Dortmund bekommt keine neue Erstaufnahme für Flüchtlinge: Hacheney und Buschmühle könnten schnell Geschichte sein

Auf dem Parkplatz F2 neben dem Westfalenpark ist die EAE errichtet worden.
Einen Neubau wird es nicht mehr geben. Die bisherigen Standorte könnten schon früher geschlossen werden.

Von Alexander Völkel

Die Pläne für die neue Erstaufnahmeeinrichtung des Landes für Flüchtlinge in Huckarde sind vom Tisch. Nach der CDU hat sich nun auch die SPD gegen den Neubau nördlich der Kokerei Hansa ausgesprochen. Die Verwaltungsspitze hat daraufhin am Dienstag reagiert und die entsprechende Vorlage zurückgezogen. Stattdessen wird OB Ullrich Sierau nun eine Absage ans Land schreiben müssen.

Auch die SPD-Fraktion spricht sich gegen die EAE-Planungen in Huckarde aus

„Die SPD-Ratsfraktion hat alle Argumente für und gegen den Neubau einer Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund abgewogen und ist nach ausführlicher Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, die weiteren Arbeiten dafür in der Verwaltung einzustellen zu lassen“, fasst der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Schilff die Beratungsergebnisse zusammen.

„Das wird nichts daran ändern, dass die Stadt Dortmund sich zukünftig weiter sehr verantwortungsvoll und engagiert in die Aufgabe der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen in die Stadtgesellschaft einbringen wird“, so der SPD-Politiker.

Letztendlich habe die SPD-Ratsfraktion zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Rahmenbedingungen für den Neubau einer Erstaufnahmeeinrichtung – unabhängig vom Standort in Dortmund – zu unklar seien.

Unklare Rahmenbedingungen und finanzielle Auswirkungen als Gründe

SPD-Fraktionschef Norbert Schilff
SPD-Fraktionschef Norbert Schilff

„Für einen langfristigen Mietvertrag mit dem Land NRW braucht die Stadt Dortmund klare Regelungen, zu welchen Konditionen sie diese Aufgabe erbringt“, so Schilff.

Auch die CDU hatte die Absage mit der unklaren Lage begründet und zudem dem Landesinnenminister Ralf Jäger einen Schlingerkurs vorgeworfen. Der SPD-Minister lasse Dortmund im Regen stehen.

Entscheidend für die Reaktion der Politik ist, dass nicht klar ist, wie der Betrieb der EAE der Stadt Dortmund künftig bei der Zuweisung von Flüchtlingen angerechnet wird. Bisher werden die Plätze in Hacheney und an der Buschmühle mit dem Faktor 1,3 angerechnet.

Das bedeutet, dass die Stadt Dortmund als Kompensation für die EAE kommunal 1755 Flüchtlinge weniger zugewiesen bekommt, als der bundesweite Verteilungsschlüssel eigentlich vorsieht. Künftig soll dieser Faktor abgeschmolzen werden. Doch wie weit, dass ist bisher nicht klar.

Gleiches gilt für die künftige Abrechnung der durch die EAE entstehenden Kosten. „Überraschungseier“ will sich niemand einhandeln. Doch das ist den beiden großen Fraktionen zu unsicher.

Verwaltungsspitze stellt Planungen ein – Absage an den Innenminister

„Vor dem Hintergrund der Meinungsbild der beiden großen Fraktionen haben wir unsere Verwaltungsvorlage zurückgezogen. Wir werden das auch dem Innenminister mitteilen, dass es für einen EAE-Neubau keine Mehrheit zu gegenwärtigen Zeitpunkt gibt“, kommentierte OB Ullrich Sierau die Beschlüsse der beiden großen Ratsfraktionen.

Allein im Juni 2015 wurden mehr als 53.000 Flüchtlinge durch die EAE Hacheney geschleust.
Wohin die Reise jetzt geht, ist völlig offen.

„Es gibt zu viele offene Fragen, auf die es bisher keine Antwort gibt“, räumte Sierau erneut ein. Zu einem Grundsatzbeschluss vorbehaltlich der realen finanziellen Auswirkungen sei die Politik nicht bereit gewesen. „Dafür gibt es viele gute Gründe.“

Die suchte und fand er bei Bund und Land: „Bei der Bewältigung des Themas hätte es eine bessere Unterstützung von Bund und Ländern geben können. Wir haben einen Status, der überschaubar zufriedenstellend ist.“

Die Stadtspitze forderte, dass vor allem der Bund – jenseits der schwarzen Null – die Kommunen finanziell besser ausstatten müsse. Doch die Bund-Länder-Gespräche seien mehr oder weniger ergebnislos vertagt worden.

„Damit ist klar, dass wir wieder Leistungen erbringen sollen, aber nicht klar ist, wie das refinanziert wird“, so Sierau. Zudem säßen die Kommunen bei den Gesprächen nicht am Tisch.

Zukunft der bisherigen EAE in Hacheney und an der Buschmühle ist offen

Wie es nun mit der bisherigen EAE in Hacheney und an der Buschmühle weiter geht, ist noch offen. Denn eigentlich sollte das Land diese zum 1. Oktober 2016 übernehmen. Die Stadt wollte langfristige Mietverträge abschließen und 2019 die Einrichtung nach Huckarde zu verlagern.

27 aller in Deutschland ankommenden Asylbewerber durchlaufen die EAE Hacheney.
Die bisherige EAE in Hacheney könnte früher als bisher geplant Geschichte sein. Fotos: Alex Völkel

„Entgegen aller Behauptungen gibt es einen keinen Vertrag zwischen Stadt und Land, sondern eine Zuständigkeitsverordnung für eine Zentrale Ausländerbehörde und EAE setzt“, erklärt Dezernentin Diane Jägers.

Es gebe keine Zeitziele, keine Platzzahlen – nur der Standort sei in der einseitig ausgesprochenen Verordnung. Dennoch habe  die Stadt eine Grundsatzbereitschaft für zehn Jahre gegeben. Doch auch das sei nur ein Angebot.

Rechtlich sei es nicht ganz einfach, sich aus einer EAE zurückzuziehen. Allerdings laufen die bisherigen Verträge mit Betreibern, Sicherheitsunternehmen und Busfirma Ende September aus, da das Land nach bisheriger Planung den Standort in Eigenregie übernehmen zum 1. Oktober übernehmen wollte.

Wie es nun weitergeht, müssten die Gespräche mit dem Land zeigen. Denn es mache wenig Sinn, weiter alle Anstrengungen für den Aufbau der Infrastruktur im Rahmen des „Datenaustauschverbesserungsgesetzes“ in Dortmund umzusetzen. „Das würde auf Sicht ins Leere laufen und immense Kosten verursachen“, verdeutlicht Jägers.

Nun müsse geklärt werden, ob es einen nahtlosen Übergang zu einer Einrichtung in einer anderen Kommune geben könne. „Wir haben nicht vor, die Tür abzuschließen und Schlüssel wegzuwerfen“, macht Jägers die Gesprächsbereitschaft deutlich.

Ohne EAE bekommt Dortmund künftig 1755 mehr Flüchtlinge zugewiesen

Murat Sivri von European Homecare ist Betriebsleiter in Hacheney und an der Buschmühle.
Ende September laufen die Verträge mit den Betreibern für Hacheney und Buschmühle aus.

Wann und wie sich der künftige Wegfall der Anrechnung der EAE-Plätze für Dortmund auswirkt, muss sich zeigen.

„Wir werden dann auch Flüchtlinge wie bisher auch kommunal zugewiesen bekommen. Es wird aber einen anderen Anrechnungszusammenhang geben“, kündigte OB Sierau an. „Wir müssen sehen, wie viele es zukünftig sein werden. Wir werden uns um Unterbringung und Integration kümmern.“

Nach dem jetzigem Anrechnungsschlüssel würden nach dem Wegfall der EAE der Stadt Dortmund 1755 Flüchtlinge zusätzlich zugewiesen.

Aktuell plant die Stadt mit 100 neuen Flüchtlingen pro Woche. „Bis Februar 2017 hätten wir genügend Plätze. Daher werden die angekündigten Maßnahmen auf der Zeitschiene langsamer abgearbeitet“, verdeutlicht Sozialdezernentin Birgit Zoerner.

Zur Erinnerung: Im 2. Halbjahr 2015 war Dortmund noch von 200 Flüchtlingen pro Woche ausgegangen. „Es weiß ja keiner, wie es weiter gehen wird – mit den Flüchtlingszahlen und der EAE.“

Auch ohne EAE werden weitere Flüchtlinge nach Huckarde und Mengede kommen

Klar ist bisher nur, dass sich das Thema Flüchtlinge mit dem Thema EAE für Huckarde und Mengede nicht erledigt hat. Rein statistisch gesehen haben die beiden Stadtbezirke bisher die wenigsten Flüchtlinge aufgenommen, erklärte Sierau.

Daher wird es dort – wenn auch langsamer – weiter gehen: In der Unterkunft Breisenbach sind schon die ersten 100 Flüchtlinge eingezogen. 480 Plätze sollen es in mehreren Stufen ingesamt geben.

Bereits im März vorgestellt, wird die neue Anlage am Wischlinger Weg in Containerbauweise im Laufe des Jahres 2017 realisiert. An dem Standort – nicht zu verwechseln mit der Zeltanlage am Revierpark – sollen Container für bis zu 420 Menschen aufgestellt werden.

Auch zeitlich nach hinten geschoben sind die Planungen an der Mengeder Straße: „Wir haben eine Planungsgröße von 400. Es können aber auch weniger oder mehr sein – je nach Lage“, so Zoerner.

Ohne EAE könnte der Technologiepark an der Kokerei Hansa früher entstehen

Nördlich der Kokerei Hansa und östlich der Emscherallee soll die EAE entstehen.
Nördlich der Kokerei Hansa und östlich der Emscherallee sollte die EAE entstehen. Foto: Stadt

Geändert hat sich nun auch die Lage für die Wirtschaftsförderung: Denn der bisherige Plan sah vor, die für die EAE neu zu errichtenden Gebäude anschließend für eine technologieaffine Nutzung zu übernehmen. An der Kokerei soll dann ein weiterer Technologiepark entstehen.

„Wir waren bis vor wenigen Tagen davon ausgegangen, dass das nach zehn Jahren ist – also im Jahr 2029. Aber das kann jetzt früher sein“, verdeutlicht Wirtschaftsförderer Thomas Westphal. Allerdings kann nun – ohne eine Vornutzung als temporäre Flüchtlingsunterkunft – ganz anders geplant und gebaut werden.

Entsprechende Pläne gibt es natürlich noch nicht. Doch Technologieimmobilien sind mehr als nur reine Büroflächen – oft braucht es dort Platz für Maschinen oder Labore.

„Wir haben ein vitales Interesse, dass aus dem Technologiepark herauswachsende Firmen in Dortmund bleiben“, betonte Westphal. Daher suche die Stadt an verschiedenen Standorten für entsprechende Nutzungsmöglichkeiten.

Die Fläche „Weißes Feld“ am TU-Campus ist für biomedizinische Zwecke vorgesehen, Phoenix-West für das Zentrum für Produktionstechnik, der „Cleanport“ im Hafen für Speziallösungen. Auch auf Westfalenhütte seien noch Flächen für Büros möglich. „Das Profil für Huckarde müssen wir noch erarbeiten“, so der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung.

Gutachten soll Hinweise für eine Optimierung der Verkehrssituation in Huckarde geben

Auch ohne EAE weiter verfolgt werden die Planungen zur Verbesserung zur Verkehrssituation in Huckarde.

„Die Verkehre werden neu untersucht. Wir wissen, dass wir sie vom Grundsatz bewältigen. Aber ein neues Gutachten soll weitere Optimierung deutlich machen“, kündigte Planungsdezernent Ludger Wilde an.

Dabei wird auch die Erschließung der Gewerbefläche für den Technologiepark Thema sein. Der Gewerbepark Hansa wächst weiter. Und auch die Kokerei Hansa baut – geplant ist ein Veranstaltungsbereich für 800 bis 1000 Menschen. „Das Gutachten macht daher Sinn“, so Wilde.

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Reaktionen

  1. Grünen-Fraktion

    Erstaufnahmeeinrichtung: Chance vertan – Und nun?

    Die Ablehnung einer neuen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge durch CDU und SPD ist für die GRÜNE Fraktion im Rat eine vertane Chance.

    Ingrid Reuter und Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher der GRÜNEN: „Dortmund hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir Erstaufnahme können – auch unter schwierigen Bedingungen. Damit hat sich Dortmund als drittgrößte Stadt in NRW nicht nur der Verantwortung der Flüchtlingsaufnahme gestellt und ein humanitäres Zeichen gesetzt. Das hat auch mit dazu geführt, dass die Verwaltung eine hohe Expertise im Bereich Flucht und Asyl aufbauen konnte.

    Jetzt rächt es sich, dass Teile der Verwaltungsspitze die vorhandene EAE noch vor wenigen Jahren lieber von heute auf morgen losgeworden wären und das auch offensiv und öffentlich so verkündet haben. Ein Umschwenken gab es erst, als die Zahl der Plätze der EAE auf die kommunal unterzubringenden Flüchtlinge angerechnet wurde.“

    Eine neu gebaute Erstaufnahmeeinrichtung als festes Gebäude – egal an welchem Standort – kann aus Sicht der GRÜNEN von Grund auf so geplant werden, dass sie sowohl den Ansprüchen einer Erstaufnahme von Flüchtlingen, als auch den berechtigten Ansprüchen der Bevölkerung gerecht wird. Dazu gehören z.B. auch Verbesserungen der Infrastruktur vor Ort.

    Ingrid Reuter und Ulrich Langhorst: „Niemand weiß, wie sich die Flüchtlingszahlen weiter entwickeln werden. Auch wenn kurzfristig ein Rückgang zu verzeichnen ist, haben sich die Probleme nicht grundsätzlich gelöst. Wenn man Flüchtlinge aufnehmen will, benötigt man auch eine EAE. Es wäre gut, wenn das Land die Kommunen bei diesen Einrichtungen auch durch einen diskutablen Anrechnungsfaktor weiter unterstützen würde. Aber die grundsätzliche Bereitschaft, das vorhandene Know-how einzusetzen und Verantwortung für verfolgte Menschen zu übernehmen, ist davon unabhängig.

    Neben der humanitären Verantwortung sollte die Stadt an dieser Stelle auch infrastrukturell weiterdenken. Bei dem Erhalt Dortmunds als EAE-Standort geht es auch um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Immerhin rund 800 waren für den Standort im Gespräch. Und wir hätten gerne gewusst, ob Huckarde nicht auch von einer Erstaufnahmeeinrichtung hätte profitieren können, zum Beispiel bei den schon länger geforderten verkehrspolitischen Maßnahmen.

    Auch dem Einzelhandel vor Ort hätte eine EAE wahrscheinlich genutzt. Die Flüchtlinge bleiben zwar nur wenige Tage, hätten aber das ihnen zustehende Taschengeld wahrscheinlich zu großen Teilen direkt vor Ort ausgegeben. Alles das hätten die weiteren Planungen konkretisiert. Das ist nun erstmal vom Tisch. Dennoch: Die Vorlage ist zunächst nur zurückgezogen. Noch ist nicht klar, ob andere Kommunen eine Bereitschaft zur Neuansiedlung einer EAE signalisieren werden. Damit bleibt das Verfahren offen – auch für weitere Verhandlungen mit dem Land.“

  2. Stadt Dortmund

    Austausch der Sanitärzelte an der EAE Buschmühle: Einrichtung schließt für vier Wochen


    Die Erstaufnahmeeinrichtung an der Buschmühle wird vom 29. August bis 26. September 2016 aus technischen Gründen vorübergehend geschlossen. Anlass für die temporäre Schließung ist der Austausch der beiden Sanitärzelte.

    Hierfür sind größere Ab- und Aufbauarbeiten nötig, so dass die Anlage nicht für die Aufnahme von Asylsuchenden zur Verfügung stehen kann.
Ankommende Asylsuchende werden mit bereitstehenden Bussen zu anderen Einrichtungen im Land Nordrhein-Westfalen weiter gefahren und dort aufgenommen und registriert. Ihre Versorgung ist sichergestellt.
Das Land NRW nimmt den Austausch der Sanitärzelte aus Kostengründen vor.

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