60 Jahre Deutsch-Britische Gesellschaft – Rolf Dickel: „Vor allem das Thema Europa spaltet Deutsche und Briten.“

Mit einem Konzert der Band „Broom Bezzums“ im Domicil feierte die Deutsch-Britische Gesellschaft ihr 60. Bestehen.
Feiern trotz Brexit und Corona: Mit einem Konzert der Band „Broom Bezzums“ im Domicil feierte die Deutsch-Britische Gesellschaft ihr 60-jähriges Bestehen. Fotos (4): Auslandsgesellschaft.de

Dortmund hat sich verändert. Vor einigen Jahren lebten noch gut 12.000 Briten in Dortmund. Meist Soldaten. „Heute wohnen nur noch rund tausend Briten im Großraum Dortmund. Wenn überhaupt“, sagt Rolf Dickel, Leiter der Deutsch-Britischen Gesellschaft. „Probleme mit der Integration haben sie nicht“, hat Dickel festgestellt. „Sie fühlen sich bei uns wohl. Sie sind oft mit deutschen Frauen verheiratet, ihre Kinder wachsen zweisprachig auf. Und geschätzt wird auch die soziale Absicherung in Deutschland.“ Doch das Verhältnis wird durch den Brexit auf eine neue harte Probe gestellt.

Ein deutsch-britisches Feindbild gibt es auf beiden Seiten nicht (mehr)

Das merkt Rolf Dickel, der sich seit vielen Jahren ständig auf der britischen Insel aufhält, bei jedem Besuch: „Allein in London war ich bestimmt schon 60 Mal. In dieser Stadt kenne ich mich mittlerweile besser aus als in Dortmund. Und ich habe dort auch viele Freunde.“ 

Rolf Dickel, Deutsch-Britische Gesellschaft
Rolf Dickel ist seit 2002 der Leiter der Deutsch-Britischen Gesellschaft. Archivbild: Klaus Hartmann

Sein Fazit: „Vor allem das Thema Europa spaltet die Deutschen und die Briten. Schon die deutsche Wiedervereinigung hat auf der Insel so manches Stirnrunzeln verursacht. Die Briten hatten Angst vor einer deutschen Großmacht.“ Mit dem Brexit wird ein neues – vielleicht sogar noch größeres Fass aufgemacht.

Ein deutsch-britisches Feindbild gebe es aber definitiv auf beiden Seiten nicht (mehr), versichert Rolf Dickel, der auch zu Hause in Deutschland die Gespräche mit vielen Briten und britischen Organisationen pflegt. Vor allem die Generation ab 50 sei sich gegenseitig sehr wohlgesonnen. 

Da sei von zahlreichen Organisationen und Politikern – nicht nur von der Auslandsgesellschaft NRW und dem ursprünglichen „Länderkreis Großbritannien und Commonwealth –  in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreiche und gute Arbeit geleistet worden. 

Länderkreis organisiert seit Jahrzehnten Jugendaustausche und Besuchsprogramme

Erstaunlicherweise hätten aber die jüngeren Menschen Vorurteile, wenn auch keine gravierenden, schildert Dickel. Die britische Boulevardpresse würde dies seit Jahren latent befeuern. „Wir sind halt immer noch die Krautfresser und tragen alle Lederhosen“, erzählt Dickel – eher amüsiert, als empört. Nicht nur deshalb hat sich die „Deutsch-Britische Gesellschaft“ schon vor Jahren neu aufgestellt. 

Städtepartnerschaft Leeds
Die Städtepartnerschaft mit Leeds ist eine wichtige Säule der Arbeit der Ländergesellschaft. Foto: Alex Völkel

Die Zeiten der vom britischen Militär dominierten Stadt Dortmund sind ohnehin schon lange vorbei, die ganz besondere Form der Begegnungsarbeit ist deshalb kaum noch nötig. Der Fokus liegt nun mehr auf den jungen Deutschen und Briten. Ihnen sollen die Kultur, die Lebensweise und die Ansichten jeweils auf der anderen Kanalseite nähergebracht werden. 

Neben klassischen Austauschprogrammen, die es Schülern und Jugendlichen ermöglichen, einmal die „andere Seite“ kennen zu lernen, gibt es nach wie vor Besuchsprogramme für Erwachsene. Maßgeblicher Motiv für diese Programm ist Rolf Dickel.

Seit 2002 leitet Dickel die Deutsch-Britische-Gesellschaft schon. Er stellt regelmäßig mit Kooperationspartnern ein deutsch-britisches Programm auf die Beine: Konzerte, Filmabende in Englisch, Literaturveranstaltungen in Kooperation mit Melange e.V. und Vorträge zu Großbritannien und die EU in Kooperation u.a. mit der Europa-Union. 

Die Städtepartnerschaft Dortmund-Leeds ist ein wichtige Säule der Arbeit

Er macht sich stark für die Städtepartnerschaft Dortmund-Leeds; er engagierte sich für den Austausch von Freiwilligen zwischen beiden Städten und arbeitet aktuell an den nächsten Jazzsalon mit jungen Musiker*innen aus Leeds, Dortmund und Amiens (Frankreich). 

Jazztage
Jazztage 2017: Die Musiker aus Amiens, Leeds und Dortmund mit den Organisatoren von Auslandsgesellschaft, domicil und Stadt Dortmund. (Archivbild)

Aber vor allem hat sich Rolf Dickel für eine Beteiligung am Europäischen Freiwilligenjahr eingesetzt. Mit Erfolg.

„Junge Menschen aus der Dortmunder Partnerstadt Leeds arbeiten bei sozialen Projekten ein Jahr lang in Deutschland mit. Im Gegenzug konnte auch schon mal ein junger Deutscher mit marokkanischen Wurzeln nach Leeds vermittelt werden. Anschließend begann er ein Englisch-Studium. „Mehr Integration und mehr Völkerverständigung ist doch gar nicht möglich“, sagt Dickel begeistert. 

„Die junge Generation soll die Welt besser verstehen. Unter diesem Motto wollen wir auch die Deutschen und Briten zusammenbringen. Wir wollen Toleranz fördern und Vorurteile abbauen“, sagt Rolf Dickel. Seine Gesellschaft arbeitet dabei eng mit der Partnerorganisation in London, dem Britischen Konsulat in Düsseldorf und zahlreichen privaten Partnern in Dortmund und dem Umland zusammen.  

Zudem hegt und pflegt Rolf Dickel mit zahlreichen Veranstaltungen vor der eigenen Haustür den Zusammenhalt und die Freundschaft zwischen den Deutschen und den immer weniger gewordenen Briten. Er stellt regelmäßig mit Kooperationspartnern ein deutsch-britisches Programm auf die Beine: Filmabende in Englisch, Theater für Schüler in englischer Sprache und Whisky-Proben. 

Jubiläum feiern in Zeiten von Brexit und Corona? „Jetzt erst recht“

Das Musik für Dickel wichtig ist, wird auch bei der Jubiläumsveranstaltung deutlich: Mit einem Konzert der Band „Broom Bezzums“ im Domicil feierte die Deutsch-Britische Gesellschaft ihren 60. Geburtstag. In Zeiten von Brexit und Corona feiern? „Jetzt erst recht“ betont Dickel.

Für die Musiker, Andie Cadie und Mark Bloomer war es der erste Auftritt nach sechs Monaten Zwangspause.
Für die Musiker, Andie Cadie und Mark Bloomer war es der erste Auftritt nach sechs Monaten Zwangspause.

Er  freut sich, dass seine Kolleg*innen der bilateralen Gesellschaften und das Team der Auslandsgesellschaft dieses Vorhaben von Beginn an unterstützten. 

Die Wahl der Gruppe „Broom Bezzums“ für das Konzert lag für ihn sozusagen auf der Hand: „Ich war viele Jahre im Dortmunder Club ‘Acoustic Live‘ engagiert. 2005 haben wir die frisch gegründete Band ‘Broom Bezzums‘ nach Dortmund eingeladen.

Das Konzert im Fritz-Henßler Haus war damals ihr erster Auftritt überhaupt. Ich habe ihre Entwicklung verfolgt. Mit diesem Konzert schließt sich für mich ein Kreis“. Ca. 50 Gäste waren der Einladung zum Festkonzert ins Domicil gefolgt. Für die Musiker, Andie Cadie und Mark Bloomer war es der erste Auftritt nach sechs Monaten Zwangspause.

Sie haben sichtlich Freude am Wiedersehen mit ihrem Publikum: 70 Minuten neugemixte Songs aus den Anfängen der Band, kritische Songs zur Kolonialgeschichte, ein nordirischer Liebeslied, sogar ein Text für die Helden der Corona-Krise sind dabei; das Ganze gepickt mit reichlich englischem Humor. Für diesen besonderen Moment im Domicil dankt ihnen das Publikum. Es gibt noch ein Geburtstagsständchen der Fans für Andie und eine Zugabe zum Abschied.

Der Brexit bleibt auch zukünftig das beherrschende Thema bei den Veranstaltungen

Referent Geoffrey Tranter war viele Jahre Vorsitzender der Deutsch-Britischen Gesellschaft in Dortmund. Er ist Engländer, lebt aber seit langem in Deutschland.

Seit einigen Jahren steht außerdem der Brexit mit seinen Windungen und Wendungen ganz oben auf der Agenda. Wie sich das deutsch-britische Verhältnis durch den Brexit und Corona entwickelt, vermag Dickel noch nicht einzuschätzen. 

Doch auch dieses Thema greift „sein“ Länderkreis natürlich auf. „Brexit past, Brexit present, Brexit future. Vortrag mit Diskussion mit Geoffrey Tranter“ heißt die nächste Veranstaltung am Mittwoch, 4. November 2020, um 19 Uhr in der Auslandsgesellschaft.

Referent Geoffrey Tranter war viele Jahre Vorsitzender der Deutsch-Britischen Gesellschaft in Dortmund. Er ist Engländer, lebt aber seit langem in Deutschland. Wer teilnehmen will, muss sich aber zwingend bei der Auslandsgesellschaft anmelden: Telefon: 0231/8280019, veranstaltungen@auslandsgesellschaft.de.

HINTERGRUND: Geschichte der „Brücke“
  • Schon 1949 gründete die britische Militärregierung in Dortmund die „Brücke“: Angeboten wurden Debattierclubs, Literary Circle und Vorträge. Zudem wurden Reisen nach Großbritannien organisiert.
  • Als die „Brücke“ 1959 geschlossen wurde, entstand daraus der Länderkreis Großbritannien und Commonwealth, der später in Deutsch-Britische Gesellschaft umbenannt wurde.
  • Der Länderkreis war aktiv an der Entstehung der Städtepartnerschaft zwischen Dortmund und Leeds (1969) beteiligt. Zudem gab es einen regen Austausch von Besuchergruppen, auch von Azubis, und einen intensiven Kontakt zu den britischen Militärangehörigen.
  • Seit dem Abzug der Briten im Jahr 1995 hat sich allerdings das Stadtbild gewandelt. Unter anderem sind auf dem Gelände der britischen Rheinarmee das Trainingsgelände von Borussia Dortmund und das neue Wohngebiet Hohenbuschei entstanden.
  • Auch die Europa-Eigenheimsiedlung in Wambel und die neue Automeile an der B 1 liegen auf dem ehemaligen britischen Militärgelände.
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