauten Ausdruck verleihen wollen und verleihen – und somit gleichsam als Monumente der Kultur die Stadt mitgestalten. Und mehr noch: Die Metropole Ruhr ist nicht nur reich an Kulturbauten, sie ist die Stadtregion in Europa mit den meisten Kulturbauten. Keine andere Metropole Europas kann sowohl in der Dichte als auch in der Zahl eine solche Menge an Kulturbauten vorweisen.

Die Verwunderung darüber, dass man angesichts dieser Tatsache beim Ruhrgebiet nicht zuallererst an seine Kulturbauten denkt, führt zu einer weiteren Erkenntnis. Die Kulturbauten im Ruhrgebiet sind oftmals keine spektakulären und singulären Neubauten, sondern angemessene und zurückhaltende Umbauten. Die Metropole Ruhr ist nicht Bilbao – und das heißt aber auch: Die Metropole Ruhr braucht, anders als Bilbao, nicht einen spektakulären Neubau.

Sie hat immer schon in bedeutungsvoller Weise den baulichen Bestand in ihre Kulturbauentwicklung mit einbezogen. Gerade durch die Umnutzung sowie den Umbau von bereits bestehenden Gebäuden entwickeln viele Kulturbauten eine spezifische Ortsgebundenheit, in der die vielfältige Geschichtlichkeit dieser Stätten und damit die Besonderheit der Städte im Ruhrgebiet aufbewahrt ist.

Die mit dieser sichtbar bleibenden Tradition verbundene weitere Erkenntnis ist vielleicht die überraschendste: Kulturinstitutionen und ihre Bauten sind im Ruhrgebiet nicht erst eine Folge des Strukturwandels nach der De-Industrialisierung; sie sind ebenfalls keine demokratische Neuerfindung mit einer Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg; sie sind vielmehr von Beginn an Teil der Industriestadt. Oder andersherum gesagt: Die Städte des Ruhrgebiets werden ab dem späten 19. Jahrhundert in dem Moment auch zu Kulturstädten mit repräsentativen Kulturbauten, in dem sie sich anschicken, durch die Industrialisierung zu Großstädten zu werden.

Dieser kontinuierliche Ausbau der Kulturlandschaft lässt ebenfalls die dafür tragende gesellschaftliche Schicht stärker ans Licht treten: Nicht allein Ruhrbarone und Arbeiterschaft prägten die Gesellschaft im Ruhrgebiet. Es war von Beginn der Großstadtwerdung an ein sich breit entwickelndes Stadtbürgertum, das in Bürgerinitiativen mit Vereinsgründungen den Ausbau von Kulturinstitutionen vorantrieb. Es ist besonders faszinierend, dass dieses Stadtbürgertum in den Ruhrgebietsstädten ohne einen jahrhundertelangen Hintergrund einer höfischen Kulturtradition die dichteste Kulturregion in Europa aufbaute. In dem Engagement dieser Zivilgesellschaft steckt viel Potential für die Zukunft der Metropole Ruhr!


Anmerkungen:

(Die jeweiligen Texte des mit zahlreichen Bildern aus Archivbeständen des Baukunstarchivs NRW illustrierten Bands übernehmen wir – leicht gekürzt […] und zum Zwecke besserer Lesbarkeit teils mit eingefügten Zwischenüberschriften versehen – ansonsten wörtlich.)

(1) Heinrich Hauser, Schwarzes Revier, Berlin 1930, S. 28f.

(2) Stefan Berger et al. (Hg.), Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets, Essen 2019.

(3) Zu einzelnen Städten oder Epochen: Wilhelm Busch, Bauten der 20er Jahre an Rhein und Ruhr, Köln 1993; Axel Föhl, Architekturführer Ruhrgebiet, Berlin 2010; Sonja Hnilica/Markus Jager/Wolfgang Sonne (Hg.), Auf den zweiten Blick. Architektur der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen, Bielefeld 2010; Benedikt Boucsein, Graue Architektur. Bauen im Westdeutschland der Nachkriegszeit, Köln 2010; Holger Krüssmann, Architektur in Essen 1900–1960, Essen 2012; Peter Kroos, Die goldenen 1920er Jahre. Bauten der Weimarer Republik in Dortmund, Dortmund 2013; Markus Jager/Wolfgang Sonne (Hg.), Großstadt gestalten. Stadtbaumeister an Rhein und Ruhr, Bücher zur Stadtbaukunst, Band 7, Berlin 2016; Christine Kämmerer/Tim Rieniets (Hg.), Architektur der 1950er bis 1970er Jahre im Ruhrgebiet, Dortmund 2019; Stefan Mühlhofer/Wolfgang Sonne/Barbara Welzel (Hg.), Dortmunder Passagen. Ein Stadtführer, Berlin 2019.

(4) Hauser, Schwarzes Revier, S. 30.

Weitere Informationen:

Link zur Veröffentlichung beim Verlag Kettler in Dortmund; hier:

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