Initiative kritisiert die „menschenfeindliche defensive Architektur“

Scharfe Kritik an der Vertreibung von Obdachlosen am Hauptbahnhof in Dortmund

Die Nachlager der Obdachlosen wurden geräumt - eine Gitterkonstruktion verhindert die Rückkehr.
Die Nachlager der Obdachlosen wurden geräumt – eine Gitterkonstruktion verhindert die Rückkehr.

Schon seit längerer Zeit prangert die Initiative „Schlafen statt Strafen“ die zunehmende Verdrängung obdachloser Menschen aus der Dortmunder Innenstadt an. In den vergangenen Monaten hat sich nach Ansicht der Aktivist:innen „der Bereich um den Hauptbahnhof zu einem Hotspot der Verdrängung entwickelt, an dem Ordnungsamt, Bundespolizei und DB Security gemeinsam gegen dort lebende und sich aufhaltende Menschen vorgehen und sich dabei auch immer wieder im Graubereich zur Kompetenzüberschreitung bewegen“. 

Aktivist:innen werfen Bahn, Polizei und Stadt eine Eskalationsstrategie vor

Als neusten Beleg führen sie die baulichen Veränderungen im Bereich einer Außentreppe auf der Bahnhofssüdseite an. „Dort wurde das Nachtlager mehrerer Menschen unter der Treppe des linken Außenaufgangs zu den Gleisen 2-6 ohne Vorwarnung geräumt. Die Habseligkeiten der Menschen wurden teils entwendet und entsorgt und anschließend ein Gitterkäfig angebracht, der den Zugang zum Raum unter der Treppe verhindert“, kritisiert die Initiative. 

„Schlafen statt Strafen“ verurteilt dieses „unnötig harte Vorgehen“ scharf. „Wir sehen hier eine weitere Stufe der Eskalation im Vorgehen von DB, Polizei und Stadt Dortmund mit dem Ziel, obdachlose Menschen aus dem öffentlichen Raum der Innenstadt zu vertreiben“, kommentiert Pressesprecherin Anna Flaake. „Dabei wird die Würde dieser Menschen, die hier einfach nur einen halbwegs geschützten Platz zum Schlafen gefunden hatten, mit Füßen getreten.“

„Schlafen statt Strafen“ ist mit den Menschen, die von dieser Stelle geräumt und vertrieben wurden, in engem Austausch. „Wir haben an dieser Stelle, obwohl wir immer ruhig waren und den Schlafplatz so sauber wie möglich gehalten haben, schon oft Platzverweise vom Ordnungsamt erhalten“ berichtete einer der Betroffenen der Initiative. „Dabei gehört das Gelände der Deutschen Bahn, weshalb das kommunale Ordnungsamt hier eigentlich gar nicht ohne Weiteres tätig sein dürfte.“

Obdachlose wurden von Räumung überrascht und verloren Habseligkeiten 

Foto: Leopold Achilles
Foto: Leopold Achilles

Diese Kritik weist Stadtsprecher Max Löchter zurück – die Zuständigkeit sei gegeben: „Im Bereich des Dortmunder Hauptbahnhofes werden durch die Mitarbeitenden des Kommunalen Ordnungsdienstes des Ordnungsamtes Platzverweise nur im öffentlichen Raum auf der öffentlichen Wegefläche des Hauptbahnhofvorplatzes ausgesprochen – nicht jedoch im Hauptbahnhof selbst oder auf dem Gelände der Deutschen Bahn.“

„Wir haben trotzdem nicht damit gerechnet, dass wir ganz von dort verjagt werden.“ Die Betroffenen erzählten, dass sie morgens vom Ordnungsamt geweckt wurden, mit der unvermittelten Ankündigung, dass die Räumung gleich beginnen würde. Tatsächlich erschien wenig später die EDG, die unter Aufsicht der Bundespolizei alle Habseligkeiten, die die Betroffenen nicht tragen konnten, direkt entsorgte. 

Eine Streetworkerin, die von den Betroffenen herbeigerufen wurde, versuchte laut „Schlafen statt Strafen“ zumindest die Zerstörung des Eigentums der Betroffenen zu verhindern – ohne Erfolg. „Wir haben an dem Morgen unseren Schlafplatz und einen großen Teil unserer Sachen verloren, und wir wissen immer noch nicht, warum“, so eine der betroffenen Personen.

„Es ist ein Skandal, dass diese Menschen vertrieben wurden“

Foto: Leopold Achilles
Foto: Leopold Achilles

Die Initiative „Schlafen statt Strafen“ ist zutiefst schockiert von der erneuten Verdrängung und dem Vorgehen von DB, Polizei und Ordnungsamt. „Es ist ein Skandal, dass diese Menschen vertrieben wurden, und das, ohne ihnen die Chance zu geben, sich vorzubereiten und wenigstens ihre wenigen Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen“ sagt Anna Flaake. 

Die Bundespolizei weist diese Darstellung zurück: „Die Bundespolizei hat keine geplanten und/oder koordinierten Maßnahmen zu den beschriebenen Verdrängungen von Obdachlosen durchgeführt“, betont deren Sprecher auf Nachfrage von Nordstadtblogger.  

„Die Bundespolizei wurde lediglich in der Vergangenheit in Einzelfällen von Kräften des Ordnungsamtes oder der DB-Sicherheit bei der Durchsetzung ihres Hausrechtes um Unterstützung gebeten, wenn diese sich mit aggressiven Menschen konfrontiert sahen. Ein Großteil dieser Konflikte konnten meist durch die schiere Anwesenheit von Polizeivollzugsbeamten bis hin zu temporären Platzverweisen gelöst werden“, heißt es weiter.

Installation eine Käfigs als Zeichen für die Verdrängung von Obdachlosen

„Dass nur wenig später an dieser Stelle für viel Geld ein Käfig installiert wurde, der den Bereich unter der Treppe absperrt, zeigt, dass es nicht um diese speziellen Menschen ging, sondern allgemein obdachlose Menschen vom Bereich um den Bahnhof verdrängt werden sollen. Dabei hat die Bahn doch eigentlich genug wichtige Probleme und Baustellen, die endlich angegangen werden sollten“, so Flaake.

Die Nachlager der Obdachlosen wurden geräumt - eine Gitterkonstruktion verhindert die Rückkehr.
Die Nachtlager der Obdachlosen wurden geräumt – eine Gitterkonstruktion verhindert die Rückkehr.

„Der Deutschen Bahn ist die Hilfe für Obdachlose seit jeher ein sehr wichtiges Anliegen. So engagiert sich die von ihr finanzierte Deutsche Bahn Stiftung gemeinsam mit ihrem langjährigen Partner, der Bahnhofsmission, für Menschen in schwierigen Lebenslagen und hilft Menschen ohne festen Wohnsitz“, betont ein Bahnsprecher auf Nachfrage von Nordstadtblogger.

„Die örtlichen Bahnhofsmanagements arbeiten mit öffentlichen Trägern und lokalen sozialen Einrichtungen zusammen, um Obdachlose über Hilfsangebote zu informieren. Dies sind die ersten Anlaufstellen für Obdachlose, in denen geschultes Personal arbeitet.

Allerdings sei das Campieren nicht möglich: „Unsere Reisenden nutzen die öffentlichen Räume und deren Einrichtungselemente an den Bahnhöfen täglich. Sie sollen sich dort willkommen, gut aufgehoben und sicher fühlen.Wartebereiche, Durchgänge, Treppen oder Fluchtwege, aber auch Bereiche wie Schließfachanlagen müssen aus Sicherheitsgründen, aber auch mit Rücksicht auf alle Nutzer:innen des Bahnhofs, freigehalten werden. Darüber hinaus ist durch die Hausordnung der Bahnhöfe auch das Sitzen und Liegen auf dem Boden, auf Treppen und in Zugängen untersagt“, so die Bahn.

Forderung nach würdevollem Umgang und Abkehr von Verdrängungspolitik

„Schlafen statt Strafen“ ist im engen Kontakt mit den Menschen, die verdrängt wurden. Sie und weitere von Obdachlosigkeit betroffene Menschen sind in der Initiative organisiert und setzen sich dort für die Verbesserung ihrer Lebenssituation ein. Für den Moment haben sie einen neuen sicheren Schlafplatz, aber ihre allgemeine Situation ist prekär und sie wünschen sich einen würdevollen Umgang und dass die Stadt Dortmund endlich Perspektiven aus der Obdachlosigkeit bietet, anstatt nur immer neue Runden von Verdrängung. 

„Schlafen statt Strafen“ appelliert an die Deutsche Bahn, die menschenfeindliche Verdrängungspraxis zu beenden und den Raum unter der Treppe unverzüglich wieder zugänglich zu machen. Außerdem fordert die Initiative, dass eine finanzielle Entschädigung für die Entwendung und Zerstörung von Eigentum während der Räumung geleistet wird. Dazu haben allerdings trotz der Nachfrage von Nordstadtblogger bisher weder Stadt noch Deutsche Bahn Stellung genommen. 

Diese Kritik weist Stadtsprecher Max Löchter zurück – die Zuständigkeit sei gegeben: „Im Bereich des Dortmunder Hauptbahnhofes werden durch die Mitarbeitenden des Kommunalen Ordnungsdienstes des Ordnungsamtes Platzverweise nur im öffentlichen Raum auf der öffentlichen Wegefläche des Hauptbahnhofvorplatzes ausgesprochen – nicht jedoch im Hauptbahnhof selbst oder auf dem Gelände der Deutschen Bahn.“

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Reaktionen

  1. Max

    Danke für den Artikel.
    Wirklich traurig, dass hilflosen Menschen ihre Sachen weggenommen und zerstört werden.
    Eine Schande.
    Und wo sollen sie nun schlafen?
    Wo dürfen sie sich aufhalten und übernachten?

    Wann wird endlich das Housing-first-Konzept angewandt?

  2. Die FRAKTION zum zukünftigen Umgang mit dem Ordnungsamt (PM)

    Immer wieder macht das Dortmunder Ordnungsamt durch seinen Umgang mit obdachlosen Menschen auf sich aufmerksam. Dies ist nicht nur schlimm (sogar sehr schlimm!) für die davon betroffenen Menschen, sondern schadet auch dem Ruf unserer schönen Stadt. Daher fordern wir, in unserem Antrag “Dortmund das Gelsenkirchen Westfalens”, ein Pflichtpraktikum als obdachloser Mensch für Mitarbeitende im Ordnungsamt.

    Der aktuelle Fall am Hauptbahnhof zeigt, dass es hier nicht um angemessene Hilfsangebote, sondern um Verdrängung und Eskalation geht. Obdachlose Menschen werden schikaniert, ihre wenigen Habseligkeiten entsorgt und die Schlafplätze mit Gittern versperrt. Unsere Ordnungspolitische Sprecherin, Katharina Diwisch betont: “ Das ist ein unsäglicher Umgang mit den Schwächsten unserer Gesellschaft, und wir, Die FRAKTION Die PARTEI, verabscheuen dieses Vorgehen zutiefst!”

    Um solchen Vorfällen in Zukunft vorzubeugen, halten wir, Die FRAKTION Die PARTEI, es für unerlässlich, Mitarbeitende des Ordnungsamtes nicht nur in den Bereichen Recht und Ordnung zu schulen, sondern auch in den Bereichen Empathie und Mitgefühl. Es ist davon auszugehen, dass durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen ein angemessenerer Umgang der Mitarbeitenden mit allen Menschen in Dortmund erreicht wird.

    Informationen und den kompletten Antrag finden Sie auf der Website der Fraktion Die FRAKTION:
    https://diefraktiondortmund.de/2023/04/20/dortmund-das-gelsenkirchen-westfalens/

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