Überwachung der Jugendorganisation der „Alternative für Deutschland“ 

Nordrhein-Westfalen: „Junge Alternative“ vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft 

„Kundgebung des Dortmunder AfD-Kreisverbandes am Phoenix See, Juli 2021
Eine Kundgebung des Dortmunder AfD-Kreisverbandes am Phoenixsee im Juli 2021 – unterstützt von der JA NRW. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Der NRW-Verfassungsschutz hat die „Junge Alternative“ (JA) in Nordrhein-Westfalen als Verdachtsfall eingestuft. Jahrelang hatte die Jugendorganisation der „Alternative für Deutschland“ (AfD) versucht, die Überwachung durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Der Journalist und Bildungsreferent Rainer Roeser teilt im Gespräch mit Nordstadtblogger.de seine eigenen Beobachtungen und Einschätzungen der letzten zehn Jahre.

Überwiegend rechtsextremistische Positionen in der „Jungen Alternative Nordrhein-Westfalen“

„Der NRW-Verfassungsschutz hat akribisch geprüft und die Junge Alternative Nordrhein-Westfalen als Verdachtsfall eingestuft. Es liegen verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Junge Alternative nicht nach demokratischen Spielregeln spielt, sondern das eigene rechtsextremistische Regelwerk vorzieht. Der NRW-Verfassungsschutz beobachtet daher von jetzt an die Junge Alternative (…)“, erklärte NRW-Innenminister Herbert Reul.

Auf Instagram teilt die „JA NRW“ transfeindliche Inhalte. Screenshot Instagram

Grund der neuen Einschätzung durch den Verfassungsschutz seien tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die „JA NRW“ sowie ihre regionalen Teilorganisationen Bestrebungen verfolgten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, besonders auf ideologischer Ebene. Das Innenministerium NRW teilte mit: „In den vergangenen Jahren sind rechtsextremistische Positionen in der JA NRW dominierend geworden und es findet eine umfassende Zusammenarbeit mit zahlreichen Akteuren der rechtsextremistischen Strömung der Neuen Rechten statt. Darüber hinaus sind Personen mit einer rechtsextremistischen Biografie in der JA NRW aktiv.

Der Journalist und Bildungsreferent Rainer Roeser beobachtet die „Junge Alternative“ von Anbeginn an. In den letzten zehn Jahren konnte auch er immer wieder deutliche Radikalisierungen feststellen. Diese teilt er in drei verschiedene Kategorien ein. „Personell fand ab 2015 eine Radikalisierung statt, kurz bevor Lucke ging und es die Bundespartei erwischte. Programmatisch etwa drei Jahre später, mit Erscheinen des „Deutschlandplans“ und strategisch erst 2020, 2021 als sich die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der Neuen Rechten intensivierte“, informiert der AfD-Experte.

Die Junge Alternative versuchte immer wieder eine Überwachung zu verhindern

„Seit 2019 sei der Landesverband der Jungen Alternative in Nordrhein-Westfalen ideologisch auf den politischen Kurs des Bundesverbandes der Jungen Alternativen eingeschwenkt, heißt es in der Bewertung des Innenministeriums. Dieser Kurs zeichne sich durch ein völkisch-ethnisches Volksverständnis und Fremdenfeindlichkeit aus. Ebenfalls vertrete die „JA NRW“ Positionen, die die Menschenwürdegarantie verletzten, wie das Ziel, Menschen mit Migrationsbiografie und Muslime auszugrenzen und verächtlich zu machen.

In den Sozialen Medien teilte die „JA NRW“ rassistische Memes. Screenshot Instagram

Diese jüngsten Einschätzungen des Verfassungsschutzes versuchte die „Junge Alternative“ immer wieder zu verhindern. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte „Deutschlandplan“. Rainer Roeser erklärt, dass die „JA“ in den ersten fünf Jahren über kein Grundsatzprogramm verfügt habe. Dann sei die Ursprungsfassung des „Deutschlandplans“ 2018 veröffentlicht worden. Nachdem sich der Verfassungsschutz mit dem Programm etwas intensiver auseinandergesetzt habe, entschärfte die Jugendorganisation die Inhalte – einige radikalere Aussagen verschwanden. Doch auch das habe nicht gereicht und so sei jeder Hinweis auf das Programm getilgt worden.

„Auf der Internetseite der Jungen Alternativen findet man heute keine einzige Meldung mehr zum Beschluss oder zur Änderung des Deutschlandplans“, stellt Roeser fest. Er selbst verfügt jedoch über die Ursprungsfassung, die die Auflösung der Europäischen Union und die Aufrüstung der Bundeswehr forderte. „Traditionsbildend für unsere Bundeswehr ist die gesamte Militärvergangenheit Deutschlands“, hieß es in einem Punkt des Textes.

Die „Junge Alternative“ und der „Deutschlandplan“

Ebenfalls fanden sich in dem Programm „innovative“ Vorschläge zum Umgang mit geflüchteten Personen: Die Zahl der jährlich aufzunehmenden Geflüchteten solle auf 0,005 Prozent gedeckelt werden, was bei etwa 73 Millionen Deutschen im Jahr 2017 einer maximalen Personenanzahl von 3650 Menschen entspreche. Diese sollten auch keinesfalls integriert, sondern von Anfang an auf ihre Rückkehr in die Heimatländer vorbereitet werden.

Die „Junge Alternative“ fordert strenge Abschiebungen.

So schlug die „JA“ in der ersten Fassung ihres „Deutschlandplans“ vor, jungen männlichen Geflüchteten ab 20 Uhr eine Ausgangssperre aufzuerlegen. Davon ausgenommen seien jedoch beispielsweise „orientalische Christen oder weiße Südafrikaner“.

Später sei das Programm immer weiter entschärft worden, berichtet Roeser. Er ergänzt ein weiteres Beispiel für eine wachsende Vorsicht der „JA“: „Als sich der Verfassungsschutz intensiver mit der Jungen Alternative in den Jahren 2018 und 2019 beschäftigte, wurde umgehend der besonders radikale Landesverband in Niedersachsen aufgelöst. Gleichzeitig beschloss man, Mitglieder leichter ausschließen zu können.“ Der Erfolg des schrittweise Zurückweichens der Jungen Alternative fand nun jedoch mit der Einstufung als Verdachtsfall ein schnelles Ende.

Die „Junge Alternative“ und ihr Standort in der „Neuen Rechten“

Auffallend sei seit 2019 die Entwicklung der „JA NRW“ zum Bestandteil der rechtsextremistischen Strömung der Neuen Rechten, heißt es im Bericht des Innenministeriums. Diese äußere sich durch eine weitreichende Zusammenarbeit zwischen der „Jungen Alternative“ und Akteuren und Organisationen aus dem Netzwerk der Neuen Rechten. So bewerbe die „JA NRW“ in den Sozialen Medien etwa die „Identitäre Bewegung“ beziehungsweise ihre Nachfolgeorganisationen in Nordrhein-Westfalen, beispielsweise „Lukreta“ und „Revolte Rheinland“, „1 Prozent“, das „Institut für Staatspolitik“ und deren Publikationen. Zudem seien in der JA NRW Personen mit rechtsextremistischer Biografie aktiv, was weitere tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen liefere.

Die Mosaik-Rechte: Zusammenarbeit mit einschlägigen Medien. Screenshot Instagram

Auf die Frage, was die „Junge Alternative“ von anderen parteilichen Jugendorganisationen unterscheidet, antwortet AfD-Experte Rainer Roeser: „Die JA bedient sich zweier Quellen: Zum Einen sind das Menschen, die aus der Identitären Bewegung kommen, der zweite Schwerpunkt ist das Milieu der Burschenschaften, vor allem radikaler Burschenschaften, die auf Funktionärsebene der JA eine große Rolle spielen. Das findet man nirgendwo sonst, nicht bei der Jungen Union und nicht bei den Jusos.“ Als Beispiel für diese enge Verbindung führt er die Festrede von Matthias Helferich (MdB) beim Kongress der Deutschen Burschenschaft an.

Zudem macht er auf eine enorme Differenz zwischen der „Alternative für Deutschland“ und der „Jungen Alternative“ aufmerksam: „Die AfD ist weitestgehend parlamentsfixiert, wohingegen die JA sich als Teil einer Mosaik-Rechten versteht. Das meint ein vielfältiges Umfeld von Akteuren, wie Medien, Buchverlegern, Spielzeugproduzenten oder aber der Identitären Bewegung, die eher auf junge Menschen schaut.“ Somit ist die „Junge Alternative“ bestens vernetzt, sowohl innerhalb der Neuen Rechten, als auch in verschiedensten Unternehmensbranchen.

„Flügelnähe“ der „JA“ ebenfalls ausschlaggebend für erneute Einschätzung

„Ein weiterer gewichtiger tatsächlicher Anhaltspunkt ist die Nähe zum Beobachtungsobjekt des völkisch-nationalistischen Personenzusammenschlusses innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD), ehemals „Flügel“. Führungspersonen des Landesverbandes der JA NRW suchen eine Zusammenarbeit mit dem formal aufgelösten ,Flügel‘“, teilte das Innenministerium mit. Insbesondere beziehe sich dies auf die ideologische Führungsperson des „Flügels“ Björn Höcke. Die Zusammenarbeit werde getragen von ideologischer Übereinstimmung, so das IM.

Matthias Helferich und Björn Höcke am Volkstrauertag 2023. Screenshot Instagram

Auch Rainer Roeser merkt an, dass eine Nähe der „JA“ zum „Flügel“ „deutlich vorhanden“ sei. Beispiel dafür sei die Tatsache, dass Björn Höcke als einer der wenigen AfD-Politiker:innen am letzten Bundesparteitag der „Jungen Alternative“ teilgenommen habe, so Roeser. Insgesamt gebe es einen politischen Einklang, trotzdem würden sich die Interessen unterscheiden.

Die „Junge Alternative Südwestfalen-Ruhr“ bezeichnet sich selbst in den Sozialen Medien als „patriotische Jugend im Regierungsbezirk Arnsberg“ und nutzt dazu öffentlich die Schlagwörter „Jung – Freiheitlich – Rechts“.

Den diesjährigen Volkstrauertag des 19. Novembers beging die Jugendorganisation Südwestfalen-Ruhr – gemeinsam mit Matthias Helferich (MdB) und „Flügel“-Kader Björn Höcke – mit einer Gedenkveranstaltung der „AfD Bezirk Arnsberg“ auf der Hohensyburg in Dortmund. Laut eigenen Angaben der Partei nahmen etwa 100 Personen an der Veranstaltung teil, um den Toten beider Weltkriege zu gedenken. „Das Schicksal unserer Ahnen hat uns vereint und hält uns zusammen“, schrieb Matthias Helferich auf seinem Instagram-Account.

Kurswechsel oder jetzt erst recht? Die Zukunft des Verdachtsfalls

Doch was nun? Wird sich die „Junge Alternative“ in der Öffentlichkeit endlich so äußern, wie sie es jahrelang schon wollte, doch aus Angst vor einer Überwachung nie konnte? Oder wird sie ihren Mitgliedern klare Grenzen setzen? Trotz seiner jahrelangen Erfahrung ist sich Rainer Roeser unsicher.

Die „JA“ propagiert Werte, wie Stärke und Gemeinschaft.

„Ich habe in den letzten fünf Jahren beobachtet, dass die Beobachtung durch den Verfassungsschutz für viele Menschen in der AfD und der JA so etwas wie ein Adelstitel ist, denn sie sehen den Verfassungsschutz als Instrument der herrschenden Parteien an.“, sagt er. Trotzdem bedeute dies nicht, dass sie nicht gegen die Beobachtung alles juristisch Machbare tun werde, so Roeser.

Auf der anderen Seite beobachtet Rainer Roeser in den letzten vier Wochen eine neue Entwicklung, die er an mehreren Ereignissen festmacht. Dazu gehört zum Einen, dass der Bundesvorstand weiter gegen die bereits abgemahnte Vorsitzende der Jungen Alternative Brandenburg Anna Leisten vorgehe und es einen Unvereinbarkeitsentschluss der Bundespartei mit der Identitären Bewegung nahen „Revolte Rheinland“ gebe. „Die Zeiten werden härter für die JA’ler, zumindest offiziell wird genauer hingeschaut“, bewertet Rainer Roeser. Abschließend stellt er fest: „Das ändert aber nichts an der Radikalität der Partei.“

Weitere Informationen: 

  • Umfangreiches Informationsmaterial zur „Jungen Alternative“ von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Arnsberg“ gibt es hier: www.mobile-beratung-gegen-rechts.de

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