Gerichtsentscheidung: Vorläufig keine Videoüberwachung im sogenannten „Nazi-Kiez“ in Dortmund-Dorstfeld

Die Polizei will den sogenannten „Nazi-Kiez“ auch ohne Videobeobachtung im Blick halten. Archivbild: Alex Völkel

Schlappe vor dem Verwaltungsgericht: Die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen hat dem Polizeipräsidium Dortmund mit heute bekannt gegebenem Beschluss (8. Mai 2020) vorläufig untersagt, den Bereich der Emscherstraße in Dortmund-Dorstfeld durch Videokameras zu überwachen.

Verwaltungsgericht sieht die Voraussetzungen für Videoüberwachung nicht erfüllt

Gegen die ab September 2020 beabsichtigte Videoüberwachung der Emscherstraße wenden sich vier Anwohner, die der Dortmunder Neonazi-Szene zugerechnet werden. Sie sehen sich durch die beabsichtigte Videoüberwachung der Straße und des Gehwegs vor dem von ihnen bewohnten Haus in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. 

Emscher- und Tusneldastraße will die Polizei auch mit Video in den Blick nehmen. Foto: Karsten Wickern
Emscher- und Tusneldastraße wollte die Polizei auch mit Video in den Blick nehmen. Foto: Karsten Wickern

Das Polizeipräsidium will mit der Videoüberwachung Straftaten im Bereich der Emscherstraße und deren Umfeld verhindern und dem Image des Stadtteils Dortmund-Dorstfeld als sogenannter „Nazi-Kiez“, der den Charakter eines „Angstraumes“ habe, entgegenwirken.

Das Gericht hat in seinem im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ergangenen Beschluss nicht feststellen können, dass die in § 15a Abs. 1 des Polizeigesetzes (PolG) für eine Videoüberwachung aufgestellten Voraussetzungen vorliegen. Weder stelle der zu überwachende Bereich einen Kriminalitätsschwerpunkt dar noch seien dort Straftaten von erheblicher Bedeutung zu erwarten. 

Den vom Polizeipräsidium im Wesentlichen angeführten Sachbeschädigungsdelikten in Gestalt von sogenannten „Graffiti“-Sprühereien mit z.T. nationalsozialistischen Inhalten (seit 2018 fünf Fälle) komme keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 15a Abs. 1 PolG zu.

Im Übrigen erweise sich die geplante Videoüberwachung wegen der hiermit verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffe, denen die Antragsteller durch eine ständige Überwachung ausgesetzt wären, als unverhältnismäßig. Gegen den Beschluss kann Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eingelegt werden.

Polizei bedauert die Entscheidung, will den Kampf gegen Rechts aber fortsetzen

Leitstelle für Videobeobachtung bei der Dortmunder Polizei
Leitstelle für Videobeobachtung bei der Dortmunder Polizei – Bilder aus Dorstfeld werden hier vorerst nicht einlaufen. Foto: POL-DO

Die Dortmunder Polizei hat die Entscheidung mit Bedauern aufgenommen, kann der Entscheidung aber dennoch Positives abgewinnen: „Das Verwaltungsgericht erkennt in seiner Entscheidung ausdrücklich das berechtigte Interesse der Polizei an, mit Präsenz- und Schutzmaßnahmen gegen einen Angstraum im Bereich der Emscherstraße in Dortmund-Dorstfeld vorzugehen“, betont Polizeipräsident Gregor Lange. 

Explizit schließe dies laut Urteil die Gefahrenabwehr eines gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Rechtsextremismus ein. Die Verwaltungsrichter sähen die Notwendigkeit der Abwehr von Gefahren, die vom Rechtsextremismus ausgeht. „Die aktuelle Situation reicht nach Einschätzung des Gerichts für den Einsatz von Kameratechnik für eine Videobeobachtung jedoch nicht aus.“

Für die Dortmunder Polizei ist nun entschieden, dass sie das Instrument der Videobeobachtung derzeit nicht in Anspruch nehmen kann. Das Polizeipräsidium analysiert das Urteil nun und prüft dabei, ob Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einzulegen ist. 

„Das Urteil zur Videobeobachtung bedeutet nicht, dass die Polizei im Einsatz gegen den Rechtsextremismus auch nur einen Deut nachlässt. Sie hält den Druck in Dorstfeld mit einem über mehrere Jahre ausgebauten Präsenzkonzept weiterhin hoch. Das Konzept zielt vorrangig darauf ab, Straftaten zu verhindern“, beteuert Lange auch mit Blick auf die Erfolge: „Dank der intensiven Ermittlungsarbeit der Soko Rechts konnten in den vergangenen Monaten teils mehrjährige Haftstrafen gegen Mitglieder Dortmunder Rechtsextremisten-Szene erwirkt werden“, so der Polizeipräsident.

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Reaktionen

  1. Polizeipräsident Gregor Lange: „Wir haben die rechte Szene weiter im Blick“ (Pressemitteilung Polizei Dortmund)

    Polizeipräsident Gregor Lange: „Wir haben die rechte Szene weiter im Blick“

    Nach einer Klage von Anwohnern der Emscherstraße in Dortmund-Dorstfeld stellte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in einem Eilverfahren fest, dass für eine vom Polizeipräsidium Dortmund vorbereitete Videobeobachtung derzeit die Rechtsgrundlage fehle, da der betroffene Straßenabschnitt keinen Kriminalitätsschwerpunkt darstelle.

    Rechtsextremisten und Neonazis, darunter Mitglieder der vom Verfassungsschutz beobachteten Partei „Die Rechte“, versuchen die Emscherstraße und das Umfeld im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld seit vielen Jahren als „National befreite Zone“ oder „Nazi-Kiez“ zu brandmarken. Damit verfolgen sie das Ziel, Anwohner, Nachbarn, Passanten, politisch anders Denkende und Journalisten einzuschüchtern oder in ihrer Arbeit zu beeinträchtigen. Polizisten waren massiver Gewalt ausgesetzt.

    Polizeipräsident Gregor Lange: „Rechtsextremisten und Neonazis wollen darüber bestimmen, wer die Straße betritt und wer nicht. Bürgerinnen und Bürger in Dorstfeld haben mehrfach erfahren müssen, was das bedeutet. Das lassen wir nicht zu. Mir ist wichtig, dass die Anwohner und Besucher Dorstfelds wissen: Unter keinen Umständen dulden wir ein Klima der Angst und der Einschüchterung. Wenden Sie sich jederzeit vertrauensvoll an die Polizei, damit wir, wenn nötig, konsequent einschreiten können.“

    Die Entscheidung des Gerichts führt nicht dazu, dass die Dortmunder Polizei ihre bisherige Präsenz in Dorstfeld einschränkt: „Die Situation in der Emscherstraße und im Umfeld haben wir auch ohne Videotechnik im Blick. Gegen Straftaten gehen wir weiterhin konsequent vor und schöpfen dabei alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten aus. Wenn Feinde der Demokratie, die sich eindeutig zum Nationalsozialismus bekennen, ein bürgerliches Quartier für sich in Anspruch nehmen wollen, lassen wir den Aufbau eines Angstraums nicht zu. Wir sind weiterhin wachsam“, sagte der Polizeipräsident.

    Das Gericht erkennt in seiner Entscheidung ausdrücklich die Notwendigkeit an, dass die Polizei mit Präsenz- und Schutzmaßnahmen gegen den Aufbau eines Angstraums vorgeht. Rechtsextremisten und Neonazis stellen sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Beschluss des Gerichts schließt die Abwehr dieser Gefahr explizit ein.

    Das Polizeipräsidium Dortmund wird gegen die Eilentscheidung keine Beschwerde einlegen. Nach dem Eilentscheid gegen die Videobeobachtung wird das Verwaltungsgericht die Klage zu einem späteren Zeitpunkt in einem Hauptsacheverfahren verhandeln. Bis dahin wird die Polizei Dortmund den Bereich sehr aufmerksam beobachten und jede weitere Straftat im Hauptsacheverfahren geltend machen.

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