Die IHK Dortmund befürchtet den großen Knall in der zweiten Jahreshälfte: Viele Unternehmen werden Insolvenz anmelden

Stehen den Beschlüssen vom Mittwoch äußerst kritisch gegenüber: IHK-Präsident Heinz-Herbert Dustmann und IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber. Archivfoto: IHK Dortmund

Von Jil Bastian

Die aktuelle Situation vieler Unternehmen – vor allem von Einzelhändlern sowie Gastronomen – ist aufgrund des aktuellen Lockdowns sehr ernst. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch mit den Ministerpräsident*innen der Länder über weitere Öffnungsschritte in den kommenden Wochen diskutiert und kam für die IHK Dortmund zu ernüchternden Ergebnissen. IHK-Präsident Heinz-Herbert Dustmann, IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber sowie der Geschäftsführer für Handel- und Dienstleistungen Dr. Ulf Wolfrath erachten die Beschlüsse des Corona-Gipfels für betroffene Unternehmen als Katastrophe. Viele seien nicht in der Lage, einen weiteren Lockdown über einige Monate zu überleben.

Große Enttäuschung für Gastronomie und Einzelhandel: keine Perspektive in Sicht

Für den Präsidenten der IHK Dortmund, Heinz-Herbert Dustmann, war es keine gute Nacht, nachdem auf Bundesebene über das weitere Vorgehen beraten worden war. Zwar sei das Ergebnis eindeutig positiver ausgefallen als erwartet, jedoch viele Unternehmer*innen laufen Gefahr, Insolvenz anmelden zu müssen.

Viele Unternehmer*innen haben keine finanziellen Rücklagen mehr, die ihnen zur Verfügung stehen Foto: Sascha Fijneman/ Archiv

In der Sitzung im Kanzleramt war beschlossen worden, dass eine Inzidenz von 35 nicht mehr relevant ist und Lockerungen bei einer Grenze von 50 zu erwarten sind. Jedoch sei das noch lange nicht das, was wir brauchen, erklärte Heinz-Herbert Dustmann. Der aktuelle Inzidenzwert in Deutschland liegt bei über 64, sodass es noch einige Zeit dauern könnte, bis ein Wert von 50 erreicht wird.

Die Gastronomie, der Einzelhandel sowie andere betroffene Branchen reagierten enttäuscht auf die Verkündung der neu aufgestellten Regeln. Zwar versuche man, den betroffenen Unternehmen Hoffnung zu machen, jedoch seien die Auflagen so hoch, dass sich eine Öffnung für viele Unternehmer*innen nicht lohne.

Das Konzept der Terminbuchungen im Einzelhandel wird von der IHK kritisch betrachtet. Für die Mehrheit der Unternehmer*innen im Einzelhandel sei das Modell des Terminshoppings oder des Click&Meet nicht realisierbar, da es mit zu hohem Personalaufwand wie Energieverbrauch verbunden ist. Durch die geringe Anzahl an Personen, die das Geschäft betreten dürfen, kann der Einzelhandel keinen Gewinn erzielen und würde somit Verluste machen.

Wenn Hilfen wegfallen: Massive Krise für die zweite Hälfte dieses Jahres erwartet

Viele Branchen – beispielsweise die Gastronomie, Kultur, Wirtschaft, Messen, Reisen und Hotels – fühlten sich von der Regierung im Stich gelassen. Zwar sind Lockerungen in der Außengastronomie vorgesehen, aber auch nur unter erschwerten Bedingungen.  Laut IHK Dortmund ist der ganz große Knall in der zweiten Jahreshälfte zu erwarten. Die eigentliche Bedrohung sei für uns momentan deshalb nicht spürbar, da viele Unternehmen noch durch Kurzarbeitergeld und andere  staatlichen Unterstützungsleistungen Hilfe erhielten, so Ulf Wolfrath.

Zudem hätten einige große Unternehmen Reserven gebildet, die sie noch eine Zeit lang die aktuelle Krise überstehen ließen. Diese Hilfen fallen jedoch in der zweiten Hälfte des Jahres weg, sodass dann mit einer massiven Konkurswelle gerechnet wird. Zudem bedeute die coronabedingte Schließung,  dass junge Menschen keine Berufserfahrung sammeln können, beispielsweise im Kontakt mit Kunden.

Unmut macht sich unter Unternehmer*innen breit: viele nicht weit von Insolvenz entfernt

Die tatsächliche Not des Überlebens verschärft sich unter jenen Unternehmer*innen, die seit Monaten ihre Firmen geschlossen haben. Dortmunds IHK-Präsident berichtet, dass es ihm und seinen Mitarbeiter*innen immer schwerer fällt, die verzweifelten, um ihr Überleben kämpfenden Betriebe zu sehen. Sie alle haben keine Planungssicherheit. Für viele könnte es früher oder später die Insolvenz bedeuten.

In der Dortmunder Innenstadt werden im Laufe des Jahres voraussichtlich immer mehr Geschäfte Insolvenz anmelden müssen. Foto: Nordstadtblogger/Archive

Die aktuellen Maßnahmen führten zur Verfestigung einer ohnehin schon bestehenden Ungleichbehandlung vergleichbarer Geschäftsmodelle. Das erwecke bei vielen Betroffenen Unmut. Sie stellten sich etwa die Frage, warum die Kundschaft in hochfrequentierten Lebensmittelläden weniger infektionsgefährdet sein soll als die in weniger frequentierten Textilgeschäften oder in noch weniger frequentierten Möbelhäusern.

Ein Vorschlag der IHK Dortmund ist, dass Betrieben, die bereit sind, strenge Hygiene- und Schutzmaßnahmen umzusetzen, Öffnungs- und somit Überlebensperspektiven eröffnet werden, anstatt Öffnungen ausschließlich an Inzidenzzahlen zu binden. Viele Betriebe, beispielsweise im Einzelhandel, seien bereit, Impfungen durchzuführen. Dies brächte zwar hohe Kosten mit sich; ebenso das Aufstellen von Sicherheits- und Hygienekonzepten oder die Durchführung von Fiebermessungen und Schnelltests. Hier erwarte man finanzielle staatliche Unterstützung. Denn andererseits verliert Deutschland wegen des Lockdowns aktuell jede Woche satte 1,5 Milliarden Euro.

Es sei ökonomisch sinnvoll, wenn man jetzt in einen überlegten, Risiko-vermeidenden sowie produktiven Neustart investiert. Die Regierung helfe keinem Menschen damit, weiterhin Unternehmen in einem verordneten, unproduktiven Stillstand mit häufig nicht existenzsichernden Unterstützungsbeiträgen zurückzulassen, sagte Heinz-Herbert Dustmann. Dortmunds IHK-Präsident spricht von ,,Geisterstädten“, die wieder mit Leben gefüllt werden müssten.

Politik geht ihren eigenen Weg – Betroffene befinden sich in einem Teufelskreis

Laut Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber hat die Politik die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die IHK Dortmund vermisst, dass die Regierung in den letzten acht Wochen nicht die Chance und Zeit genutzt hat, schrittweise Öffnungen im Einzelhandel und der Gastronomie zu vollziehen, um zu überprüfen, inwieweit die einzelnen Branchen Infektionstreiber sind. Stattdessen wurde am Inzidenzwert als Kriterium festgehalten.

Seit einigen Monaten ist der Einzelhandel geschlossen – in den Innenstädten sind kaum Menschen zu sehen. Foto: Alexander Völkel/Archiv

Man könne dem Einzelhandel nicht schlüssig erklären, warum es keine Erlaubnis zur Öffnung von Läden gäbe, für den Lebensmittelhandel hingegen schon. Zudem wüsste keiner so richtig, wo genau die Kontaktvermeidung beginnt, da in den öffentlichen Verkehrsmitteln die Menschen viel näher in einer größeren Menge auf engem Raum zusammen sind, als es beispielsweise in der Gastronomie der Fall wäre.

Im Außenbereich sind die Infektionszahlen sowie die Übertragungsraten sehr gering. Wenn die Tests allen Bürger*innen zur Verfügung stehen, werden diese in einem sehr hohen Maße durchführt, auch bei Menschen, die sich normalerweise nicht testen lassen würden und keine Symptome aufweisen.

Es sei entscheidend, dass Schließungen von beispielsweise Schulen nicht nur vom Inzidenzwert abhängig gemacht würden, sondern ebenfalls müsse zum Beispiel die Auslastung der Krankenhausbetten berücksichtigt werden. Falls es eine Vorschrift geben sollte, dass jedes Unternehmen in regelmäßigen Abständen seine Mitarbeiter*innen testen lassen muss, solle die Regierung entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, erklärte Dr. Ulf Wolfrath. Gleiches gälte für Tests im Einzelhandel.

 

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