Diskussion um ein Lieferkettengesetz: Wie teuer kommt uns „Geiz ist geil“ eigentlich wirklich zu stehen?

Seit rund einem Jahr läuft die Kampagne für ein Lieferkettengesetz - hier Bilder vom Auftakt vor genau einem Jahr.
Seit rund einem Jahr läuft die Kampagne für ein Lieferkettengesetz – hier Bilder vom Auftakt vor genau einem Jahr.

„Geiz ist geil.“ Wie kaum einer anderer Werbeslogan wurde er zum geflügelten Wort und beschreibt die Mentalität vieler Konsument*innen in Deutschland. Doch wie günstig sind die vermeintlich billigen Klamotten, Geräte und Konsumartikel? Wie teuer kommen sie uns letztendlich zu stehen und welchen Preis zahlen dafür die Menschen und die Umwelt in den Herstellerländern? Das ist der Kontext, in dem die Diskussionsveranstaltung „Lieferketten, Menschenrechte und Umwelt“ stand, zu der die AWO-Integrationsagentur eingeladen hatte. Coronabedingt wurde daraus eine Online-Veranstaltung.

Auswirkungen auf globale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Umweltzerstörung

Es gibt sechs Aktionsmotive der Kampagne für ein Lieferkettengesetz.
Es gibt sechs Aktionsmotive der Kampagne für ein Lieferkettengesetz – sie werden hier gezeigt.

Diskussionsthema war das Lieferkettensystem und die daraus folgenden globalen Ungleichheiten. Anlass ist die Diskussion um das aktuelle Lieferkettengesetz und darum, inwiefern das Gesetz geändert werden sollte, sodass es positive Auswirkungen auf die globale Gerechtigkeit, die Achtung von Menschenrechten und die Vermeidung von Umweltzerstörung – auch außerhalb der nationalen Grenzen – hat.

Denn die Vorgaben finden oft nur auf einer nationalen Ebene statt und werden somit auf der globalen Ebene oft nicht berücksichtigt. „So werden im Zuge der Herstellung und Lieferung unserer Konsumgüter oft Tatsachen wie menschenunwürdige Arbeit oder starke Umweltverschmutzung in Kauf genommen. Ein Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes könnte dem entgegenwirken“, betont Elvedina Sabic von der Arbeiterwohlfahrt.

Mit der Online-Veranstaltung sollte auf globale und soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam gemacht werden. „Es gibt einen Grund, wieso die Menschen aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen in andere Länder flüchten“, erklärt Sabic. Idee der Veranstaltung war es, diesen Hintergrund zu beleuchten. Um das Problem ein wenig zu bessern, können wohl auch Privatpersonen etwas ändern. „Ein Bewusstsein dafür, woher unsere Konsumgüter kommen, wäre ein Anfang“, findet die Ansprechpartnerin der AWO.

Was sind Lieferketten und was fordert die Initiative Lieferkettengesetz?

Durch die Veranstaltung sollen Menschen für dieses Thema sensibilisiert werden. Sabic ist klar, dass eine Diskussion in Deutschland nicht direkt das Problem der Lieferketten lösen würde. Jedoch könne es sein, dass wenn Deutschland mit der Festlegung eines gesetzlichen Rahmens den Anfang macht, dies für andere westliche Länder ein Grund sein könnte, sich ebenfalls mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

In Berlin hatten die Initiatoren der Kampagne für ein Lieferkettengesetz vor einem Jahr ihre Forderungen erstmals einer großen Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein Zusammenschluss zahlreicher Organisationen. Darunter fallen unter anderem der BUND, Brot für die Welt und Greenpeace – und alle haben ein gemeinsames Ziel, nämlich für eine Welt einzutreten, „in der Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden – auch im Ausland“.

Das Lieferkettengesetz fordert, dass Unternehmen, welche „Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen“, dafür sanktioniert werden. Der zuletzt bekannt gewordene Fall, war der große Brand innerhalb einer KiK-Zulieferfabrik. Aufgrund des mangelhaften Brandschutzes sollen dabei in Pakistan 258 Menschen gestorben sein.

Auf dem virtuellen Podium nahmen Serge Palasie (Eine-Welt-Netz NRW), Eva Maria Reinwald (Südwind e.V.) und die AWO-Vorsitzende Anja Butschkau (SPD-MdL) als Diskussionsteilnehmer*innen teil. Die Moderation übernahm Bastian Pütter (Bodo e.V.), der die schwierige Aufgabe hatte, das komplexe Thema mit den Gesprächspartner*innen in einer Stunde abzuhandeln.

Vision: Wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit weltweit

Eva Maria Reinwald, Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte bei Südwind e.V
Eva Maria Reinwald, Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte bei Südwind e.V.. Archivfoto: Anna-Lena Samborski

Den ersten thematischen Aufschlag machte Eva Maria Reinwald, Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte bei Südwind e.V.). Das Institut „Südwind“ setzt sich für eine gerechte Weltwirtschaft ein – ihre Vision sind wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit weltweit. Sie forschen und handeln für gerechte Wirtschaftsbeziehungen. 

Dabei sind die Erfahrungen der Armen und ihre Anliegen für „Südwind“ richtungweisend. Sie setzen sich ein gegen die Benachteiligung von Frauen, decken ungerechte Strukturen auf, machen sie bewusst und verändern sie. Außerdem entwickeln sie Instrumente und Handlungsmöglichkeiten für entwicklungspolitische Organisationen, Kirchen, Gewerkschaften, Politik und Unternehmen.

„Südwind“ ist auch einer der wichtigen Akteure bei der Initiative lieferkettengesetz.de. Sie thematisierte unter anderem die (fehlenden) Sozialstandards und das meist unzureichende Arbeitsrecht in bestehenden Lieferketten. Ihre Erkenntnis der vergangenen Jahre: „Mit freiwilligen Verabredungen kommen wir nicht sehr weit. Daher machen wir uns für ein Lieferkettengesetz stark“, betont Eva Maria Reinwald. „Wir arbeiten an Lösungsansätzen und sind im Bündnis mit 115 Organisationen vertreten und da auch im Steuerungskreis.“

Ziel: „Leute jenseits des entwicklungspolitischen Elfenbeinturms“ erreichen

Serge Palasie ist beim Netzwerk Promotor im Feld „Flucht, Migration und Entwicklung in NRW“. Archivfoto: Anna Lena Samborski

Serge Palasie ist beim Netzwerk Promotor im Feld „Flucht, Migration und Entwicklung in NRW“ und richtete den Blick auf die Ursachen weltweiter Migrationsbewegungen und den kolonialen Wurzeln unseres Wirtschaftssystems.

Das „Eine Welt Netz NRW“ engagiert sich für Welt-Entwicklungsziele. Seit 1991 ist es das Landesnetzwerk entwicklungspolitischer Vereine und Engagierter in Nordrhein-Westfalen mit Büros in Münster und Düsseldorf. 

Arbeitsschwerpunkte sind die Unterstützung und Beratung im Eine-Welt-Engagement, Internationale Freiwilligendienste und Reverse-Programme, Bildungs- und Öffentlichkeitsprojekte, Vernetzung, Service und Fortbildungen zur Eine Welt-Arbeit in NRW und politische Interessenvertretung der Zivilgesellschaft.

Ein Ansatz ist, „Leute jenseits des entwicklungspolitischen Elfenbeinturms“ zu erreichen, machte Serge Palasie deutlich. Dies macht er, indem er auch viele historische Inhalte herunter bricht, um die „breite Masse“ zu erreichen. Dabei leitet er aktuelle globale Verteilungsmuster historisch her, und stellt dies an Schulen, Unis und auf Vorträgen bei Diskussionsveranstaltungen vor. „Man kann ein Lieferkettengesetz nicht von Vorgeschichte entkoppeln. Da muss man gegensteuern“, betonte der Historiker.

AWO International hat sich schon sehr früh für das Lieferkettengesetz eingesetzt

Das sind ganz große und ganz alte globale Themen und Herausforderungen. Doch ist das Prinzip „Global denken, lokal handeln“ in der Bevölkerung vorhanden? „Das Denken kommt“, ist sich die AWO-Vorsitzende Anja Butschkau sicher.

Zudem passe das Thema zur AWO:  Es ist eigentlich ein ganz altes Thema. Die Einhaltung von Menschenrechten und von Arbeitnehmer*innen-Rechten bewegt uns seit der Gründung der AWO vor über 100 Jahren, aber das Thema ist immer noch nicht bewältigt.“ 

Daher setze der Wohlfahrtsverband auch auf einen Austausch wie bei dieser Online-Diskussion. „Als AWO sind wir nicht nur örtlich aktiv, sondern auch im Bund und International. AWO International hat sich schon sehr früh für das Gesetz eingesetzt“, machte Butschkau deutlich. 

„Wenn wir über Lieferketten sprechen wollen, brauchen wir ein Verständnis für Wirtschaftsbeziehungen und Bedingungen der Produktion. Auf welchen Füßen steht das allgemeine Wissen“, wollte Moderator Bastian Pütter wissen. Wohl wissend, dass er die Geschichte nur „extremst anreißen“ könne, machte Serge Palasie deutlich, dass die heutigen Perspektiven auf die globalisierte Ökonomie in der Kolonialzeit gewaltsam zementiert worden seien. 

Im Kern sind die Wirtschaftsbeziehungen aus der Kolonialzeit nicht beendet

„Afrika ist seit 1960 politische unabhängig. Aber im Kern sind die Wirtschaftsbeziehungen aus der Kolonialzeit nicht beendet“, so Palasie. Zwar gebe es genügend Akteure, die das koloniale Erbe überwinden wollten. „Aber seit 1960 laufen viele Initiativen auf die Wahrung des Status Quo heraus, dass möglichst unverarbeitete Rohstoffe möglichst günstig in den globalen Norden geliefert werden.“ 

Dort gebe es zwar auch ein Proletariat. Aber mit der zunehmenden Differenzierung wurden dort auch Perspektiven geschaffen (Stichwort: Wirtschaftswunder). Im Süden sei das aber noch nicht gelungen, weil dort ganze Länder durch transnationale Konzerne ausgebeutet würden – mit Billigung der jeweils dort Herrschenden und zumeist korrupten Regierungen. 

Das bekannteste Beispiel war die Hinrichtung des Umweltschützers und Menschenrechtlers Ken Saro-Wiwa vor 25 Jahren in Nigeria, weil er gegen die Ausbeutung und Zerstörung seines Landes durch den Öl-Multi Shell protestierte. „Wenn wir faire Lieferketten hätten, wäre in Nigeria eine ganz andere Situation. In den 25 Jahren ist trotz vieler Absichtsbekundungen nicht viel passiert“, zieht Palasie eine ernüchternde Zwischenbilanz.

Sorge: Gesetzesvorschlag darf nicht als Tiger starten und als Bettvorleger enden

Vortrag und Diskussion: Fluchtursachen von jungen Afrikanern in der Auslandsgesellschaft. ReferentSerge Palasie
Serge Palasie. Archivfoto: Klaus Hartmann

Bisher gab es vor allem „kosmetische Maßnahmen, um das Gewissen zu beruhigen, statt ernsthaft was zu bewegen – aber die makroökonomische Struktur wurde nicht tangiert“, betont der Fachpromotor des „Eine-Welt-Netz NRW“. Den Grund sieht er darin, dass sonst den Konzernen und dem Globalen Norden Erlöse entgingen oder Mehrkosten auf die Länder zukämen. 

Das sehe man auch in Deutschland an der Diskussion um das Lieferkettengesetz. Dies sei zwar absolut richtig. Aber Palasie sorgt sich, dass der Gesetzesvorschlag erneut als Tiger startet und als Bettvorleger endet. „Sie starten die Kampagnen ambitioniert, aber am Ende müssen sie so viele Ideale über Bord werfen, bis alle relevanten Stakeholder an Bord sind. Dann kommt nur noch ein Bettvorleger heraus“, fürchtet Palasie.

Allerdings: Die Handlungsebene ist da und bei den Akteuren gibt es auch keine blauäugige Naivität. Er hofft zudem auf eine hoffentlich immer organisierte Zivilgesellschaft, die auch Druck auf Politik und Wirtschaft macht. Immer häufiger werden die Menschenrechtsverstöße, Umweltzerstörungen und auch die Arbeitsbedingungen durch Konzerne thematisiert. 

Existenzsicherende Vergütung für Erzeuger*innen wirkt sich kaum negativ aus

„Wir brauchen internationale Regeln, die Konzerne verpflichten, die Menschenrechte zu respektieren. Das wird seit 2014 diskutiert“, betont Eva Maria Reinwald. „Alle Vertragsstaaten müssen ein Lieferkettengesetz beschließen und Umweltstandards und Menschenrechte zu achten. Das ist nicht das einzige Instrument und Mittel, aber ein wichtiger Ansatzpunkt“, macht sie deutlich. 

Reinwald macht dies am Beispiel von Kakao klar – er kommt vor allem aus Westafrika, aus Ländern wie Ghana und der Elfenbeinküste. „Da ist Kinderarbeit ein großes Problem. 1,5 Millionen Kinder arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen auf Plantagen. Sie schleppen schwere Säcke und arbeiten ohne Schutz mit Pestiziden und gefährlichen Geräten“, berichtet Eva Maria Reinwald. 

Dass dort Kinder zum Einsatz kommen, sei eng mit der Vergütung für den gewonnen Kakao verbunden. Die zentrale Frage vor Ort: Wenn die Vergütung für die Lieferung des Rohstoffs hoch genug ist, werde ein erwachsener Erntehelfer eingesetzt – wenn es nicht reiche, müssten Kinder ran. Daher brauche es klare Prämienreglungen, Monitoringprogramme und gesetzliche Regelungen. Das habe zwar auch Auswirkungen auf die Marktpreise, aber bei weitem nicht so deutlich, wie dies von der Industrie als Drohkulisse prophezeit wird. 

Beispiel Schokolade: „Es gehen von dem durchschnittlichen Preis einer Tafel Vollmilchschokolade (0,89 Euro) derzeit zwischen vier bis fünf Cent als Lohn an die Kakaobäuer*innen in Ghana und der Elfenbeinküste. Würde der Lohn auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben, wäre eine Vollmilchschokolade für Konsument*innen in Deutschland etwa fünf Cent teurer“, macht die Fachpromotorin von „Südwind“ deutlich.

Kritik: Die EU bisher nicht konstruktiv am internationalen Dialog beteiligt

Das abgebrannte Firmengebäude von Ali Enterprise. Foto: Ayesha Mir/ The Express Tribune
Das abgebrannte Firmengebäude, wo auch KIK produzieren ließ. Foto: Ayesha Mir/ The Express Tribune

In anderen Bereichen der Industrie sei das ähnlich: Entscheidend seien, dass es klare Vorgaben gebe, dann sei es für den einzelnen Konsumenten oder das einzelne Unternehmen nicht so schwierig.

Vor allem hätten dann auch die Unternehmen, die faire Löhne zahlten, auf Arbeits- und Gesundheitsschutz achteten und Umweltstandards respektierten, keine Wettbewerbsnachteile.

Daher brauche es auch eine langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Bestellern aus dem globalen Norden: „Die Hersteller im Süden dürfen nicht die Sorge haben, wenn es mal teurer wird, sie mit einem Wegbrechen der Bestellungen rechnen müssen“, so Reinwald. 

Klägerin Saeeda Khatoon hofft auf Gerechtigkeit, wurde jedoch vorerst nicht angehört. Die Enttäuschung darüber ist ihr anzusehen.
Klägerin Saeeda Khatoon hoffte auf Gerechtigkeit, wurde jedoch vom Landgericht Dortmund im Prozess gegen KIK nicht angehört.

In der internationalen Politik gab es unglaublich viel Bewegung, bis seit 2011 die UN-Leitprinzipien für Menschenrechte auf die Agenda kam. Das Problem: Es ist eine freiwillige Empfehlung. Die Staaten sind verantwortlich, die Menschenrechte in ihren Ländern zu schützen, aber auch Unternehmen für ihre Lieferketten. 

Auch in der EU werden verbindliche Forderungen thematisiert. Frankreich hat 2017 ein Lieferkettengesetz beschlossen, was aber erst Unternehmen ab 5000 Beschäftigten trifft. Auf europäischer Ebene wurde durch den EU-Justizkommissar angekündigt, dass ein EU-weites Lieferkettengesetz kommen soll.

„Aber das wird sich noch einige Jahre ziehen. Es braucht klare Unterstützung aus den Mitgliedsstaaten. Daher braucht es auch in Deutschland ein Lieferkettengesetz, um Druck auf die EU zu machen. Denn die EU hat sich bisher nicht konstruktiv am internationalen Dialog beteiligt“, kritisiert Reinwald.

Ausbeutung und Umweltzerstörung werden immer stärker zu Fluchtursachen

Das abgebrannte Firmengebäude von Ali Enterprise. Foto: Ayesha Mir/ The Express Tribune
Das abgebrannte Firmengebäude, wo auch Krk produzieren ließ. Foto: Ayesha Mir/ The Express Tribune

Um ein Umdenken bei den Regierenden zu erreichen, was braucht es da als nur den „moralischen Anstoß“ mit Blick auf Menschenrechte und Umweltschutz? „Langfristig braucht es einen Schuss ins Knie von Menschen im globalen Norden“, findet Serge Palasie. 

Der Norden brauche endlich einen Weckruf: Denn die Folgen der wirtschaftlichen Ausbeutung und der Zerstörung der Umwelt (Stichwort menschengemachter Klimawandel) sorge dazu, dass immer mehr Menschen aus struktureller Perspektive und aus Umweltgründen zu Flüchtlingen werden. 

Wenn der Globale Norden das zur Kenntnis nehme, könne man auch die wirtschaftlichen Folgen eines neuen Kurses und eines Lieferkettengesetzes anders bewerten. „Wenn man immer weiter sparen möchte, wird die Nutznießergruppe (von den Profiten) immer kleiner. Das kann die Gesamtzukunftsfähigkeit eines Wirtschaftsraumes negativ beeinflussen. Der allgemeine Wohlstand auch im globalen Norden wird immer kleiner werden.“ 

Butschkau: „Rechte von Arbeitnehmer*innen müssen vor Gericht gestärkt werden“

Die AWO-Vorsitzende und SPD-Landtagsabgeordnete Anja Butschkau. Archivfoto: Alex Völkel

Für Anja Butschkau geht an dem Lieferkettengesetz kein Weg vorbei: Sie begrüßte den Vorstoß von Entwicklungshilfe-Minister Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und kritisierte die Blockadehaltung von Wirtschaftsminister Altmeier (CDU).

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Unternehmen ab 500 Beschäftige ihre Lieferketten offenlegen, damit man sehen kann, ob gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen wird und welchen Pflichten sie beim Schutz von Menschenrechten und Umwelt nachkommen. 

„Die Rechte von Arbeitnehmer*innen müssen auch vor Gericht gestärkt werden, um Schadenersatzansprüche auch in Deutschland geltend machen kann“, betont die SPD-Landtagsabgeordnete. 

Das würde keineswegs Unternehmen gefährden, räumt Eva Maria Reinwald mit aus der Wirtschaft, von Rechten und Lobbygruppen geschürten Ängsten auf: Einen Klagegrund gebe es nur, wenn ein Schaden (an Mensch oder Umwelt) vorhersehbar sei. „Ist dies nicht der Fall, dann auch kein Unternehmen verklagt werden. Das wird auch bei den Angehörigen des Fabrikbrands so berücksichtigt.“

Zustimmung: 75 Prozent der Deutschen wünschen sich ein Lieferkettengesetz

Seit rund einem Jahr läuft die Kampagne für ein Lieferkettengesetz - hier Bilder vom Auftakt vor genau einem Jahr.
Seit rund einem Jahr läuft die Kampagne für ein Lieferkettengesetz – hier Bilder vom Auftakt vor genau einem Jahr.

Das politische Klima sei jedenfalls reif: „75 Prozent der Deutschen wünschen sich ein Lieferkettengesetz, weil sie meinen, dass wir den Wohlstand nicht auf Ausbeutung von Mensch und Natur aufbauen wollen“, verweist Anja Butschkau auf aktuelle Umfragen wie von Infratest Dimap. 

Nun seien die Bundespolitiker*innen gefragt: „Da müssen die Politiker*innen das Sprachrohr der Bürger*innen sein. Daher gibt es keine Alternative zum Lieferkettengesetz. Da müssen wir verhandeln und uns auch gegen die großen Unternehmen durchsetzen“, so Butschkau. „Daher bin ich von der Sozialarbeit in die Politik gewechselt.“ 

Zudem sei die Macht der Konsument*innen und der Wähler*innen nicht zu vernachlässigen. „Auch wir haben eine Macht. Es ist unsere Entscheidungskompetenz. Wir sollten nicht ohnmächtig werden, sondern gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen protestieren und unser Handeln davon ableiten.“ 

„Individuelles Handeln ist der Anfang“ – aber es braucht Druck auf Politik und Wirtschaft

„Wir sehen, dass durch das Engagement vieler NGO’s, Gewerkschaften und Kirchen ein breites Bewusstsein entstanden ist. Auch auf unternehmerischer Ebene gibt es welche, die das Gesetz und gleiche Regeln für alle einfordern, damit sie keinen Wettbewerbsnachteil haben. Es gibt ja Unternehmen, die sind schon engagiert, weil individuelles Verbraucherhandeln den Anstoß dazu gegeben hat“, zeigt Eva Maria Reinwald die Perspektiven auf.

Dem stimmt auch Serge Palasie zu: „Individuelles Handeln ist der Anfang. Das reißt aber das Ruder auf der Makro-Ebene nicht herum, dient aber als Vorbild. Politik und Wirtschaft müssen wir daher beeinflussen.“

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Reaktionen

  1. Resolution „Kommunen für ein starkes Lieferkettengesetz“ wird an Bundestagsmitglieder gesendet (PM)

    Resolution „Kommunen für ein starkes Lieferkettengesetz“ wird an Bundestagsmitglieder gesendet

    Am 5. Mai wird der Gesetzesentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten in den Bundestagsausschuss für Arbeit & Soziales eingeführt.

    Pünktlich zur Ausschusssitzung wird die Resolution „Kommunen für ein starkes Lieferkettengesetz“, die inzwischen von (Ober) Bürgermeister*innen und Stadträt*innen von 65 Kommunen mit insgesamt rund zehn Mio. Einwohner*innen unterzeichnet wurde, an die Mitglieder des Bundestags übersendet. Sie sind aufgefordert, sich im parlamentarischen Prozess für eine Nachbesserung des Gesetzesentwurfs einzusetzen. Zu den Unterzeichnerkommunen gehören die Landeshauptstädte Bremen, Mainz, Hannover, München und Großstädte wie Bonn, Dortmund, Heidelberg, Köln, Nürnberg und sieben Berliner Bezirke.

    Mit der Resolution greifen die Kommunen die grundsätzlichen Forderungen der Initiative Lieferkettengesetz auf und fordern Haftungsregelungen als Kernstück eines wirksamen Lieferkettengesetzes, präventive Sorgfaltspflichten für die gesamte Lieferkette sowie effektive staatliche Durchsetzungsmechanismen. In den genannten Punkten wurde der Entwurf jedoch deutlich verbessert.

    Neben Kommunen und der Initiative Lieferkettengesetz fordern auch rund 50 Unternehmen Nachschärfungen. Der Entwurf stärkt die Rechte von Betroffenen kaum, erfasst Umweltschutz nur punktuell und gilt zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeiter*innen. Besonders problematisch sind die abgestuften Sorgfaltspflichten: Unternehmen müssen bei Menschenrechtsverletzungen durch mittelbare Zulieferer erst handeln, wenn sie davon Kenntnis erlangen – also dann, wenn es bereits zu spät ist.

    Auch Bürger*innen können sich für ein starkes Lieferkettengesetz einsetzen und den Lieferkettenbrief an die Bundestagsabgeordneten schicken. Weitere Informationen auf http://www.lieferkettenbrief.de.

  2. IHK warnt vor Folgen der Lieferkettengesetz für die regionale Wirtschaft: Wulf-Christian Ehrich kritisiert Einigung der EU als weder praxistauglich noch verhältnismäßig (PM)

    Vor den negativen Folgen, die das jetzt ausgehandelte EU-Lieferkettengesetz für die Unternehmen haben wird, warnt Wulf-Christian Ehrich, stellv. Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Dortmund. „Auch die regionale Wirtschaft setzt sich für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und weltweit menschenwürdige Arbeitsbedingungen ein“, kommentiert Ehrich die am 14. Dezember erfolgte Einigung im sogenannten Trilog-Verfahren zwischen Europäischem Parlament, dem Rat der EU und dem Europaparlament auf die „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD). Aus Perspektive der Betriebe in Dortmund, Hamm und im Kreis Unna seien die vorgeschlagenen Regelungen „jedoch weder praxistauglich noch verhältnismäßig“, so sein Urteil.

    Demnach sollen Unternehmen künftig nicht nur im eigenen Betrieb, sondern auch bei ihren Lieferanten und deren Geschäftspartnern im Ausland darauf achten, dass elementare Standards eingehalten werden – etwa das Verbot von Kinderarbeit und die Ausbeutung von Arbeitnehmern. Grundsätzlich ist zu beachten, dass indirekt auch hiesige KMU mit wenigen Beschäftigten betroffen sein werden. Diese Unternehmen sind oft Zulieferer für größere Unternehmen, die die Einhaltung dieser Gesetze in ihrer Lieferkette einfordern. Der nun erzielte Kompromiss geht weit über die bisherigen Regelungen in Deutschland hinaus. Das deutsche Lieferkettengesetz gilt derzeit nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter. Im kommenden Jahr soll die Schwelle auf 1.000 Beschäftigte sinken. Im europäischen Lieferkettengesetz soll diese auf 500 Beschäftigte herabgesetzt werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn es in ihren Lieferketten zu Verstößen gegen Menschenrechte kommt.

    „Wir teilen das Ziel, nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln in globalen Wertschöpfungsketten zu fördern“, betont der stellv. IHK-Hauptgeschäftsführer. „Unternehmen sind so aber mit großer Rechtsunsicherheit, Bürokratie und kaum kalkulierbaren Risiken konfrontiert.“ Das wirke sich unmittelbar auf die Zusammenarbeit mit Kunden, Kooperationspartnern und Zulieferern aus, gibt Ehrich zu bedenken. „Es besteht die Gefahr, dass sich Unternehmen wegen nicht erfüllbarer Anforderungen verstärkt aus einzelnen Märkten zurückziehen werden.“ Dies sei weder entwicklungspolitisch und noch mit Blick auf die erforderliche Diversifizierung von Lieferketten wünschenswert. „Dass die Legislaturperiode bald endet, sollte nicht dazu führen, dass Kompromisse in mit heißer Nadel zulasten der Wirtschaft gestrickt werden“, kritisiert Ehrich.

  3. FDP gegen Menschenrechte – Statement von Dietmar Köster, MdEP und außenpolitischer Sprecher der Europa-SPD (PM)

    Die FDP verhindert mit ihrer angekündigten Ablehnung des europäischen Lieferkettengesetzes, dass große Unternehmen – mindestens 500 Beschäftigte mit einem Jahresumsatz von mindestens 150 Millionen Euro – in ihren Lieferketten Menschenrechte und Umweltschutzstandards einhalten müssen. Schließlich werden sie in die Haftung genommen, wenn Unfälle geschehen, bei denen offensichtlich wird, dass sie Standards beispielsweise beim Arbeitnehmer*innenschutz missachtet haben.

    So gab es in den letzten Jahren in Textilfabriken in Pakistan immer wieder Brandkatastrophen mit mehreren 100 Toten, weil Brandschutzregeln nicht eingehalten wurden. Viele Verbraucher*innen wollen keine Produkte, die durch Kinderarbeit oder Zwangsarbeit hergestellt wurden.

    Die FDP hat mal wieder bewiesen, dass sie für die Wenigen Großunternehmen statt für die Vielen Beschäftigen steht. Sie hat der Lobbyarbeit der Großkonzerne gebeugt. Diese Entscheidung ist nicht nur gegen die Einhaltung von Menschenrechten, sondern auch europafeindlich. Es war schon ein Kompromiss zwischen Parlament, Kommission und Rat erzielt worden, den die FDP im Nachhinein über das Votum der Bundesregierung im Rat aufkündigen will.

    Diese Entscheidung der FDP steht in derselben Linie wie ihr Vorschlag, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, den nur noch Unternehmen und Einkommensbezieher*innen ab 96.000 Bruttojahreseinkommen zahlen. Zugleich lehnt sie die Auszahlung des Klimageldes ab, das jede*r Vebraucher*in nach dem Koalitionsvertrag als Kompensation zur Erhöhung des CO2-Preises erhalten sollte oder sie ist gegen die Verbesserungen bei der Kindergrundsicherung.

    Viel wichtiger ist der FDP darüber hinaus, dass die Rüstungsausgaben dramatisch steigen und mit Frau Strack-Zimmerman – im Nebenberuf Rüstungslobbyistin – als Spitzenkandidatin bei der Europawahl die Kriegstrommeln zu schlagen. Leider scheinen der soziale und der politische Liberalismus in der FDP keine Rolle mehr zu spielen.

  4. Till Strucksberg

    Offene Worte zu einem Zustand, der als moderne Ausbeutung bezeichnet werden muss. Es sind nicht nur einmalige Katastrophen. Für die Menschen im globalen Süden ist es alltäglicher Kampf ums Überleben. Dortmund war lange Zeit massiv mit ihrer Beteiligung am Energiekonzern STEAG und dessen Verbrennung von Steinkohle aus Kolumbien in diese Ausbeutung involviert. Am Montag, 19.2., gibt es zum Thema „Tatort Guinea: Bauxit für deutsche Autos – Hunger für die Menschen“ eine Veranstaltung in der Auslandsgesellschaft. Näheres: http://www.attac.de/dortmund

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