Dem ungewöhnlichsten Gartenverein Dortmunds droht das Aus – der Gemüsegarten-Verein soll Sporthallen weichen

Senol Muslu, der Vorsitzende des Gemüsegartenvereins „Yesil Bostan“. Foto: Alex Völkel
Senol Muslu ist Vorsitzender des Gemüsegartenvereins „Yesil Bostan“ und liebt seine grüne Idylle. Fotos: Alex Völkel

„Yesil Bostan“, der Gemüsegartenverein an der Burgholzstraße, ist wahrscheinlich der ungewöhnlichste Gartenverein in Dortmund und hat mit einer typischen Kleingartenanlage gar nichts gemein. Es gibt keine akkuraten Hecken und klar umrissenen Parzellen auf einem Lageplan. Dornenhecken trennen die kleinen Gärten, die auch nicht auf dem ersten Blick zu erkennen sind. Und einen Wasseranschluss gibt es auf der ganzen Anlage nicht. Gleiches gilt für die „Müllabfuhr“: “Die Gärtner*innen bringen ihr Wassern Kanistern mit und nehmen ihren Müll mit nach Hause. Doch das klappt: Seit mehr als 20 Jahren gibt es die Gärten in der Nordstadt – fast genauso lange ist ihr Bestand gefährdet. Nun soll tatsächlich Schluss sein. Doch die Gärtner*innen sind sauer und üben massive Kritik an der Stadt Dortmund.

Gärtner*innen vertrieben Drogendealer und solche, die illegal Müll auf der Brachflächen abkippten

Einbruchschutz: Statt akkurater Hecken sind die Wege von Dornbüschen gesäumt.
Einbruchschutz: Statt akkurater Hecken sind die Wege innerhalb von Dornbüschen gesäumt.

Es geht um eine riesige Brachfläche von rund 23.000 Quadratmetern an der Eisen- und Burgholzstraße. Planungsrechtlich wurde sie als Schulerweiterungsfläche vorgehalten – doch passiert ist dort bis heute nichts.  Die Parzellen gehör(t)en der Stadt und ThyssenKrupp – die TK-Fläche ist mittlerweile im Besitz der „Areal Gewerbeentwicklung“ der Thelen-Gruppe. Seit den 1990er Jahren vermüllte und verwilderte das Areal.  ___STEADY_PAYWALL___

Um die Jahrtausendwende fingen vor allem türkischstämmige Nordstädter*innen an, die verwilderte und ungenutzte Fläche „in Besitz“ zu nehmen und als Grabeland zu nutzen. Sie räumten auf, kultivierten die Flächen, brachten Erde und Wasser mit, pflanzten Obst und Gemüse an. Alte Fundamente füllten sie mit Mutterboden auf, um dennoch Pflanzen zu können.

Die Gärtner liefen sogar Streife, vertrieben die Drogendealer und jene, die dort illegal Müll abkippen wollten. Sie hatten den Freizeit- und Nutzwert der Fläche für sich entdeckt. Die Gärten füllten vor allem die große Lücke an Freizeitmöglichkeiten gerade für ältere Migrant*innen in der Nordstadt.

Konfliktmanagement des Planerladens half bei der Legalisierung der Nutzung

Gärtnerische Vielfalt zeigt sich in den ehemals 50 Parzellen.
Gärtnerische Vielfalt zeigt sich in den ehemals 50 Parzellen des Gemüsegartenvereins.

Durch Beschwerden von Anlieger*innen wurden Verwaltung und Politik auf diese Situation aufmerksam, so dass bei den Nutzer*innen die Befürchtung wuchs, die Gärten zu verlieren. Dies eskalierte in einem Beschluss der Bezirksvertretung Innenstadt- Nord, die illegale Nutzung der betreffenden städtischen Fläche an der Burgholzstraße zu beenden, so dass nur noch jene Gärten erhalten blieben, die sich auf einer benachbarten Fläche der Firma Thyssen-Krupp befinden. 

Die Nutzer*innen baten den Planerladen um Unterstützung ihres Anliegens, die Brachfläche auch zukünftig als Grabeland bewirtschaften zu können. In Zusammenarbeit mit der Konfliktvermittlung des Planerladen e.V. hat das damalige Quartiersmanagement Hafen die Migrant*innengruppe unterstützt.

Im Ergebnis konnte schließlich ein Konsens über eine geregelte mittelfristige Nutzung der Fläche als Grabeland erzielt und ein eigener Trägerverein – der Kleingartenverein Yesil Bostan e.V. – zur Bewirtschaftung der Fläche durch die Nutzer*innengruppe selbst aufgebaut werden. Das war 2004.

Mehrfach gab es in zwei Jahrzehnten Kündigungen – doch gebaut wurde bisher nie

Askin Dündar würde nur ungern seinen Garten verlassen.
Askin Dündar würde nur ungern seinen Garten verlassen.

In den Folgejahren sollte immer wieder Schluss sein und die Fläche bebaut werden. So auch 2009. Da flatterte eine Kündigung „ins Haus“ – die Gärten sollten geräumt werden. Ein Teil der Nutzer*innen ging, ein Teil blieb. Sie wollten auf die Bagger warten. Doch die kamen nie. Bis heute.

Daher waren die, die gingen, „die Dummen“. Ihre Parzellen wurden von anderen in Besitz genommen. Der Gemüsegarten blieb. 2013 dasselbe Spiel. Sie sollten gehen, es würde gebaut. Wieder passierte nichts. Viele Gärtner*innen reagierten sie mit Skepsis, als 2020 erneut Kündigungen kamen. Sie wollten es nicht glauben.

Das Ganze hat etwas vom Märchen „Peter und der Wolf“. Der Tenor: „Wer ein Mal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er jetzt die Wahrheit spricht.“ Das gilt in diesem Fall offenbar auch für die Botschaften der Stadt an den Verein. Doch mit dem Sprechen ist es so eine Sache: Einen vernünftigen Dialog mit dem eingetragenen Verein gab es – nach Aussage des Vorstandes – nicht. 

Stattdessen gab es Kündigungen und mittlerweile einen beim Amtsgericht anhängigen Rechtsstreit. Kampflos will der Verein nicht gehen, lässt sich juristisch vertreten und setzt auf die Hauptverhandlung. Denn angeblich sollen städtische Bedienstete vor Ort gesagt haben, dass erst „in zwei bis drei Jahren“ gebaut werde und man eine gewerbliche Zwischennutzung“ erwäge. 

50 Familien nutzen das Gemüsegarten-Areal als grünes Rückzugsgebiet

Ein Teil der Fläche ist in Privatbesitz und wurde für einen Parkplatz gerodet.
Ein Teil der Fläche des Gartenvereins ist in Privatbesitz und wurde für einen Parkplatz gerodet.

Dafür spricht nach Ansicht des Vereins, dass bereits im vergangenen Jahr ein kleiner Teil der Gewerbefläche an der Eisenstraße gerodet und ein Parkplatz angelegt wurde. Daher ist der Verein skeptisch, was die Räumung angeht. „Wo ist der Baubeschluss und die Infotafel, was hier gebaut wird? Und warum reden Sie nicht einfach vernünftig mit uns“, ärgert sich Senol Muslu, der Vorsitzende des Gemüsegartenvereins. 

Im Gegenteil: So habe sich ein Vermesser illegal Zutritt verschafft und das abgeschlossene Tor zum Grundstück aufgehebelt und beschädigt. Anwesende Vorstandsmitglieder hätten ihn dann des Grundstücks verwiesen. „Wir sind hier doch in Deutschland. Das geht so nicht. Mit einem deutschen Verein würden sie wahrscheinlich nicht so umspringen“, kritisiert Senol Muslu. 

„Die Leute sind sauer, weil sie nicht ernst genommen werden. Sie wären viel kooperativer, wenn ein Dialog da wäre“, ergänzt Vorstandsmitglied Askin Dündar. Denn „wenn wirklich“ gebaut werde, wolle man sich dem nicht in den Weg stellen. Schließlich soll es ja um Kita-, Schul- bzw. Sporthallenbauten gehen. Und davon würden ja auch ihre Kinder und Enkel profitieren. Doch darüber könne man ja reden – mit den entsprechenden Zeitplänen auf dem Tisch. 

„Dann gehen wir“, beteuert der Vereinsvorsitzende. „Aber nicht für einen Parkplatz.“ Dann wollen sie ihre Gärten lieber noch eine Saison länger nutzen. Die beiden Corona-Jahre hätten deutlich gemacht, wie wichtig es für die rund 50 Familien gewesen sei, aus den beengten Wohnverhältnissen raus ins Grüne zu kommen. 

Die Stadt will im kommenden Jahr auf dem Gelände zwei Dreifach-Sporthallen bauen

Auf dem bisherigen Gartengelände sollen bis 2023 zwei Dreifach-Sporthallen errichtet werden.
Auf dem bisherigen Gartengelände sollen bis 2023 zwei Dreifach-Sporthallen errichtet werden.

Bei der Stadt verweist man auf die Ernsthaftigkeit der Bauplanungen: „Das Bauvorhaben der beiden Dreifachsporthallen befindet sich bereits beim Fachbereich 65 in der Planung“, berichtet Stadtsprecher Michael Meinders. „Der Baubeginn soll Mitte 2022 erfolgen. Vorbereitende Arbeiten müssten in diesem Jahr beginnen. Die beiden Hallen sollen in 2023 fertiggestellt werden.“ 

Eine gewerbliche Zwischennutzung – wie von Vereinsmitgliedern kolportiert – sei nicht geplant: „Eine Zwischennutzung wäre aufgrund des jetzt schon knappen Terminplans nicht möglich. Die Flächen werden für die Sporthallen dringend benötigt“, versichert die Stadt.

Außerdem weist man den Vorwurf der fehlenden Dialogbereitschaft sehr deutlich zurück. Bereits seit April 2019 habe es Gespräche mit dem Verein gegeben. Mehr als ein Jahr später habe es dann – fristgerecht – eine Kündigung zum 31. Dezember 2020 gegeben, der der Verein dann im Dezember widersprochen habe. Im März habe es dann eine Räumungsaufforderung gegeben und am 10. Mai habe man der Stadt trotz vorheriger Zusage den Zutritt verweigert. 

Deshalb konnten notwenige Bodenbeprobungen nicht vorgenommen werden. Ein anschließendes Schreiben sei als unzustellbar zurückgekommen. Über Umwege wurde es später erneut zugestellt. Anschließend habe man telefonisch mit dem Vorsitzenden gesprochen und Termine vereinbart, die aber nicht eingehalten wurden. Zudem habe es vor Ort durch den Verein Beschimpfungen gegeben, weshalb die Stadt dann das Rechtsamt eingeschaltet habe.

Kritik am Verein: Beschäftigte der Stadt würden beleidigt und als Lügner*innen beschimpft

Von der Straße meint man an vielen Stellen kaum, dass es hier einen Gartenverein geben könnte.
Von der Straße meint man an vielen Stellen kaum, dass es hier einen Gartenverein geben könnte.

„Die Grabelandpächter haben keinerlei Verständnis für das Schulbauvorhaben. Sie glauben, man wolle die Bodenuntersuchung nur durchführen, um ihnen nachzuweisen, dass eine Grabelandnutzung aufgrund von Bodenbelastungen nicht möglich ist und sie so loswerden“, betont die Stadt. 

Und weiter: „Sie stellen alle Planungen in Frage, haben angeblich alte Gutachten, dass die Fläche nicht bebaubar sei und zweifeln die Befugnisse der städtischen Mitarbeiter*innen bzw. die tatsächliche Zugehörigkeit zur Stadt Dortmund regelmäßig an. Eine sachliche Argumentation ist kaum möglich, da die Kolleg*innen vor Ort teilweise beschimpft und beleidigt werden und alle Argumente als Lüge abgewiesen werden.“

Die Fronten sind verhärtet: Die Parteien werden sich wohl vor dem Amtsgericht wiedersehen. Doch das Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht ist noch nicht terminiert. Ob das aufschiebende Wirkung für die Räumung haben könnte, wollte das Gericht gegenüber Nordstadtblogger nicht bestätigen. Trotz der Eskalation bemühe sich die Stadt weiter um Ersatzflächen. Doch im Stadtbezirk habe man bisher keine gefunden.

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Reaktionen

  1. AndiDo

    Da wundert man sich manchmal doch. Auch wenn einige immer von Kleingärten sprechen. Das sind keine. Ein Teil ist Grabeland, ein Teil wird illegal genutzt. Die haben überhaupt kein Recht da irgendwas zu blockieren.

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