Widerstand gegen die Stationierung britischer Waffensysteme in Brackel

SERIE – Vor 65 Jahren: Lautstarker Protest – „Dortmund will keine Atomraketen“ (Teil 2)

Auch heute noch eine bekannte Protestform: Der Autokorso gegen die Stationierung endete vorm Kaserneneingang. Foto: Sammlung Horst Delkus

In Dortmund-Brackel, dort, wo heute das Trainingsgelände des BVB, die Wohnsiedlung Hohenbuschei, ein Golfclub, ein Gewerbegebiet und ein Naturschutzgebiet liegt, gab es früher eine No-go-area: die sogenannten Napier Barracks, ein Militärgelände der Britischen Rheinarmee, das zuvor der Dortmunder Flughafen war.  1959 wurde es zur Atomraketenbasis der NATO. Gegen den breiten Widerstand der Bevölkerung und des Rates der Stadt Dortmund im Januar und Februar 1959. Das ist nun 65 Jahre her. Die Nordstadtblogger erinnern daran in einer dreiteiligen Serie.

Von Horst Delkus

Mittlerweile regte sich der Protest gegen die Raketenstationierung auch außerhalb Dortmunds. So sprach sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in einer Erklärung an die Stadt Dortmund gegen die Errichtung von Abschussbasen für Atomraketen in Dortmund aus und erklärte sich mit dem Protest der Dortmunder solidarisch. Eine eindrucksvolle Aktion führten Studenten der Wuppertaler Hochschule durch: Auf einem Platz in Wuppertal-Barmen veranstalteten sie eine mehrtägige Mahnwache, an der sich auch zahlreiche Prominente beteiligten. So auch der Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordnete Johannes Rau. Er wies darauf hin, dass sich diese Mahnwache neben dem Protest gegen Atomversuche und die Lagerung von Atomwaffen in Ost und West nachdrücklich gegen die Stationierung von Raketenwaffen in Dortmund wende.

OB Keuning und OSD Kliemt verhandeln mit Strauß

Umstrittener war die Solidarität, die aus der DDR kam, damals noch allgemein als ,,Ostzone“ bezeichnet. Die Stadtverwaltung und Dortmunder Bürger erhielten Zigtausende von Briefen und Telegrammen. Nach einer Angabe des Bundesinnenministeriums waren es etwa l5 bis 16 Postsäcke täglich, die angeblich bis zu 99% ,,staatsgefährdendes Propagandamaterial“ enthielten. Die politische Strafkammer des Landgerichts Dortmund ordnete an, dass diese Briefe widerrechtlich geöffnet, beschlagnahmt und verbrannt werden. Rund 120.000 Briefe aus der DDR erreichten so nicht ihren Empfänger.

Nachdem alle Fraktionen im Rat der Stadt Dortmund den Auftrag an den Oberbürgermeister und Oberstadtdirektor, alles zu unternehmen, was in letzter Minute eine Verhinderung der Raketenstationierung ermögliche, am 26. Januar bestätigt hatten, sandten diese einen Brief an Verteidigungsminister Strauß, in dem sie ihn dringend um eine Unterredung baten.

Ein Gespräch der Stadtspitze mit dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß war für den 3. Februar 1959 geplant. Foto: Sammlung Horst Delkus

Strauß betonte bei diesem Gespräch, dass die Entscheidung über die Stationierung nicht von ihm, sondern von der NATO gefällt wurde. Die Engländer seien auch bereit, einen anderen Stationierungsort als Dortmund zwischen Rhein und Weser zu akzeptieren. Was ihre Verlegung an einen anderen Ort jedoch außerordentlich erschwere, sei, dass geeignete Unterkünfte für 500 bis 600 Mann und wegen der Lagerung der hochexplosiven Raketentreibstoffe ein entsprechend großes Gelände mit den notwendigen Sicherheitsbereichen fehlte. Seit Dezember würde er von der NATO gedrängt, und nun müsse er dem Verlangen der Engländer sofort nachgeben.

Anderenfalls fürchte er um die Glaubwürdigkeit maßgeblicher Stellen, die nicht auf der einen Seite Sicherheitsgarantien der Alliierten für Berlin fordern könnten und sich auf der anderen Seite weigern, den Alliierten hierzu die Möglichkeit zu geben. Niemand sei von der Wahl Dortmunds begeistert. Jetzt müsse die britische Einheit aber kommen, und sie käme nur wegen Berlin. Die Vertreter der Stadt Dortmund nahmen, wie es in einer gemeinsamen Erklärung für die Presse hieß, ,,den Vorschlag des Bundesverteidigungsministers zur Kenntnis, ohne sich die Argumente des Ministers zu eigen zu machen“.

Ohne Wissen und ohne Veranlassung von Keuning und Kliemt hatte die Arbeitsgemeinschaft Dortmunder Frauenverbände, ein Zusammenschluss von 24 Frauenorganisationen aller politischen und konfessionellen Richtungen, am gleichen Tag ein Telegramm an Strauß gesandt, in dem mit aller Entschiedenheit gegen die Stationierung der britischen Raketeneinheit in Dortmund protestiert wurde. Nach ihrer Rückkehr aus Bonn unterrichteten die Dortmunder Unterhändler sofort die Vorsitzenden der drei Ratsfraktionen, die einmütig der Auffassung waren, dass sich der Dortmunder Oberbürgermeister und der Oberstadtdirektor auch weiterhin im Rahmen des Beschlusses der Ratsversammlung bemühen sollten, die Stationierung der Lenkwaffeneinheit zu verhindern.

80.000 (!) Beschäftigte beteiligten sich laut DGB am „10-Minuten-Warnstreik“

Noch am Abend des Tages, an dem das ergebnislose Gespräch der Dortmunder Vertreter mit Verteidigungsminister Strauß stattfand, kam es zu einer Zusammenkunft Dortmunder Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre, zu der der Kreisausschuss Dortmund des DGB eingeladen hatte.

Laut einer Pressemitteilung des DGB beteiligten sich 80.000 Arbeitnehmer am Warnstreik. Foto: Sammlung Horst Delkus

 

Die Dortmunder Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionäre waren aus den Betrieben ständig angesprochen worden, was man denn unternehmen werde, um die Stationierung der Fernlenkwaffeneinheit zu verhindern. Durch einen einheitlichen Protest sollte jetzt die Einstellung der Bevölkerung sichtbar gemacht werden.

Bislang hatte die Gewerkschaft Kundgebungen abgelehnt. ,,Es würde aber immer schwieriger“, so der Dortmunder DGB-Vorsitzende Josef Smektala, ,,diejenigen, die ihre ernsthafte Besorgnis zum Ausdruck bringen wollen, nicht kontrollierbaren Kreisen zu überlassen.“ Eine begrenzte Arbeitsruhe am nächsten Tag zwischen 11.50 Uhr und 12.00 Uhr solle daher den Protest der Arbeitnehmer gegen die Raketenstationierung zum Ausdruck bringen.

In dem Aufruf zur Arbeitsniederlegung am 4. Februar 1959 heißt es unter anderem: „Die am Wiederaufbau der Stadt Dortmund vornehmlich beteiligte Dortmunder Arbeiterschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, diesen Wiederaufbau zu schützen. Die Größe der Gefahr darf uns daher nicht tatenlos sehen… Diese ernste Warnung entspricht einer Situation, die wir nicht gewollt haben.“

Die Werkssirenen der Großbetriebe und der Stadtverwaltung heulten Alarm

An diesem Warnstreik beteiligten sich nach Presseberichten rund 80 000 Beschäftigte. Sämtliche Busse und Straßenbahnen der Dortmunder Stadtwerke unterbrachen für einige Minuten ihre Fahrt. Die Werkssirenen der Dortmunder Großbetriebe und der Stadtverwaltung heulten Alarm.

Nach einer Mitteilung des DGB-Ortsausschusses wurde die Streikaufforderung am einheitlichsten in den Hüttenwerken befolgt. Dort legte die Belegschaft die Arbeit für volle zehn Minuten nieder und diskutierte über die Raketenstationierung. Der Streik erregte viel Aufmerksamkeit. Selbst das Kabinett der Adenauer-Regierung beschäftigte sich damit und nahm einen Bericht des Verteidigungsministers entgegen.

Auch die überregionale Presse berichtete über den Warnstreik gegen die Atomraketen. Foto: Sammlung Horst Delkus

Der Pressedienst der SPD berichtete unter dem Aufmacher „Dortmund! Stellvertretend für einen großen Teil des deutschen Volkes“: „Wenn gelegentlich gesagt wird, der jungen deutschen Demokratie fehle der „Elan von unten“, um falsche „Entscheidungen von oben“ zu korrigieren, so beweisen die Bevölkerung der Stadt Dortmund und ihre Stadtrat das Gegenteil. Dort brandet, über alle Parteien hinweg, die Welle der Empörung gegen die gefährliche Politik des Bundesverteidigungsministeriums an. Dortmund will im Ernstfall nicht Zielscheibe für die Raketengeschosse eines mutmaßlichen Gegners sein.

Strauß wiegelte die Bedenken ab: Brackel wird eine „Friedensgarnison“

Die Stadt Dortmund und ihre Umgebung hat im zweiten Weltkrieg erfahren müssen, was es bedeutet, wenn in einem dicht besiedelten Gebiet die „normalen“ Bomben niedergehen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um sich vorzustellen, was geschehen wird, wenn sich gerade in einem solchen Gebiet dem Gegner „strategische Ziele“ anbieten.

OB Keuning und Oberstadtdirektor Kliemt verlassen am 3. Februar 1959 nach einem ergebnislosen Gespräch mit dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß das Ministerium. Foto: Sammlung Horst Delkus

Dies und nicht anderes haben Oberbürgermeister Keuning und sein Stadtdirektor Kliemt dem Bundesverteidigungsminister Strauß dargestellt. Strauß versuchte diese Männer, die in tiefer Sorge um das Schicksal ihrer Stadt zu ihm gekommen waren, mit nichtssagenden Redensarten hinzuhalten. Die britische Raketeneinheit soll auf dem Dortmunder Flugplatz Brackel zunächst nur als „Friedensgarnison“ stationiert werden.

Was das zunächst „bedeutet“, weiß jeder hier in der Bundesrepublik. Mit Recht sagte OB Keuning im Anschluss an das Gespräch mit Strauß, nichts sei in der Bundesrepublik so dauerhaft wie ein Provisorium…

Am heutigen Mittwoch werden große Industriebetriebe Dortmunds und die Verkehrsbetriebe mit einem zehn Minuten dauernden Warnstreik die Regierung an ihr Versprechen und an ihre Verpflichtung erinner, keine militärischen Einrichtungen dort hinzulegen, wo im Krieg eine besondere Gefahr für die Bevölkerung entstehen könnte.

Ob die Regierung in Bonn diesen Appell beachten wird?

Wer sich in diesen Tagen mit den Bürgern Dortmunds unterhält, wird eine tiefe Erregung über die beabsichtigte Stationierung der britischen Raketeneinheit feststellen können. Diese Erregung und die Einmütigkeit aller Parteien des Dortmunder Stadtrates sollte aber auch im Ausland nicht übersehen werden. Weder im Westen noch im Osten! Im Westen sollte man begreifen, dass unser Volk sehr misstrauisch gegenüber jenen Vorstellungen geworden ist, die man jahrelang als „Politik der Stärke“ bezeichnet hat; im Osten, dass nicht alle Bundesbürger gewillt sind, in den politischen und militärischen Vorstellungen eines Strauß der Weisheit letzten Schluss zu erblicken.

Englischer Zeitungsbericht über die Proteste in Dortmund. Foto: Sammlung Horst Delkus

Wir sind gewiss, dass die Bevölkerung Dortmunds mit ihrem Stadtrat an der Spitze gerade in dieser Situation, in der alles zur Entwicklung einer neuen Politik in Europa drängt, durch ihr Verhalten stellvertretend für einen großen Teil des deutschen Volkes spricht.“

Um einer Legendenbildung vorzubeugen: Ein ,,Generalstreik der Dortmunder Bevölkerung gegen Atomraketen“ war diese Arbeitsniederlegung nicht: Denn weder waren die damals noch rund ein Dutzend Schachtanlagen noch die mittelgroßen Betriebe wie Klönne, Orenstein & Koppel, Schüchtermann usw. an diesen Arbeitsniederlegungen beteiligt. Und in den kleinen Betrieben wurde normal weitergearbeitet.

Für Aufregung sorgte damals vor allem ein ,,Saboteur“ im Straßenverkehrsamt: Offenbar um den Protest wirksam zu verstärken, schaltete er bei Streikbeginn Punkt 11.50 Uhr plötzlich alle Ampeln einer Hauptverkehrsstraße auf ,,Gelb“, bzw. ,,Rot“. An der B1 in Nähe der Westfalenhalle stauten sich so innerhalb weniger Minuten einige hundert Autos und LKW, deren Fahrer ein ohrenbetäubendes Hupkonzert veranstalteten. Die Dortmunder Polizei war von der Stilllegung dieser Ampeln völlig überrascht worden. Sie hatte erst über Funkstreifenmeldungen davon erfahren. Die sofort einsetzende Suche nach dem Verantwortlichen dieser Aktion blieb erfolglos.

Die Proteststimmung erreicht ihren Siedepunkt

Neben dem DGB begann jetzt auch die Sozialdemokratische Partei, Widerstandsaktionen der Dortmunder Bevölkerung gegen die Raketenstationierung zu organisieren. In einem Rundschreiben vom 3. Februar an alle Mandats und Funktionsträger im Stadtverband Groß-Dortmund rief sie zu einer machtvollen Protestfahrt mit PKW und LKW am Samstag, dem 7. Februar auf. In demselben Rundschreiben wird auch von ,,umfangreichen Bestrebungen zur Gründung eines Komitees zur Abwehr der Stationierung von Atomraketen in Dortmund“ berichtet.

Die von der Westfalenhalle nach Brackel führende Protestfahrt wurde ein großer Erfolg. Über 300 Autos, beklebt mit schwarz-gelben Plakaten mit der Aufschrift ,,Dortmund will keine Atom-Raketen“, reihten sich in einen 5 km langen Zug ein. Aus den Lautsprechern schallte es, von den damals beliebtesten Schlagern unterbrochen, immer wieder: ,,Dortmund lehnt die Lagerung von Atomraketen ab! – Dortmund will keine Atomraketen!“ Vom Straßenrand wurde der Zug, der auch am Flughafen vorbeiführte, mit starken Beifallskundgebungen aufgenommen. Einen solch großen Autokorso hatte es bislang in Dortmund noch nicht gegeben.

Abfahrt des Autokorsos von der Westfalenhalle. Foto: Sammlung Horst Delkus

Für den gleichen Samstag hatte auch die ,,Aktionsgemeinschaft gegen atomare Rüstung“ und die  „Internationale der Kriegsdienstgegner“ (IdK) zu einem Sternmarsch nach Dortmund und einer Kundgebung auf dem Marktplatz in Dortmund-Brackel aufgerufen. ,,Hände weg vom Ruhrgebiet“ und ,,Niemals Raketenbasen“ lauteten ihre Forderungen. Zu der Kundgebung, auf der unter anderen der Dortmunder Bergmann Franz Plautz und die bekannte Atomrüstungsgegnerin Prof. Renate Riemeck sprachen, waren mehrere hundert Menschen erschienen.

„In die Empörung und Erregung der Bevölkerung mischt sich ein drohender Unterton“

Über weitere Proteste gegen die Raketenstationierung wurde, wie das ,,Westdeutsche Tagesblatt“ vom 6. Februar berichtete, auch in Gewerkschaftskreisen nachgedacht. „In die Empörung und Erregung der Bevölkerung mischt sich“, so die Zeitung, ,,allmählich sogar ein drohender Unterton.“ Gleiches stellten auch der Dortmunder Oberbürgermeister Keuning und Oberstadtdirektor Dr. Kliemt fest. In einem Schreiben vom 7. Februar an Bundeskanzler Konrad Adenauer, den sie um einen Gesprächstermin baten, wiesen die beiden Vertreter der Stadt Dortmund darauf hin, ,,dass sich inzwischen nach der ablehnenden Entscheidung des Herrn Bundesministers für Verteidigung die Unruhe vergrößert hat, und auch die Protesterscheinungen sehr ernsten Charakter angenommen haben.“

Dass die Stimmung der Dortmunder Bevölkerung Anfang Februar 1959 tatsächlich ihren Siedepunkt erreicht hatte, zeigte sich z. B. in einer Mitgliederversammlung des SPD-Stadtbezirks Dortmund-Aplerbeck. Sie forderte die Stadtvertreter auf, drastischere Mittel zur Verhinderung der Raketenstationierung anzuwenden und notfalls den Betrieb auf dem Flugplatz zu stören. Aber nicht nur in diesem Stadtbezirk – auch anderswo wurde die Forderung, den Raketenstützpunkt von Strom, Gas und Wasser abzuschneiden, laut.

Gegen die Ankunft der britischen Raketeneinheit, mit der am 12. Februar endgültig gerechnet wurde, sollte noch einmal mit aller Entschiedenheit protestiert werden. So rief der Ortsverein Wambel der SPD für Donnerstagabend, den 12. Februar, zur Teilnahme an einer großen Protestversammlung im Saalbau Grube auf.

Dortmunder SPD wendet sich hilfesuchend an die britische Labour Party

Im vollbesetzten Saal sprachen, als Vertretung für den verhinderten Oberstadtdirektor. der Dortmunder Stadtrat Otto, der einen Bericht zur Situation gab, und der Dortmunder Oberkirchenrat und engagierte Atomrüstungsgegner Heinz Kloppenburg. Der äußerte in seinem Referat den Verdacht, dass Dortmund mit Verhandlungen hingehalten werden solle, während vollendete Tatsachen geschaffen würden.

Dortmund. so Kloppenburg, sei der Prüfstein des Widerstandes gegen die Atomrüstungskonzeption eines aufrüstungsbesessenen Bundesverteidigungsministers. Er rief dazu auf, nicht in den Protesten zu erlahmen und nicht zu warten, bis es zu spät sei. Es sei geradezu eine christliche Gewissenspflicht, die Verlegung der Fernlenkwaffen nach Dortmund mit allen erlaubten Mitteln zu verhindern.

Die Versammlung verabschiedete zum Abschluss eine Protesterklärung und folgenden Brief an die Labour Party in Großbritannien: „Werte Freunde! Heute hat in Wambel eine große öffentliche Versammlung stattgefunden, in der wir als führende Partei des Ortes aufgefordert wurden, alles zu tun, um eine Stationierung britischer Atomraketen auf dem Dortmunder Flughafen zu verhindern. Dieser Flughafen liegt in unmittelbarer Nähe unseres Ortes. Wir sind gewillt, diesem Auftrag der Bevölkerung in jeder möglichen Weise zu folgen und richten an Sie die Bitte, uns zu helfen.“

Trotz der Proteste: Die Raketeneinheit trifft in Brackel ein

Zwei Tage später als erwartet, am 14. Februar, traf das Vorauskommando der britischen Raketeneinheit in Dortmund ein. Angeblich aus technischen Gründen hatte die Bundesbahn die 120 Soldaten dieses Truppentransports nicht in Dortmund entladen, sondern die Weiterfahrt nach Hamm verlangt. Von dort wurden sie dann am Abend mit Bussen und Lastwagen nach Dortmund gebracht.

Die Raketenwaffen treffen ein. Foto: Sammlung Horst Delkus

Bereits am Vormittag hatte der Dortmunder Oberbürgermeister den Kommandeur der Einheit zu einem Besuch empfangen. Dabei erklärte er ihm, dass er weiterhin bei den zuständigen Behörden auf eine Verlegung der Einheit an einen anderen Ort drängen werde. Keuning versicherte gleichzeitig, dass man von weiteren Protestaktionen jedoch absehen würde.

Am 23. Februar beschäftigte sich der Rat der Stadt Dortmund ein letztes Mai mit der Raketenstationierung. Das Interesse der Öffentlichkeit an dieser Sitzung war so stark, dass die Publikumsbühne völlig überfüllt war und der Verlauf der Sitzung über Lautsprecher in die Stadthauskantine übertragen wurde.

Freie Fahrt für den Atomwaffenkonvoi: Die Polizei riegelt alle Straßen ab

In einer interfraktionellen Besprechung war zuvor ein drittes Mal festgestellt worden, dass der Auftrag des Rates an den Oberbürgermeister und den Oberstadtdirektor die Raketenstationierung abzuwenden, weiter bestehen bleibe. Konkrete Schritte, die vielleicht noch in allerletzter Minute eine einstweilige Aussetzung der Stationierung erreicht hätten, wurden aber nicht besprochen.

Freitagabend, den 27 . Februar, bei Anbruch der Dunkelheit, kamen dann die Atomraketen in Dortmund an. Sämtliche Straßen waren zuvor von der Polizei abgesperrt worden, so dass der Atomwaffenkonvoi mit hoher Geschwindigkeit direkt zum Flughafen Dortmund-Brackel fahren konnte.

Atomraketen in Dortmund eingetroffen. Foto: Sammlung Horst Delkus

Die aktiven Gegner der Raketenstationierung in der Dortmunder Bevölkerung reagierten bestürzt und waren perplex. Doch da von denen, die bis dato die Wortführer des Widerstandes gegen die Stationierung von Atomraketen auf Dortmunder Stadtgebiet gewesen waren, niemand mehr seine Stimme erhob und zu Protesten aufforderte, blieben selbst kleine demonstrative Widerstandsaktionen der Dortmunder Bevölkerung aus.

Ein letzter Protest der Stadt Dortmund

Am Tag der Ankunft der Atomraketen in Dortmund traf auch ein von den Stadtvertretern lang erwartetes Schreiben Konrad Adenauers ein. Der Dortmunder Oberbürgermeister und der Oberstadtdirektor hatten dem Bundeskanzler bereits am 7. Februar einen ausführlichen Bericht über ihre Ablehnung der Raketenstationierung in Dortmund zugesandt und ihn gebeten, ihnen einen Termin zur Besprechung dieses Problems zu gewähren.

An einem solchen Gespräch hatte Adenauer jedoch offenbar kein Interesse, denn in seinem Schreiben erwähnt er diesen Wunsch der Repräsentanten der Stadt Dortmund nicht einmal. Der Bundesverteidigungsrat, so Adenauer, würde der Stationierung nicht zugestimmt haben. wenn damit eine besondere Gefährdung der Bevölkerung Dortmunds verbunden wäre. Die Entschlossenheit, den Frieden zu sichern und die Freiheit zu erhalten, erfordere eben Opfer und von allen Festigkeit.

Der Inhalt dieses Schreibens von Adenauer und die Ankunft der Atomraketen in Dortmund wurden wenige Tage später, am 2. März, auf einer Sitzung aller Vorsitzenden der drei Ratsfraktionen besprochen. Beschlüsse wurden hierbei nicht gefasst, da die Dinge erst ausführlich in den Fraktionen diskutiert werden sollten.


Nach einer erneuten interfraktionellen Besprechung wurde am 11. März dann folgendes Schreiben an Konrad Adenauer gesandt:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Für Ihr Schreiben vom 24.2. d. Js. sagen wir Ihnen verbindlichsten Dank. Leider können wir dem Brief nicht entnehmen, ob die feste Zusage, die Herr Bundesverteidigungsminister Strauß machte. dass die Raketeneinheit nur vorübergehend in Dortmund stationiert werde, Ihre Zustimmung findet.

(…) Der Rat der Stadt Dortmund ist nach wie vor einmütig der Meinung, dass uns im Ballungszentrum von Menschen und Wirtschaftskraft durch diese Stationierung besonders vermeidbare Gefahren drohen. Die bisher nicht widersprochene Äußerung des Herrn Oberkommandierenden der Verbündeten Streitkräfte in Mitteleuropa, General Valluy, dass Dortmund aus militärischen Gründen ein völlig ungeeigneter Platz ist, bestärkt den Rat in der Auffassung, dass die Raketeneinheit nicht in Dortmund stationiert werden sollte.

Die Unterzeichner dieses Briefes stehen Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nach wie vor zu einer Unterredung zur Verfügung, um Bedenken der Stadt Dortmund persönlich vortragen zu können.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Oberbürgermeister Keuning
Oberstadtdirektor Dr. Kliemt
Professor Raskop für die CDU-Fraktion
Bürgermeister Görshop für die SPD-Fraktion
Dr. Unselm für die FDP-Fraktion


Dieser Brief an Adenauer war gleichzeitig auch der Abschluss der Aktivitäten der Stadt Dortmund zur Verhinderung der Stationierung der britischen Atomraketeneinheit. Die angestrebte Unterredung mit dem Bundeskanzler hat nie stattgefunden, ob Adenauer auf diesen Brief jemals geantwortet hat, ist unklar. Unklar ist auch, wieso die Proteste der Stadt Dortmund so schlagartig verstummten.


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