Vor 175 Jahren wurde Ludwig Schröder geboren:

Der „Erwecker der Bergarbeiter“ wurde zum populärsten Bergarbeiterführer Deutschlands

Straßen- und Legendenschild der Ludwig-Schröder-Straße in Eichlinghofen heute. Foto: Horst Delkus

Ein Gastbeitrag von Horst Delkus

Er war einer der Gründer der Bergarbeitergewerkschaft, aus der später die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, die IGBE, hervorging; Streikführer beim großen Streik der Bergarbeiter im Mai 1889, mit 90.000 Streikenden der  größte Streik im Kaiserreich und im Europa des 19. Jahrhunderts; Kaiserdelegierter der Bergleute – und einer der Pioniere der Sozialdemokratie in Dortmund. Heute ist er so gut wie vergessen. Nur eine Straße in Eichlinghofen erinnert noch an ihn. Sein Geburtstag jährt sich jetzt zum 175 Mal. Zeit also, sich seiner zu erinnern.

Mit 19 Jahren Mitgründer des Dortmunder Knappenvereins „Glückauf“

Geboren wurde Ludwig Schröder am 28. August 1848 in Isselhorst bei Gütersloh. Dort wo rund 100 Jahre später ein weiterer Gewerkschafter seine Wiege stehen hatte, der ehemalige Dortmunder DGB-Vorsitzende und spätere Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider.

Ludwig Schröder um 1889 Sammlung Horst Delkus

Nach der Schulzeit erlernte Ludwig das Schuhmacherhandwerk, ging als „zünftiger“ Geselle auf die Wanderschaft. Durch verwandtschaftliche Beziehungen blieb er in Dortmund „hängen“. Da er nicht die nötigen finanziellen Mittel hatte, um sich als Schuhmacher selbständig zu machen, fing er als Bergmann auf Zeche Westfalia an, dort wo später ebenfalls sein Mitstreiter Friedrich Bunte arbeitete. Vermutlich haben sie sich dort kennengelernt.

Schröder erwarb sich tüchtige bergmännische Kenntnisse, was ihm bei seinem Eintreten für die Bergarbeiterrechte sehr zustatten kam. 1867, gerade mal 19 Jahre alt, half Schröder dann mit, in Dortmund den Allgemeinen Knappenverein „Glückauf“ zu gründen, in dessen Vorstand er gewählt wurde. Der Verein existiert heute noch und ist damit einer der, wenn nicht der älteste freie, also nicht konfessionell gebundene Knappenverein Deutschlands.

Ludwig Schröder hatte schon sehr früh erkannt, dass sich die Bergleute zusammenschließen müssten: „Obschon damals noch die Koalitionsverbote bestanden, strebte der junge Schröder für einen einheitlichen Knappenverein auf völlig paritätischer Grundlage, in dem die Lage der Bergarbeiter besprochen werden sollte. Das Ziel, einen einheitlichen allgemeinen Knappenverein über das ganze Revier zu schaffen, scheiterte an der konfessionellen Hetze, aber für Dortmund setzte er durch, dass sich der Allgemeine Knappenverein mit den Knappschafts- und auch sonstigen Berufsfragen beschäftigte und dass Vorträge verschiedenster Art gehalten wurden.“

Ein Pionier der Dortmunder Sozialdemokratie

Seit 1973 war Schröder Anhänger der Sozialdemokratie und einer ihrer Pioniere in Dortmund. Seine erste Tochter nannte er zur Erinnerung an Ferdinand Lassalle „Lassaline“. Eine enge persönliche Freundschaft verband ihn seit Mitte der siebziger Jahre mit Carl Wilhelm Tölcke, dem alten 1848er und Veteranen der sozialistischen Bewegung in Westfalen.

Gemeinsam mit Johannes Bönsch und Friedrich Scheil war Ludwig Schröder einer der Vorsitzenden des Vorstandes des Sozialistischen Arbeiter-Wahlvereins zu Dortmund. Im Januar 1877 schickten sie einen „Protest der Wähler der Arbeiterpartei im Stadt- und Landkreis Dortmund“ an das Präsidium des Reichstags in Berlin, darin enthalten ein Bericht über schwere Beeinträchtigungen bei der Reichstagswahl und die Bitte, die Wahl im Wahlkreis des Vereins für ungültig zu erklären und eine Neuwahl zu veranlassen.

Unterm Sozialistengesetz: Streiche mit der Polizei

Ludwig Schröder war eine wichtige Verteilerstelle der illegalen SPD-Zeitung Sammlung Horst Delkus

Nach dem Verbot der sozialdemokratischen Partei durch das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ ein Jahr später, bekannt als „Sozialistengesetz“, war Schröder Empfänger und Verteiler der illegalen Parteizeitung „Sozialdemokrat“, die aus London ins Deutsche Reich geschmuggelt wurde.

„Obwohl die Polizei ein besonders scharfes Auge auf ihn hatte und Verdacht hegte, dass er der Verteiler des verbotenen Organs sei, gelang es ihm doch, der Polizei ein Schnippchen nach dem anderen zu schlagen“, hieß es in einem ganzseitigen Nachruf der „Bergarbeiter-Zeitung. „Und als sie einmal die gefährliche Konterbande erwischte, gelang es Schröder, das beschlagnahmte Paket unbemerkt auf der Polizeiwache zu – konfiszieren! Noch ehe die Polizei merkte, dass die kostbare Beute aus ihren Krallen verschwunden war, hatte Schröder die Blätter längst verteilt.“

Ähnliche Streiche hat er später der Polizei mehrfach gespielt. Und weiter: Bei allen Bergarbeiterkämpfen und Bewegungen von 1872 an hat Schröder in den vordersten Reihen gestanden und war unter den zahlreichen Rednern und Führern stets der einflussreichste.

Vergebliche Versuche, einen Bergarbeiterverband zu gründen

Zwar gelang es ihm 1872 nicht, das ganze Dortmunder Revier im ersten Massenstreik des Ruhrgebiets für den „Jesuitenstreik“  zu gewinnen, wohl aber die Zechen Westfalia, Tremonia, Borussia und Krone. Er erkannte die Ursache dieses Streiks in den schlechten Verhältnissen, der brutalen Behandlung, den erbärmlichen Löhnen und warnte seine Kameraden und Glaubensgenossen, sich nicht gegen ihre katholischen Arbeitsbrüder aufhetzen zu lassen. Nicht die Jesuiten, sondern die Kapitalisten seien Schuld an dem traurigen Los der Knappen und diese dürften nicht gegeneinander, sondern miteinander kämpfen gegen den gemeinsamen Feind.

In den Jahren 1874, 1875 und 1876 war es der „alte Lutz“, der sich vergebens bemühte, die Genehmigung für ein Statut zur Gründung eines Bergarbeiterverbandes von der Behörde zu erhalten. Im November 1877 erschien ein Aufruf „mehrerer Bergleute“, darunter auch Schröder, an die Kameraden, der auch heute noch seine Berechtigung hätte, weil die schönen Mahnungen zur Einigkeit bis heute von vielen Tausenden noch nicht befolgt sind. „Es geht der  Ruf an euch zur Vereinigung aller Bergleute!“ hieß es einleitend, weil es Zeit sei, „unsere Zersplitterung und Uneinigkeit fahren zu lassen.“

Die Lohnabzüge und der Druck der letzten Jahre zwänge zur Einigkeit und es dürfe in Zukunft nicht mehr das Wort gelten, dass, wenn drei Deutsche beisammen sind, sich mindestens zwei davon streiten, sondern die Bergleute müssten das Wohl ihrer Familien ständig im Auge behalten und danach handeln. In der Zeit des Gründerschwindels und Börsenwuchers seien die Löhne aller Kameraden gedrückt worden, um die Dividenden hochzuhalten; nun, wo die Geschäftslage besser sei, die Kohlenpreise stiegen, eine Lohnaufbesserung nicht zugestanden würde, müssten die Kameraden zusammenstehen.

1878: Eine neutrale Bergarbeitergewerkschaft wird Opfer des Sozialistengesetzes

Am 18. November 1877 trat Schröder in der großen Bergarbeiterversammlung im städtischen Saalbau zu Essen an die Seite seines katholischen Kameraden Anton Rosenkranz und kämpfte mit diesem für einen neutralen Bergarbeiterverband, den Rheinisch-Westfälischen Bergarbeiterverband. Hier bekannte er – wohl zum ersten Male – öffentlich, dass er Sozialdemokrat sei, aber nicht als Sozialdemokrat spreche er, sondern als Bergmann. Die Partei- und Religionszugehörigkeit dürfe die Bergarbeiter nicht trennen, so wie sie auf dem Schacht ohne Unterschied anführen, müssten sie auch alle ohne Unterschied dem Verband beitreten.

Diese beiden Männer, denen sich Daniel Eckhardt, Winners und Hasselmann und andere anschlossen, hatten sicherlich das ehrlichste Bestreben, eine wirklich neutrale Einheitsorganisation zu schaffen, wofür Schröder sein ganzes Leben eingetreten ist. In jener Versammlung blieben sie Sieger, aber der Klerus versuchte sofort, gegen diese neutrale Organisation eine Gegenorganisation zu gründen.

Diese Gegengründung unterblieb, weil der Rosenkranzverband 1878 dem Sozialistengesetz zum Opfer fiel, womit auch Rosenkranz von der Bühne abtrat. Er ist in den zwei Jahren als ehrlicher und aufrichtiger Mann für die Einigkeit seiner Kameraden eingetreten, jedoch fehlte ihm nicht allein die zähe Ausdauer, die Schröder in so hohem Maße auszeichnete, sondern er wurde später sogar noch Agitator der Zechenpartei, der heutigen Gelben.

Rosenkranz verließ nach dem ersten Sturm das sinkende Schiff, aber Schröder hielt zäh und unermüdlich an dem Gedanken der Organisation fest und hielt unter dem Sozialistengesetz zwölf lange Jahre treu und brav auf exponiertem Posten aus. Der Verband fiel 1878 dem Sozialistengesetz zum Opfer.

1889: Schröder rät von einem Streik ab

Als Fusangel 1885 den Rechtsschutzverein gründete, trat Schröder auch diesem bei, weil er die Organisation für notwendig hielt, und da keine bessere existierte, begnügte er sich mit einer schlechten. Ein besonderer Freund von Fusangel ist er jedoch nie gewesen und so recht getraut hat er ihm auch nicht.

Am 10. März und 8. April 1889 war es wiederum Schröder, der in Essen in den Massenversammlungen als Referent auftrat und die Forderungen begründete, die damals an den Bergbaulichen Verein eingereicht wurden. Hier betonte er: „Wenn wir einig sind, brauchen wir nicht zu streiken, dann erhalten wir auch so etwas“, und in der zweiten Versammlung riet er entschieden von einem Streik ab.

Die Besserstellung der Bergleute könne nicht durch einen Streik erzwungen werden, sondern nur durch eine starke Organisation. Erst sollten die Bergarbeiter sich einig werden und eine starke Organisation schaffen, dann werde die Besserung der Lage schon folgen. Immer wieder und bei jedem Auftreten richtete er an die Bergarbeiter die ernste Mahnung: Seid einig, einig, einig!

„Im Streik 1889 stand der „alte Lutz“ an der Spitze und galt als der einflussreichste und beliebteste Redner.“ Soweit die „Bergarbeiter-Zeitung“ in einem Nachruf auf Ludwig Schröder 1914.

Empfang beim Kaiser in Berlin

Für die Dortmunder „Tremonia“, der Vorläuferin der heutigen Ruhr-Nachrichten, war Schröder sogar „der eigentliche Leiter der hiesigen Bewegung“. Ludwig Schröder war es denn auch, der dem Kaiser die Forderungen der streikenden Bergleute vortrug und auf dessen Frage „Was ist Euer Wunsch?“ antwortete: „Die von unseren Vätern ererbte achtstündige Schichtzeit und dabei soviel zu verdienen, dass wir unsere Familien ordentlich ernähren können.“

Bunte, Schröder und Siegel beim Kaiser 1889. Sammlung Horst Delkus

Nach der Rückkehr aus Berlin berichtete Schröder in Dortmund vor 4.000 Bergarbeitern ausführlich über den Besuch in Berlin. Die Worte, die die Presse vermeldete: „Fahrt nun nach Hause, überlegt, was ich gesagt, und sucht auf Eure Kameraden einzuwirken, dass dieselben zur Überlegung zurückkehren. Vor allem aber dürft Ihr unter keinen Umständen solche von Euren Kameraden, welche die Arbeit wieder aufnehmen wollen, daran hindern“, habe Seine Majestät, so Schröder, nicht gesprochen. Der Schluss der Rede habe vielmehr gelautet: „So lange Ihr Euch ruhig verhaltet, seid Ihr meines königlichen Schutzes und Wohlwollens sicher.“

Was Schröder damals wohl bewusst nicht erwähnte, sein Weggefährte August Siegel aber immer wieder bezeugte, war folgende Äußerung des Kaisers: „Ich habe alle meine Regierungsorgane beauftragt, die Sache [mit dem Streik] genau untersuchen zu lassen, wen die Schuld trifft. Sollte die Sache aber eine Parteiverschiebung werden, hauptsächlich zur sozialdemokratischen – ein Sozialdemokrat ist bei mir ein Reichs- und Vaterlandsfeind -, so werde ich meine Macht einsetzen. Und meine Macht ist stark. Dann werde ich alles über den Haufen schießen lassen.“

Diese deutliche Drohung taucht in der offiziellen Presseberichterstattung nach der Visite beim Kaiser, die keine zehn Minuten dauerte, nirgendwo mehr auf.

Der große Streik 1889 soll beendet werden

Doch zurück zur Versammlung zur Streikversammlung der Zechendelegierten: Das Verhandlungsergebnis, das sogenannte „Berliner Protokoll“ mit dem Reichstagsabgeordneten und Geschäftsführer des Verbands für die bergbaulichen Interessen Dr. Hammacher wurde von Schröder verlesen und einstimmig angenommen.

Einladung „Alter Verband“ mit Schröder am 10. Oktober 1890 Sammlung Horst Delkus

Auf der Delegiertenversammlung am 19. Mai in Bochum, wo über die Fortsetzung des Streiks beraten wurde, mahnte Ludwig Schröder, welcher erst später eingetroffen war, da er in einer Versammlung in Barop gesprochen hatte, „in eindringlicher Weise zum Frieden. Die Bergleute hätten des Kaisers Wort, dass ihre Beschwerden untersucht werden sollten. Herr Dr. Hammacher versichere, dass die Zugeständnisse Punkt für Punkt erfüllt würde; die achtstündige Schicht sei klipp und klar, nur der Ausschuss sei bedauerlicherweise abgelehnt worden.

Aber er würde es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, er würde es mir seiner Frau und seinen zehn Kindern nicht verantworten können, wenn er wegen des Scheitern des einen Punktes den Streik fortsetzen wolle. Wer gäbe die Garantie, dass über acht Tage noch eine erhebliche Anzahl Bergleute hinter den streikenden Delegierten stände? Gerade die Bessersituierten, die es wohl aushalten könnten, liefen jetzt schon zur Zeche.“ Ludwig Schröder betonte ausdrücklich, seine ganze Vergangenheit zeige, dass er es mit den Kameraden gut meine, dass er nicht gekauft sei.

Er beantragt die Annahme folgender Resolution: (Bochum, 19. Mai) „Die heutige Versammlung der Deputierten der Grubenarbeiter des Oberbergamtsbezirks Dortmund spricht ihr Bedauern darüber aus, dass der Vorstand des bergbaulichen Vereins für den Oberbergamtsbezirk Dortmund trotz unseres weitgehenden Entgegenkommens nicht bedingungslos die zwischen den Deputierten Schröder, Bunte und Siegel und dem Herrn Dr. Hammacher am 14.und 15. dieses Monats gepflogenen Verhandlungen angenommen hat. Sie bedauern insbesondere aufs Lebhafteste, dass unser Vorschlag im § 3 des Berliner Protokolls, betreffend die Bildung von Ausschüssen aus der Belegschaft bei dem Vorstand gedachten Vereins keinen Anklang gefunden hat und trotz der herrlichen und beherzigenswerten Worte unseres allergnädigsten Kaisers „dass die Arbeitgeber dafür sorgen sollten, sich in möglichst naher Fühlung mit den Arbeitern zu halten“.

Nach  eindringlichen Worten von August Siegel, der befürchtete, es werde dazukommen, dass nur noch die Delegierten weiter streiken, wurde beschlossen, über die von Schröder vorgelegte Resolution sofort abzustimmen. Sie wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Nur wenige Delegierte waren dagegen.

Ein fataler Beschluss auf Weiterstreiken

Eine weitere Delegiertenversammlung der Bergleute am 24. Mai 1889 beschloss dann trotzdem – nach fünfstündiger Beratung und einer knappen Mehrheit von 69 gegen 48 Stimmen – ab Montag, den 27. Mai weiter zu streiken „bis die Erfüllung der Forderungen von allen Grubenvorständen schriftlich dem Zentral-Streikkomitee zu Bochum, Tonhalle, eingesandt ist.“

Die Forderungen lauteten: 1.: Es darf die Schicht unter Tage für alle Bergarbeiter nur 8 Stunden betragen. Die Förderschicht muss so geregelt werden, dass die Seilfahrt morgens 5, mittags 1 und abends 9 Uhr, beziehungsweise 6, 2 und 10 Uhr beginnt. 2.: Es dürfen keine Überstunden oder Überschichten gemacht werden, bevor die Verwaltungen der Zechen sich mit den Deputierten der Belegschaft dahin verständigt haben.  Hiervon sind ausgeschlossen diejenigen Überstunden und Überschichten, die zur Sicherung des Betriebes oder der Bergleute absolut notwendig sind. 3.: Eine Lohnerhöhung von 15 Prozent für alle Schichtlohnarbeiter; eine Lohnerhöhung von 20 Prozent für alle Gedinge Arbeitende mit einem bisherigen monatlichen Verdienste von nur 50–80 Mk. Eine Lohnerhöhung von 15 Prozent für solche, die 80-100 Mark verdienten und eine Lohnerhöhung von 10 Prozent für diejenigen, die 100 Mark und darüber verdient haben. 4.: Es dürfen weder Delegierte oder sonstige Arbeiter nach Wiederaufnahme der Arbeit in irgend einer Weise gemaßregelt oder benachteiligt werden.

Die übrigen Übelstände, so der Beschluss, sollen durch die Deputierten der einzelnen Belegschaften oder durch die Zentralleitung beigelegt werden. Er wurde auf allen Litfaßsäulen im Streikgebiet plakatiert, fand jedoch keine nennenswerte Resonanz mehr. Bunte, Schröder und Siegel hatten mit ihrer Einschätzung, jetzt würden nur noch die Delegierten streiken, die Stimmung richtig eingeschätzt.

Ein Aufruf, den Streik zu beenden

Gemeinsam mit fünf weiteren Delegierten des Dortmunder Reviers veröffentlichten sie einen Aufruf, den Streik zum Monatsende zu beenden: „Nach dem Beschluss der Delegierten vom 24. d. M. in Bochum hat es sich gezeigt, dass diejenigen Delegierten die Belegschaften nicht mehr hinter sich hatten, welche durchsetzten, dass weiter gestreikt werden sollte. Kameraden! Fast überall haben die Belegschaften die Arbeit wieder aufgenommen, folgen auch wir im Vertrauen darauf, dass die Zechenverwaltungen ihr Wort halten werden, ihrem Beispiel und nehmen am 31. d. M. die Arbeit wieder auf.“

Einladung zu einer Bergarbeiterversammlung im Mai 1890 Sammlung Horst Delkus

Anderswo waren regionale Delegiertenversammlungen geplant, um über die Fortführung oder das Ende des Streiks zu beraten. Sie wurden aber, wie die Presse berichtet, aufgrund des Sozialistengesetzes verboten. Zum Beispiel in Herne:

Die Arbeiter haben sich alsdann im Freien versammelt, um zur Frage der Weiterführung des Strikes Stellung zu nehmen. Dies hatte die Behörde erfahren. Eine Kompanie Infanterie sowie auch Kürassiere hatten sich in der Nähe aufgestellt. Auf ein gegebenes Signal wurden die Arbeiter, welche der Aufforderung sich zu entfernen nicht nachkamen, attackiert, wobei die Kürassiere von der flachen Klinge Gebrauch machten. Die Arbeiter flüchteten nach allen Richtungen hin. Auch in Gelsenkirchen wurden die Versammlungen auf Grund des Sozialistengesetzes verboten.

In einer Anzeige mussten sich Bunte, Schröder und Siegel gegen Verleumdungen wehren, sie seien von den Grubengesellschaften gekauft worden, um ein Ende des Streiks herbeizuführen: Zur Widerlegung eines Gerüchts, nach welchem wir seitens der Gewerkschaften bestochen sein sollen, erklären wir: dass wir vor wie nach auf demselben Standpunkte stehen, die Interessen unserer Kameraden in aufrichtiger Weise wahrzunehmen, keinen Bergmann beeinflussen und Jedem nach seiner Wahl überlassen, ob er die Arbeit aufnimmt oder weiter streikt. Übrigens werden wir jeden Fall der Verleumdung strafrechtlich verfolgen lassen.

Bergleute fordern Mindest-Nettolohn und Schiedsgerichte

Am 30. Juni fand in Dortmund erneut eine große Versammlung der Zechendelegierten an der Rheinischen Straße statt. Darüber berichtete das sozialdemokratische „Berliner Volksblatt“, der spätere „Vorwärts“: „Der heutige Delegiertentag der Bergleute von Rheinland und Westfalen wurde von Herrn Ludwig Schröder eröffnet und geleitet. Derselbe teilte der Versammlung mit, dass Herr Bunte krank darniederliege und deshalb nicht erscheinen könnte. Sodann ermahnte Schröder die Deputierten, bei Beschwerden vorsichtig zu sein und nur das zu sagen, was bewiesen werden könnte.

Anzeige aus dem Juni 1889 Sammlung Horst Delkus

Sämtliche Redner beschwerten sich über die von der Regierung veranlasste Untersuchung, bei der man nicht die Deputierten der einzelnen Zechen vernahm, sondern meistenteils die Günstlinge der Grubenverwaltung, die gewöhnlich einen sehr hohen Schichtlohn bezögen und monatlich viele Überschichten machten. Dass diese Leute keine Vertrauensleute der Bergleute seien, wurde allseitig anerkannt.

Ferner wurde gesagt, auch die Knappschaftsältesten seien keine Vertrauensleute der Bergleute seien, weil diese Männer vom Knappschaftsvorstand abhängig seien. Nur die Deputierten seien die richtigen Vertrauensleute, und sollten mehrere Deputierte da sein, so müsste man diese fragen, wer von ihnen den Bericht an die Kommission zu übernehmen hat; denn auf den meisten Gruben haben die Deputierten die Beschwerden aufnotiert, da sie aber nicht vernommen werden, so war der Liebe Mühe umsonst, und die Delegierten sagen einfach: Es wäre so schön gewesen, es hat nicht sollen sein.

Zum Schluss wurde folgende Resolution angenommen: Die heutige, von 36 Zechen besuchte Delegiertenversammlung beschließt, an geeigneter Stelle dahin zu wirken, dass der Mindest-Nettolohn für verheiratete Bergleute beziehungsweise Hauer nicht unter 3,50 M., für Unverheiratete  und Schlepper nicht unter 2,50 M. betragen darf. Von denjenigen Zechen, auf welchen eine Untersuchung der Beschwerden noch nicht stattgefunden hat, soll die Einführung von gewerblichen Schiedsgerichten angestrebt werden; da aber die Vernehmung schon stattgefunden hat, soll diese Forderung als Hauptsache (nachträglich zu Protokoll der Untersuchungskommission) erklärt werden. Diese Schiedsgerichte sollen zur Hälfte aus Arbeitgebern, zur anderen Hälfte aus Arbeitern, die von den Belegschaften mittels Stimmzettel gewählt werden, bestehen. Den Vorsitz führt ein staatlicher Kommissar.“

Schröder wird entlassen und eröffnet ein Zigarrengeschäft

Viele Delegierte teilten mit, heißt es in diesem Pressebericht weiter, dass die alten Übelstände immer noch existierten, dass eine Lohnerhöhung fast nirgends eingetreten sei, und die Zechenbeamten nach dem Ausstand noch viel rücksichtsloser aufträten als vorher. Nach dieser Veranstaltung wurde Ludwig Schröder wie  viele Sprecher der streikenden Bergleute gemaßregelt und entlassen. Am 4. Juli berichtete darüber das „Berliner Volksblatt“:  Maßregelung eines Führers der rheinisch-westfälischen  Bergleute.

Anzeige von Ludwig Schröders Zigarrenhandel Sammlung Horst Delkus

Der Führer der Deputation der Bergarbeiter, Ludwig Schröder, hat auf der Zeche Kaiserstuhl, deren Direktor Hilbck Mitglied der Dortmunder Handelskammer ist, gestern, unter Auszahlung seines Lohnes bis zum 15. d. M. seine s o f o r t i g e  E n t l a s s u n g erhalten. Wie nun schon neulich erwähnt, hatte der Direktor ihm diese angedroht, wenn noch einmal eine mit den Unterschriften „Bunte, Schröder, Siegel“ versehene öffentliche Erklärung erscheine.

Gemeinsam mit Friedrich Bunte eröffnete Ludwig Schröder ein Zigarrengeschäft, um den Lebensunterhalt der Familien sicherzustellen. Schröder trat danach auf zahlreichen Bergarbeiterversammlungen auf.

Ludwig Schröder eröffnet im November 1889 ein Zigarrengeschäft Sammlung Horst Delkus

Von einer in Witten-Annen am 1. August ist folgender Bericht überliefert: Nach einem „jubelnd aufgenommenen Hoch auf den Kaiser“ wurde „dem Kameraden Ludwig Schröder aus Dortmund das Wort erteilt, welcher nach dem üblichen Bergmannsgruß „Glück auf!“ in erster Reihe das Vereinsgesetz besprach.

Schröder trug mehrere Paragraphen dieses Gesetzes vor, auf Grund deren er die anwesenden Vertreter der Polizei aufforderte, das Lokal zu verlassen. Als jedoch die wachhabende Polizeimannschaft dieser Aufforderung nicht nachkam, erklärte Schröder, sich hierüber bei der Behörde beschweren zu wollen. Hiernach ermahnte Redner alle Anwesenden, ihre bisherige Ruhe und Besonnenheit zu bewahren und besprach nunmehr das auf vielen Zechen übliche Wagennullen.

Wenn, so führte Redner aus, anders keine Wagen gestrichen würden, als es in dem Bericht der Dortmunder Handelskammer hieß, nach welchem nur die Wagen , die bis zu 1/3  mit Steinen gefüllt wären, dann würde im ganzen Jahr kein einziger Wagen genullt werden können(, selbst nicht einmal auf der Zeche Hamburg).

„Wir sind durch den Streik klüger geworden als fünf Jahre auf dem Gymnasium“

Sodann widerlegte Redner die Nachricht, nach welcher er beabsichtige, in den Dienst einer liberalen Zeitung zu treten. Er sei Bergmann von der Schule auf und werde es bleiben. Hierauf kam Ludwig auch noch auf die gemaßregelten Delegierten der verschiedenen Zechen zu sprechen. Er kenne einen alten Bergmann, der, trotzdem er Frau und acht Kinder zu ernähren habe, pro Schicht nur 2,70 M. verdiene. Dieser sein nun plötzlich auf Zeche Schleswig, wo selbst er in Arbeit gestanden hatte, entlassen worden. Ludwig verlas die in Nr. 177 dieser Zeitung hierüber gebrachte Notiz.

Alsdann kam Ludwig auf den Ausstand der Bergarbeiter zu sprechen. Man sei, so führte er aus, durch den Streik klüger geworden, als wenn man 5 Jahre lang das Gymnasium zu Kleinbarop besucht hätte. (Allgemeines Lachen). Von einigen Änderungen abgesehen, sei im Großen und Ganzen für den Bergmann noch gar nichts geschehen. Nach den Untersuchungen würde sich jedoch die Sache anders gestalten und könne er das Vorgehen der Belegschaft auf Zeche Dannenbaum [Anm.d.Red.:in Bochum-Laer, ab 1960 dann das Opel-Gelände], wo selbst die ganze Mannschaft um eines Delegierten halber den Streik wieder von Neuem begonnen habe, nicht billigen.

Wenn, so meinte Redner, wieder ein allgemeiner Ausstand ausbräche, dann würden sofort die Untersuchungen eingestellt und das Sündenbuch der Herren nicht weiter aufgeschlagen werden. Im Jahre 1875 sei ein großer Anlauf gemacht worden, um eine allgemeine Bergarbeiter-Vereinigung herbeizuführen; man hoffe jedoch ganz bestimmt, dass diese am 18. August zu Dorstfeld zu Stande komme. Die Herren, die den Bergmann des Kontraktbruchs beschuldigen, hätten oftmals ihren Kontrakt gebrochen.

Eine Lehre des Streiks: Weniger Vertrauen in den Kaiser

Seine Majestät der Kaiser habe zu den Abgesandten der Gewerken gesagt, sie sollten Herz und Beutel auftun. Bis jetzt aber hätten solche weder ihr Herz noch ihren Beutel aufgetan.“ Schröder hatte, wie die meisten Bergleute 1889 noch, viel Vertrauen in den Kaiser. Und in die von ihm veranlasste behördliche Untersuchung des Bergarbeiterstreiks.

Die Einladung zur Gründung der Bergarbeitergewerkschaft in Dorstfeld im August 1889 Sammlung Horst Delkus

Dieses Vertrauen in die Obrigkeit entsprach alter Bergbaubautradition: der oberste Landesherr galt zugleich als oberste Bergherr. Und der wiederum hatte für das Wohl des Bergmannsstands zu sorgen. Erst durch Erfahrungen und weitere Streiks lernten die Bergleute, dass von einem Monarchen keine Besserung ihrer Lebensumstände zu erwarten war. Bis sie dann 1918/19 maßgeblich dazu beitragen, ihn zu stürzen. Bis dahin war es noch ein weiter Weg. Bunte, Schröder und Siegel bereiten als „Komitee der Knappenvereine“ jetzt intensiv den nunmehr für den 18. August in Dorstfeld bei Dortmund geplanten Delegiertentag der Knappenvereine vor.

Gemeinsam stellten sie folgenden Antrag: „1. Der Delegiertentag wolle beschließen, das Komitee zu beauftragen, sich mit einer Anzahl Vertrauensmänner in den deutschen Bergrevieren dahin zu verständigen, um eine Eingabe an den Deutschen Reichstag vorzubereiten, worin gefordert wird, ein Gesetz zu erlassen, dass a) Arbeitsämter gebildet werden, ähnlich den Handels- und Gewerbekammern unter Vorsitz von Reichskommissaren; dass die Wahl der Abgeordneten jedoch nur aus Arbeitern und durch Arbeiter geschehen darf, b) alljährlich unaufgefordert in einem bestimmten Zeitraum Lohnkommissionen aus gleichen Teilen von Arbeitern und Unternehmern zu wählen sind, welche den Lohn den Produktions- und Konsumtionsverhältnissen entsprechend feststellen, c) Schiedsgerichte gebildet werden, die bei Ausbruch von Streitigkeiten zu vermitteln haben“.

Gründung des Bergarbeiterverbandes in Dorstfeld

Protokoll der Verbandsgründung in Dorstfeld am 18. August 1889 Sammlung Horst Delkus

Der Antrag wurde angenommen, der „Verband zur Wahrung und Förderung der bergmännischen  Interessen der von Rheinland und Westfalen“ nach langwierigen Vorverhandlungen mit den Vertretern aus Bochum, Essen und Gelsenkirchen  gegründet. Er wurde bald nur noch „der Alte Verband“ genannt. Nun mussten Ortsgruppen, sogenannte Zahlstellen aufgebaut werden.

Die Bunte, Schröder Siegel waren auch hier gemeinsam unterwegs. Über einen Auftritt des Trios Ende August auf einer Bergarbeiterversammlung, in Schanze, im Dortmunder Süden im damaligen Landkreis Hörde, heute ein Nobelwohnort an der Grenze zu Herdecke, liegt uns folgender Bericht vor:

„Die auf gestern Nachmittag 3 Uhr im Siegmann`schen Saale einberufene Bergarbeiterversammlung wurde durch den Bergmann Jansen von hier mit einem brausenden Hoch auf den Kaiser eröffnet, worauf derselbe das Wort zunächst Herrn Friedrich Bunte erteilte. Dieser begrüßte zuerst alle üblichen Anwesenden mit dem Bergmannsgruß „Glück auf“ und besprach alsdann den am 18. dieses Monats in Dorstfeld getagten Delegiertentag sowie das Resultat desselben. Bunte erklärte darauf auch noch die Notwendigkeit eines allgemeinen deutschen Bergarbeiter-Verbandes. Nach den mit Beifall aufgenommenen Ausführungen des Herrn Bunte nahm Herr Ludwig Schröder das Wort, welcher gleich Bunte die Versammlung mit einem herzlichen „Glück auf“ begrüßte und darauf in sachlicher Weise das auf dem Delegiertentag in Dorstfeld aufgestellte Statut des Verbandes besprach. Schröder trat dann auch noch sehr für einen allgemeinen Bergarbeiter-Verband ein, der nur allein eine gesamte Organisation aller Bergarbeiter herbeiführen könne. Nachdem Schröder dann noch einige Paragraphen des oben genannten Statuts verlesen, empfahl er der Versammlung, schon heute hier auf der Schanze mit der Gründung eines Verbandes zu beginnen, worauf gegen 5 Uhr die Versammlung geschlossen wurde. Nach Schluss der Versammlung fand die Einschreibung in den Verband statt, woran sich der größte Teil der Anwesenden beteiligte.“

Schröder wirbt für die Einheitsgewerkschaft, auch im Saarland

So sah gewerkschaftliche Aufbauarbeit an der Basis damals aus. Auch von einer Versammlung in Schüren ist ein Auftritt von Schröder überliefert, der diesmal allein sprach: „Die Ausführungen wurden recht beifällig aufgenommen. Viele Handwerker und Bürger wohnten der Versammlung bei. Über hundert Bergleute traten dem Verband sofort bei“, war darüber in der Presse zu lesen.

Ludwig Schröder – „alt mit Hut“ Sammlung Horst Delkus

Ludwig Schröder war es denn auch, der im September 1889 als erster in das Saarland reiste, um dort auf einer Bergarbeiterversammlung in St. Johann zu sprechen und  Kontakt aufzunehmen zu dem Rechtsschutzverein für die bergmännischen Interessen des Oberbergamtsbezirks Bonn. Dieser Verband wurde am 18. Juli gegründet gegründet. Gründer und 1.Vorsitzender war der Saarländer Bergmann Nikolaus Warken, genannt „Eckstein“. Auf der 2. Generalversammlung des Ruhrgebiets-Verbandes im Oktober berichtete Schröder über seine Erfolge im Saarbrücker Revier.

Auf Grund der guten Beziehungen zwischen den bergmännischen Regionalverbänden des Rheinisch-westfälischen Industriegebiets und des Saarlandes, die sich ja bis in die jüngste Vergangenheit des Ruhr- und Saarbergbaus erhalten haben (ich selber hatte das Vergnügen 1989 vom 100jährigen Jubiläum der IGBE für den saarländischen Rundfunk berichten zu dürfen), sandten die saarländischen Bergleute ihre Delegierten 1890 zum Bergarbeitertag in Halle. Obwohl die Presse dagegen Stimmung machte, weil die Einberufer angeblich alle Sozialdemokraten seien. In Halle dann, stimmten die Vertreter der saarländischen Reviere der Gründung des Verbands deutscher Bergleute zu.

Ludwig Schröder bereiste immer wieder das Saarland,  im September, Oktober und November 1891, wo er als Verbandsvorsitzender auf Bergarbeiterversammlungen sprach. Ludwig Schröder kann durchaus als einer derjenigen gelten, die allen Widrigkeiten zum Trotz, die Einheit der Bergarbeiter im damaligen Deutschen Reich hergestellt haben. Auch der  Historiker der Bergarbeiterbewegung an der Saar, Klaus-Michael Mallmann schreibt, dass Schröder „maßgeblichen Anteil an der Popularisierung des Gedankens der Einheitsgewerkschaft“ hatte.

Amnestie für Bergleute gefordert

Nach dem Streik 1889 wurden im Ruhrgebiet zahlreiche Bergleute, die sich im Streik als Delegierte ihrer Belegschaft oder sonst wie engagiert hatten, gemaßregelt. Sie fanden auf keiner Zeche mehr Arbeit fanden, fielen unter die sogenannte „Arbeitersperre“ fielen. Man schätzt ihre Zahl auf etwa 600.

Anfang Dezember gab der Vorstand des Vereins für die bergbaulichen Interessen die Zusage wegen des Streiks gekündigte Bergleute wiedereinzustellen. Es hieß, um den Frieden zwischen den Arbeitgebern und den Bergleuten nach Kräften wiederherzustellen. Bunte, Schröder und Siegel baten daraufhin den höchsten Verwaltungsbeamten der Region, den Oberpräsidenten der preußischen Provinz Westfalen, bei „Seiner Majestät unserem Allergnädigsten Kaiser“ vorstellig zu werden, um sich darüber hinaus 1. für eine Amnestie all der Bergleute einzusetzen, „ welche sich infolge des Bergarbeiterstreiks, während oder nach demselben, in irgendeiner Weise straffällig gemacht und deshalb verurteilt sind oder sich in Untersuchungshaft befinden.“ Und 2. zu veranlassen, „dass die betreffenden Knappschaftskassen allen denjenigen Bergleuten nach Wiederaufnahme alle Benefizien [Vergünstigungen] wieder einzuräumen.“

Nach fünf Wochen erhielt Ludwig Schröder im Auftrag des Regierungspräsidenten ein Antwortschreiben des Dortmunder Oberbürgermeisters Schmieding. In diesem Brief teilte er ohne Begründung mit, dass dem Antrag von Schröder, Bunte und Siegel „keine Folge geleistet werden kann.“  Und zum 2. Wunsch, dass „höheren Orts nicht bekannt geworden, dass derartige Verluste in nennenswertem Umfang eingetreten sind.“ Im Übrigen stehe den stattlichen Bergaufsichtsbehörden eine Einflussnahme hierauf überhaupt nicht zu. Das Schreiben Schmiedings wurde kommentarlos in der „Deutschen Bergarbeiter-Zeitung“, dem Verbandsorgan, abgedruckt.

Neue Streiks im März 1890

Schon bald flammten die Arbeitskämpfe im Ruhrgebiet erneut auf: Nachdem auf der Zeche Consolidation bei Gelsenkirchen von den Delegierten der Belegschaft  deren Forderungen der Verwaltung der Zeche überreicht wurden, kam es am 27. März 1890 dort erneut zu einem Streik. Mehrere Zechen im Gelsenkirchener, Dortmunder, Recklinghausener und eine Zeche im Mühlheimer Reviere folgten.

Einladung „Alter Verband“ mit Schröder am 10. Oktober 1890 Sammlung Horst Delkus

Der Ausstand blieb aber begrenzt und erreichte bei weitem nicht das Ausmaß des Maistreiks 1889 ein Jahr zuvor.  Der Verband war noch schwach, zählte erst 30.000 Mitglieder und eine andere Organisation war zunächst nicht vorgesehen. Um den zunächst lokalen Streiks eine gewisse Struktur zu geben lud der Delegierte von Schacht II der Krupp`schen Zeche Hannover, Julius Werminghoff, der am 4. April entlassen war, am 7. April eine Delegiertenversammlung auf dem Schützenhof zu Bochum ein.

Zugleich tagten in Aplerbeck und Essen Delegiertenversammlungen; in Essen wurde folgende Resolution angenommen: „Die Versammlung hält sich überzeugt, dass ein Unterliegen der im Kampf befindlichen Zechen schlimme Folgen für die gesamte hiesige Bergmannschaft nach sich ziehen wird. Es steht zu befürchten, dass zunächst wieder, je nach Herrsch- und Ausbeutungsgelüste, Überstunden verlangt und eingeführt, die Aufstellung oder gar Anbringung von Forderungen an die Verwaltungen aber unter Hohn und Spott mit der Entlassung beantwortet werden wird. Wir empfehlen den von uns vertretenen Kameraden die Unterstützung der ausständischen Kameraden; fügen uns jedoch den Beschlüssen der heutigen Delegiertenversammlung in Bochum.“

In Bochum wurde beschlossen: „diesen partiellen Streik (eben durch den Beschluss) vorläufig zu beenden. Die Belegschaften behalten ihre jetzigen Delegierten, gleichviel ob diese noch arbeiten oder bereits gemaßregelt sind. Für die ferneren Maßnahmen dieser Delegierten ist eine Spitze, bestehend aus einem Vorsitzenden und einem Schriftführer zu bilden, welche die Wahl von Kreisausschüssen sofort anzuordnen hat. Die Forderungen sind schleunigst nochmals aufs Neue einzureichen.“

Die hier vorgesehene „Spitze“, das heißt die Leitung, wurde gebildet mit Ludwig Schröder als Vorsitzendem, und Heinrich Hünninghaus aus Gelsenkirchen als Schriftführer. Hünninghaus war ehemaliger Streiksprecher der Zeche Gneisenau in Derne.

Ein Solidaritätsaufruf an die Arbeiter „aller Berufsarten“

Die Kaiserdelegierten als Postkarte 1890 Sammlung Horst Delkus

Am 8. und 9. April wurde der Streik beendet und die Arbeit überall wieder aufgenommen. Bis zum 10. April erhielten zirka 400 Bergleute ihre Entlassung; zahlreiche Bergleute wurden mit Lohnabzug von 10 bis 15 Mark bestraft.

In dieser Situation veröffentlichte die für die Aufstandsbewegung gewählte Spitze – Schröder und Hünninghaus – folgenden Solidaritätsaufruf an die deutschen Arbeiter aller Berufsarten: „Wir appellieren an das Solidaritätsgefühl unserer Arbeitsgenossen aller Berufsarten in ganz Deutschland und des Auslandes und erwarten in Hinsicht der Gemeinbürgschaftlichkeit aller Arbeiter, dass sie sich in jedem Kampf zur Verbesserung ihrer Existenz gegenseitig unterstützen. Der Sieg der einen Berufsart ist für die andere jedes Mal ein Vorteil. Darum: Die Herzen auf, die Hände geschlossen!“

Ein Jahr später, Anfang 1891 kam es erneut zu einer Welle wilder Streiks im Ruhrrevier, die Ende April dann verebbte. Trotz eines Beschlusses einer von 166 Zechen besuchten Delegiertenversammlung am 26. April in Bochum, die zu einem allgemeinen Streik im Ruhrgebiet aufrief.

Schröder wird Verbandsvorsitzender und Opfer in einem Meineidsprozess

Ludwig Schröder und die anderen Verurteilten (1895) Sammlung Horst Delkus

Im Juli 1891 wurde Ludwig Schröder erstmals zum hauptamtlichen Vorsitzenden des Verbandes deutscher Bergarbeiter gewählt. Auf der 2. Delegiertenversammlung des Verbandes deutscher Bergleute ein Jahr später, am 31. Juli 1892 in Bochum, dann erneut. Die darauffolgenden Jahre gehörte Schröder ununterbrochen dem Vorstand der Bergarbeitergewerkschaft als zweiter Vorsitzender an. Bis er auf der 19. Generalversammlung des Verbandes 1911 einen Schlaganfall erlitt und Fritz Husemann an seiner Stelle zum zweiten Vorsitzenden gewählt wurde.

Ludwig Schröder hatte unter der langen Haft gelitten von der er sich nie mehr erholte, die ihm 1895 ein Meineidsprozess einbrachte: Durch die eidliche Falschaussage eines Gendarmen über eine Rauferei in einer Bergarbeiterversammlung wurden mehreren Bergarbeiterführer zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, darunter auch Schröder zu zweieinhalb Jahren, die er in Essen-Werden vollständig abgesessen hat.

Erst 1911 wurde das Verfahren erneut aufgenommen und Schröders Unschuld offiziell festgestellt. Er wurde freigesprochen. „Der stets makellose Bergarbeiterführer stand nun auch wieder vor der bürgerlichen Welt makellos dar“, schrieb die Bergarbeiter-Zeitung. Mit dem neuen Urteil war Schröders Ehre wiederhergestellt, nicht aber seine Gesundheit. Er erlitt weitere Schlaganfälle, die ihn lähmten und ans Bett fesselten.

Anzeige: Zurück aus dem Gefängnis Sammlung Horst Delkus

Kein geringerer als Karl Liebknecht, war es, von Berufs wegen ja Rechtsanwalt, der im Preußischen Landtag eine Untersuchungskommission forderte: „Wir wollen doch wahrlich nicht verhehlen, dass es ein gutes Recht aller deutschen Staatsbürger, unseres ganzen preußischen Volkes ist, Rechenschaft darüber zu fordern, wie es möglich ist, dass auf Grund der Aussage eines damals in weitesten Kreisen bereits als gewissenlos und suspekt bekannten Mannes doch eine Verurteilung von 6 oder 7 Ehrenmännern stattfinden konnte. Eine Verurteilung, die ja auch zur Verbüßung der Strafen geführt hat. Eine Verurteilung, die jetzt als Fehlspruch anerkannt ist. Eine Verurteilung, die unserer Justiz den allerschwersten Schaden getan hat.“

In einer weiteren Rede wies Liebknecht darauf hin, wie schwer es gewesen sei, im Fall Schröder eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach 15 Jahren durchzusetzen.  Liebknecht forderte, leider vergeblich, bei der Entschädigung für Schröder für seine lange Haftzeit so liberal wie möglich vorzugehen: „Meine Herren, sorgen Sie dafür, dass im Fall Schröder und Genossen einer höheren Gerechtigkeit Genüge geschieht, als sie im Allgemeinen sonst  im preußischen Staate zu Hause sein pflegt.“

Leichenzug durch die Innenstadt verboten

Ludwig Schröder, „der alte Lutz“ (1848 – 1914) Sammlung Horst Delkus

Ludwig Schröder starb am 17. Mai 1914 im Alter von 66 Jahren in Essen bei seiner jüngsten Tochter, die ihn pflegte. Er wurde in Bochum, am Sitz des Verbandes, den er aufgebaut und 25 Jahre gedient hatte, beerdigt. „Unsere Stadt sah heute ein Leichenbegängnis, wie es in dieser Ausdehnung zu den seltenen gehört“, berichtete die regionale Presse. Schätzungsweise 6000 bis  8.000 Menschen folgten seinem Sarg.

„Die preußische Polizei ließ es sich nicht nehmen, auch noch den Toten zu verfolgen. Sie verbot, dass der Sarg mit den Tausenden von Arbeitern, die ihm folgten, die Hauptstraßen Bochums durchquere; sie untersagte ferner das Tragen roter Abzeichen. Auf Umwegen, durch entlegene Straßen und über einsame Felder bewegte sich der Trauerzug zum Friedhof“, so in einem Nachruf der „Gleichheit“, der von Clara Zetkin herausgegebenen Frauenzeitung der Sozialdemokratie.

An dem Trauerzug nahm der gesamte Vorstand des Bergarbeiterverbandes teil, Abordnungen der Generalkommission der freien Gewerkschaften, zahlreiche Zahlstellen des Bergarbeiterverbandes, eine Abordnung der österreichischen Bergarbeiter und Vertreter der Sozialdemokratischen Partei und der Parteiorganisationen.

Selbst August Siegel, der im schottischen Exil als Bergarbeiter arbeitete, ließ es sich nicht nehmen, zur Beerdigung extra anzureisen und seinem alten Kameraden und Lehrmeister die letzte Ehre zu erweisen. Am Grab hielt Fritz Husemann die Gedächtnisrede. Nach ihm sprach der Vorsitzende des Bergarbeiterverbandes, der Reichstagsabgeordnete Sachse. Ihm schlossen sich August Siegel und andere Redner an.

Zahlreiche Nachrufe nach Schröders Tod

Zu Schröders Tod erschienen zahlreiche Nachrufe: Eine ganze Seite erschien auf der Titelseite der „Bergarbeiter-Zeitung“. Hier wurde an Ludwig Schröder erinnert als „Erwecker der Knappen, der erfolgreichste Agitator und schließlich der populärste und beliebteste Bergarbeiterführer Deutschlands.“ Auch in der Parteizeitung des SPD, im „Vorwärts“ erschien ein umfangreicher Nachruf. Im Sprachduktus hört sich manches heute vielleicht ein wenig altbacken und gewöhnungsbedürftig an.

Aber der Nachruf ist immerhin 110 Jahre alt: „In Ludwig Schröder schied eine Persönlichkeit dahin, deren Andenken unlöslich mit der Geschichte der deutschen Bergarbeiterkämpfe verknüpft ist. Und deshalb auch in den Annalen der gesamten deutschen wie internationalen Arbeiterbewegung einen Ehrenplatz verdient. Der Verstorbene verkörperte den Typus des altwestfälischen, zähen Arbeiterführers, der allen Gewalten und Verfolgungen zum Trotz sich immer wieder gegen das seiner Klasse widerfahrene Unrecht erhob und dabei die bittersten Leiden mit einem unverwüstlichen Optimismus, ja einem bewunderungswürdigen Humor hinnahm. Wenn je auf einen Menschen das Wort: „Leben heißt kämpfen!“ zutraf, dann auf Ludwig Schröder, dessen Leben jahrzehntelang ein Kampf für die Rechte der Arbeiterklasse gegen die stärksten kapitalistischen Gewalthaber war. Er sah noch nicht die Befreiung der Arbeiterklasse, aber er gehörte zu ihren opfermutigsten Vorkämpfern und wies so den Nachgeborenen den Weg zum Ziel. An der Bahre des „alten Lutz“ trauern Hunderttausende seiner Berufsgenossen, und die Nachricht von seinem Tode wird in Tausenden von Proletarierherzen innerhalb und außerhalb Deutschlands das dankbare Gefühl für die unvergänglichen Verdienste Ludwig Schröders wachrufen und das schmerzliche Bewusstsein, dass der Besten einer von den Pionieren der modernen Arbeiterbewegung nicht mehr ist.“

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Reaktionen

  1. Kokoschka

    Danke für diesen höchst spannenden Artikel zur Geschichte unserer Stadt und Region.
    Er ruft in Erinnerung, dass Vieles, was uns heute so selbstverständlich zuzustehen scheint, über Jahrzehnte hart erkämpft werden musste.
    Demokratie ist eben kein Selbstläufer.

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