
Der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine jährt sich am kommenden Freitag (24. Februar 2023). Der Krieg hat nicht nur wegen der Energiekrise deutlichen Einfluss auf das Dortmunder Alltagsleben. Auch beim Thema Zuwanderung hinterlässt er deutliche Spuren: Aktuell leben fast 5600 Ukrainer:innen in Dortmund, die vor dem Krieg geflohen sind. Damit hat sich die Zahl der Menschen mit Fluchthintergrund noch mal deutlich erhöht: Sie liegt aktuell bei rund 16.500.
Keine Unterbringungsprobleme: „Wir wissen aber nicht, was auf uns zu kommt“
„Seit dem Beginn des Krieges haben wir 7751 Menschen aus der Ukraine aufgenommen und versorgt. Aktuell leben noch 5586 bei uns. 33 von ihnen in Unterkünften und 90 im Wohnungen aus dem städtischen Wohnraumvorhalteprogramm“, berichtet Stadträtin Monika Nienaber-Willaredt. Damit ist ihre Unterbringung zumindest in Dortmund vergleichsweise reibungslos verlaufen, da der überwiegende Teil der Geflüchteten privat untergekommen ist. Rund 1000 Plätze in Gemeinschafts- und Notunterkünften sind aktuell frei.

„Wir wissen aber nicht, was auf uns zukommt. Es geht auch nicht nur um Ukrainer – auch aus anderen Krisenregionen kommen Menschen zu uns. Die Aufgaben und Kosten werden mehr“, so Nienaber-Willaredt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in Kürze aus humanitären Gründen noch Menschen aus den Erdbebengebieten in der Türkei und Syrien nach Deutschland kommen. „Aber auch Dortmund wird aufnehmen – wir werden helfen.“
Gleichzeitig erinnerte sie an altbekannte Forderungen ans Land: „Wir fordern seit Jahren, dass die Vorhaltekosten übernommen werden.“ Denn Kommunen, die für eine mögliche Unterbringung von Geflüchteten Vorsorge treffen und Unterkünfte vorhalten, tun dies bisher auf eigene Kosten.
In Dortmund sind 16.500 Menschen mit Fluchthintergrund im Leistungsbezug

Doch die knapp 5600 Menschen aus der Ukraine sind nicht die einzigen Geflüchteten in der Stadt: Zusätzlich sind rund 7000 Geflüchtete aus anderen Ländern hier. „Darunter sind 224 unbegleitete minderjährige Geflüchtete – sie sind besonders betreuungsintensiv“, betont die Dezernentin für Kinder, Jugend, Familie und Schule.
Insgesamt seien in Dortmund 16.500 Personen mit Fluchthintergrund im Leistungsbezug. „Dazu kommen noch viele Menschen aus EU-Ländern, die im Rahmen der Freizügigkeit kommen, aber hohe Unterstützungsbedarfe haben“, so Nienaber-Willaredt.
Die Zuwanderung – auch ohne Fluchthintergrund – stellt die Kommune dauerhaft vor große Herausforderungen, denn jeden Monat kommen allein 100 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter an. Dafür müssen beispielsweise – auch hier nicht nur für ukrainische Geflüchtete – Sprachkurse und Schulkapazitäten geschaffen werden. Auch der Kitaausbau ist eine Daueraufgabe.
In elf Jahren sind 55.000 Ausländer:innen in Dortmund heimisch geworden
„Krieg hat die Stadtgesellschaft verändert. In den vergangenen elf Jahren haben wir 55.000 Menschen mit ausländischem Pass aufgenommen. Allein 13.000 Menschen kommen aus Syrien – früher war ihre Zahl dreistellig“, macht die Dezernentin deutlich. Dem gegenüber stehen in NRW nur 55.000 Erstaufnahmeplätze des Landes. „Das ist viel zu wenig, es müssten mindestens doppelt so viele sein“, fordert die Dortmunder Dezernentin. Denn je geringer die Landeskapazitäten, desto schneller müssen Kommunen die Menschen aufnehmen.

„Menschen ohne Bleibeperspektive dürfen erst gar nicht auf die Kommunen verteilt werden, sondern müssen in Landeseinrichtungen bleiben“, fordert Monika Nienaber-Willaredt. Unabhängig vom aktuellen Stand. „Ab einem bestimmten Punkt reden wir nicht mehr über die Unterbringung in Wohnungen, dann reden wir über Notfallplätze. Daher müssen wir dringend darüber reden, wie wir Unterbringung und Integration organisieren.“
„Das Thema wird uns nicht so schnell verlassen. Um besser eingestellt zu sein, brauchen wir dauerhafte Strukturen. Dass kann nur gelingen, wenn alle Ebenen zusammenarbeiten und die Kommunen nicht alleine lassen“, so die Stadträtin.
Die neu geschaffene Abteilung „MigraDO“ hat sich bewährt
Zur gelungenen Integration gehören auch die entsprechenden Beratungs- und Integrationsangebote: Die Stadt Dortmund hat vergleichsweise schnell die Beratungsmöglichkeiten hochfahren können. Die über Jahre aufgebauten Strukturen – unter anderem die neu geschaffene Abteilung „MigraDO“ – ging quasi mit Kriegsbeginn im März 2022 in Betrieb.

Allein dort hatten 3798 Ukrainer:innen Rat und Hilfe gesucht – in Hochzeiten waren es bis zu 900 teils mehrstündige Beratungsgespräche im Monat. Zusätzlich gab es noch den „Infopoint“ in der Berswordthalle: Dort gab es 19.025 Erstberatungen.
Beide Angebote wurden in der Zwischenzeit auch für Menschen anderer Nationalitäten geöffnet. So hat „MigraDo“ seit Juni 1607 Beratungen für Menschen mit anderen Nationalitäten gemacht. Der Infopoint wurde ab Ende November für alle Ratsuchenden geöffnet: Seitdem wurden 4048 Menschen anderer Nationalitäten beraten.
Mittlerweile werden die Beratungsangebote auch von Dortmunder:innen genutzt, die ihre Freunde und Verwandte aus den Erdbebengebieten holen wollen, Zudem hatte es in der vergangenen Woche einen eigenen Infotag für diese Zielgruppe gegeben, der von 150 Ratsuchenden angenommen wurde.
„Er war gut besucht, wir hatten aber mit mehr gerechnet“, berichtet OB Thomas Westphal. Viele Menschen fühlten sich schon gut informiert – das sei auch bei den Gesprächen am Rande von Veranstaltungen wie dem Interreligiösen Gedenken deutlich geworden. Dennoch soll es ein zweites Info-Angebot geben (der Termin steht noch nicht fest).
Schnelle Einreise aus Erdbebengebieten scheitert an fehlenden Papieren

An den großen Hemmnissen für eine unbürokratische Einreise aus humanitären Gründen wird aber auch dies nichts ändern. Zwar hat sich der Bund mittlerweile durchgerungen, unbürokratisch Visa für „Tourist:innen“ auszustellen. Doch auch hier müssen Erklärungen zur wirtschaftlichen Lage und zum Wohnraum beigebracht werden. Dortmunder:innen müssen also bescheinigen, dass sie diese Menschen aufnehmen und versorgen können.
Aber das größte Hemmnis sind die fehlenden Papiere auf Seiten der Menschen aus den Erdbeben-Gebieten. Wer im Schlafanzug aus den Trümmern seines Hauses gerettet wurde, hat sehr wahrscheinlich keinen Pass oder Krankenversicherungsnachweis griffbereit. Daher müssen erst Ersatzdokumente ausgestellt werden.
„Eine humanitäre Sicht auf das Thema ist nötig, gleichzeitig müssen wir die Langzeitfolgen bedenken. Das ist eine Einwanderung, die auch gestaltet werden muss“, betont Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal. „Die Einreise ist ja jetzt leichter, aber nicht so schnell und einfach wie gewünscht. Wir schaffen eine Zugangsmöglichkeit mit einem Touristenvisum – aber dann zeigt sich die Realität.“