Tote Hose in der Linienstraße: Kontaktverbot macht Prostituierte arbeitslos – die Mitternachtsmission hilft

Legale Prostitution – Die Bordellstraße Linienstraße in der Nordstadt von Dortmund noch vor wenigen Wochen.

Von Heike Becker-Sander

Sie hat Kriege überstanden und Rezessionen, Verlegungsplänen ins Nirwana an der Stadtgrenze getrotzt und war seit Anfang des 20. Jahrhunderts als Bordellstraße eigentlich immer irgendwie in Betrieb. Ein winziges Virus schafft, was Katastrophen und Moralapostel nicht fertigbrachten: Die Linienstraße in der Nordstadt ist geschlossen!

Existenzsicherung der betroffenen Frauen steht im Vordergrund

Tote Hose - so stellt sich die Situation in der Linienstraße aktuell dar.
Absolut „Tote Hose“ – so stellt sich die Situation in der Linienstraße aktuell dar. Foto: Alex Völkel

Keine Freier auf der Straße, keine Frauen im und am Fenster, keine Autoschlange der „Sehleute“, die im Schritttempo die knapp 200 Meter lange Straße entlangschleichen. Tote Hose in der Bordellstraße! Das Corona-Virus macht’s möglich. ___STEADY_PAYWALL___

Das Kontaktverbot, das gleichzeitig für die in der Prostitution tätigen Frauen ein Berufsverbot ist, bringt auch die Sexarbeiterinnen in Dortmunds Bordellen und die, die einzeln in entsprechenden Apartments arbeiten, in Existenznöte. Ähnlich, wie für Hundertausende selbstständiger Kleinunternehmer, gilt für sie: Keine Arbeitsmöglichkeit, kein Geld.

Die Dortmunder Mitternachtsmission, die sich auch in Zeiten der Pandemie intensiv um Frauen in der Prostitution und Opfer von Menschenhandel kümmert, hat im Moment alle Hände voll zu tun, um den Betroffenen zu helfen. „Zurzeit steht die Existenzsicherung der Frauen im Mittelpunkt unserer Arbeit“, erklärt Sozialarbeiterin Silvia Vorhauer.

Das heißt, es müssen entsprechende Anträge gestellt, Formulare ausgefüllt und ganz viele Dinge erklärt werden. „Auch wir sind ja angehalten, alles möglichst kontaktlos abzuwickeln“, so Silvia Vorhauer. Also ist das Telefon zum wichtigsten Kommunikationsmittel geworden. Denn: „Viele unserer Klientinnen stammen aus anderen Ländern, sprechen zwar deutsch, haben aber wenig Erfahrung mit der Schriftsprache.“

Etliche Prostituierte kehrten vor den Grenzschließungen in die Heimat zurück 

Diese Klippen beim Ausfüllen von Anträgen gilt es zu umschiffen. Wenn nötig, kommen auch die muttersprachlichen Mitarbeiterinnen der Mitternachtsmission zum Einsatz. „Das ist oft eine große Hilfe, wenn es um speziellere Probleme geht“, erläutert die Sozialarbeiterin. Auch das Jobcenter ist behilflich und bietet den betroffenen Frauen per Telefon Unterstützung an. Entsprechende Antragsformulare werden dann zugeschickt.

Viele Prostituierte, die zumeist aus osteuropäischen Ländern kommen, haben noch rechtzeitig die Chance genutzt, um vorübergehend in ihre Heimatländer zu reisen. Auch von den rund 200 Frauen, die in den Häusern der Linienstraße arbeiten, sind etliche zu ihren Familien zurückgekehrt.

Ungewiss bleibt das Schicksal der Frauen, die illegal meist auf der Straße arbeiten, häufig drogenkrank sind und ohne feste Bleibe. Die Streetworkerinnen der Mitternachtsmission, die sich oft auch hier mit Lebensmitteln oder Hygieneartikeln gekümmert haben, können in den Zeiten des allgemeinen Kontaktverbotes nicht mehr helfen.

Sozialarbeiterinnen bleiben über intensive Telefonkontakte mit den Klientinnen in Verbindung

Die Dortmunder Bordellstraße – abgeschirmt durch einen Sichtschutzzaun

Für die Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, ist die Mitternachtsmission natürlich auch in Zeiten der Corona-Krise da. Allerdings hat sich die Situation hier ebenfalls verändert. „Wir haben zurzeit keine Frauen, die einfach morgens vor unserer Tür stehen und um Hilfe bitten“, berichtet Regine Reinalda, die als Sozialarbeiterin in diesem Bereich tätig ist.

Grenzsperrungen und Reiseverbote machen es den Frauen, die meist aus Afrika nach Europa verschleppt werden, schwer, dem Schicksal der erzwungenen Prostitution zu entkommen.  Viele der Opfer von Menschenhandel kommen über Italien oder Spanien nach Deutschland. „Wir könnten jetzt auch aufgrund der Bestimmungen durch die Corona-Krise mit keiner dieser Frauen direkt Kontakt aufnehmen“, erklärt Regine Reinalda. „Es sei denn, es ist ein wirklich dringender Notfall.“

Dafür ist die Arbeit für die Klientinnen, die schon in der Betreuung sind, nicht geringer geworden. Trotz aller Hindernisse hat der direkte Austausch mit den Frauen und die Unterstützung im Alltag einen hohen Stellenwert. „Man muss, wie viele andere auch, einfach kreativ mit der Situation umgehen“, schildert es die Sozialarbeiterin der Mitternachtsmission. So halten ausführliche Telefongespräche den persönlichen Kontakt aufrecht. „Besuche hier in unseren Räumen sind halt im Moment nicht möglich.“

Soziale Nähe ist in Zeiten von Corona auch „kontaktlos“ möglich

Behördengänge, die nicht mehr direkt erledigt werden können, versucht man, online auf die Reihe zu bekommen oder mit dem „kontaktlosen“ Austausch von Anträgen und Dokumenten. „Alle sind wirklich hilfsbereit und versuchen, uns und unsere Klientinnen so unbürokratisch wie möglich in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen“, lobt Regine Reinalda. In der Krise zeigt sich halt, dass soziale Nähe auch „kontaktlos“ möglich ist.

 

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Reaktionen

  1. Jusos spenden an die Dortmunder Mitternachtsmission – Anja Butschkau

    […] Da die Frauen in der Regel als Selbständige arbeiten, erleben sie momentan einen kompletten Einnahm… Die Beantragung von staatlicher Hilfe erweist sich wegen Sprachbarrieren als schwierig. Da die Frauen in der Regel als Selbständige arbeiten, gibt es keinen Zugang zur Sozialversicherung. In manchen Fällen können sie sich allenfalls von Erspartem über Wasser halten. Doch selbst das ist eher selten, da viele Frauen, aus ärmlichen Verhältnissen, z.B. aus Südosteuropa stammen und mit ihrem Einkommen aus der Prostitution oft ihre Familien im Heimatland mitversorgen. Im Moment stehen sie mittellos da. […]

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