Am heutigen Samstag geht es los - das Mitmachen ist erwünscht

Das neue Ausstellungsprojekt „Das ist kolonial.“ widmet sich auf Zeche Zollern der Spurensuche

In der Gedankenwerkstatt sollen Besucher:innen ihre Erfahrungen und Wünsche miteinander austauschen: Jana Golombek (Referentin), Anne Kugler-Mühlhofer (Leiterin Zeche Zollern) und Stefanie Knossalla (Volontärin) sind gespannt. Foto: Philipp Harms/ LWL

Kolonialismus? Hat das was mit mir zu tun? Unter dem Titel „Das ist kolonial.“ lädt das LWL-Museum Zeche Zollern in Dortmund-Bövinghausen ab Samstag zu einer Ausstellungswerkstatt ein.

Die Werkstatt als offenes Konzept für alle

Eine Werkstatt? Keine richtige Ausstellung? Ja, denn das Thema „Kolonialismus kann man nicht alleine bearbeiten“, findet Kuratorin Julia Bursa. Konzept machen, Objekte aussuchen, Texte schreiben und eröffnen – so einfach wollte es sich das Team der Kurator:innen nicht machen.

Künstler Emmanuel Edoror und Kuratorin Julia Bursa im Infokubus der Ausstellungswerkstatt. Philipp Harms / LWL

Stattdessen möchten sie viele Menschen und viele Perspektiven einbinden, Fragen stellen und Stimmungen und Bedürfnisse einfangen. Dafür bieten sie mit der Werkstatt erst einmal „nur“ eine Infrastruktur.

Aber diese Infrastruktur ist spannender als manche fertige Ausstellung und die Fragen, an denen sich die Werkstatt orientiert, haben es in sich.

Eine Landkarte mit ganz neuen Perspektiven

Am Anfang steht die Welt erst einmal Kopf. Eine Landkarte zeigt die Kontinente aus einer Perspektive, die Europa einmal nicht in den Mittelpunkt stellt. Gegenüber eine weitere Landkarte, die Westfalen und das Ruhrgebiet zeigt. Gab es hier denn Kolonialismus?

Blick in die Ausstellungswerkstatt: Zum Start eine Landkarte mit (post)kolonialen Spuren. Philipp Harms / LWL

„Wenn ich mit Jugendlichen spreche, dann denken sie eher an Frankreich, Spanien oder auch die Niederlande“, berichtet der Künstler Emmanuel Edoror, „fast nie an Deutschland.“

Er möchte duch Workshops und Performances bei den Besucher:innen mehr Bewusstsein für das Thema wecken.

Kolonialismus wirkt bis heute nach

Denn: Kolonialismus wirkt nach, im Kleinen wie im Großen, über die Tasse Kaffee, einen Straßennamen, rassistische Vorurteile. Für Westfalen und das Ruhrgebiet hat das Ausstellungsteam erste Spuren recherchiert und auf der Landkarte platziert.

Mit diversen Infokarten können sich Gäste einen eigenen Katalog zusammenstellen. Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Dabei ist auch der Dortmunder Hafen als Umschlagplatz für Kolonialwaren, der Fredenbaumpark in der Nordstadt als Schauplatz „exotischer Völkerschauen“ oder die „Nettelbeckstraße“, benannt nach dem Steuermann eines Sklavenschiffs.

Diese Spurensuche in Dortmund soll weiter gehen, bis zur großen Ausstellung in 2024 eine umfassende digitale Karte entstanden ist.

„Wir müssen vieles auch wieder verlernen“

Aber wie gehen wir mit diesem Erbe um? „Wir müssen zunächst mehr darüber erfahren“, findet Kuratorin Katarzyna Nogueira und „wir müssen lernen und auch verlernen“. In der Lese-Ecke der Werkstatt gibt es Bücher und Tipps, um andere Erzählungen kennenzulernen und neue Perspektiven zu entwickeln.

Dr. Barbara Frey und Katarzyna Nogueira sind die Kuratorinnen der neuen Ausstellung. Philipp Harms / LWL

Der Prozess ist offen, es gibt kein vorgefertigtes Konzept, darauf legt das Team großen Wert. Mit Blick auf die eigentliche Ausstellung in 2024 fragen sie: Was ist den Besucher:innen wichtig? Welche Geschichten gilt es sichtbar zu machen – oder auch hörbar?

Ein kleines Aufnahmestudio mitten in der Ausstellung soll dafür Raum geben. Hier kann man seine Geschichte erzählen, hier bekommen vielleicht diejenigen eine Stimme, die sonst nicht gehört werden.

Ausstellung funktioniert hier anders

Viel ist in der Werkstatt also Dialog, es geht ums Mitmachen und nicht darum Objekte auszustellen. Doch auch die gibt es zu sehen. Kuratorin Dr. Barbara Frey hat afrikanische Masken, historische Werbeschilder oder auch Urkunden recherchiert. Vieles war bisher in Kellern gelagert.

Die Werkstatt bietet neben dem Aufnahmestudio weitere Partizipationsmöglichkeiten. Philipp Harms / LWL

„Wir müssen darüber sprechen, wie wir mit Objekten umgehen, die historisch ihre Berechtigung haben, aber heute vielleicht verletzen oder Vorurteile verstärken“, betont Kuratorin Dr. Barbara Frey.

Die Ausstellungsarchitekten haben diesen Konflikt sehr schön mit einem kleinen Schrank visualisiert, an dessen Tür wir uns vor dem Öffnen fragen sollen: Was wollen wir überhaupt noch sehen?

Offener Prozess und vielfältige Kooperation

Alles ist in Bewegung und entsprechend gibt es viel Unsicherheit. Für ein Industriemuseum durchaus ein Wagnis, aber Projektleiterin Jana Golombek möchte, dass „das Thema nachhaltig behandelt wird“ und kooperiert dazu mit vielen Expert:innen, Aktivist:innen, Initiativgen und Vereinen.

An verschiedenen Stellen können Gäste Infokarten sammeln und mitnehmen. Hier regen Biografien zur Diskussion an. Philipp Harms / LWL

Der „Heimathafen/Soziale Stadt“ aus der Nordstadt ist bereits an Bord und auch die Droste-Hülshoff-Realschule. Weitere Schulen, gern aus der Nordstadt, sind eingeladen sich zu beteiligen und die Werkstatt zu nutzen.

Viel Aufwand für eine Ausstellung, aber wichtig um das Vertrauen der Partner:innen zu gewinnen und glaubwürdig Veränderungen anzustoßen, findet Golombek. Sie ist sich bewußt: „Wir sind eine weiße Institution und wir müssen neue Herangehensweisen erproben und Deutungshoheit abgeben.“

Es wird spannend sein zu sehen, welche Konsequenzen dieser Prozess für die Ausstellung 2024 haben wird und ob er ein Zukunftsweg nicht nur für die LWL-Museen ist.

Weitere Informationen:

  • Das ist kolonial. Ausstellungswerkstatt vom 18. März bis 15.Oktober 2023, LWL Museum Zeche Zollern, Grubenweg 5, 44388 Dortmund
  • Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.
  • In der Werkstatt gibt es einen Rückzugsraum für Black, Indigenous and People of Color (BIPoC). Zusätzlich ist die Ausstellungswerkstatt jeden Samstag von 10 bis 14 Uhr für BIPoC reserviert.
  • Infos zu Begleitprogramm, Führungen, Events auf der Homepage zeche.zollern.lwl.org und bei Instagram @dasistkolonial
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Reaktionen

  1. „Transnationale, dekoloniale Überlegungen zur Abschaffung von Gefängnissen und Bestrafung“ (PM)

    Ort: FH Dortmund, Emil-Figge-Str. 44, Raum 335
    Datum: 04. August 2023
    Uhrzeit: 19:00 Uhr
    Moderation: Prof. Dr. Christine Graebsch, FH Dortmund

    Mechthild Nagel ist Professorin für Philosophie und Africana Studies und Direktorin des Zentrums für Ethik, Frieden und soziale Gerechtigkeit an der SUNY Cortland. Sie ist auch Gründerin des Journals „Wagadu: A Journal of Transnational Women’s and Gender Studies“. Ihre Forschungsinteressen erstrecken sich über verschiedene Bereiche, darunter kritische Justizstudien, globale Feminismen, Critical Race Theory, Diversitätsstudien und indigene Justizstudien.

    Der Vortrag wird sich mit transnationalen und dekolonialen Überlegungen zur Abschaffung von Gefängnissen und Bestrafung befassen. Hierbei werden Kernthesen aus Mechthild Nagels Werken „Ludic Ubuntu Ethics“ und „Carceral Logic“ vorgestellt. Der Vortrag wird eine Gelegenheit sein, das Paradigma einer agonistischen Gerechtigkeit zu hinterfragen und die Möglichkeit eines kooperativen Miteinanders zu entwickeln.

    Der Vortrag wird in englischer Sprache gehalten und in Abschnitten auf Deutsch zusammengefasst, um allen Teilnehmenden einen umfassenden Einblick in das Thema zu ermöglichen. Die anschließende Diskussion findet zweisprachig statt, sodass ein reger Austausch verschiedener Perspektiven angeregt werden kann.

  2. Nordstadtblogger-Redaktion

    Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) lädt in den kommenden Wochen zu besonderen Führungen in sein Dortmunder Museum Zeche Zollern ein. Anlass dafür ist die Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial.“, die noch bis Oktober zu sehen ist. Bei der Performance-Führung „Sand of Times“ nehmen Gifty Wiafe (Schauspielerin, Tänzerin) und Emmanuel Edoror (Schauspieler, Tänzer, Choreograph) ihre Gäste mit auf eine experimentelle Gedankenreise. Premiere ist am Freitag (18.8.) um 16 Uhr. Weitere Termine folgen.

    Warum wirkt die Menschheit auf der Erde so zerrüttet? Irgendwas läuft da doch schief? Woran liegt das? Wie können Menschen wieder zueinander finden? Der einstündige Rundgang durch die Ausstellungswerkstatt wird durch performative Elemente, Dialoge und Choreografien ergänzt. „Wir wollen zeigen, wie sich die Vergangenheit und besonders die Unterdrückung des Kontinents Afrika auf uns heute auswirkt. Der Sand ist ein Speicher, er weht in die Zukunft und formt neue Menschen“, so Edoror. Wiafe ergänzt: „Das ist eine ganz andere Form der Führung, als man sie von einem Museum eigentlich kennt.“ Für die Teilnahme muss nur der reguläre Museumseintritt bezahlt werden.

    Weitere Termine:

    19.8., 26.8., 1.9., 2.9. und 7.10. (Beginn um 16 Uhr)

    20.8., 27.8., 3.9., 8.10., 15.10. (Beginn um 14 Uhr)

    Vor der Premiere von „Sand of Times“ bietet Wiafe Interessierten die Möglichkeit, aus erster Hand mehr über die Arbeit des Künstlerduos und das kreative Konzept ihrer Performance zu erfahren: Ihre Rundgänge starten Freitag (11.8.) und Samstag (12.8.) um 16 Uhr sowie Sonntag (13.8.) um 14 Uhr.

  3. Fotografie und Archäologie: LWL plant an Ruhrgebiesstandorten in 2024 Sonderausstellungen (PM)

    Metropole Ruhr (idr). Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mit sieben Standorten im Ruhrgebiet plant für 2024 zahlreiche Sonderausstellungen in seinen Museen. Darunter sind Kunst- und Archäologieausstellungen sowie Ausstellungen zu historischen oder natur- und sozialwissenschaftlichen Themen:

    Ab dem 29. März beschäftigt sich das Freilichtmuseum Hagen in einer Ausstellung damit, wie unterschiedlich Auszubildende sowie Gesellen aus ganz Deutschland mit dem Ausgangsmaterial Bernstein umgehen. Im Rahmen des LWL-Themenjahrs „Powr! Postkoloniales Westfalen-Lippe“ zeigt das Freilichtmuseum ab dem 5. Mai zudem die Präsentation „Macheten, Tabak, Edelsteine“ zum Thema (Post-)koloniale Strukturen in Handwerk und Gewerbe.

    Das LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne zeigt bis zum 18. August 2024 die Sonderausstellung „Modern Times. Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten“. Hier präsentiert das Museum die drei Wechselausstellungen. Außerdem zu sehen ist die die Ausstellung „Diversity“ (Start: 25. Januar), in der verschiedene Dimensionen von Vielfalt beleuchtet werden, von den Themen Generation und Religion über Geschlecht und sexuelle Orientierung bis hin zu Behinderung und Herkunft.

    Die Zeche Zollern in Dortmund präsentiert ab Sommer 2024 eine Ausstellung über den Kolonialismus Westfalens. „Das ist kolonial.“ baut auf Kooperationen und Ergebnissen einer partizipativen Werkstatt aus dem Jahr 2023 auf. Dabei entstandene Interviews, künstlerische Arbeiten und Filme eröffnen neue Perspektiven und verdeutlichen, wie Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft sind.

    Die Zeche Hannover in Bochum zeigt ab dem 20. März Panoramen des Wandels vom Vergehen und Werden und rückt mit einer Hommage an die Birke die „Lost Places“ der Region in ein neues Licht. Die Ausstellung „Coal Mine Recycling – Fotografien von Leo van der Kleij“ zeigt ab dem 03. Juli wie der Fotograf van der Kleij über 40 Jahre lang den Wandel in europäischen Bergbauregionen mit der Kamera begleitet hat. Seine Fotografien zeigen Stillstand und Abbruch, neue Industrien und Gewerbe, die Gestaltung von Freizeitflächen und Naturräumen, das Nebeneinander von Alt und Neu – und rücken dabei immer auch die Menschen in den Blick.

    Die Zeche Nachtigall in Witten lädt ab dem 01. April in die Ausstellung „Weg der Kohle – Fotografien von Khalil Döring“, die sich mit dem Ausstieg aus der Kohle beschäftigt. Khalil Döring folgt den Spuren der europäischen Steinkohle-Logistik und begleitet die Menschen, deren Leben mit dem Weg der Kohle verbunden ist.

    Ab dem 25. Mai ist die Ausstellung „War is Peace – Hinter der Front“ in der Henrichshütte in Hattingen mit Fotos der Deutschrussin Nanna Heitmann zu sehen. Am 24. Februar 2022 fotografierte die gebürtige Ulmenerin, die heute in Moskau lebt, die ersten russischen Panzer, mit denen der Überfall auf die Ukraine begann.

    Das Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop widmet sich ab dem 12. Oktober in der Ausstellung „Container – Die globale Box“ dem amerikanischen Unternehmer Malcom McLean, der 1956 erstmals ein Schiff voller Container auf die Reise schickte. Für die Ausstellung wird am Oberwasser des Schiffshebewerks ein fünfstöckiges Gebäude aus 16 Containern aufgetürmt.

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