Kommunale Erwartungen an Europa – Forderungen: Die Menschen und soziale Themen in den Mittelpunkt stellen

Rathaus - Fachtagung Kommunale Erwartungen an Europa
Die Fachtagung Kommunale Erwartungen an Europa lockte zahlreiche Gäste nach Dortmund. Fotos: Alex Völkel

Europa ist in aller Munde. Aber nicht umbedingt wertschätzend. Bürokratie, Sparzwang, fehlende Menschlichkeit und ruinöser Wettbewerb – nur einige der Kritikpunkte. Die Sicht der Kommunen und ihre Erwartungen wurden jetzt im Dortmunder Rathaus thematisiert. Die Stadt und „europe direct Dortmund“ hatten zu der gut besuchten ganztägigen Fachtagung eingeladen – Gäste aus ganz NRW waren gekommen.

Viele soziale Fragen sind in Europa weiterhin ungeklärt

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Sozialdezernentin Birgit Zörner, WDR-Studioleiter Gerald Baars und Wirtschaftsförderer Thomas Westphal.

Drei Themenfelder gab es auf der Fachtagung im Dortmunder Rathaus: Die soziale Dimension, wirtschaftliche Fragen und Europa vor Ort in den Kommunen von Nordrhein-Westfalen. Dabei wurde eins deutlich: Europa muss sozialer werden. „Auch Nicht-Hochqualifizierte müssen in Europa eine Chance haben“, machte Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zörner vor den zahlreichen Diskussionsteilnehmern deutlich.

„Wir müssen Strukturen organisieren und zum Beispiel die Krankenversicherung klären. Es gebe noch viele Puzzleteile, die zusammengebracht werden müssten. „Wir müssen die soziale Dimension organisieren. Das ist ganz wesentlich“, betonte  Zörner.

Europäische Millionen sind nach Dortmund geflossen

Der nationale Wettbewerb der EU-Länder untereinander sei mittlerweile wieder beendet. „Die meisten, die nur wegen der Kosteneinsparung verlagert haben, können wir wieder hier begrüßen“, machte Dortmunds Wirtschaftsförderer Thomas Westphal deutlich. Sie hätten häufig Qualitäts- und Logistikprobleme bekommen – ganz abgesehen davon, dass sich das Lohnniveau ein Stück weit angeglichen habe.

Ganz nebenbei bemerkt: Im Förderzeitraum 2000 bis 2006 hat Dortmund an EU-Mitteln aus dem Europäischen Fonds zur Regionalentwicklung EFRE) knapp 151 Miollionen Euro erhalten: Ergänzt um Komplementärmittel (Bund, Land, Kommune, Private) ergeben sich für Dortmund Gesamtausgaben in Höhe von knapp 470 Millionen Euro. Im Zeitraum 2007-2013 sind aus dem EFRE (EU und Land) 125 Millionen Euro für 166 Projekte nach Dortmund geflossen. Dortmund ist in der Akquise von Fördermitteln in NRW nach Aachen am erfolgreichsten. Aus dem Landes-ESF-Programm (Europäischen Sozialfonds ESF) hat Dortmund 4,6 Millionen Eiro (2012) erhalten.

Wegener: Nicht nur über Geld, sondern auch über Werte reden

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Klaus Wegener (links) kritisierte die rein fiskalische Sicht auf Europa.

Doch diese ausschließliche Sichtweise kritisierte Klaus Wegener: „Wir reden fast nur über Geld“, sagte der Präsident der Auslandsgesellschaft Nordrhein-Westfalen (AGNRW). „Das tut der Sache nicht gut.“ Er warb dafür, verstärkt wieder über die Idee und die gemeinsamen Werte zu reden.

Ein Hebel seien Städtepartnerschaften, weil sich hier die Menschen begegnen könnten. Allerdings seien die Strukturen überkommen – der Versöhnungsgedanke seien nicht mehr zeitgemäß. Er warb daher für Projektpartnerschaften auf den verschiedensten Feldern, um ein besseres Image von Europa zu erzeugen.

Europaministerin setzt auf Solidarität statt auf Raubtierkapitalismus

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Angelica Schwall-Düren warb für Solidarität statt Raubtierkapitalismus.

Einen anderen Fokus setzte Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes NRW. „Der europäische Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte basiert nicht auf Raubtierkapitalismus, sondern auf Solidarität“, verwies der Gast aus Düsseldorf. Das nutze nicht nur dem Empfänger der Hilfen, sondern der Gemeinschaft insgesamt. „Wir haben unter Schmerzen kennenlernen müssen, dass wir nicht ungestraft die Interessen unserer Nachbarn aus dem Blick lassen können.“

Nationaler Wettbewerb als Spirale nach unten

Der nationale Systemwettbewerb bedeute eine Spirale nach unten: Hier muss europaweit gegengesteuert werden, weil sonst die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Europa nichts mehr anfangen können und den Populisten und den Euroskeptikern zum Opfer fallen“, warnt Schwall-Düren. „Wir brauchen verpflichtende europaweite Standards, dass Menschen von ihren Arbeitslohn in Würde leben kennen und für sich und ihre Kinder Zukunftschancen haben.“

Die Ministerin für Europaangelegenheiten warb dafür, Untergrenzen für Unternehmenssteuern: Dies würde eine neue Begeisterung für Europa entfachen. „Ein soziales Europa hat nicht nur mit Sozialpolitik, sondern auch mit Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu tun.“

Dortmund und andere Städte haben Zuwanderungsproblem

Allerdings machte Schwall-Düren keinen Hehl daraus, dass viele Städte – auch gerade auch Dortmund – Probleme hätten, die Armutszuwanderung aus Südosteuropa zu bewältigen. „Dortmund hat bereits umfangreiche Schritte unternommen. Auch das Land lässt die Kommunen bei diesen Probleme nicht allein.“ Sie hätten einen Beitrag geleistet, wenn auch keinen ausreichenden.

Der scheidende SPD-Europaabgeordnete Bernhard Rapkay erinnerte daran, dass beispielsweise viele Mittel für die Integration von Roma bei der EU nicht abgerufen würden, weil die Nationalstaaten nicht bereit gewesen seien, die nötige Co-Finanzierung zu leisten.

Sierau: Blickwinkel auf kommunalen Probleme verändert

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Herzliches Verhältnis: Ullrich Sierau und Angelica Schwall-Düren.

Daran knüpfte Dortmunds OB Ullrich Sierau an: Es sei ein großer Fortschritt gewesen, dass sich Brüssel und Berlin Blickwinkel und Sichtweisen zu Gunsten der Problemwahrnehmung der Städte und der kommunalen Problemlagen verändert habe. Zörner und Westphal arbeiteten in Berlin und Brüssel daran. Auch die Reise der Oberbürgermeister der Städte, die besonders mit den Folgen der Zuwanderung aus Südosteuropa zu kämpfen hätten, hätte einen Beitrag geleistet.

Allerdings – und das machte Schwall-Düren sehr entschlossen deutlich –  sei das Recht auf Freizügigkeit ein fundamentaler Bestandteil der europäischen Idee: „Deutschland profitiert im Besonderen davon. Die Zuwanderinnen und Zuwanderer haben einen positiven Effekt auf den Arbeits- und Fachkräftebedarf und zur Stärkung der Sozialsysteme. Und Deutschland profitiert besonders vom Binnenmarkt.“

Diskriminierung: Roma in Bulgarien und Rumänien

Doch auch eine andere Anforderung an Europa gebe es, machte ein Diskussionsteilnehmer deutlich: Die systematische Diskriminierung von Roma in den Herkunftsländern. Auch da sei Europa gefordert, nicht nur die Menschenrechtsverletzungen außerhalb der EU, sondern auch innerhalb Europas zu kritisieren und zu bekämpfen.

Allerdings warnte Sierau davor, auf Rumänien und Bulgarien herumzuhacken: Dort breche beispielsweise gerade das Gesundheitssystem zusammen, weil viele Ärzte und Krankenschwestern im Europäischen Ausland arbeiteten. Das ist auch die Erkenntnis einer anderer Fachtagung im Rathaus vor drei Tagen zum Thema Roma in der Nordstadt: Die Ärzte und Krankenschwestern von dort sind schon seit Jahren in Deutschland und england. Und die Patienten kommen jetzt hinterher und hoffen auf Hilfe in der Nordstadt.

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