Widerstand gegen die Stationierung britischer Waffensysteme in Brackel

SERIE – Vor 65 Jahren: Lautstarker Protest – „Dortmund will keine Atomraketen“ (Teil 1)

Immer wieder kam es zu Protestaktionen, Warnstreiks und Kundgebungen in Dortmund – hier eine Demo in Brackel. Foto: Sammlung Horst Delkus

In Dortmund-Brackel, dort, wo heute das Trainingsgelände des BVB, die Wohnsiedlung Hohenbuschei, ein Golfclub, ein Gewerbegebiet und ein Naturschutzgebiet liegt, gab es früher eine No-go-area: die sogenannten Napier Barracks, ein Militärgelände der Britischen Rheinarmee, das zuvor der Dortmunder Flughafen war.  1959 wurde es zur Atomraketenbasis der NATO. Gegen den breiten Widerstand der Bevölkerung und des Rates der Stadt Dortmund im Januar und Februar 1959. Das ist nun 65 Jahre her. Die Nordstadtblogger erinnern daran in einer dreiteiligen Serie.

Von Horst Delkus

Dortmund, 12. Januar 1959: Per Fernschreiben trifft beim Oberstadtdirektor der Stadt Dortmund, Dr. Walter Kliemt, ein Erlass des Verteidigungsministeriums ein. Sein Absender: Franz Josef Strauß. Franz Josef Strauß ist seit 1956 Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland und leitet den Aufbau der Bundeswehr. Er gilt als der eifrigste Befürworter der Nato-Pläne zur Atomaufrüstung in der Regierung Adenauer. In dem Fernschreiben – Vermerk ,,Streng geheim“ – teilt er dem Dortmunder Oberstadtdirektor mit, dass ,,voraussichtlich im Laufe des Februars 1959 britische Lenkwaffen auf dem Flugplatzgelände Dortmund-Brackel vorübergehend stationiert“ würden. Eine andere geeignete Anlage habe sich ,,leider“ nicht finden lassen.

Lenkwaffen mit der Sprengkraft von der Wirkung einer Hiroshima-Bombe

Bei diesen Lenkwaffen geht es nicht um irgendwelche Raketen. Es geht um ferngesteuerte Atomraketen vom Typ ,.Corporal“, der ersten britischen Kurzstreckenrakete mit Atomsprengkopf. Es heißt, dass sie mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden können, die die Sprengkraft von der Wirkung einer Hiroshima-Bombe besitzen.

Bericht einer englischen Zeitung über die Anti-Atomraketenproteste in Dortmund, an denen sich auch die CDU beteiligte. Foto: Sammlung Horst Delkus

Nach den Planungen der NATO und dem Willen von Strauß soll Dortmund die Atomraketenbasis des Ruhrgebiets werden. Im Kriegsfall wäre das dicht besiedelte Dortmund und damit das gesamte Ruhrgebiet die bevorzugte Zielscheibe des militärischen Gegners.

Diese Befürchtungen und die Erinnerungen an die Bombennächte im II. Weltkrieg, dessen Wunden im Dortmunder Stadtbild 1959 noch nicht verheilt waren, führten zu einer erheblichen Beunruhigung großer Teile der Dortmunder Bevölkerung.

Der Rat der Stadt Dortmund selbst stellte sich an die Spitze des Protestes gegen diese Raketenstationierung. Mit den Stimmen aller Ratsfraktionen forderte er 1959 einmütig:,,Dortmund will keine Atomraketen!“

Zahlreiche Protestaktionen und Protestschreiben gegen die Stationierung 

„Dortmund will keine Atomraketen!“ – das war auch die Forderung nahezu sämtlicher Ortsvereine der SPD, der Dortmunder Jugendverbände und Frauenorganisationen sowie der Dortmunder Gewerkschafter. Mit zahlreichen Protesterklärungen, einem l0-Minuten-Warnstreik und einigen spektakulären Aktionen versuchten sie, den Ausbau Dortmunds zur Atomraketenbasis zu verhindern.

Atomraketen in Dortmund eingetroffen. Foto: Sammlung Horst Delkus

Diese Proteste blieben erfolglos. Die Atomraketen trafen gegen den erklärten Willen des Rates der Stadt Dortmund und der Dortmunder Bevölkerung am 27. Februar 1959 in Dortmund-Brackel ein, nur sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Dortmund wurde eine NATO-Raketenbasis.

Wegen seiner Proteste gegen diese Raketenstationierung galt Dortmund noch Jahre später als ,,Symbol des Widerstandes“ gegen die atomare Aufrüstung und den Atomtod. Von offizieller Seite wird über diesen Widerstand, wie die ehemalige Dortmunder Zeitung ,,Westdeutsches Tageblatt“ bereits 1962 feststellen musste, ,,ein merkwürdiger Schleier des Schweigens gebreitet“.

Großbritanniens Raketentruppe der Royal Artillery wird nach Deutschland versetzt

Der Plan, ein britisches Atomraketenregiment in Dortmund zu stationieren, wurde erstmals im April 1958 bekannt. Am 13. April 1958 hatte die britische Sonntagszeitung ,,Sunday Dispatch“ folgende Meldung veröffentlicht:

,,Großbritanniens Raketentruppe – das 4l . (Fernlenkwaffen-)Feldregiment der Royal Artillery wird nach Deutschland versetzt. (…) Die Soldaten und ihre Familien sind angewiesen worden, sich darauf einzurichten, dass sie im Oktober nach Dortmund abreisen.“ Zwei Tage später verbreitete die ,,Westfälische Rundschau“ diese Meldung in Dortmund und hob hervor, dass die Raketen dieser Einheit mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden können.

In der Öffentlichkeit wurden in jenen Tagen durch die gerade von SPD und Gewerkschaften getragene ,,Kampf dem Atomtod“-Kampagne gegen die vom Bundestag im März 1958 mit seiner CDU-Mehrheit beschlossene atomare Aufrüstung der Bundeswehr Fragen der Atombewaffnung und des Atomkrieges heiß diskutiert.

Als die Stationierung von Atomraketen in Dortmund bekannt wurde, verabschiedete der Dortmunder Jugendring sofort eine Resolution, in der er den Rat der Stadt Dortmund aufforderte, ,,jede Maßnahme, die das Stadtgebiet von Dortmund in die atomare Aufrüstung einbezieht, zu verhindern und im gleichen Sinne auf die Landes- und Bundesregierung einzuwirken“.

Der Stadtrat sprach sich auf Antrag der SPD gegen die Stationierung aus

Artikel über die Stationierung. Foto: Sammlung Horst Delkus

Die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund erhob diese Resolution zum Antrag für die nächste Ratssitzung. Mit ihren 35 Stimmen wurde in den Abendstunden des 25. April 1958 – die CDU- und FDP-Fraktion hatte aus Protest gegen die Behandlung dieser Frage im Rat die Sitzung bereits verlassen – eine Entschließung verabschiedet, in der sich der Rat gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr entschied und eine, in der er sich gegen die Verlegung der britischen Atomraketeneinheit und gegen die Anlage einer Atomraketenabschussbasis in Hengsen (Opherdicke) aussprach.

Die Verlegung des Atomwaffenregimentes nach Dortmund wurde von den zuständigen Stellen umgehend dementiert, so dass niemand in Dortmund die Sache weiter verfolgte. Monate vergingen. Als dann auf Weisung des Bundesverteidigungsministeriums wegen militärischer Baumaßnahmen am 1. 9. 1958 der zivile Flugverkehr auf dem Flughafen in Brackel eingestellt werden musste, verdichteten sich die Gerüchte über die Stationierung des britischen Raketenregimentes erneut.

Der Dortmunder Stadtverwaltung, die sogleich entsprechende Auskünfte einholte, teilte man mit, dass lediglich die Verlegung einer britischen Panzereinheit aus Niedersachsen beabsichtigt sei und daher kein Grund zur Aufregung bestände.

Stadt fordert Klarheit von Verteidigungsminister und Ministerpräsident

Trotzdem hielten sich in der Öffentlichkeit die Gerüchte hartnäckig weiter, dass es sich bei dieser Einheit um das Atomwaffenregiment handele. Der stellvertretende Oberbürgermeister Ewald Görshop und der Dortmunder Oberstadtdirektor Dr. Kliemt forderten Franz Josef Strauß und den Ministerpräsidenten von NRW, Franz Josef Heinrich Georg Meyers (CDU), schriftlich auf, zu erklären, ob, es sich bei der nach Dortmund zu verlegenden Einheit tatsächlich um ein Raketenregiment handele.

Franz Josef Heinrich Georg Meyers war von 1958 bis 1966 der vierte Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Foto: TUBS/ Wikipedia CC BY-SA 3.0

Sie wiesen darauf hin, dass in der Dortmunder Bevölkerung bereits eine gewisse Unruhe über die möglichen Entwicklungen herrsche und dass es bei der unklaren Sachlage unvermeidbar sei, dass sich mit den sich ausweitenden Gerüchten eine steigende Beunruhigung der Bevölkerung zwangsläufig einstelle.

In seinem Antwortschreiben ging das Bundesverteidigungsministerium auf die angesprochenen Gerüchte nicht ein. Es teilte lediglich mit, dass die Frage, ob der Flugplatz mit einer neuen britischen Einheit belegt werden soll, noch nicht geklärt sei. Zu gegebener Zeit würde der Oberstadtdirektor über die Landesregierung davon unterrichtet werden. ,,Nach diesem Schreiben“, so der Dortmunder Oberstadtdirektor Dr. Kliemt später, ,,konnte zunächst weiteres nicht unternommen werden. Wir glaubten, aus seinem Wortlaut die Berechtigung ableiten zu können, hinsichtlich der Verlegung einer Lenkwaffeneinheit beruhigt sein zu dürfen, zumal auch kurze Zeit später der Zivilflugverkehr wieder zugelassen wurde“.

Auch die Hoesch-Werke, die ,,für die in absehbarer Zeit unerlässliche Erweiterung“ der Westfalenhütte an dem Flugplatzgelände großes Interesse hatten, erhielten bei allen staatlichen Stellen auf ihre Anfragen und Eingaben immer beruhigende Nachrichten. Um so größer war die Überraschung und Entrüstung in Dortmund, als im Januar 1959 bekannt wurde, dass die Verlegung der Einheit unmittelbar bevorstehe.

Der Rat protestiert gegen Geheimerlass von Franz Josef Strauß

Nachdem Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den Inhalt seines Geheimerlasses am 14. l. 1959 auf einer Pressekonferenz selbst bekanntgegeben hatte, schickte der Dortmunder Oberstadtdirektor Dr. Kliemt am nächsten Morgen ein Telegramm, in dem er mitteilte. dass er sich durch die Presseerklärung des Bundesverteidigungsministeriums und die Rundfunkmeldung an die Geheimhaltungspflicht nicht mehr gebunden fühle.

Franz Josef Strauß als Verteidigungsminister bei einem Manöverbesuch 1960
Franz Josef Strauß als Verteidigungsminister bei einem Manöverbesuch 1960. Foto: Brigadier general Samuel Lyman Atwood Marshall, United States Army Reserve/ Wikipedia

Er beabsichtige, den Rat der Stadt zu unterrichten und werde entsprechend verfahren, falls nicht eine gegenteilige Anweisung eintreffe. Eine solche Weisung kam wie erwartet nicht. Kliemt informierte daraufhin über eine Presseerklärung die Dortmunder Lokalzeitungen und bereitete mit den Fraktionsspitzen der im Rat vertretenen SPD, CDU und FDP eine außerordentliche Ratssitzung vor.

Zuvor telefonierte er noch mit dem Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Dr. Kaumann. Kaumann erklärte. dass der bisherige Zivilflugverkehr auf dem Flugplatz bis spätestens zum 10. Februar eingestellt werden müsse. Die Raketeneinheit würde nur vorübergehend in Dortmund stationiert werden. Ein eventueller militärischer Einsatz solle keinesfalls an ihrem Stationierungsort erfolgen.

Kaumann betonte in diesem Gespräch besonders, dass auf dem Flugplatzgelände lediglich der Treibstoff für die Raketen gelagert werde, nicht aber ,,die anderen Sachen“. Natürlich könne man auch atomare Sprengköpfe verwenden. Diese würden jedoch auf keinen Fall in Dortmund gelagert werden, sondern an der Stelle, von der die Lenkwaffe zum Einsatz komme.

Eine Welle von Protesterklärungen  aus Parteien, Betrieben und Verbänden

Unmittelbar nachdem die Dortmunder Bevölkerung von der Anordnung der Raketenstationierung erfahren hatte, erreichten den Dortmunder Oberbürgermeister zahlreiche Protesterklärungen aus Ortsvereinen der Sozialdemokratischen Partei, von Betriebsräten der Dortmunder Großbetriebe und Zechen sowie von gewerkschaftlichen Gliederungen. Ein Beispiel:


ENTSCHLIESSUNG der SPD-Ortsgruppe Südwest

An den Oberbürgermeister der Stadt Dortmund

Die SPD-Ortsgruppe Dortmund-Südwest stellte in ihrer Mitgliederversammlung am 15. Januar 1959 mit Bestürzung fest, dass trotz der Warnungen des Rates der Stadt im April 1858 an die zuständigen Stellen im Lande und Bunde nun doch im Februar 1959 eine britische Raketeneinheit in Dortmund stationiert werden soll.

Damit wird im Falle einer Auseinandersetzung zwischen den Mächten von Ost und West für alle Menschen im dicht besiedelten Ruhrgebiet eine tödliche Gefahr heraufbeschworen. Der Abschuss von Atomraketen aus Stützpunkten in Ost-und Westdeutschland gegeneinander wird die Deutschen nicht in Frieden, Freiheit und sozialem Wohlstand vereinen, sondern in einem fürchterlichen Sterben in einem zerstörten Gesamtdeutschland.

In tiefer Sorge um das Schicksal unserer Stadt und ihrer Bevölkerung protestieren wir im Namen unserer Mitglieder und der vielen Tausenden sozialdemokratischen Wähler unseres Bezirkes gegen jede Massenvernichtungswaffe auf Dortmunder Boden.

Sozialdemokratische Partei
Ortsgruppe Südwest
i. A. Erich Koszyk Günter Samtlebe Fritz Schemmert


Die Welle der Protesterklärungen hielt mehr als zwei Wochen an. Es gab wohl keinen Ortsverein der Dortmunder SPD, der sich nicht mit der Raketenstationierung beschäftigte und sie ,,schärfstens“ verurteilte.

 Unterstützung durch Dortmunder CDU löste bei der Regierung Adenauer große Betroffenheit aus

Am 17 . Januar fand die Ratssitzung statt. In seiner Rede erklärte Oberstadtdirektor Dr. Kliemt, dass es jetzt darauf ankomme, ,,in letzter Stunde noch einmal alles daranzusetzen, um eine Rückgängigmachung dieser Anordnung zu erreichen, weil vor allem lebenswichtige Interessen unserer Stadt und unserer Bevölkerung das verlangen.“

Mit den Stimmen der CDU wird dann einstimmig eine Protestresolution verabschiedet und der Oberbürgermeister und der Oberstadtdirektor beauftragt, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Stationierung der Fernlenkwaffeneinheit zu verhindern.

Artikel über die Stationierung. Foto: Sammlung Horst Delkus

Gerade auch die Unterstützung der Ratserklärung durch die Dortmunder CDU löste bei der Regierung Adenauer große Betroffenheit aus. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß wies die Dortmunder Proteste als ,,unverständlich“ ab. Dortmund, so Strauß, solle lediglich der ,,Friedensstandort“ der britischen Einheit sein. Im Ernstfall werde sie sofort in östlicher Richtung verlegt.

Die Bonner Oppositionsparteien SPD und FDP unterstützen die Dortmunder Kritik

Anders fielen hingegen die Reaktionen der Bonner Oppositionsparteien SPD und FDP auf die Dortmunder Proteste aus. Die Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion der SPD, Fritz Erler, und der FDP, Erich Mende, unterstützten sie und erklärten, dass Raketenwaffen mit Atomsprengköpfen keinesfalls in dicht besiedelten Gebieten stationiert werden dürften.

Auf der Grundlage des Ratsbeschlusses vom 17. Januar verhandelten Keuning und Kliemt eine Woche später mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Meyers (CDU). Meyers erklärte den beiden Dortmunder Unterhändlern, dass die Landesregierung in militärischen Angelegenheiten nicht zuständig und von Strauß lediglich konsultiert worden sei. Die Landesregierung, versicherte Meyers, sei aber dagegen, dass eine solche Einheit im dicht besiedelten Ruhrgebiet stationiert werde. Ungeachtet der Verhandlungs- und Gesprächsbemühungen der Dortmunder Stadtvertreter begannen am 26. Januar auf dem Flughafen die Vorarbeiten für die Truppenverlegung.

OB Keuning und Oberstadtdirektor Kliemt. Foto: Sammlung Horst Delkus

Unterdessen riss die Protestwelle in Dortmund nicht ab. So verabschiedete zum Beispiel der Bürgerausschuss Lütgendortmund, ein Gremium, vergleichbar mit der heutigen Bezirksvertretung, nach einer Debatte, die bis in die Abendstunden andauerte, auf einer außerordentlichen Sitzung eine Entschließung, in der er sich im Namen der 36.000 Einwohner Lütgendortmunds einmütig hinter die Beschlüsse des Rates der Stadt stellte und den Oberbürgermeister aufforderte, ,,alles Erdenkliche zu unternehmen, um die Stationierung von militärischen Einheiten im Raume Dortmund zu verhindern“.

Die Ortsgruppe Dortmund-Huckarde der IG Bergbau schickte eine Resolution an den Hauptvorstand ihrer Gewerkschaft mit folgendem Wortlaut:

„Mit ernster Besorgnis haben wir davon Kenntnis genommen, dass im Raum Dortmund ein Raketenregiment stationiert werden soll. Angesichts der Gefahren, die durch die Errichtung einer Abschussbasis der gesamten Dortmunder Bevölkerung entstehen, sind wir der Meinung, dass alles getan werden muss, um diese Stationierung zu verhindern. Bekanntlich würde im Ernstfall eine Abschussbasis das Angriffsziel des Gegners sein und somit das Leben der gesamten Dortmunder Bevölkerung tödlich bedrohen. Um daher die Meinung der Dortmunder Bergarbeiter klar zum Ausdruck bringen zu können, schlagen wir dem Hauptvorstand vor, in Verbindung mit der Geschäftsstelle eine Befragung der Bergarbeiter auf allen Dortmunder Schachtanlagen durchzuführen. Weiter hieß es in der Resolution: Da die Stellungnahme der Bevölkerung zu dieser brennenden Frage aktuell und bedeutsam ist, erachten wir es gleichzeitig für notwendig, dass der Hauptvorstand Verbindung mit dem DGB aufnimmt, um die gleichzeitige Befragung auf alle Dortmunder Betriebe auszudehnen. Das Ergebnis einer solchen Befragung würde ohne Zweifel mit dazu beitragen, die drohende Gefahr  von uns abzuwenden. Wir denken in dieser lebensentscheidenden Frage der vollen Unterstützung des Hauptvorstandes gewiss zu sein.“

Zahlreiche Leserbriefe machten die Angst vor den Folgen der Waffen in Dortmund deutlich

Auch in den Leserbriefen an die Dortmunder Tageszeitungen äußerte sich die Angst vor den Folgen der bevorstehenden Raketenstationierung. Hier wurden ebenfalls Vorschläge gemacht, die über den bisherigen Protest des Rates und der Verwaltung hinausgingen.

So schlug zum Beispiel E. S. in einem Leserbrief an das ,,Westdeutsche Tagesblatt“ vor, in einer Briefaktion bei den zuständigen Stellen der Regierung gegen die Atombewaffnung zu protestieren. E. S.: ,,Das Wort Dortmund muss den Adenauer, Strauß und ihren gleichgesinnten Freunden Tag und Nacht im Ohr klingen. Esgeht um Leben und Tod von über 600.000 Bürgern. Vermutlich würde auch eine machtvolle Demonstration gegen die Stationierung der Raketeneinheit in Dortmund die Herren in Bonn und Düsseldorf aufhorchen lassen. Es darf jedenfalls nichts unversucht bleiben, Tod und Verderben von unserer Heimatstadt fernzuhalten.“

Atomwaffenfreie Zone Dortmund-Brackel. Foto: Sammlung Horst Delkus

Und W. G., Schillerstr.22, schrieb: ,,Wenn die Engländer einrücken, müssen alle Glocken läuten, alle Sirenen müssen heulen, der Generalstreik proklamiert werden. Wenn Adenauer und Strauß Raketen haben wollen. dann sollen sie sie zwischen Bonn und Bad Godesberg stationieren.“

E. K. aus Brackel schrieb, dass sie ,,schon darauf gewartet (hatte), das von städtischer Seite eine Unterschriftensammlung gegen die Belegung des Brackeler Flughafens mit Raketenwaffen angeregt worden wäre.

M .M. aus Hörde war der Ansicht, ,,dass im Ernstfall die Bundesrepublik nichts weiter als das blutige Vorfeld zur Verteidigung fremder Interessen sein soll. Dagegen aber müssen wir uns – solange uns dazu noch Zeit bleibt – mit allen Mitteln wehren.“

Die Redaktion des ,,Westdeutschen Tageblatts“ schrieb, dass nicht wenige Leser in Zweifel ziehen, ,,ob wir überhaupt noch eine Demokratie besitzen“, und kommentierte: ,,Wir können nicht verhehlen. dass auch wir der Meinung sind, dass die selbstherrlichen Beschlüsse der Regierung gefährlich nahe an diktatorische Maßnahmen grenzen.“

Trotz der wachsenden Angst und Empörung wurde aber weder vom Rat noch von den Parteien zu irgendwelchen Protestaktionen aufgerufen. Solange die Verhandlungen nicht beendet seien, bekannte Oberbürgermeister Dietrich Keuning in einem Gespräch mit einem Journalisten der „Welt“, seien auf seinen Wunsch alle Protestaktionen in Dortmund zunächst einmal zurückgestellt worden. Eventuelle Maßnahmen würden auf einer Ratssitzung am 26. Januar beschlossen werden.

CDU fordert: ,,Kein Waschbenzin auf den Küchenherd“

Rechtzeitig vor dieser Ratssitzung veröffentlichten die den Anti-Raketenprotesten distanziert gegenüberstehenden ,,Ruhr Nachrichten“ ein Interview mit Franz Josef Strauß, in dem er wiederholte, dass Dortmund nur die ,,Friedensgarnison“ der britischen Einheit sei und in Dortmund ,,kein einziger Atomsprengkopf“ gelagert werde. Mit diesem Interview sollte offensichtlich der Versuch unternommen werden, die Dortmunder CDU zu bewegen, ihren Widerstand gegen die Raketenstationierung aufzugeben. Gerüchte, dass die Dortmunder CDU sich nicht mehr hinter den gemeinsamen Ratsbeschluss vom 17. Januar stellen würde, waren bereits vorher ausgestreut worden.

Florian, das Maskottchen der Bundesgartenschau 1959, meint: Atomraketen NEIN! Foto: Sammlung Horst Delkus

Doch am 26. Januar bekräftigte der Rat noch einmal einmütig diesen Beschluss. Nach einer Unterbrechung der Ratssitzung wurde in einer interfraktionellen Besprechung festgestellt, dass der vom Rat dem Oberbürgermeister und Oberstadtdirektor erteilte Auftrag, die notwendigen Schritte zur Verhinderung der Raketenstationierung zu unternehmen, weiter bestehen bleibe.

Zuvor hatte der Fraktionssprecher der CDU, Professor Raskop, nachdrücklich betont, dass auch seine Fraktion es nicht für opportun halte, eine solche Raketeneinheit in Dortmund-Brackel zu stationieren. Hier gehe es nicht um eine Grundsatzentscheidung in Fragen der Atombewaffnung.

Raskop verglich die Haltung seiner Fraktion bildhaft mit der Auffassung, dass man Waschbenzin in einem Haushalt brauche. Andere seien vielleicht der Auffassung, wegen der Feuergefährlichkeit diesen Stoff überhaupt nicht im Haushalt zu dulden. Er sei der Meinung, dass Waschbenzin aber auf keinen Fall auf den Küchenherd gehöre. So sei die Stellungnahme der CDU zu verstehen.

In einem Gespräch mit der katholischen Zeitschrift ,,Echo der Zeit“ erklärte Professor Raskop, dass die Entscheidung, die Atomraketeneinheit nach Dortmund zu verlegen, nicht nur ,,militärisch unvernünftig“ sei, sondern dass sie auch eine schwere wirtschaftliche Schädigung der Stadt durch Schmälerung lebenswichtiger Wirtschafts- und Verkehrsinteressen bedeute.


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Reaktionen

  1. Till Strucksberg

    Hallo Norbert, wieso schreibst du über die CDU? Die Empörung der Bevölkerung war so groß, dass sie von DGB und dann auch SPD aufgenommen werden musste. Und dann schreibt Horst Delkus, der Verfasser der verdienstvollen Artikelserie: „Doch da von denen, die bis dato die Wortführer des Widerstandes gegen die Stationierung von Atomraketen auf Dortmunder Stadtgebiet gewesen waren, niemand mehr seine Stimme erhob und zu Protesten aufforderte, blieben selbst kleine demonstrative Widerstandsaktionen der Dortmunder Bevölkerung aus.“ Fazit: Die Empörung wurde erfolgreich in unwirksame Aktionen kanalisiert. Dabei spielte die CDU in Dortmund keine Rolle. Diese Taktik, sich zum Wortführer machen und dann beschwichtigen, kennt man ja bis heute.

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