Dortmunder Sozialverbände schockiert von Plänen der Bundesregierung

Kürzungen bei Programmen für Beschäftigung und Qualifizierung belasten Menschen unter 25

Für viele unter 25 bald nicht mehr die richtige Anlaufstelle: Das Jobcenter Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ruft die Ministerien zum Sparen auf – unter anderem bei Sozialleistungen. Die Auswirkung dessen sind bereits in Kürze zu spüren und haben große Auswirkungen auf Dortmunder Jugendliche und junge Erwachsene, mahnen zahlreiche lokale Sozialverbände, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Stadt selbst an.

„Finanzpolitischer Taschenspielertrick“ soll 900 Millionen Euro einsparen

Die Bundesregierung plant ab 2025 die Zuständigkeit für junge erwerbsfähige leistungsberechtigte Menschen unter 25 von den Jobcentern auf die Agentur für Arbeit zu übertragen. Das Problem: Die Jobcenter (festgelegt im SGB II) seien kommunal verwurzelt und können Menschen individuelle und auf den jeweiligen Kreis abgestimmte Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen anbieten, wobei das bei der Agentur für Arbeit (festgelegt im SGB III) als Bundesbehörde nur sehr bedingt passieren könne, erklärt Sozialdezernentin Birgit Zoerner.

Gesundheitsdezernentin Birgit Zoerner. Foto: Anja Cord
Sozialdezernentin Birgit Zoerner Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Die Agentur für Arbeit könne nur einheitliche Angebote bieten. Es gebe einen Unterschied von zu treffenden Maßnahmen etwa zwischen München und Dortmund, so Zoerner weiter.

Konkret heiße das, dass mehr junge Menschen – etwa Zugewanderte, Schulabbrecher:innen oder Wohnungslose – nicht mehr erreicht werden können, da die lokalen Netzwerkstrukturen der Beratung, Betreuung und Förderung aufs Spiel gesetzt werden würden. Die Sozialraum- und Arbeitsmarktkompetenz der Kommunen und die Brücken zum lokalen Arbeitsmarkt würden dadurch ungenutzt bleiben, berichten die Experten.

Auch für Arbeitgeber:innen und vor allem für Beschäftigten bedeutet das ein größeres Loch im Portemonnaie. Denn durch die Verlagerung vom SGB II ins SGB III findet ein Wechsel vom steuerfinanzierten Jobcenter zu den beitragsfinanzierten Agenturen für Arbeit statt. Die Folgen sind steigende Beiträge für die Arbeitslosenversicherung. Dieser „finanzpolitische Taschenspielertrick“ spart mindestens 900 Millionen Euro bei den Jobcentern ein. In Dortmund fehlen somit zukünftig etwa 7,3 Millionen Euro.

Pläne der Bundesregierung heizen den Fachkräftemangel an

„Diese Sparpläne zerreißen die Hilfen aus einer Hand für Familien und konterkarieren die Verbesserungen der Hilfen durch die gerade eingeführten Bürgergeldreformen“, so Stadt, DGB und Verbände. Die ganzheitliche Betreuung von Bedarfsgemeinschaften werde so ad absurdum geführt.

Andreas Koch, Geschäftsführer der GrünBau gGmbH Thomas Engel | Nordstadtblogger

„Ausgerechnet bei den Bedürftigen spart man“, kritisiert Andreas Koch, Geschäftsführer der GrünBau gGmbH. Es sei stark zu befürchten, dass es enorme Folgekosten gebe, wenn Jugendliche „verloren“ gingen, denn die Eingliederung in den Arbeitsmarkt – und damit der Austritt aus dem Sozialsystem sei so deutlich unwahrscheinlicher. Auch für Betriebe wird das zum Problem: Der Fachkräftemangel werde so nur noch akuter.

Die Bundesregierung wolle so schnell Geld generieren, so die Runde. „Denn junge Menschen im Leistungsbezug haben keine Lobby.“ Man fordere die Ampel-Koalition auf, von den Plänen Abstand zu nehmen. Die Kritik ist nicht nur in Dortmund zu spüren, auch der Städtetag protestiert.

Personalverlust bedroht die Ämter

Die Mitarbeitenden aller Ämter und die Sozialarbeiter:innen sind aufgrund der Pläne in großer Sorge. Zum einen haben viele Beschäftigte Angst vor Kündigungen und fragen deshalb bereits Zwischenzeugnisse bei ihren Arbeitgeber:innen an.

Auch bei Bau- und Sanierungsarbeiten wirken die Teilnehmenden von „Jobwinner“ mit.
Berufliche Eingliederung, wie hier beim Projekt „Jobwinner“ bekommen durch die Pläne der Bundesregierung große Probleme. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Zum anderen drohe auch durch die Umschulung Personalverlust. Durch diese Herausforderungen werden „Strukturen und Angebote schon vor 2025 ausgehöhlt.“ Hinzu komme noch die Neuaufsetzung des digitalen Systems.

Es gebe auch weiterhin offene Fragen, etwa nach dem weiteren Umgang mit der Sozialarbeit. Denn eines sei klar: „Berufsberater sind keine Sozialarbeiter.“ Am Ende fehle die fachliche Grundlage, denn das SGB III und damit die Agentur für Arbeit, sei auf viele neue Aufgaben und Herausforderungen nicht ausgelegt.

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Reaktionen

  1. Jugendarbeit: Protest aus Dortmund gegen Kürzungspläne der Bundesregierung – IBB unterstützt Demonstrationsaufruf (PM)

    Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB e.V.) kritisiert die Pläne der Bundes­regierung scharf, die Mittel für Jugendarbeit, Freiwilligendienste, Sport, außer­schulische Bildung und weitere Angebote um ein Fünftel zu kürzen. Die in Dortmund ansässige Non-Profit-Organisation ruft dazu auf, sich an der bundesweiten Bündnis-Demonstration am 20. September in Berlin zu beteiligen.

    Am Mittwoch, den 20. September berät der Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über die von der Ampel-Koalition vorgeschlagenen Kürzungen des Kinder- und Jugend­plans (KJP). Der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 sieht im Vergleich zum Vor­jahr Kürzungen in Höhe von 44,6 Millionen Euro (19 Prozent) vor.

    „Wer heute bei Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen kürzt, wird morgen die Zeche dafür bezahlen“, kritisiert Elke Wegener, Geschäftsführerin des IBB e.V., das Vorhaben der Bundes­regierung. „Bei unserer Arbeit machen wir immer wieder die Erfahrung, welch ein­schneidend positive Auswirkungen außerschulische Jugendprojekte haben – gerade für die, deren Eltern sich nicht jedes kommerzielle Angebot leisten können. Die Kürzungspläne treffen die Träger der Jugendarbeit zu einem Zeitpunkt, an dem sie mit dem Rücken zur Wand stehen: Die enormen Preissteigerungen machen es schon jetzt schwierig Angebote überhaupt aufrecht zu erhalten. Dabei sind in einer Zeit vielfältiger Krisen die Bedarfe besonders hoch. In dieser Situation müssen wir eigentlich über eine Erhöhung der Budgets reden, aber doch nicht über eine Kürzung!“

    Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk nutzt Mittel aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) unter anderem zur Förderung internationaler Jugendprojekte. Im Rahmen des Programms „Generation Europe – The Academy“ ermöglicht das IBB lokalen Projektpartnern die Bildung von Jugendgruppen, die sich vor Ort engagieren und mit Partnergruppen aus anderen Ländern vernetzen – und zwar unabhängig von Herkunft, Einkommen der Eltern und bisherigem Erfolg im formalen Bildungssystem. Die Bundesmittel werden dabei für Trainings- und Vernetzungs­angebote eingesetzt, die für pädagogisch nachhaltige Jugendarbeit mit vielfältigen Ziel­gruppen unbedingt notwendig sind. Außerdem setzt der Dortmunder Träger KJP-Mittel zur Förderung von Gedenkstättenfahrten zu Lernorten der NS-Geschichte im In- und Ausland ein.

    Demo in Berlin – Symposium in Dortmund

    Fachkräftemangel, Überlastung, Unterfinanzierung und bürokratische Hürden prägen seit Jahren das Arbeitsfeld der Jugendarbeit. Die neuen Kürzungspläne der Bundesregierung sind damit nur ein Teil der Probleme, vor denen die Organisationen und die betroffenen Jugendlichen aktuell stehen. „Fachkräfte, junge Menschen, Wissenschaft, Verwaltung und Politik müssen sich vernetzen, um die Herausforderungen zu analysieren und gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln“, sagt Elke Wegener. Dazu lädt das IBB zu einem internationalen Symposium nach Dortmund ein. Die Fachtagung „Jugendarbeit in Europa – Mission (un)möglich?“ findet am 13. November 2023 im Dortmunder U – Zentrum für Kunst und Kreativität statt. Neben Multiplikator*innen aus unterschiedlichen Bereichen haben bereits jetzt Fachkräfte der Jugendarbeit und Jugendliche aus zehn europäischen Ländern zugesagt. Mehr Infos zu der Veranstaltung: https://generationeurope.org/symposium-23/

    Die Demonstration „Eure Entscheidung lässt Millionen Zukünfte platzen“ gegen die Kürzung der Mittel des Kinder- und Jugendplans startet am 20. September um 10:30 Uhr in Berlin am Washingtonplatz (Berlin HBF). Die Route führt durch das Brandenburger Tor am Bundes­jugendministerium und Bundesfinanzministerium vorbei zum Potsdamer Platz. Zu den Initiator*innen der Demo gehören die bundesweiten Dachverbände der Kinder- und Jugend­arbeit, unter ihnen der Bundesjugendring, der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB), die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) und die Deutsche Sportjugend.

  2. ver.di: Keine Sparmaßnahmen auf Kosten junger Menschen (PM)

    ver.di ruft die Beschäftigten des Jobcenters Dortmund am Donnerstag den 21.09.2023 zu einer Protestkundgebung während ihrer Mittagspause auf. Ab 12:15 Uhr protestieren die Kolleginnen und Kollegen auf dem Platz vor der Bundesagentur für Arbeit an der Steinstraße 39 gegen die Sparpläne der Bundesregierung.

    Das Kabinett der Bundesregierung hat beschlossen, dass unter 25-Jährige ab 2025 statt wie bisher von den Jobcentern zukünftig von der Agentur für Arbeit betreut werden sollen. David Staercke, Gewerkschaftssekretär bei ver.di erklärt: „Dieser Zuständigkeitswechsel für die Betreuung, Beratung und Förderung ist sozialpolitisch skandalös.“

    Dieser avisierte Wechsel folge nicht arbeitsmarktpolitischen Überlegungen und Konzepten, sondern sei rein haushaltspolitisch motiviert, so der Gewerkschafter weiter.

    Die Kosten von rund 900 Millionen Euro für die etwa siebenhunderttausend erwerbsfähigen leistungsberechtigten jungen Menschen unter 25 Jahren in der Grundsicherung werden vom steuerfinanzierten Haushalt in die beitrags-finanzierte Arbeitslosenversicherung verschoben. Zudem sollen 2024 weitere 700 Millionen Euro im Eingliederungs- und Verwaltungsetat der Jobcenter gekürzt werden. Laut ver.di gehe das zu Lasten der Arbeit mit den Jugendlichen.

    Die Sparmaßnahme und Verschiebung treffen besonders benachteiligte junge Menschen, die auf Hilfe und Angebote angewiesen sind, die über reine Arbeitsvermittlung hinausgehen. In den Jobcentern kümmern sich die Beschäftigten seit Jahren mit Sachverstand und Engagement um diese jungen Menschen und verfügen über die notwendigen Strukturen und Netzwerke, die teilweise sehr individuellen Problemlagen erfolgreich anzugehen.

    Staercke erklärt abschließend: „Die beabsichtigte Verlagerung der Zuständigkeit zeigt darüber hinaus mangelnden Respekt und Wertschätzung gegen-über den Beschäftigten in den Jobcentern im Bereich U25 für die bis dato sehr gute Arbeit. Deshalb fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, davon Abstand zu nehmen, denn: Die Zuständigkeit für die jungen Menschen gehört in die Hände der Kolleg*innen der Jobcenter!“

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