Alles nur Einzelfälle oder gibt es rechtsextreme Netzwerke? Diese Fragen werden seit Wochen heiß diskutiert. Aktueller Anlass sind Ermittlungen zu Chatgruppen innerhalb der Polizei, in denen extremistische, rassistische und fremdenfeindliche Inhalte gepostet worden sein sollen. Ausgangspunkt war Essen/Mülheim – aber auch Köln, Aachen und Dortmund sind im Blick. Am kommenden Samstag (13. März) gibt es deshalb auch eine Antifa-Demo gegen rechtsextreme Umtriebe bei der Polizei in Dortmund. Die Demo soll um 17.30 Uhr beginnen und von der Reinoldikirche zum Polizeipräsidium führen.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Ein Cluster „bemerkenswerter Größenordnung“
Im Februar 2021 wurde ein Bericht zu einer im Auftrag des Innenministeriums durchgeführten Sonderinspektion in der Essener Behörde bekannt. Der Essener Polizeipräsident kommentierte, „dass kein (rechts-)extremistisches Netzwerk innerhalb meiner Behörde existierte und dass es sich nach Bewertung der Sonderinspektion nicht um extremistische Chatgruppen gehandelt hat“.
„Das Handeln der Treiber und Unterstützer ging deutlich über das Posten rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Inhalte hinaus. Es erfasste alle Aspekte des Syndroms Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamphobie, Sexismus, Homophobie etc. Die Treiber und Unterstützer traten auch strafrechtlich mit den verschiedenen Deliktformen (Staatsschutzdelikte, Amtsdelikte, Körperverletzungsdelikte, Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Eigentumsdelikte etc.) in Erscheinung. Dieses Cluster erreichte eine bemerkenswerte Größenordnung“, hieß es im Februar.
Die rund 30-seitige „Managementfassung“ des Sonderberichts dazu lag dem Innenministerium seit dem 22. Februar 2021 vor und wurde intern geprüft. Nach Abschluss kommentierte Innenminister Herbert Reul am 11. März die Ergebnisse im Innenausschuss des Landtags. (Das Lagebild gibt es im Anhang als PDF zum Download)
Innerdienstliche „Gesinnungsgemeinschaften“ teilten Rechtsextremes in Chatgruppen
Laut internen Ermittlungen sind demnach bei der Polizei in NRW keine rechtsextremen Tendenzen in größerem Stil erkennbar, auch kein Netzwerk – zu diesem Schluss kommt ein Lagebericht des Innenministeriums. So seien „konspirative und handlungsorientierte rechtsextremistische Netzwerke innerhalb der Polizei NRW bislang nicht nachweisbar“, heißt es dort.
Nur in wenigen Einzelfällen bestehe Verdacht auf Kontakt zu oder Mitgliedschaft in rechtsextremistischen Organisationen. Auch seien „Unterwanderungstendenzen oder Beteiligung von Polizistinnen und Polizisten an rechtsextremistischen Netzwerken bisher nicht feststellbar“. Die Ergebnisse der bisher abgeschlossenen Straf- und Disziplinarverfahren lassen den Angaben zufolge nicht den Schluss zu, dass die Mehrzahl der Akteure über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfüge.
Bei den aufgedeckten Chatgruppen handele es sich stattdessen um innerdienstliche „Gesinnungsgemeinschaften“, in denen rechtsextremistische Einstellungen geteilt worden seien. Rassismus, Antisemitismus sowie Verherrlichung von Gewalt und des Nationalsozialismus seien dabei das in den Verdachtsfällen festgemachte dominierende rechte Gedankengut.
Ballungen in den Polizeipräsidien Essen (50), Köln (21), Aachen (25) und Dortmund (14)
Insgesamt gibt es den Angaben des Innenministeriums zufolge aktuell 186 Verdachtsfälle, davon die große Mehrzahl von 170 gegen Polizeibeamte. Weitere Fälle betreffen Verwaltungsbeamte und Regierungsbeschäftigte. Die Ermittlungen führten bislang zu 273 Straf- und Disziplinarverfahren, von denen 72 abgeschlossen sind.
Demnach sind Männer sowie der Wach- und Wechseldienst von den Verdachtsfällen überproportional betroffen. 110 von 186 ausgewerteten Fällen konzentrieren sich auf die Polizeipräsidien in Essen (50), Köln (21), Aachen (25) und Dortmund (14).
Die meisten Fälle seien als Rassismus (125), NS-Verherrlichung (95), Antisemitismus (66) und Gewaltverherrlichung (62) zu werten. Bei den arbeitsrechtlichen Verfahren von Nicht-Beamten seien drei Abmahnungen ausgesprochen worden und zwei Kündigungen.
Es seien vier Mitarbeiter von NRW-Sicherheitsbehörden mit Kontakten zu rechtsextremen Organisationen und einer als Mitglied einer rechtsextremen Gruppe entdeckt worden. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte, die Zahl habe sich inzwischen auf 251 Beschäftigte von Sicherheitsbehörden erhöht, die unter Verdacht stünden.
Die Einschätzung und Bewertung ist allerdings umstritten: Es gibt keine unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Lage bei der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden. Auch wie groß das Dunkelfeld ist, wurde nicht thematisiert.
Lange: „Die Dortmunder Polizei steht für den entschlossenen Kampf gegen Rechtsextremismus“
Bericht und Zahlen kommen für den Dortmunder Polizeipräsidenten Gregor Lange zur Unzeit, weil man gerade auf die deutlichen Erfolge im Kampf gegen die rechtsextreme Szene verweisen kann. Deren Straftaten sind deutlich rückläufig, viele Nazi-Kader nach Ermittlungen mit anschließenden Verurteilungen inhaftiert.
Daher sieht sich Lange genötigt, erneut darauf zu verweisen, dass „die Dortmunder Polizei für den entschlossenen Kampf gegen den Rechtsextremismus“ stehe. „Ich erwarte von allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie jederzeit aktiv für die Ziele und Werte unserer Verfassung eintreten. Für rechtsextremistisches Gedankengut, Antisemitismus und Rassismus ist in unseren Reihen bei der Polizei Dortmund kein Platz“, so Lange.
„Deshalb gehen wir schon seit vielen Jahren mit strengem Maßstab jedem Hinweis nach und leiten bei jedem entsprechenden Verdacht sofort disziplinarische und arbeitsrechtliche Verfahren oder Strafverfahren ein. Das erwarten auch unsere vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von mir, die jeden Tag beanstandungsfrei und verfassungstreu ihren Dienst versehen und sich das Vertrauen der Dortmunderinnen und Dortmunder mehr als verdient haben“, so der Polizeipräsident
Dortmunder Polizei ist 15 Verdachtsfällen nachgegangen und hat sie gemeldet
Lange verweist darauf, dass er bereits im Jahr 2014 ein Disziplinarverfahren gegen einen Polizeibeamten unter Reichsbürgerverdacht eingeleitet und öffentlich gemacht habe – mit der Entlassung hat es aber noch nicht geklappt. Erst seit sieben Jahren suspendiert, der Fall ist noch beim OVG Münster anhängig.
Eine Kommissaranwärterin wurde im Jahr 2016 von Mitstudierenden dabei beobachtet, dass sie mit einem Thor Steinar Pullover zum Unterricht erschien. „Die Anwärterin habe ich nach sehr langwierigem Gerichtsverfahren schließlich aus dem Dienst entfernt“, so Lange.
„Mir ist im Hinblick auf die Veröffentlichung des Landeslagebildes eines sehr wichtig: Die dort verzeichneten 14 Hinweise haben wir beim PP Dortmund bereits in der Vergangenheit selbst aufgedeckt. Überwiegend kamen die Hinweise aus den eigenen Reihen, nicht alle Hinweise haben sich zu Verdachtsmomenten erhärtet. Insgesamt liegen uns seit 2017 bis heute sogar 15 Hinweise, nicht 14 wie im Lagebericht zu lesen, vor, die die Dortmunder Polizei aktiv an das Ministerium gemeldet hat“, stellt Lange klar. „Wir haben dem Sonderbeauftragten des Innenministeriums jeden Hinweis und jeden Verdacht gemeldet, dem wir seit 2017 eigeninitiativ und intensiv nachgegangen sind.“
Bei den gemeldeten 15 Hinweisen hätten sich bislang keinerlei Bezüge zu den „erschütternden Chatgruppen in Essen/Mülheim ergeben. Auch eine Verbindung in organisierte rechtsextremistische Strukturen oder in die Dortmunder Neonazi-Szene hat sich glücklicherweise bis dato nicht gezeigt“.
„Ich denke, wir sind im Aufdecken und im professionellen, ergebnisorientierten Vorgehen gegen abtrünnige Beamte und Tarifbeschäftigte ziemlich erfolgreich. Das zeigen die auch vor Gericht erfolgreich geführten Disziplinar- und Entlassungsverfahren. In den allermeisten Fällen kamen die Hinweise aus den eigenen Reihen“, so Lange.
„Das zeigt deutlich, dass die Dortmunder Polizistinnen und Polizisten solches Gedankengut in den eigenen Reihen eben auch nicht akzeptieren. Und diese Einstellung meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter macht mich sehr zuversichtlich!“
Dortmunder Polizeipräsidium informiert über die einzelnen Verdachtsfälle
Im Detail teilt die Dortmunder Behörde mit (Angaben im Wortlauf): Von den 15 Hinweisen konnten nach intensiven Ermittlungen insgesamt acht Fälle nicht bestätigt werden, es ergaben sich keine konkreten Verdachtsmomente. Zwei der angeführten Fälle sind noch nicht abgeschlossen, ein rechtsextremistischer Hintergrund konnte aber auch hier ausgeschlossen werden.
In drei Fällen hat der Dortmunder Polizeipräsident Kommissaranwärter/Innen aus dem Dienst entlassen. Ein Anwärter hatte in einer Hausarbeit aus einer rechtsextremistischen Schrift zitiert, der Hinweis darauf kam aus der Polizeihochschule selbst. Weitere Hinweise gab es von Mitstudierenden auf einen Anwärter, der in seinem Wagen rechtsextreme Musik hörte. Vorliegende gerichtliche Entscheidungen haben unsere Maßnahmen bestätigt.
In zwei Fällen kam es zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen. Wegen des Verbreitens von Bildern mit rechtsextremistischem Hintergrund in einem Chat wurde ein Mitarbeiter der Hausverwaltung gekündigt. Auch hier ist das arbeitsgerichtliche Verfahren bereits abgeschlossen. Wegen fragwürdiger Kommentierungen in sozialen Medien erhielt ein Mitarbeiter eine disziplinarrechtliche Abmahnung. In beiden Fällen kamen die Hinweise aus dem Kollegenkreis.
In zwei Fällen sind die Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen. Wegen Bezügen zur Reichsbürgerszene ist eine Klage der Dortmunder Polizei mit dem Ziele der Entlassung noch bei Gericht anhängig und in einem weiteren Fall wird sogar die Aberkennung des Ruhegehaltes des Betroffenen verhandelt.
Antifa macht Samstag eine Demo gegen rechtsextreme Verbindungen in der Polizei
Nach Presseberichten über die Polizist*innen aus Dortmund, die rechter Umtriebe verdächtigt werden, soll am Samstag eine Demonstration zum Polizeipräsidium ziehen. Die Demonstrant*innen stellen Forderungen nach Informationen und Konsequenzen.
„Wir wollen wissen, welche*r Polizist*in mit welchem Dortmunder Neonazi telefoniert“, sagt Simone Kurz, Pressesprecher:in für die Demonstration, nachdem entsprechende Vorwürfe am Donnerstag öffentlich wurden. „Wir wollen wissen, seit wann die 14 Verdachtsfälle bekannt sind und warum solche brisanten Informationen erst am Rande einer Sitzung des Innenausschusses bekannt werden“.
In einem Aufruf formulieren die Demonstrant*innen Forderungen: „Wir fordern Klartext. Schluss mit dem Geschwafel von Clustern und deviantem Verhalten. Das sind Schutzbehauptungen, die rechte Strukturen verschleiern sollen“, bekräftigt Kurz. „251 Verdachtsfälle nach Ermittlungen zu nur einer Chatgruppe: Das Dunkelfeld muss riesig sein. Es braucht unabhängige Studien darüber, wie groß das Problem wirklich ist.“
Die Demonstrant*innen richten sich dabei vor allem an die verschiedenen Akteure in der Stadtgesellschaft. „Die Polizei muss als Teil des Problems behandelt werden. Rechte Einstellungen ziehen sich durch den Apparat“, sagt die Pressesprecherin. „Außerdem braucht es unabhängige Stellen, die gegen die alltägliche Polizeigewalt, gegen den allgegenwärtigen Rassismus aktiv werden können.“
Die Demonstration soll um 17.30 Uhr beginnen und von der Reinoldikirche zum Polizeipräsidium führen. Die Veranstalter*innen fordern alle Teilnehmer*innen auf, medizinische Masken zu tragen und Abstände einzuhalten.
Das Lagebild gibt es hier als PDF zum Download: 210304_Lagebild
Reaktionen
Polizei und Ordnungsamt Langts noch nicht! – Demonstration verboten. Kundgebung an der Reinoldikirche! (PM Autonome Antifa 170 Dortmund)
Polizei und Ordnungsamt Langts noch nicht! – Demonstration verboten.
Kundgebung an der Reinoldikirche! (PM Autonome Antifa 170 Dortmund)
Bereits gestern wurde bekannt, dass die Ordnungbehörden, vertreten durch
das Ordnungsamt und die Polizei, planen die am Samstag angemeldete
Demonstration „Lange Weggeschaut – Dortmund hat ein Polizeiproblem!“ zu
untersagen. Ein tatsächliches Verbot kam dann am heutigen Morgen. Die
Organisator:innen kritisieren das Vorgehen scharf.
„Mit einer ,Anhörungsfrist‘ bis zum heutigen morgen hat das Ordnungsamt
den Rechtsweg verunmöglicht“ erklärt Simone Kurz, Pressesprecherin der
Organisator:innen. „Unser:e Anmelder:in hat gestern ein halbstündiges
Telefonat mit dem Verantwortlichen des Ordnungsamts geführt, darin wurde
unmissverständlich dargelegt dass das Ordnungsamt nicht bereit ist
irgendeine Art von sich bewegender Versammlung zuzulassen. Es handelt
sich also um ein generelles Verbot von Aufzügen, welches äußerst
kritisch zu bewerten ist.“ so Kurz weiter.
Ein generelles Verbot ist in der Vergangenheit bereits gerichtlich
gescheitert. „Mit ihrer Verzögerungstaktik verhindern Polizei und
Ordnungsamt unsere Möglichkeit, den Rechtsweg zu bestreiten.“, so Kurz.
„Wir behalten uns vor, im Nachgang gegen dieses Verbot zu klagen“. Ein
solches Vorgehen dürfe nicht einfach so hingenommen werden. Aktuell ist
noch eine Klage gegen die Dortmunder Polizei anhängig: Diese verbot im
vergangenen Sommer eine Versammlung 45 Minuten vor deren Start. „Ein
solches Vorgehen seitens der Behörden beobachten wir immer wieder“ so
Kurz, „Dass solche Versammlungsfeindlichkeit, seitens der Regierenden,
aktuell Programm ist zeigt sich auch am neuen Entwurf des
Versammlungsgesetzes NRW.“
Infektionsschutz als Verbotsgrund hält Kurz für vorgeschoben. Als
Grundlage dient unter anderem der Verweis auf missachteten
Infektionschutz auf Querdenker-Veranstaltungen. „Dieser Vergleich ist
eine Farce. Seit Wochen wird aus dem Antifa-Spektrum gegen die
Querdenker und ihre Corona-Leugnung demonstriert“, so Kurz. Die
Organisator:innen betonen bei der Bewerbung immer wieder, dass
Infektionsschutzmaßnahmen von Versammlungsteilnehmer:innen einzuhalten
sind.
„Wir dürfen bei all dem natürlich nicht außer Acht lassen, weshalb wir
diese Demo überhaupt veranstalten. In NRW stehen 250 Polizist:innen
unter Verdacht Rassismus, NS-Verherrlichung, Antisemitismus und
Gewaltverherrlichung in ihren Chatgruppen zu praktizieren. 14 davon sind
bei der Polizei Dortmund. Die Vergangenheit zeigt, dass solche Zahlen
oft erst die Spitze des Eisberges sind. Wir werden uns nicht davon
abbringen lassen unsere Wut auf die Straße zu tragen. Wir rufen dazu auf
zur Kundgebung an der Reinoldikirche zu kommen.“ sagt Simone Kurz,
Pressesprecher:in für den Organisator:innenkreis, abschließend.
Die Kundgebung beginnt um 17:30 Uhr an der Reinoldikirche. Die
Veranstalter:innen fordern selbstverständlich alle Teilnehmer:innen auf,
medizinische Masken zu tragen und Abstände einzuhalten.