HINTERGRUND: Neonazis, Reichsbürger, Linksextremisten und Salafisten – politisch motivierte Kriminalität in Dortmund

In der Emscherstraße 2 ist die Schaltzentrale der Dortmunder Neonazis.
In der Emscherstraße 2 und Tusneldastraße 3 ist die Schaltzentrale der Bundespartei „Die Rechte“. Foto: Alex Völkel

Von Alexander Völkel

Dortmund macht immer wieder – auch überregional – wegen seiner rechtsextremen Szene Schlagzeilen. Im aktuellen Landesverfassungsschutzbericht wird Dortmund-Dorstfeld als das „Gravitationszentrum der Neonazis in NRW“ bezeichnet. Doch rechtsextremistische Gewalttaten gehen immer weiter zurück. Und Taten werden zu 90 Prozent aufgeklärt. Hat sich der Kontrolldruck also ausgewirkt? nordstadtblogger.de hat mit Polizeipräsident Gregor Lange und Staatsschutzchef Karsten Plenker über politisch motivierte Kriminalität in Dortmund gesprochen. Vor allem beim Thema Reichsbürger gibt es interessante Entwicklungen.

141 Reichsbürger im Zuständigkeitsbereich der Polizei Dortmund entwaffnet

Polizeipräsident Gregor Lange und der Leiter des Staatsschutzes, Karsten Plenker, im Interview mit Nordstadtblogger.de. Foto: Leopold Achilles
Polizeipräsident Gregor Lange und Staatsschutz-Chef Karsten Plenker im Interview. Foto: Leopold Achilles

Seit es in Süddeutschland ein Tötungsdelikt gab, haben die Polizeibehörden die Reichsbürgerbewegungen ganz bewusst in den Blick genommen.

„Es gibt ein riesiges Dunkelfeld. Sehr viele sind auf den fahrenden Zug aufgesprungen – über 50 Prozent aber nicht aus ideologischen, sondern rein finanziellen Interessen“, berichtet Karsten Plenker. Denn Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik ab – und damit auch Steuerforderungen. 

Doch egal, ob ideologisch oder materiell motiviert, für den Staatsschutz sind vor allem die Waffenträger von Interesse. 350 Verdachtsfälle gab es in der Hauptstelle in Dortmund, zu der auch Soest, Unna und Hamm gehören.  „Bei rund 50 Prozent konnten wir den Nachweis führen, dass sie Reichsbürger sind, bei 30 Prozent, dass dies nicht so ist“, zieht Plenker Bilanz.  

Reichsbürger sind bei der Polizei ein Thema - 141 wurden im Dortmunder Zuständigkeitsbereich entwaffnet.
Die Zahl der Reichsbürger und sogenannten Selbstverwalter steigt deutlich.  Foto: Alex Völkel

Polizeisprecher Kim-Ben Freigang konkretisiert im Nachgang die Zahlen: Bei 141 nachweisbaren Reichsbürgern im Bereich der Dortmunder Hauptstelle seien von den zuständigen Kreispolizeibehörden die Waffen eingezogen worden.

Wie viele Reichsbürger es allerdings insgesamt im Zuständigkeitsbereich gibt, ist offen. Landesweit spricht der Verfassungsschutz NRW von 2.750 (Stand 26.06.2018) Anhängern dieser Bewegung – die Tendenz ist weiter steigend.

Allerdings sei bei der Mehrzahl der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ keine feste Organisationsbindung erkennbar.  „Es handelt sich überwiegend um Einzelpersonen sowie Angehörige loser örtlicher Szenen“, heißt es dazu vom Verfassungsschutz NRW. Nur zehn Prozent seien in organisierten Gruppen Mitglied.

„Maulkorb“ vom Gericht: Keine Infos zum Reichsbürger bei der Polizei Dortmund 

Die Polizei hatte ursprünglich selbst auf den Reichsbürger in ihren Reihen aufmerksam gemacht. (Screenshot)
Die Polizei hatte ursprünglich selbst auf den Reichsbürger in ihren Reihen aufmerksam gemacht. (Screenshot)

Einen identifizierten Reichsbürger hatte die Dortmunder Polizei auch in den eigenen Reihen. Die Polizeiführung ging damit bereits 2014 offensiv und auch öffentlichkeitswirksam um und suspendierte den Beamten. Doch seitdem gibt es dazu keine Informationen mehr. Selbst, ob das Verfahren vor der Disziplinarkammer am Verwaltungsgericht (VG) oder Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster läuft bzw. abgeschlossen ist, wird nicht mitgeteilt.

„Wir haben von gerichtlicher Seite einen Maulkorb bekommen“, berichtet Polizeipräsident Gregor Lange. „Wir haben sehr früh reagiert – auch mit Durchsuchungsmaßnahmen. Das ist nicht alltäglich. Wir hatten ihn suspendiert.“ Doch, ob er noch suspendiert ist, entlassen wurde oder weiter Dienst tut, darüber kann und will niemand sprechen. 

So auch beim OVG: Der zuständige Presserichter Ralf Redeker will noch nicht mal bestätigen oder dementieren, ob es ein Verfahren gibt oder gegeben hat. „In Disziplinarverfahren geben wir grundsätzlich keine Auskunft“, teilte Redeker mit. Es soll sich bei dem Reichsbürger in Uniform zumindest in Dortmund um einen Einzelfall gehandelt haben, heißt es dazu aus Polizeikreisen.

Nach unbestätigten Meldungen soll der suspendierte Beamte mittlerweile aus dem Polizeidienst entlassen worden sein, heißt es dazu aus Ministeriumskreisen.

Dorstfeld wegen der Partei „Die Rechte“ das „Gravitationszentrum der Neonazis“ in NRW

Die Neonazis reklamieren Dorstfeld und speziell das Viertel um den Wilhelmplatz für sich.
Die Neonazis reklamieren Dorstfeld und speziell das Viertel um den Wilhelmplatz für sich.  Foto: Alex Völkel

Deutlich gesprächsbereiter ist die Polizei Dortmund allerdings zum Thema Rechtsextremismus und Neonazis. Die Partei „Die Rechte“ entwickelte sich nach dem Verbot mehrerer Neonazikameradschaften durch den NRW-Innenminister 2012 – darunter war auch der „Nationale Widerstand Dortmund“ (NWDO) – zum Sammelbecken von Neonazis. 

„Ziel des NRW-Landesverbandes ist es, die bisherigen neonazistischen Aktivitäten nunmehr im Schutz des sogenannten Parteienprivilegs zu betreiben und neonazistische Propaganda zu verbreiten“, heißt es dazu vom Verfassungsschutz NRW. Bundesweit hat die Partei 650 Mitglieder, Anhänger und Unterstützer, davon ca. 270 in NRW.  

„Die Partei ,Die Rechte’ ist in struktureller Hinsicht ein Sammelbecken für Neonazis, ideologisch wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus und tritt in aggressiv-kämpferischer Weise auf. Dies trifft insbesondere auf den Landesverband Nordrhein-Westfalen zu, der den Bundesverband dominiert. Die Führung des Landesverbandes setzt sich aus Hauptprotagonisten der verbotenen Kameradschaften Dortmund und Hamm zusammen“, heißt es im aktuellen Bericht. 

Dortmunder AktivistInnen dominieren bundesweit die Neonazi-Splitterpartei

Die Splitterpartei „Die Rechte“ - hier ihr Co-BUndesvorsitzender Michael Brück - hat die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck zur Spitzenkandidatin bei der Europawahl gemacht.
„Die Rechte“ – hier ihr Co-Vorsitzender Michael Brück – hat Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck zur Spitzenkandidatin für die Europawahl gemacht.

Das Dortmunder Ratsmitglied Michael Brück bildet gemeinsam mit dem vielfach verurteilten Neonazi Sascha Krolzig das Führungsduo der Bundespartei. Ein politischer Schwerpunkt liegt in Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Dies werde in Kampagnen gegen Flüchtlinge, Moscheebauten und zur Unterstützung für die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck deutlich, die die Spitzenkandidatin der Partei für die Europawahl ist. 

In Dortmund störten Anhänger der Partei am 9. November 2017 eine Gedenkveranstaltung zur „Reichsprogromnacht“, indem sie „Nie wieder Israel“ skandierten. Neben sogenannten Reichskriegsflaggen zeigten sie außerdem ein Transparent mit der Aufschrift „Ein Volk, das seit zweitausend Jahren verfolgt wird, muss doch irgendetwas falsch gemacht haben“. Auch am 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels gab es eine entsprechende israelfeindliche Veranstaltung.

„Die Partei ,Die Rechte’ (stellt sich) offen in eine nationalsozialistische Tradition. So änderten sie beispielsweise das Parteiprogramm dahingehend, dass sich die Partei nunmehr zur ,Volksgemeinschaft’ bekennt, dem zentralen gesellschaftspolitischen Leitbild der nationalsozialistischen Ideologie. Ferner riefen Teilnehmer auf Kundgebungen von ,Die Rechte’ regelmäßig die Parole ,Nationaler Sozialismus jetzt’“, verdeutlicht der Verfassungsschutz. 

Einschüchterung von PolitikerInnen, JournalistInnen, BürgerInnen und BeamtInnen

Polizeipräsident Gregor Lange. Foto: Leopold Achilles
„Wir erzielen positive Effekte“, betont Polizeipräsident Gregor Lange. Foto: Leopold Achilles

Die Neonazi-Partei versuche, die von ihnen ausgemachten Feinde einzuschüchtern. „Zu diesen Gegnern zählen Politiker, Journalisten und Bürger, die sich kritisch mit der Partei ,Die Rechte’ beschäftigen, sowie Beamte, die im Sinne der wehrhaften Demokratie repressive Maßnahmen gegen Neonazis veranlassen.“

Meistens formulierten die ParteiaktivistInnen ihre Bedrohungen jedoch unterhalb der Grenze der Strafbarkeit. „Zugleich sind die Einschüchterungsversuche eindeutig genug, dass die Adressierten wissen, wie es gemeint ist“, konstatiert die Düsseldorfer Behörde.

An dieser Analyse der Partei möchte man in Dortmund nicht rütteln, wohl aber an Bedeutung und Größe der Partei. Von einem „Gravitationszentrum für Neonazis in NRW“ würde man im Polizeipräsidium Dortmund nicht sprechen wollen. „Es gibt bundesweit polizeilich keinen Raum, wo der Rechtsextremismus so intensiv zurückgedrängt wird wie hier. Wir wollen Straftaten verhindern und aufklären“, betont Polizeipräsident Gregor Lange.

90 Prozent der rechtsextremen Gewalttaten in Dortmund wurden aufgeklärt

Die Paragraphen 113 und 114 des Strafgesetzbuches sollen die VollzugsbeamtInnen vor Übergriffen schützen.
Die Neonazis sind von der Dauerpräsenz in Dorstfeld wenig begeistert.  Foto: Alex Völkel

Er verweist auf die Erfolge im Kampf gegen Rechts, warnt jedoch weiter vor den „geistigen Brandstiftern“. „Wir haben sehr intensiv und sehr ausdauernd mit der SOKO Rechts und einem massiven Präsenzkonzept in Dorstfeld – gemeinsam mit vielen Partnern – positive Effekte erzielt“, betont Lange.

Die Sonderkommission hatte und hat den Auftrag, jedes Blatt umzudrehen und niederschwellig an mögliche Straftaten heranzugehen. „Das führte zu einem Anstieg der Verfahren. Es ist ein Ausdruck der verstärkten Ermittlungstätigkeit“, verdeutlicht der Polizeipräsident. 

Sie könnten von Rückgängen, ja sogar von einem Einbrechen der rechtsextremen Straftaten sprechen. 17 Gewalttaten gab es im vergangenen Jahr aus diesem Bereich, 2016 waren es noch 60 – inklusive Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. 

Eine zweite Zahl ist dem Dortmunder Polizeichef noch wichtiger: „Insbesondere bei Gewalttaten haben wir eine Aufklärungsquote von 90 Prozent. Das kann man nicht anders als einen immensen Kontrolldruck nennen“, so Lange. 

Monatelanges Präsenzkonzept hat zu einer „Null-Lage bei Straftaten“ geführt

Mit einem Präsenzkonzept hat die Polizei ihren Druck auf Neonazi-Szene in Dorstfeld erhöht.
Mit einem Präsenzkonzept hat die Polizei ihren Druck auf die Szene in Dorstfeld erhöht.  Foto: Alex Völkel

„Die Botschaften sind klar: Über ein monatelanges Präsenzkonzept haben wir deutlich gemacht, wer in Dorstfeld das Sagen auf der Straße hat und wer über den Wilhelmplatz gehen kann oder nicht“, betont Lange.

Auch wenn die Polizeipräsenz mittlerweile nicht mehr so sichtbar sei, hieße das nichts: „Wir können das jederzeit auch wieder intensivieren. Wir agieren situationsangepasst und angemessen und halten das über Monate durch“, verweist er auf die monatelange Dauerpräsenz, die zwischenzeitlich zu einer „Null-Lage bei Straftaten“ geführt habe. 

Die Polizei sei weiterhin sehr daran interessiert, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt einzugreifen. „Wir bilden uns nicht ein, dass sich die Szene allein polizeilicher Maßnahmen wegen anders aufstellt. Aber die Null-Toleranz-Strategie macht deutlich, dass Straftaten in Dortmund keine gute Idee sind“, so Lange weiter. 

Szene hat sich über Jahrzehnte festgesetzt – 40 AktivistInnen in Dorstfeld

Allerdings sei die Szene leider unverändert vorhanden. „Sie haben sich in Jahrzehnten festgesetzt und fahren einen knallharten Neonazikurs. Sie haben weiterhin eine sehr gefährliche Rolle als Brandbeschleuniger und geistige Brandstifter in bestimmten Bereichen. Doch das ist nicht alles gleichermaßen mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen“, zieht der Polizeipräsident eine Zwischenbilanz. 

Der Leiter des Staatsschutzes, Karsten Plenker. Foto: Leopold Achilles
„In Dorstfeld wohnen 35 bis 40 Aktivisten“, so Karsten Plenker. Foto: Leopold Achilles

„Uns ist bewusst, dass die Szene unverändert da ist. Zum Glück ist sie nicht gewachsen. Aber das Gedankengut ist genauso übel wie zuvor“, so Lange. Staatsschutz-Chef Karsten Plenker geht von 65 bis 70 Aktivisten im Mobilisierungskreis von 100 Kilometern aus. In Dorstfeld selbst wohnten 35 bis 40 polizeibekannte AktivistInnen. „Die Szene ist von der Quantität her stabil. Es gibt einen geringen Austausch über die Jahre.“

In Dorstfeld gebe es gewichtige „Kaliber“ der rechtsextremen Szene. Er macht einen Strategiewechsel aus, weg vom „tumben Gewalttäter, der auf 100 Meter erkennbar ist, mehr hin zur soziologisch wirksamen Brandstiftung“, so Plenker. Sie kauften Abbruchhäuser, um Wohnraum zu generieren. Sie verfolgten politische und monetäre Interessen. 

Daher sei die Europawahl für die Partei „Die Rechte“ wichtig: Wegen der niedrigen Prozenthürde und der geringen Wahlbeteiligung der Normalbevölkerung versuchten sie, in Europa Fuß zu fassen. „Ich bin gespannt, ob das Phänomen fortbesteht. Jetzt wird das Thema Parteienfinanzierung ja neu angegangen. Das hat das Bundesverfassungsgericht der Exekutive ja ins Heft geschrieben. Mal sehen ob, sie weiter an Steuermittel kommen“, so Plenker.

Polizei Dortmund nimmt bewusst gerichtliche Niederlagen in Kauf

Doch nicht nur Straftaten als solche, sondern auch das Auftreten in der Öffentlichkeit hat die Polizei im Blick. „Es geht ja nicht nur um Straftaten, sondern auch um öffentliche Aktionsformen. Um martialisches Auftreten und einschüchterndes und provokantes Verhalten.“ Lange erinnert in diesem Zusammenhang an die mittlerweile untersagten Weihnachtsdemos, Aktivitäten des „Stadtschutzes Dortmund“ unter der an die SA erinnernden Parole „Die Straße frei den gelben Bataillonen“, untersagte Fackelmärsche zu Flüchtlingsunterkünften etc.

Mit Protesten gegen Moscheebauten wie in Eving will
Mit Protesten gegen Moscheebauten will „Die Rechte“ beim „Volk“ punkten.  Foto: Alex Völkel

Versammlungs- und strafrechtlich würden sie alle Register ziehen: „Wir prüfen, welcher staatlicher Eingriff möglich ist.“ Dabei seien sie bewusst das Risiko eingegangen, vor dem Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgericht gegen die Neonazis zu unterliegen. „Wenn ich unter keinen Umständen verlieren will, ist Nichts-zu-Machen der sicherere Weg. Aber dadurch werden sich keine rechtlichen Beschränkungen ergeben“, so Lange.

„Und wir haben in wichtigen Verfahren gewonnen. Sonst hätten wir Fackelmärsche in Dortmund“, betont Lange. Das hätte die Rechtsprechung auf Bundesebene in früheren Urteilen möglich gemacht. „Aber da haben wir einen anderen Trend gesetzt.“ Denn in Zeiten von brennenden Flüchtlingsheimen seien Fackelmärsche das völlig falsche Signal. 

Das sahen die Gerichte dann auch so, die Polizei Dortmund bekam Recht. „Man muss einen Ansatz finden, der einen größtmöglichen Schutz der Bevölkerung bietet, nicht nur der Versammlung. Wir nehmen beides in den Blick“, so Lange. Und selbst Niederlagen hätten etwas Positives. Dann seien gerichtlich Grenzen definiert.

Politische Isolation der Neonazis – sie profitieren nicht vom Rechtsrutsch

Bewusst kämpferisch und am Nationalsozialismus orientiert geben sich viele Aktivisten der Szene.
Bewusst kämpferisch und am Nationalsozialismus orientiert gibt sich die Szene. Foto: Alex Völkel

Wie hat sich die Szene entwickelt? Die Neonazis versuchten über Jahre, in verschiedenen Szenen, Gruppen und Einrichtungen Fuß zu fassen. Eine seit 2015 bestehende Aufbruchsstimmung in der rechtsextremistischen Szene wurde von der Hoffnung genährt, über die gesellschaftliche Diskussion zur Flüchtlingspolitik Menschen für rechtsextremistische Organisationen gewinnen zu können. 

„Die Szene realisiert mittlerweile, dass fremden- und islamfeindliche Argumentationsmuster in breitem Umfang Fuß gefasst haben, sie selbst davon jedoch bislang nur in geringem Maße profitiert haben“, konstatiert der Verfassungsschutz.

„Ein Teil der Szene reagiert darauf mit zunehmender Radikalisierung. Statt die Mitte der Gesellschaft für rechtsextremistische Positionen zu gewinnen, sollen vorrangig überzeugte Rechtsextremisten bestärkt und mobilisiert werden. Programmatisch zeigt sich dies bei der Partei ,Die Rechte’ beispielsweise durch die Aufnahme nationalsozialistischen Vokabulars in ihr Grundsatzprogramm. Organisatorisch schlägt sich diese Entwicklung unter anderem bei der NPD nieder“, heißt es weiter.  

Zunehmende Radikalisierung – Sorge vor rechtsterroristischen Aktionen?

Die Razzia gegen Mitglieder Partei „Die Rechte“ sorgtfür bundesweite Aufmerksamkeit, wie ein Screenshot von Süddeutsche.de belegt.
Geplanter Rechtsterror: Die Razzia gegen Mitglieder der Partei „Die Rechte“ sorgte für bundesweite Aufmerksamkeit, wie ein Screenshot von Süddeutsche.de belegt.

In Dortmund bilden beide Kleinstparteien eine Ratsgruppe mit jeweils einem Stadtverordneten, um so 45.000 Euro aus Steuermitteln für die politische Arbeit zu bekommen. „Eine verstärkte Zusammenarbeit von ,Die Rechte’ und dem ,III. Weg’ mit teilweise militanten rechtsextremistischen Organisationen im Ausland ist ein weiteres Indiz für eine Radikalisierung“, betont der Verfassungsschutz.

Diese Einschätzung teilt man auch in Dortmund: „Vom Ergebnis her hat sich die Szene so deutlich nationalsozialistisch geprägt gezeigt, dass sie weitgehend isoliert ist, unter sich bleibt und keinen Anschluss findet“, heißt es dazu aus dem Polizeipräsidium. Ist bei der zunehmenden Radikalisierung mit rechtsterroristischen Aktionen zu rechnen?

„Wir sind im Austausch mit den anderen Behörden. Konkrete Hinweise gibt es derzeit nicht. Wir müssen aber ständig wachsam und können nicht beruhigt sein. Bundesweit sind bereits Gruppierungen aufgefallen. Wir müssen sehen, was das bei der Vernetzung der Dortmunder bedeutet“, betont Lange mit Blick auf die dichte nationale wie internationale Vernetzung der heimischen Neonazis. 

Endzeit- und Bürgerkriegsszenarien kursieren – Kampfsport als Vorbereitung

„Die Szene diskutiert Endzeit- und Bürgerkriegsszenarien sowie mögliche Schritte einer Vorbereitung, beispielsweise mit Kampfsporttraining. Einige häufig virtuell entstehende Gruppierungen sehen eine vermeintliche Notwendigkeit, sich auf einen Bürgerkrieg vorzubereiten, als gemeinsame ,Klammer’ für ihre Aktivitäten“, beschreibt der Verfassungsschutz die Lage. 

Das Thema Kampfsport und dazugehörige Events wie der „Kampf der Nibelungen“ spielen in der Szene eine große Rolle. Foto: Screenshot Facebook
Kampfsport und Events wie der „Kampf der Nibelungen“ sind für die Szene wichtig. Screenshot: Facebook

„Es findet zunehmend eine Verlagerung in die reale Welt statt, gelegentlich mit der Aufforderung, sich zu bewaffnen. Das Spektrum der Feindbilder reicht von Migranten über vermeintlich linke Aktivisten bis zu Politikern. Es besteht die Gefahr, dass sich auf diesem Nährboden rechtsterroristische Strukturen oder Einzeltäter entwickeln“, warnt die Düsseldorfer Landesbehörde. 

Gerade das Thema Kampfsport ist bei der Dortmunder Szene von Bedeutung. Führende Kader sind auch hier international vernetzt und organisieren selbst auch große Events wie den „Kampf der Nibelungen“. Doch in Dortmund finden diese Veranstaltungen nicht statt, sondern zumeist in ländlicheren Regionen, wo die Szene nicht so bekannt ist und es eher nicht zu Gegenaktionen kommt.

Polizei sieht kaum Probleme mit Linksextremismus in Dortmund

Gewaltsame versuchten Autonome Antifa den Neonaziaufmarsch am 1. Mai 2007 zu verhindern.
AntifaschistInnen versuchten gewaltsam, einen Aufmarsch zu verhindern. Das ist elf Jahre her. Foto: Alex Völkel

Das Thema Linksextremismus, Salafismus und Ausländerkriminalität hat die Dortmunder Polizei natürlich auch im Blick. Allerdings sticht die linke bzw. linksextremistische Szene nicht heraus. „Wir sind hier kein herausgehobenes Zentrum. Es gibt Aktivitäten und auch Straftaten. Aber auch Straftaten gehen deutlich zurück“, konstatiert die Dortmunder Polizeibehörde.

Generell gilt die autonome Szene in Nordrhein-Westfalen eher als aktions- denn ideologiefixiert. „Gewalt stellt dabei ein grundsätzlich akzeptiertes Mittel im Kampf gegen den Staat und andere politische Gegner dar“, konstatiert der Verfassungsschutz NRW. Dies zeige sich bei den Zusammenstößen im Hambacher Forst oder der Beteiligung an den G20-Protesten. Doch eine Dortmunder Beteiligung sei bisher nicht bekannt.

Zudem gebe es in Dortmund kaum noch Zusammenstöße zwischen rechts- und linksextremen Kräften. Das liege auch an der zunehmenden Schwäche der Neonazis, große Aufmärsche in der Westfalenmetropole zu organisieren. Die vergangenen Aktivitäten seien, trotz teils monatelanger und europaweiter Mobilisierung, zum Glück eher schwach besucht gewesen, so Lange erleichtert.

Neonazis hoffen regelrecht auf Zusammenstöße mit gewaltbereiten Linken

„Die Partei ,Die Rechte’ versucht, wieder an ein großes Kampagnenthema anzudocken. Aber auch am 14. April 2018 ist das nicht gelungen. Es standen sich auch keine kämpfenden Truppen von Rechts und von Links gegenüber“, freut sich Lange. Nach monatelanger Mobilisierung hätten 600 Neonazis 5.000 Menschen gegenüber gestanden, die überwiegend friedlich demonstriert hätten. „Da war Dortmund nicht eine Hochburg des Rechtsextremismus, sondern der Demokratie.“

Lautstarker und kreativer Protest schlug den AfD-Vertretern an der TU Dortmund entgegen.
Lautstarker, kreativer und friedlicher Protest schlug AfD und Nazis an der TU entgegen. Foto: Völkel

Anders als mancher Dortmunder Polizeibeamter (Zitat: „Die Linken sind doch mindestens genauso schlimm“) bewertet die Führungsspitze der Dortmunder Polizei die Gefahr von Links: „In Dortmund  haben wir eine klassische linke Szene, aber bei weitem nicht gewalttätig und extremistisch. Durch die Unis haben wir einen hohen Anteil von jungen Leuten und eine gute Kneipenszenerie, die teils auch Links bedient. Aber auf sehr zurückhaltende Art und Weise“, beurteilt Staatsschutz-Chef Plenker die Lage in Dortmund.

Eine Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremisten lehnt er ab: „Da muss ich sehr stark unterscheiden. Wir haben eine große linke Szene, aber keine autonome und gewalttätige“, so Plenker. Beim Aufeinandertreffen während der Landtagswahl von Linken und Rechten an der Uni sei „ein sehr souveräner und durchaus erwachsener Umgang“ mit Neonazis zu erkennen gewesen. 

„Wir haben keine autonome Szene, die den Rechten auf gleicher Ebene entgegentritt“, so der Staatsschützer. Sehr zum Missfallen der Neonazis, die auf ihrem Internetzentralorgan „fast schon anrührend verzweifelt“ versuchten, die Szene zu Protesten zu mobilisieren, ergänzt Lange.

Kriegerische Auseinandersetzungen in der Türkei führen zu Protesten hier 

Auch in Deutschland werden die Auseinandersetzungen geführt - Türken und Kurden geraten aneinander.
Auch in Deutschland geraten immer wieder TürkInnen und KurdInnen aneinander. Foto: Leopold Achilles

Im nicht-islamistischen auslandsbezogenen Extremismus hat der Verfassungsschutz NRW einen sprunghaften Anstieg von Demonstrationen mit Türkei-Bezug und hohen TeilnehmerInnenzahlen registriert. 

Sowohl die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als auch die verbotene Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) und die »Ülkücü-Bewegung« (sogenannte »Graue Wölfe«) haben im Jahr 2017 eine Vielzahl von Aktivitäten, durchgeführt. 

„Die Agitation und das darin teilweise zu verzeichnende Gewaltpotential, insbesondere beim Aufeinandertreffen nationalistischer türkischer Gruppierungen mit der auch linksextremistisch geprägten PKK, sind dabei abhängig von den politischen Entwicklungen in der Republik Türkei“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. 

Auslöser für die Aktivitäten der PKK waren im Jahr 2017 zunächst das im Frühjahr in der Türkei durchgeführte Verfassungsreferendum sowie die Kampfhandlungen zwischen dem türkischen Militär und den Guerillaeinheiten der PKK in Gebieten mit überwiegend kurdischer Bevölkerung. 

Demonstrationen in Dortmund blieben überwiegend friedlich

Seit Beginn der militärischen Auseinandersetzung um das nordsyrische Afrin im Januar 2018 hat das Thema Kampfhandlungen in kurdisch besiedelten Gebieten noch erheblich an Bedeutung gewonnen. Zugleich sind die Haftsituation und der Gesundheitszustand Abdullah Öcalans Auslöser für Demonstrationen, bei denen ein hohes Mobilisierungspotenzial unter der PKK-Anhängerschaft zu verzeichnen war. 

Der seit Jahren in der Türkei inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan ist auf Demos allgegenwärtig.
Der in der Türkei inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan war auf Demos allgegenwärtig.  Foto: Alex Völkel

Nachdem im Internet im Oktober 2017 Gerüchte über eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Abdullah Öcalan kursierten, kam es zu bundesweiten, offenkundig von der Organisation initiierten Demonstrationen. Diese Entwicklungen führen tendenziell zu einem Anstieg des ohnehin bestehenden hohen Konfliktpotentials der »Ülkücü- Bewegung«. 

Zusätzlich ist die linksextremistische DHKP-C in Nordrhein-Westfalen nach wie vor aktiv. Auch wenn die DHKP-C Deutschland und Westeuropa eher als Rückzugsraum bewertet, kam es Anfang 2017 nach der Verhaftung des mutmaßlichen Europaleiters des DHKP-C im Dezember 2016 anschließend zu einem sogenannten „Langen Marsch“. In dessen Rahmen fanden zahlreiche Demonstrationen im Bundesgebiet und im europäischen Ausland statt. 

In Dortmund gab es auch entsprechende Kundgebungen und Demonstrationen, die allerdings friedlich blieben oder aber – wegen erwarteter Verstöße durch das Zeigen von Fahnen verbotener Organisationen – im Vorfeld untersagt wurden. „In Dortmund ist es sehr ruhig. Da bin ich froh drum“, betont Lange.

Dortmund ist kein „Hotspot“ des Salafismus – Gefahr durch Einzeltäter

Frauen und Kinder haben am meisten unter der Rechtsordnung der Scharia zu leiden. Foto: Alex Völkel
Nicht nur junge Männer, auch Frauen und Kinder werden von Salafisten beeinflusst.  Foto: Alex Völkel

Ähnlich sieht das beim Thema Salafismus aus: „Wir haben alle Vorkehrungen getroffen und arbeiten Prüffälle ab. Das ist ein ausgesprochen intensives Geschäft geworden und ein Behördenschwerpunkt.“ Aber ein „Hot Spot“ des Salafismus sei Dortmund nicht. Dennoch werde die islamistische Szene in Dortmund nicht vergessen, unterstreicht Staatsschützer Plenker. Viele Städte müssten da noch nachbessern – nicht so aber Dortmund: „Da ist das nicht nötig.“

Doch, ob „Hot Spot“ oder nicht, das allein sei kein Kriterium: Denn die terroristische Gefahr gehe zunehmend von Einzelpersonen aus. „Wir müssen alles unternehmen, um Anschläge zu verhindern. Doch eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht und die kann auch kein Mensch auf der Welt versprechen“, macht Lange klar. „Aber die Gefahr durch Einzeltäter, die ohne Auftragslage oder Verbund agieren, ist gleichwohl gegeben.“

Er sieht die größte Gefahr nicht mehr in koordinierten und organisierten Aktionen, sondern in schnell sich radikalisierenden Einzelpersonen. Junge Männer, aber zunehmend auch Kinder und Frauen, müsse man in den Blick nehmen. 

Dabei steht die Polizei allerdings vor massiven Problemen: „Wie wollen sie innenfamiliär eine Dunkelfelderhellung machen“, skizziert Plenker das Problem. Die Rückkehrer-Problematik spiele bundesweit eine große Rolle, ebenso wie Radikalisierungserfahrungen in Kriegsgebieten. Aber: „Das ist in Dortmund zum Glück kein Thema.“

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Reaktionen

  1. Erfahrener

    Das Demokratieprinzip beruht auf einem unrealistischen Menschenbild und einem hierauf beruhenden Rechtsstaatsverständnis. Dieses Menschenbild beinhaltet die Vorstellung, wegen der im Grunde edlen menschlichen Natur sei das demokratische Prinzip ausreichend, um den Machtmissbrauch von Herrschenden zu verhindern, weil diese ja verpflichtet sind, sich an Verfassung, Gesetz und Recht zu halten (vgl. https://www.gewaltenteilung.de/demokratieprinzip/). Dabei wurde der (natürliche) Egoismus / Gruppenegoismus übersehen. Herrschende haben nämlich eher eigene Vorteile als das Gemeinwohl bzw. die Gesetze im Sinn. Der Rechtsstaat steht nur auf dem Papier, Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen sind systemkonform, vgl. z.B. https://unschuldige.homepage.t-online.de/, https://www.youtube.com/watch?v=RZR7OxEzR9k, http://www.hans-joachim-selenz.de/kommentare/2008/justiz-sumpf-deutschland.html, http://web.wengert-gruppe.de/wengert_ag/news/2003/SteuerstrafverfinDeutschland.pdf, Videos „Unser täglich Gift“. Sogar das Patientenrechtegesetz steht nur auf dem Papier- Strafanzeigen laufen leer, vgl. „Big Pharma ist Profit wichtiger als Menschenleben“,„Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität“, http://news.doccheck.com/de/228007/implantate-immer-mehr-todesfaelle/, zu Computertomografien https://www.focus.de/gesundheit/news/krebsrisiko_aid_86200.html und https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Krebs_nach_niedrigen_Strahlendosen.pdf.
    Reaktionen auf das egoistische Verhalten der Herrschenden sind sogenannte Staatsverweigerer, Reichsbürger, Rechtsradikale, Linksradikale, Amokläufer etc.. Übrigens: Nordkorea ist offiziell auch eine „Demokratie“, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Nordkorea. Dort ist lediglich offensichtlicher, was Sache ist.

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