Unterstützer des „Verschwörungsboosters“ lassen Neonazi reden

Absage der Ganser-Veranstaltung in der Westfalenhalle hat ein Nachspiel im Rat

Neonazi Claus Cremer bekam von Demoanmelder Artur Helios das Mikro gereicht.
Neonazi Claus Cremer bekam von Demoanmelder Artur Helios das Mikro gereicht. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Die Diskussion um den Auftritt von Dr. Daniele Ganser in der Westfalenhalle bzw. dessen Absage hatte vor dem und im Stadtrat ein politisches Nachspiel. Während draußen vor der Halle drei Dutzend Unterstützer:innen gegen angebliche Zensur und Auftrittsverbote demonstrierten, sprachen sich drinnen – außer der AfD – alle Fraktionen für die Absage des Auftritts des Historikers aus, der häufig als „Verschwörungsbooster“ bezeichnet wird. Dass es überhaupt eine Vermietung gab, die anschließend gekündigt werden musste, war einer der zentralen Punkte.

CDU wirft Ganser vor, Antisemitismus durch die Hintertür einzuführen

Zum Thema gab es zwei gegensätzliche Anträge: In einem gemeinsamen Antrag von Grünen, CDU, SPD, Linke+ und „Die Partei“ wurde die Absage begrüßt und Konsequenzen für künftige  Vermietungen gefordert, damit solchen Akteur:innen künftig erst keine Räume mehr vermietet werden. In eine gänzlich andere Stoßrichtung ging der Antrag der AfD unter dem Thema „Meinungsfreiheit statt Meinungstotalitarismus – kein Auftrittsverbot für Dr. Daniele Ganser“.

Dr. Daniele Ganser auf einem Vortrag über den Krieg in der Ukraine.
Dr. Daniele Ganser auf einem Vortrag über den Krieg in der Ukraine. In Dortmund wurde der Vortrag durch die Westfalenhalle abgesagt. Foto: Screenshot

Den ersten Aufschlag in der Diskussion machte CDU-Ratsmitglied Uwe Waßmann, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der städtischen Westfalenhallen. Er verteidigte vehement die Absage, weil der „Friedensforscher“ Verschwörungserzählungen und Antisemitismus verbreite: „Die codierten Aussagen Gansers und die Chiffren in seinen Thesen führen das Antisemitische durch die Hintertür ein – und das sollte jetzt auch in Dortmund geschehen“, kritisierte der CDU-Mann scharf. 

„Diesem ,sekundären Antisemitismus’ darf in unserer Stadt kein Raum gegeben werden. Schon gar nicht in städtischen Liegenschaften oder in Räumen oder auf Flächen städtischer Tochterunternehmen“, so der CDU-Politiker. Im Namen seiner Fraktion bedankte er sich „bei allen Beteiligten aus der Dortmunder Stadtgesellschaft dafür, dass sich umgehend ein breites und starkes Netzwerk gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien aufgestellt hat, um diesen Umtrieben in Dortmund keinen Platz zu geben“. 

Scharfe Kritik an Westfalenhallen-Chefin Sabine Loos

Er kritisierte allerdings – ohne sie direkt namentlich anzusprechen – Westfalenhallen-Chefin Sabine Loos scharf: „Es hat sich in der Befassung jedoch auch gezeigt, dass sowohl zum Zeitpunkt einer solchen Veranstaltungsanfrage, als auch im Umgang mit der Öffentlichkeit in der Folge nicht alle involvierten Personen die dringend nötige Sensibilität oder Wachsamkeit an den Tag gelegt haben“, so Waßmann.

Uwe Waßmann (CDU)
Uwe Waßmann (CDU) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Der vorliegende Antrag aller relevanten demokratischen Fraktionen in unserer Stadt solle daher deutlich machen, dass der Rat sich weiterhin unmissverständlich und zu jeder Zeit klar zu den mehrfach formulierten Zielen zur Bekämpfung von Antisemitismus, menschenverachtendem Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit bekennt.
 
„Darüber hinaus scheint es uns jedoch auch dringend nötig, dass in Verwaltung und städtischen Tochterunternehmen mit gezielter Fortbildung sowohl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, aber auch der Geschäftsführungen eine deutlich größere Sensibilisierung im Umgang mit diesen Themen entwickelt wird. Und darum ist auch das Gegenstand unseres gemeinsamen Antrags, für dessen Zustimmung ich hier gerne werbe“, so Waßmann.

Keine Räume für fremdenfeindliches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut

Dortmunds 1. Bürgermeister Norbert Schilff (SPD) erinnerte, dass der Rat bereits zuvor in zwei Resolutionen deutlich gemacht habe, dass es in Dortmund keinen Platz für fremdenfeindliches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut gebe und die Stadt auch keine Räumlichkeiten zur Verfügung stelle – das gelte sowohl für die Stadt als auch für ihre Töchter. 

Bürgermeister Norbert Schilff (SPD)
Bürgermeister Norbert Schilff (SPD) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Zugleich stellte Schilff mit Blick auf die AfD klar, dass „mit dem Antrag an keiner Stelle die Meinungsfreiheit in Frage gestellt wird. Die Sozialdemokraten sind in zwei Republiken verboten worden – für uns ist Meinungsfreiheit ein ganz hohes Gut“, so der SPD-Politiker. „Was sie als AfD machen, ist wieder ein hilfloser Versuch, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht.“ 

Es gehe nicht um ein Auftrittsverbot. Ganser könne ja in Dortmund auftreten: „Nur klappt es in städtischen Räumlichkeiten in Dortmund nicht. Und das wird auch in Zukunft so sein – da können wir als demokratische Parteien stolz drauf sein“, so der 1. Bürgermeister.

„Die Demokratie muss sich gegen Rechtsextreme und Populisten verteidigen“

Die Stadt bekämpfe gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus, betonte Ingrid Reuter (Grüne). „Daher gibt es keine Räume für Personen und Organisationen, die den Holocaust leugnen. Daran halten wir uns mit der Absage der Veranstaltung von Ganser.“ Sie begrüße ausdrücklich, dass es keinen Auftritt in städtischen Räumen geben werde. Nun müsse es verstärkt darum gehen, auch bei den städtischen Töchtern in Sachen Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu sensibilisieren. 

Ingrid Reuter Grüne
Ingrid Reuter (Grüne) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Allerdings machte Reuter auch deutlich, dass sie die Kritik von Ganser-Befürwortern an den demokratischen Fraktionen für überzogen, falsch und beleidigend halte: „Uns demokratischen Kräften wird vorgeworfen, Toleranz und Meinungsfreiheit abzuschaffen und Demokratie mit Füßen zu treten. Einzelne bezichtigen uns, die größten Nazis zu sein. Das zeigt, wie verletzlich Demokratie ist.“ 

„Die Demokratie muss sich daher gegen die verteidigen, die sie unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit abschaffen wollen. Und auch gegen die, die sich Rechtsextremismus und Rechtspopulismus auf die Fahnen geschrieben haben“, so Reuter weiter. „Es gibt kein Verbot, dass Ganser seine Meinung äußert. Wer das sagt, sagt die Unwahrheit. Aber er bekommt keine Bühne der Stadt Dortmund. Und das ist auch gut so.“

Die AfD sieht sich selbst als „Verteidigerin der Demokratie“

„Sie brauchen sich nicht als Opfer stilisieren, sie sind hier Täter oder – wie sie sagen würden – Täterin“, hielt ihr Heiner Garbe (AfD) entgegen. Ein vertraglich vereinbarter Auftritt eines Historikers soll „unter einem dahingebogenen Antisemitismus-Begriff“ verhindert werden. „Mir geht es darum, dass das freiheitliche Wort und die Demokratie mit Füßen getreten wird. Das ist nur widerlich.“ 

Heiner Garbe (AfD)
Heiner Garbe (AfD) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Schließlich sei es die AfD, die „mal wieder die Demokratie“ verteidige. Er hoffe darauf, dass der Veranstalter alle juristischen Mittel ausschöpfe, damit Ganser doch noch in der Wetsfalenhalle auftreten könne. Schließlich habe man schon für die gesamte Fraktion Tickets gekauft: „Ich hoffe auf die Rechtsmittel, denn wir als Fraktion wollen uns selbst ein Bild machen“, so Garbe.

Er erinnerte daran, dass Hallenchefin Sabine Loos lange auf eine Durchführung gesetzt und kein Problem darin gesehen habe: „Dann kam der OB und hat Loos Druck gemacht. Unter dem Druck des Anteilseigners bricht eine Geschäftsführerin zusammen. Was ist das für eine Brüskierung einer Hallenchefin“, kritisierte der AfD-Fraktionschef. Er kritisierte zudem die Geldverschwendung, wenn es zu Regresszahlungen komme. „Und das, wo die Westfalenhallen-Gesellschaft mit vielen Millionen Euro am Leben gehalten wird.“

Neonazi als Redner bei Ganser-Unterstützern – Anmelder ist Querdenker

Michael Kauch (FDP/Bürgerliste)
Michael Kauch (FDP/Bürgerliste) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Herr Garbe, es ist schon bemerkenswert, mit welchen Thesen sie zur Demokratie in dieser Stadt und diesem Land antreten. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, war offenkundig die heutige Demonstration ein guter Beleg dafür“, sagte Michael Kauch (FDP/Bürgerliste) mit Blick auf die Kundgebung vor der Tür.

Sie war von Artur Helios veranstaltet worden, der in den vergangenen Jahren einer der führenden Köpfe der Querdenken-Proteste war. Er pflegte dabei auch die Nähe zu Verschwörungserzählern und Neonazis. Wer es nicht glauben wollte, konnte sich von der Nähe zum extrem rechten Rand direkt vor der Westfalenhalle überzeugen. Dort reichte Helios sein Mikro an Claus Cremer weiter. Der NPD-Funktionär ist u.a. wegen antisemitischer Äußerungen und wegen Volksverhetzung vorbestraft. 

Mitarbeiter eines Ratsmitglieds bezeichnet Stadtrat als „Politiksimulation“

Neonazi Claus Cremer bekam von Demoanmelder Artur Helios das Mikro gereicht.
Neonazi Claus Cremer bekam von Demoanmelder Artur Helios das Mikro gereicht. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

In Dortmund war Cremer in der letzten Ratsperiode Gruppen-Geschäftsführer für die Ratsgruppe „NPD/ Die Rechte“.

Noch heute unterstützt er in den Sitzungen das Neonazi-Ratsmitglied Matthias Deyda, der nach dem Zusammenschluss der Kreisverbände von NPD und „Die Rechte“ ebenfalls unter „Heimat Dortmund“ firmiert.

Cremer machte den Demonstrierenden klar, dass er ihr Anliegen teile und nun „in die Politiksimulation“ (damit meinte er die Sitzung des Stadtrates) gehe, um für sie die Fahnen hochzuhalten.

Beide Redner bereits wegen Volksverhetzung verurteilt

Olaf Schlösser (Die Partei)
Olaf Schlösser (Die Partei) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Claus Cremer von der NPD und Artur Helios – beide verurteilt wegen Volksverhetzung“, berichtete Olaf Schlösser („Die Partei“) den anderen Ratsvertreter:innen.

„Aber Herr Garbe geht lieber zur Verschwörungsdemo als zur benachbarten Gewerkschaftsdemo. Da sieht man ja, welches Geistes Kind Sie sind.“

„Wenn ich einen Demo-Teilnehmer ums Wort bitte, mache ich mich mit dem auch gemein“, sagte Michael Kauch mit Blick auf die Ganser-Fans.

„Es geht nicht um die Frage freier Meinungsäußerung, sondern um die Frage, ob die Demokratie der Depp ist, der sich hinters Licht führen lässt unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Und da haben wir aus der Vergangenheit hoffentlich alle gelernt.“ 

Diskussion über den freien Markt und Vertragsfreiheit

Plakate der Ganserbefürworter. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Auch Michael Kauch betonte, dass es kein Auftrittsverbot für Ganser gebe: „Das nennt man freien Markt. Er kann sich ja eine andere Location suchen, wenn jemand einen Vertrag mit ihm abschließen will. Das ist Vertragsfreiheit. Und auch die Westfalenhalle hat Vertragsfreiheit. Und wenn die Gesellschafterin keinen Vertrag schließen will, ist das legitim und kein Angriff auf die Meinungsfreiheit.“

Ganz so einfach sei das aber nicht, erwiderte Peter Bohnhof (AfD). Natürlich herrsche Vertragsfreiheit, „aber wenn ein Vertrag geschlossen wird, muss ein Vertrag auch eingehalten werden. (…) Wir müssen diesen unsäglichen Rechtszustand beseitigen und der freien Meinung wieder das Wort geben.“

AfD-Bundestagsabgeordneter bezeichnet Ratsmitglied(er) als „Provinzpolitiker“

Jenny Brunner (Grüne)
Jenny Brunner (Grüne) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Ich finde es ziemlich langweilig, was wir hier immer von Rechtsaußen an Falschmeldungen zu hören bekommen“, ätzte Jenny Brunner (Grüne). Dass die AfD die Pressefreiheit verteidige, sei ein Witz. „Deutschland hat sich im Ranking der Pressefreiheit in der Tat verschlechtert – aber  u.a. wegen Angriffen von AfD-nahen Demonstrierenden auf Journalisten.“  

Sie erinnerte auch an die Äußerungen von AfD-Ratsmitglied Matthias Helferich, der seine „Ratskollegen“ als „Provinzpolitiker“ bezeichnet habe. „Aber der Rat ist noch gut genug dafür, dass heute die Bundestagssitzung in Berlin geschwänzt werden kann“, so Brunner.

Matthias Helferich sitzt für die AfD im Dortmunder Rat und im Bundestag.
Matthias Helferich sitzt für die AfD im Dortmunder Rat und im Bundestag. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Ich habe lediglich Herrn Waßmann als Provinzpolitiker bezeichnet, weil er weder die Bildung noch den geistigen Horizont hat, die Thesen von Dr. Ganser zu verstehen“, verteidigte Helferich seine Aussage.

„Wenn dies das Niveau der Bundespolitiker ist, dann bin ich gerne Provinzpolitiker“, erwiderte OB Thomas Westphal und schritt zur Abstimmung. Der AfD-Antrag wurde abgelehnt, der gemeinsame Antrag fast aller demokratischer Fraktionen angenommen.

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