Im Streit zwischen Trainer und Präsident muss der BVB-Chef gehen

GESCHICHTE: Der BVB scheitert an Inter Mailand und dem zweifelhaften Schiri Tesanic

Am 15. und 29. April spielte der BVB gegen Inter Mailand im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister.
Am 15. und 29. April spielte der BVB gegen Inter Mailand im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister. Foto: Archiv Gerd Kolbe

GASTBEITRAG – BVB-Archivar Gerd Kolbe erinnert an den 29. April 1964:

Lynn Oslo, Benfica Lissabon, Dukla Prag. Das waren die Stationen, über die der BVB 1963/64 im Europapokal der Landesmeister bis ins Halbfinale vordrang. Der nächste Gegner hieß Inter Mailand. Inter, das Team von „Sklaventreiber” Helenio Herrera, die Elf des deutschen Fußball-Legionärs Horst Szymaniak. Eine Mannschaft, insgesamt geradezu gespickt mit Weltklassekickern aus aller Herren Länder. Das Hinspiel in Dortmund endete am 15. April 1964 mit einem für Mailand schmeichelhaften 2:2. „Das Glück war mit Inter”, schrieb der „Sport-Beobachter”, der „Kicker” meinte: „Sogar in Mailand Chancen!”

Der wichtigste „Spieler“ für Inter war der Schiedsrichter

Vielleicht hätte der BVB am 29. April 1964 wirklich in Mailand Chancen gehabt, sich durchzusetzen. Wäre nicht, ja, wäre nicht ein gewisser Branco Tesanic aus Jugoslawien Schiedsrichter dieser Partie gewesen.

Hoppy Kurrat wurde gefoult. Foto: Archiv Gerd Kolbe

Tesanic leitete die entscheidende Partie um den Einzug ins Finale in außerordentlich einseitiger Manier und bevorzugte konsequent den Gastgeber. Als williger Helfer entpuppte sich einer der beiden Linienrichter namens Alexander Skoric. ___STEADY_PAYWALL___

Der Höhepunkt der Leitungswillkür durch den „Unparteiischen” war in der 21. Minute gekommen, als Mailands Suarez den gezielten Versuch unternahm, durch einen wuchtigen Tritt in den Unterleib von Hoppy Kurrat dessen Hoffnung auf familiären Nachwuchs ad acta zu legen.

Das Foul war für jeden der 90.000 im Stadion San Siro und für Millionen Fernseh-Zuschauer:innen derart klar erkennbar, dass alle wie selbstverständlich auf die Entscheidung Platzverweis warteten. Sie warteten vergebens, denn Tesanic hatte nichts, aber auch gar nichts gesehen. Insbesondere keine Suarez-Regelwidrigkeit.

Inter-Galionsfigur Louis Suarez Foto: Archiv Gerd Kolbe

„Alles Märchen. Suarez versuchte zwar, dem deutschen Spieler einen Schlag zu versetzen, weil ihn dieser an der Ausführung eines Freistoßes behinderte, aber Suarez schlug nicht zu, wie man jetzt behauptet”, so Tesanic später. „Alles verlief normal und regulär!”

Nun war Suarez nicht irgendein Spieler der Mailänder, sondern der anerkannte Kopf des Teams. Sein Ausscheiden hätte die sportliche Wagschale zwangsläufig zu Gunsten des Gastes ausschlagen lassen müssen.

Der BVB war unter diesen Vorzeichen dem italienischen Meister nicht gewachsen und verlor mit 0:2. Vorbei der Traum vom Endspiel.

Der jugoslawische Verband war entsetzt, aber keineswegs handlungsunwillig

Für Tesanic allerdings kam der persönliche Schlusspfiff seiner Schiedsrichterlaufbahn einige Zeit später. Seine Sünden holten den Pfeifenmann ein. In seiner Heimat hatte man nämlich die merkwürdige Regelauslegung nicht nur stirnrunzelnd zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass genommen, die Hintergründe zu recherchieren.

Und siehe da, es stellte sich heraus, dass sowohl Tesanic als auch „Linie“ Skoric auf Kosten des Inter-Vorstandes ihren Mailand-Aufenthalt gestaltet und trotzdem ihre FIFA-Spesen in Devisen eingestrichen hatten. Darüber hinaus soll sich schon im Hotelzimmer der beiden ein opulentes Gastgeschenk befunden haben, das sich später golden schimmernd am Handgelenk des Duos befunden haben soll.

Der jugoslawische Verband war entsetzt, aber  keineswegs handlungsunwillig. Deshalb strich man die beiden lebenslänglich von der Liste der nationalen und internationalen Schiedsrichter. Übrigens: Der zweite Linienrichter hatte – aus guten Gründen – die Einladungen von Inter ausgeschlagen.

Der neue Bundestrainer Helmut Schön setzte fünf  Borussen ein

Borussia nahm das Aus für Tesanic mit Genugtuung zur Kenntnis. Moralisch fühlte man sich bestätigt, sportlich allerdings war für die Schwarz-Gelben nichts mehr zu korrigieren. Ein kleiner Trost: Inter scheiterte im Finale und konnte somit den ganz großen Triumph auch nicht feiern.

BVB-Präsident Kurt Schönherr war im Hauptberuf Direktor der Union-Brauerei. Foto: Archiv Gerd Kolbe

Ein kleines Zuckerbrot gab es zum Ende der Saison aber doch noch für den BVB: Im Länderspiel Deutschland – Finnland setzte der neue Bundestrainer Helmut Schön mit Hans Tilkowski, Theo Redder, Willi Sturm, Timo Konietzka und Aki Schmidt (25. Länderspiel) fünf  Borussen ein. BVB-Rekord!

Der geschilderte 29. April 1964 erfuhr in der Nacht übrigens noch einen ergänzenden Höhepunkt: BVB-Präsident  Kurt Schönherr, von Beruf Direktor der Union-Brauerei, kam in Mailand in Damenbegleitung ins Teamhotel. Hermann Eppenhoff soll sich „unziemlich“ über die Dame geäußert haben. Gerüchteweise schwirrten Worte wie: „Die hat aber auch keine schönen Beine“ durchs Hotel.

Der BVB-Präsident schmeißt den Trainer raus und muss am Ende selber gehen

Nur wenige Stunden nach der Niederlage der Borussen gegen Inter setzte Schönherr der Situation die Krone auf und entließ den Meistertrainer wegen „übler Nachrede“ fristlos. Die Folgewirkungen waren einmalig! Zunächst einmal stellte sich die Mannschaft auf die Hinterbeine und teilte dem staunenden Vorstand mit, dass man nicht gewillt sei, die Trainerentlassung hinzunehmen. Eine Spielerrevolte allerdings war gar nicht erforderlich.

Hermann Eppenhoff hatte nämlich – pfiffig, wie er war –  mittlerweile seinen Rechtsanwalt mit der Nachforschung beauftragt, ob denn bei der Vorstandswahl der Schönherr und Co. zu Jahresbeginn alles mit rechten Dingen zugegangen war. Das war es nicht. Die Wahl war eindeutig satzungswidrig erfolgt und damit nichtig!  Der Vorstand war also gar nicht rechtmäßig in sein Amt gelangt. Er konnte somit auch niemals Hermann Eppenhoff von seiner Tätigkeit entbinden. „Ätsch!“, mag Eppenhoff zu Hause in Gelsenkirchen gedacht haben.

Das Ende vom Lied: Am nächsten Tag leitete er ganz selbstverständlich wieder das Training seiner Mannen und bereitete sie auf das HSV-Spiel vor. Der BVB allerdings hatte keinen Vorstand mehr. Das schmerzte, denn das hämische Rauschen im bundesweiten Blätterwald war mehr als nur ein laues Lüftchen. Wochen später gab es Neuwahlen, bei denen sich Präsidenten-Veteran Dr. Werner Wilms noch einmal in den Dienst seines BVB  stellte und damit die Vorstandskrise beendete.


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