NSU: Am 15. Todestag von Mehmet Kubaşık ruft das Bündnis „Tag der Solidarität“ zum individuellen Gedenken auf

Das Gedenken an Mehmet Kubaşık soll auch in Zeiten von Corona am NSU-Mahnmal stattfinden. Foto: Gina Thiel

Am 4. April 2006 – vor mittlerweile 15 Jahren – wurde Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstraße in Dortmund von Neonazis des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) erschossen. In diesem Jahr ruft das Bündnis „Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich“ bereits zum neunten Mal zum Gedenken an den Todestag von Mehmet Kubaşık auf. Der traditionelle Schweigemarsch durch die Nordstadt muss in diesem Jahr erneut ausfallen – das Erinnern und Aufmerksam machen aber nicht. Aufgrund der aktuell schwierigen Pandemielage soll es in diesem Jahr lediglich eine Kundgebung am Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft in der Nordstadt geben.

Bündnis „Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich“ ruft zu individuellem Gedenken am 4. April auf

Mehmet Kubaşık wurde am 4. April 2006 von rechtsextremen Gewalttätern in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstraße ermordet. Archivfoto: Klaus Hartmann

An Ostersonntag ist für 14 Uhr am NSU-Mahnmal an der Steinstraße – unweit des Nordausgangs des Hauptbahnhofs – eine Kundgebung geplant. Damit soll der Forderung nach Aufklärung, Erinnerung und Konsequenzen trotz Pandemielage Ausdruck verliehen werden.

Die Frage, wie man in diesen schwierigen Zeiten wichtige Tage wie den 9. Tag der Solidarität begehen kann, lässt sich aber nicht eindeutig beantworten. Sicher ist bisher nur die geplante Kundgebung.

In welchen Rahmen und Umfang diese stattfinden könne, das müsse kurzfristig und vor allem flexibel entschieden werden, erklärt Marie Kemper vom Bündnis. Grund für die aktuelle Unschlüssigkeit: Noch hat das Land Nordrhein-Westfalen keine offiziellen Angaben zum weiteren Verfahren in der Corona-Pandemie gemacht. Auch die Bundesregierung änderte ihre Strategie vom einmaligen Ruhetag am Donnerstag und Samstag innerhalb weniger Stunden wieder und ruderte zurück. Das macht die Planung für das Bündnis „Tag der Solidarität – kein Schlussstrich“ schwierig.

Es gäbe aber Raum für individuelles Gedenken, sowohl am Mahnmal als auch an der Gedenkstätte vor Ort am Kiosk, betont Kemper. Sie wird mit Freunden gemeinsam die Gedenktafel an der Mallinckroadtstraße 190 aufsuchen und ihre Forderungen nach Aufklärung und iher Solidarität Ausdruck verleihen.

Ein Rückblick auf die vergangenen Jahre mit der Hoffnung auf Besserung in der Zukunft

Der 4. April 2006 war für Dortmund ein trauriger Tag. Mehmet Kubaşık wurde in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstraße 190 von Neonazis des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) erschossen. Bis heute sind viele Fragen offenen geblieben – auch zwei Jahre nach dem Urteil im NSU-Prozess. Deshalb setzt sich das Bündnis „Tag der Solidarität – kein Schlussstrich“, seit 2012 für die Aufklärung rund um den Mord ein und arbeitet eng mit der Familie Kubaşık zusammen.

Jenseits von Staatsangehörigkeit und Religion: Trauer und Entschlossenheit bei der Benennung. Fotos: Alex Völkel
Jenseits von Staatsangehörigkeit und Religion: Trauer und Entschlossenheit bei der Benennung des Platzes im November 2019. Archivfoto: Alex Völkel

Bereits im vergangenen Jahr musste der traditionelle Trauermarsch durch die Dortmunder Nordstadt abgesagt werden. Dieser ist eigentlich mittlerweile Tradition in Dortmund. Jedes Jahr versammeln sich viele hunderte Menschen, um an den türkischstämmigen Mehmet Kubaşık zu erinnern, aber auch um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.

Sie vergessen nicht und sie werden nicht still werden – ein Appell vor allem an die Politik und die Forderung der Aufklärung. Viele Fragen zum Tatgeschehen sind bis heute ungeklärt: Wie konnte eine bewaffnete Gruppe über Jahre hinweg faschistische Morde und Anschläge in Deutschland begehen? Was wusste der Staat davon? Gehörten zu der Gruppe Nazis aus Dortmund?

Der Schweigemarsch durch die Dortmunder Nordstadt wurde in den vergangenen Jahren zum Anlass genommen, auch auf die immer noch aktuellen Probleme in der Gesellschaft und Politik aufmerksam zu machen. An verschiedenen Stationen, die alle in Verbindung mit dem beliebten Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık stehen, wurden Stopps eingelegt, Reden gehalten und auf aktuelle Missstände aufmerksam gemacht.

Auch in diesem Jahr hätte ein solcher Demonstrationszug Raum für viele wichtige Themen bieten können. Maria Kemper hat die Hoffnung auf staatliche Aufklärung längst aufgegeben, ihre Hoffnungen liegen auf der Gesellschaft. Es könne nicht sein, dass es im Jahr 2021 immer noch Raum für Vertuschung von Rechtsextremismus innerhalb der Dortmunder Polizei gäbe, sagt sie wütend. In ganz Nordrhein-Westfalen gibt es 186 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus bei der Polizei – 15 davon allein in Dortmund. Das zeigt, wie wichtig und notwendig die Arbeit des Bündnisses auch heute, 15 Jahre nach dem Mord an Mehmet Kubaşık ist.

 Maria Kemper: „Der Demonstrationszug liegt uns sehr am Herzen, aber die Gesundheit der Menschen auch.“

Demonstration zum Gedenken der Ermordeten des NSU.

Das Bündnis „Tag der Solidarität – kein Schlussstrich“ und die Familie Kubaşık sind sich einig: Der Demonstrationszug liegt ihnen am Herzen, aber man müsse die aktuelle Gesundheitslage ernst nehmen.

Das Demonstrationsrecht ist zwar von den aktuellen Corona-Maßnahmen nicht betroffen und rein rechtlich dürfen Demonstrationen weiter stattfinden, wissenschaftliche Studien haben aber gezeigt, dass gerade diese Demonstrationen das Infektionsgeschehen häufig nach oben treiben. Das Bündnis „Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich“ möchte ganz bewusst vom Demonstrationsrecht in diesen Zeiten kein Gebrauch machen. Damit grenze man sich klar von Gruppen wie den Querdenkern ab und setze ein Zeichen gegen Rücksichtslosigkeit.

Mit der geplanten Kundgebung am NSU-Mahnmal am 4. April möchte man sich aber auch in schweren Zeiten solidarisch mit der Familie Kubaşık zeigen. Das Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft ist ein historisch wichtiger Punkt, den man nutzen müsse, um sich gegen die Vertuschung, Verharmlosung rechter Gewalttaten und Rassismus in der Gesellschaft stark zu machen, sagt Marie Kemper vom Bündnis.

Viele Menschen hat der Tod von Mehmet Kubaşık traurig gemacht. „Mein Vater war ein aufgeschlossener, ehrlicher Mensch, der ganz viele Späße gemacht hat. Man mochte ihn einfach“, sagt Gamze Kubaşık. Deshalb soll ihm auch weiterhin am 4. April die Ehre erwiesen werden, damit sein Tod nicht vergessen wird und Rassismus und Rechtsextremismus in der Gesellschaft immer weniger Raum finden.

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