Ernährungsarmut in Deutschland: Gutes Essen? Leider nicht für alle!

Wie Armut und Lebensmittelqualität die Entwicklung von Kindern beeinflussen

Studien belegen, dass in Armut aufgewachsene Kinder einen kleineren Hippocampus haben. Das aber ist genau die Region, die mit dem Lernen zu tun hat. Die Bildungschancen sind also von vornherein geringer.
Studien belegen, dass in Armut aufgewachsene Kinder einen kleineren Hippocampus haben. Das aber ist genau die Region, die mit dem Lernen zu tun hat. Die Bildungschancen sind also von vornherein geringer. Foto: Depositphotos.com

Von Peter Krause

Die Dortmunder Tafel begeht derzeit ihr 20-jähriges Bestehen. Gemeinsam mit den Volkswohl Bund Versicherungen wurde jüngst zu einem Vortrag des Journalisten Martin Rücker zum Thema „Ernährungsarmut in Deutschland – ein Bildungsrisiko für Kinder“ eingeladen. Ein Thema, das im öffentlichen Diskurs leider viel zu wenig bedacht wird.

Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft beeinflusst Stoffwechsel des Kindes

Dass es einen Zusammenhang zwischen Armut und Ernährungsqualität gibt, dürfte klar sein. Wenn das Geld für eine gesunde Ernährung nicht reicht wird auf energiedichte Lebensmittel zurückgegriffen. Beim „Double burden of Malnutrition” (übersetzt: doppelte Belastung durch Fehlernährung) kommt es darum zu einem Übergewicht bei Mangel an Vitaminen. ___STEADY_PAYWALL___

Journalist Martin Rücker Foto: Sven Lueders / Wikipedia

Martin Rücker, der einige Jahre Geschäftsführer bei foodwatch war, stellte in seinem Vortrag weiter fest, dass sich „Wohlhabende und von Armut Betroffene unterschiedlich gut ernähren, und dass es starke Indizien dafür gibt, dass ein niedriger sozialer Status mit einer schlechteren Nährstoffqualität verbunden ist.

Der Begriff „Ernährungsarmut” ist nicht bekannt genug, obwohl von den Wirkungen mangelhafter Ernährung vieles gut erforscht wurde. So weiß man von der Bedeutung der ersten 1000 Tage im Leben eines Menschen, dass ein in dieser Zeitspanne wirksamer Mangel nie mehr aufzuholen ist.

„Je nach dem wie gut eine Mutter sich bereits in der Schwangerschaft ernährt, wird der Stoffwechsel des Kindes geprägt”, so Martin Rücker im Hinblick auf gut dokumentierte Forschungsergebnisse.

Armut und Mangelernährung führen zu Entwicklungs- und Leistungsunterschieden

Noch nie seit der Wiedervereinigung war der Anteil der Menschen unter der Armutsgrenze mit etwa 14 Millionen Menschen so hoch wie heute. Welche Folgen das insbesondere für Kinder hat, trat im Rahmen von Schuleingangsuntersuchungen in Brandenburg, wo jedes fünfte Kind von Armut betroffen ist zutage.

Rund elf Prozent der deutschen Bevölkerung können sich ein gesundes Essen an jedem zweiten Tag nicht leisten. Foto: Depositphotos.com

Im Vergleich von 250.000 Kindern wurden bei armen Kindern eindeutige Entwicklungsdefizite festgestellt. Spätere Leistungsunterschiede in der Schule haben also mit der Qualität der Ernährung zu tun.

„Das Bildungssystem”, so Rücker, „schafft es nicht, benachteiligte Kinder ausreichend zu fördern. Aber die Unterschiede beginnen bereits in den ersten Lebensmonaten, also noch vor der Teilhabe am Bildungssystem. Die Ernährung, das weiß man heutzutage, spielt da eine ganz große Rolle.”

Studien belegen, dass in Armut aufgewachsene Kinder einen kleineren Hippocampus haben. Das aber ist genau die Region, die mit dem Lernen zu tun hat. Die Bildungschancen sind also von vornherein geringer.

Tafel kämpft gegen quasi staatlich geförderte „Ernährungsarmut“

Menschen in Armut ernähren sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gut. Aber gesunde Ernährung ist dreimal so teuer, und das Bürgergeld deckt das nicht ab. Während rund elf Euro pro Person und Tag für eine gesunde Ernährung nötig sind, entsprechen 6,42 Euro einem „typischen Warenkorb”.

Die Ehrenamtlichen bei der Tafel haben viel zu lachen, auch wenn sie mit Armut konfrontiert werden.
Die Dortmunder Tafel gibt wöchentlich rund 100 Tonnen Lebensmittel aus. (Archivbild) Archivfoto: Dortmunder Tafel

Der wiederum wird ermittelt, indem die geringsten Ausgaben für Lebensmittel erfragt werden. Um Qualität geht es also ausdrücklich nicht. Und da auch die Anhebung der Regelsätze nicht dem Umfang der Teuerungsrate entspricht, lässt sich sagen, dass Ernährungsarmut quasi staatlich gefördert wird.

Der damit einhergehenden Not begegnet die Dortmunder Tafel seit nunmehr 20 Jahren. Einige Hundert Helfer:innen engagieren sich darin für das Gemeinwohl, in dem pro Woche bis zu 100 Tonnen Lebensmittel an etwa 4700 Kund:innen – darunter 70,03 Prozent Bürgergeldempfänger:innen – ausgegeben werden.

Ernährungsarmut darf nicht übersehen werden

Obwohl es keine verlässliche Zahlen dazu gibt, wie viele Menschen von Ernährungsarmut überhaupt betroffen sind, vermutet man für Deutschland drei Millionen, darunter viele Kinder und Jugendliche.

In einem Positionspapier des Landes- Kinder- und Jugendausschuss des Landes Brandenburg aus war bereits im Jahr 2019 zu lesen:

„Die geringfügigen Erhöhungen bei Kindergeld, Kinderzuschlag und Kinderregelsätzen sowie die lange überfällige Reform des Unterhaltsvorschusses stellen keine tiefgreifenden Lösungen dar. Unverändert zeichnet sich das deutsche Familienleistungssystem durch seine komplexen Anrechnungs- und Schnittstellenproblematiken sowie hohe bürokratische Hürden aus, durch die Leistungen häufig an den Anspruchsberechtigten vorbeigehen. Zudem werden Familien mit höherem Einkommen nach wie vor stärker entlastet, als solche mit niedrigerem Einkommen.”

Die Frage der Ernährungsqualität hat eine menschenrechtliche Dimension

Buchcover:

Gesunde Ernährung ist eben nicht für alle möglich. So können sich elf Prozent der Menschen in Deutschland ein gesundes Essen an wenigstens jedem zweiten Tag nicht leisten. Angesichts solcher Fakten ist bedenklich, dass das Ernährungsthema politisch immer noch unterschätzt wird.

Wissenschaftliche Erkenntnisse kommen in den Debatten kaum vor, obwohl stoffwechselprägende Effekte mangelhafter Ernährung epigenetisch über Generationen hinweg nachweisbar sind.

„Die Frage danach, wie viele Kalorien einem Menschen zugestanden werden, hat eine menschenrechtliche Dimension”, so Rücker zum Ende seines ausgezeichneten Vortrags. Und als Fazit sagte er: „Ernährungssicherheit ist in Deutschland zwar ein politisches Ziel, das aber zu wenig umgesetzt wird!”

Buch beleuchtet die bedenkliche Ernährungspolitik in Deutschland

„Unsere Ernährungspolitik fördert Übergewicht statt gesunder Ernährung. Sie sieht dabei zu, wie Menschen in Kliniken und Pflegeheimen mangelernährt werden und sterben. Sie ist tatenlos, wenn gesundheitsgefährdende Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen und Verbraucher:innen gewarnt werden müssten.“, so der Referent.

„Sie befördert Klimaschäden und Tierleid, ruiniert bäuerliche Existenzen. Und sie sorgt für Hunger bei Kindern und raubt ihnen die Chance auf eine gesunde Entwicklung“, macht Martin Rücker klar.

Mehr Informationen:

Martin Rücker: „Ihr macht uns krank“
Econ-Verlag, 336 Seiten
ISBN 978-3-430-21070-6
22,99 Euro


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