ADIRA, SABRA und RIAS NRW reagieren auf antisemitische Anschläge

Jüdisches Leben wird durch „Staatsterrorismus“ und auch „Alltagsantisemitismus“ bedroht

Polizeischutz vor der Synagoge - für die jüdische Gemeinde in Dortmund Alltag. Foto: Alex Völkel
Polizeischutz vor der Synagoge – für die jüdische Gemeinde in Dortmund ist das seit Jahrzehnten leider Alltag. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

In mehreren Städten im Ruhrgebiet wurden am Am 17./18. November 2022 Anschläge gegen jüdisches Leben begangen oder konnten verhindert werden – betroffen waren u.a. Essen und Dortmund. Die Ereignisse offenbaren leider erneut, dass die jüdische Gemeinschaft in Nordrhein-Westfalen einer andauernden Gefahrensituation ausgesetzt ist. Zuletzt stellte dies auch der vereitelte Anschlag auf die Synagoge in Hagen im vergangenen Jahr unter Beweis.

Staatsterrorismus: Generalbundesanwaltschaft geht von einer Involvierung des Iran aus

Unabhängig von den derzeitigen Ermittlungsergebnissen fordern ADIRA, SABRA und RIAS NRW eine lückenlose und transparente Aufklärung von Seiten der zuständigen Strafverfolgungsbehörden sowie von Seiten der Landesregierung. Neben den direkt involvierten Personen müssen auch etwaige Drahtzieher zur Verantwortung gezogen werden. Die Generalbundesanwaltschaft geht mittlerweile von einer Involvierung des Iran in die Anschlagsserie aus und spricht von Staatsterrorismus.

Polizeischutz vor der Alten Synagoge in Essen - Alltag auch vor den aktuellen Vorkommnissen.
Polizeischutz vor der Alten Synagoge in Essen – Alltag auch vor den aktuellen Vorkommnissen. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Es ist ein massives Problem, dass jüdisches Leben in NRW sowohl durch Terror-Anschläge wie auch durch einen niedrigschwelligen, sogenannten ‚Alltagsantisemitismus‘ bedroht wird, und gleichzeitig in großen Teilen der Mehrheitsgesellschaft die Meinung vorherrscht, Antisemitismus sei kein relevantes Problem der Gegenwart“, sagt Sebastian Mohr, Teamleiter von SABRA.

Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) registrierte im vergangenen Jahr im Durchschnitt über sieben antisemitische Vorfälle pro Tag. Antisemitismus in all seinen modernen Erscheinungsformen bleibt auch in NRW eine alltagsprägende Erfahrung für Jüdinnen und Juden. Dazu zählen der rechtsextreme Antisemitismus genauso wie der aus der Mitte der Gesellschaft oder der oft vernachlässigte islamistische Antisemitismus.

Gemeinden warten bis zu zwei Jahre auf Genehmigung von Schutzmaßnahmen

Sicherheit und Sicherung jüdischen Lebens nach der Schoa sollten oberste Priorität der deutschen Mehrheitsgesellschaft sein. Dazu gehört es, die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen und Gemeinden kontinuierlich dem jeweiligen Lagebild anzupassen und wo nötig sowohl zu verstärken als auch ausreichend zu finanzieren. Der Behördenweg gehört mit allen dazu notwendigen Unterstützungsschritten für die Gemeinden vereinheitlicht und verkürzt.

Auch die Post wird kontrolliert- Sicherheit spielt eine große Rolle im Alltag jüdischer Gemeinden.
Auch die Post wird kontrolliert- Sicherheit spielt eine große Rolle im Alltag jüdischer Gemeinden. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

„Es kann nicht sein, dass es im Einzelfall für eine Jüdische Gemeinde bis zu zwei Jahre dauern kann, die behördliche Genehmigung für eine bauliche Maßnahme zu ihrem Schutz zu bekommen“, kommentiert Jörg Rensmann, Projektleiter von RIAS NRW, diesen Missstand.

Weiterhin zähle dazu die konsequente Ermittlung bei antisemitischen Straf- und Gewalttaten. „Wir erinnern an die versprochene Reform der Politisch motivierten Kriminalitätsstatistiken (PMK-Statistiken), um die polizeiliche Erfassung von antisemitischen Straftaten den Phänomenbereichen adäquat zuordnen zu können. Die Erfahrungen Betroffener spiegeln die offiziellen PMK Statistiken nur unzureichend wider“, so Rensmann.

Bildungsangebote zur Sensibilisierung gegen Antisemitismus flächendeckend verstärken

ADIRA, SABRA und RIAS NRW fordern eine lückenlose und transparente Aufklärung, Bildungsangebote und besseren Schutz.
ADIRA, SABRA und RIAS NRW fordern eine lückenlose und transparente Aufklärung, Bildungsangebote und besseren Schutz.

Präventiv müssten Bildungsangebote zur Sensibilisierung gegen Antisemitismus flächendeckend vor allem an Schulen verstärkt werden; dies unter besonderer Berücksichtigung des israelbezogenen Antisemitismus.

„Die Reflexion des und Auseinandersetzung mit Antisemitismus muss verpflichtender Bestandteil der Lehramtsausbildung sein. Auch Polizei und Justiz müssen die modernen Erscheinungsformen des Antisemitismus kennen. Die Antisemitismus- Beauftragten der Staatsanwaltschaften in NRW müssen in diesem Sinne ebenfalls kontinuierlich geschult werden“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme.

Daher fordern ADIRA, SABRA und RIAS NRW eine deutliche Verbesserung der Bekämpfung von Antisemitismus und eine realistische Wahrnehmung des Problems: „Es braucht jetzt mehr als politisches Wunschdenken, nach dem Antisemitismus ,keinen Platz in unserer Gesellschaft‘ habe. Vielmehr müssen der Rechtsstaat und die demokratische Zivilgesellschaft nun zeigen, dass sie den Kampf gegen Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen ernst nehmen“, sagt Micha Neumann, Teamleiter von ADIRA.

Hintergrund:

  • ADIRA in der Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Dortmund und SABRA in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf sind landesgeförderte Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit und beraten in Nordrhein-Westfalen in Fällen von Antisemitismus.
  • Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS NRW) ist eine zivilgesellschaftliche Meldestelle für antisemitische Vorfälle in Nordrhein-Westfallen.
  • Alle drei Stellen kooperieren eng in der Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus
  • sabra-jgd.de |rias-nrw.de | adira-nrw.de
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ADIRA – Handlungsfähigkeit gegen Antisemitismus erzeugen!

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Reaktionen

  1. Arbeit, Dienst und Führung. Der Nationalsozialismus und sein Erbe (PM ADIRA)

    Buchvorstellung und Diskussion mit Nikolas Lelle am 8. Dezember 2022 um 19 Uhr

    Die Deutschen und ihre Arbeit. Eine lange Geschichte eines überhöhenden Selbstbildes. Eine lange Geschichte des Antisemitismus, die der Nationalsozialismus noch einmal radikalisierte. Deutsch soll eine Arbeit sein, die der Volksgemeinschaft dient. Unter Verweis auf »deutsche Arbeit« begründete der Nationalsozialismus nicht nur sein antisemitisches Selbstbild, sondern auch Praktiken der Verfolgung und Vernichtung.

    »Arbeit, Dienst und Führung« rekonstruiert diese Geschichte und analysiert dieses Selbstbild. Dabei wird der Blick auch ins »Innere« der deutschen Volksgemeinschaft geworfen. Denn hier hat der Nationalsozialismus Formen von Menschenführung entwickelt, die in Managementkonzepten der deutschen Nachkriegsgeschichte fortlebten. An diesem Abend wird Nikolas Lelle das Buch und seine Argumentation vorstellen und einige kurze Passagen lesen.

    Nikolas Lelle arbeitet seit 2020 bei der Amadeu Antonio Stiftung als Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus. Zuvor promovierte er – nach einem Studium der Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main und Mainz – an der Humboldt Universität zu Berlin in der Sozialphilosophie. 2018 gab er zusammen mit Felix Axster den Band »›Deutsche Arbeit‹. Kritische Perspektiven auf ein ideologisches Selbstbild« heraus.

    Veranstaltungsort:
    Mahn- und Gedenkstätte Steinwache
    Steinstraße 50, 44147 Dortmund

    Der Eintritt ist frei.

    Eine Kooperationsveranstaltung von ADIRA (Antidiskriminierung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus) und der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dortmund. Die Veranstaltung wird durch die Partnerschaft für Demokratie Dortmund im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie Leben! gefördert.

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