Videoüberwachung in Münsterstraße: Nachbarschaftsinitiative legt gegen Gerichtsentscheidung Widerspruch ein

Die Nachbarschaftsinitiative Münsterstraße will die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts zur Videobeobachtung nicht akzeptieren und ruft die nächste Instanz an. Foto: Karsten Wickern

Das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen hatte jüngst den Eilantrag der Nachbarschaftsinitiative Münsterstraße gegen die Kameraüberwachung des Nordpols südlich der Mallinckrodtstraße abgelehnt. Obwohl das Gericht dem Antrag dahingehend folgte, dass eine Überwachung des Nordpols nicht rechtmäßig wäre, folgt es der Argumentation der Polizei, die weiträumige Unkenntlichmachungen in Aussicht gestellt hat und die Überwachung ansonsten für notwendig hält. „Wir sind weiterhin der Meinung, dass die negativen Folgen der Überwachung in keinem Verhältnis zu den erwarteten (Nicht-)Effekten steht und haben daher gegen dieses Urteil Widerspruch eingelegt“, heißt es in einer Stellungnahme der Initiative. Konsequenz: Demnächst muss sich das Oberverwaltungsgericht Münster mit der Eilentscheidung befassen, während es vor dem VG noch keinen Termin für das Hauptsacheverfahren gibt.

Zweifel an der Effektivität von Videoüberwachung in der Dortmunder Münsterstraße

Im Jahr 2018 habe die Dortmunder Polizei nach der Verschärfung des Polizeigesetzes  NRW eine komplette Kehrtwende vollzogen, erinnern die Akteure der Initiative.

„Sie begann, eine Kameraüberwachung vorzubereiten, die sie vorher selbst als nicht sinnvoll erachtete.“ Das sehen die Aktivist*innen noch heute so: Studien (wie durch das Kriminologische Institut Niedersachsen) hätten bereits gezeigt, dass die vor einigen Jahren in der Brückstraße angebrachten Kameras keinen nennenswerten Effekt haben.

Der Rückgang der Kriminalität im überwachten Bereich könne danach nicht auf die Kameras zurückgeführt werden. Die Kriminalitätszahlen in ganz Dortmund und der Nordstadt seien vielmehr negativ, wofür sich die Polizei Dortmund ja auch regelmäßig selbst lobe. Einen stärkeren Rückgang in den überwachten Bereichen gäbe es nicht. Auch für die Rechtfertigung der Überwachung optimierte Statistiken können darüber nicht hinwegtäuschen.

Im Weiteren haben die Aktivist*innen der Initiative noch ganz andere Sorgen. Mit der Akteneinsicht im Hauptverfahren vor dem VG in die konkreten Überwachungspläne der Münsterstraße wurde für sie deutlich, „dass nicht nur vermeintliche Straßenkriminalität, sondern gerade auch der Nordpol Ziel der Überwachung werden sollte. Dies ist gerade daher ein Problem, da dieser als Versammlungsort von Aktivist*innen dient, welche der Polizei kritisch gegenüber stehen“, so die Nachbarschaftsinitiative in ihrer Stellungnahme.

Streitpunkt: vermeintliche oder reale Überwachung des Kulturtreffpunkts Nordpol und seinem Umfeld

Der Nordpol in der Münsterstraße. Foto: Thomas Engel

Anders als Demonstrationen, bei denen polizeiliche Kameras – auch in der Münsterstraße – abgeschaltet werden, müssen Versammlungen, die nicht im öffentlichen Raum – also auf Plätzen und Straßen – stattfänden, nicht bei der Polizei angemeldet werden.

Die Polizei wisse daher nicht automatisch über solchen Veranstaltungen Bescheid und könne ergo die Kameras auch nicht rechtzeitig vor einer solchen Versammlung abschalten. Und: Wie auch bei Demonstrationen sei nicht nur die Teilnahme, sondern auch die An- und Abreise zu diesen zu schützen. „Wir haben daher am Gericht gefordert, dass ein Überwachung des Nordpols untersagt werden muss.“

In ihrer Stellungnahme vor Gericht bedeutet die Dortmunder Polizei dagegen: „Zur Verdeutlichung des Umstandes, dass der öffentliche Einsatz Hausnummer 99 und nicht das Café als Einrichtung von dem verbindlich optisch-technischer Mittel erfasst werden soll, wird […] mitgeteilt, dass der gesamte Eingangsbereich des Café Nordpol geschwärzt wird. Auch in technischer Hinsicht wird diese Schwärzung irreversibel sichergestellt, da bereits bei Beginn der Erzeugung der digital und Bildinformation durch den Bildprozessor aus dem einfallenden Licht damit vor der Verarbeitung, mithin einer Aufzeichnung in der Kamera und vor Weiterleitung der Bildinformation, eine Schwärzung der auszunehmenden Bereiche erfolgt.“

Zugeständnisse der Dortmunder Polizei und einige Transparenzprobleme

Diese Zusage seitens der Dortmunder Polizei wird von der Initiative als kleiner Erfolg gewertet. Problematisch bliebe die Überwachung aber trotzdem. Für den Nordpol hieße eine Schwärzung der Ladenfront, dass jede*r, der die Kamerabilder beobachte, natürlich auch sehen kann, wer in den geschwärzten Bereich rein und wieder raus geht. Dass sich tatsächlich jemand diese Mühe machen würde, bewertete das Gericht allerdings als „lebensfremd“, monieren die Aktivist*innen.

Denn in einer Polizeiakte vom August letzten Jahres, so ihr Argument, stand in diesem Zusammenhang noch: „Als problematisch hat sich das Cafe Nordpol (Hausnummer 99) […] erwiesen. Die Besucher sind nicht nur generell aufgrund ihrer ideologischen Prägung ablehnend gegenüber der Polizei, sondern stören zum Teil aktiv die in diesem Bereich durchgeführten Kontrollen der dort agierenden Drogendealer sowie strafverfolgende Maßnahmen gegen diese Klientel.“

Grund genug für die Nachbarschaftsinitiative, anzunehmen, dass der Nordpol auch aufgrund der (vermuteten) politischen Einstellung der Besucher*innen überwacht werden solle. Zudem ginge es beim Widerstand „gegen die öffentliche Überwachung der Münsterstraße nicht allein um die Interessen des Nordpols und die Wahrung demokratischer Grundrechte: Die Kamera steht symbolisch für die Überwachung der Nordstädter*innen, die diese Straße, ihre Geschäfte, Einrichtungen, Wohnräume, frequentieren und die ohnehin schon ordnungspolitischer Stigmatisierung ausgesetzt sind“.

Zumal für jene, die sich auf der Münsterstraße bewegten, nicht ersichtlich sei, ob sie sich gerade in einem „geschwärzten“ oder „nicht-geschwärzten“ Bereich aufhalten. Die Konsequenzen für die Aktivist*innen sind eindeutig: „Wir werden daher Widerspruch gegen die Eilentscheidung einreichen und erwarten eine Entscheidung des OVG in Münster.“

Gegen die Aufrüstung der Polizei in der Nordstadt: Für die Initiative geht es nicht nur um Kameras

Diese Kameras über einem Eckladen in der Münsterstraße könn(t)en direkt den Eingangsbereich des „Nordpol“ erfassen. Foto: Thomas Engel

Arthur Winkelbach von der Initiative betont: „Wir erleben, wie ein ganzer Apparat an Beamt*innen, unterstützt von Rechtsanwält*innen, finanziert von allgemeinen Steuermitteln, die sich gegenüber dem Gericht, dass wohl nicht als besonders polizeikritisch anzusehen ist, vorerst durchsetzen konnte. Der juristische Kampf für den Schutz der Grundrechte und gegen eine ausuferende Überwachung unseres Leben wird nicht nur in der Münsterstraße in Dortmund ausgefochten.“

Unabhängig von der juristischen Auseinandersetzung wolle man sich weiterhin dafür einsetzen, dass die Nordstadt nicht zum Spielfeld neuer Polizeitechniken würde, deren Ziel nie die Lösung der sozialen und politischen Probleme des Stadtteils und der Bewohner*innen seien könne, „sondern nur die Behandlung von Symptomen einer ungleichen Gesellschaft samt ihrer Stigmatisierungen und Disziplinierungen mit immer neuen Mitteln. Dazu zählt für uns auch die ,Erprobung‘ von Tasern – einer tödlichen Waffe. Taser sind eine autoritäre Maßnahme, die als ,Deeskalation‘ propagiert wird“, so Winkelbach im Klartext.

Aktiv gegen das NRW-Polizeigesetz und das geplante „Versammlungs-Verhinderungs-Gesetz“ von CDU/FDP

Vor dem Ort der Polizei-Pressekonferenz sammelten sich seinige Demonstrant*innen.
Demonstrant*innen vor Ort gegen die Videoüberwachung in der Münsterstraße. Foto: Alex Völkel

„Der juridische Kampf kann nur eingebettet sein in einen politischen Kampf gegen das (neue) bestehende Polizeigesetz wie gegen die Ambitionen der Schwarz-Gelben Regierung ein Versammlungs-Verhinderungs-Gesetz zu verabschieden“, erläutert Winkelbach die Bedeutung des nun ergangenen Urteils aus seiner Sicht.

„Alle juristischen Erfolge unserseits würden in der allgemeinen Tendenz zum autoritären Umbau der Bundesrepublik Deutschland früher oder später durch neue Gesetzgebungen obsolet werden. Das neue Polizeigesetz, dass die Überwachung erst möglich gemacht hat, sowie das geplante Versammlungsgesetz der Landesregierung sind dafür gute Beispiele“, so der Sprecher.

Daher sähen sie im juridischen Kampf vor allem ein Mittel der Aufklärung wie die praktische Intervention, die jedoch auf nichts anders letztendlich abzielen könne als die Selbstorganisierung der Bevölkerung gegen eine sich mehr und mehr verselbstständigende Exekutiv-Gewalt.

Weitere Informationen:

  • Nachbarschaftsinitiative und ihre Klagen gegen die Überwachung der Münsterstraße; hier:
  • Über die Initiative: Bereits im Frühjahr 2020 organisierte die Nachbarschaftsinitative gegen Videoüberwachung Flugblattverteilaktionen gegen die ausufernde Kameraüberwachung in Dortmund, einen Stadtteilspaziergang über die Münsterstraße sowie diverse Nachbarschaftsmeetings. Aktuell beschreitet die Initiative als einen ihrer nächsten Schritte auch den juristischen Weg – gegen die Überwachung ihrer zentralen Einkaufsstraße.

 

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