Die Brücke über die Schützenstraße ist ein Tunnel in die Nordstadt

SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand monumentale Brücke

Wo beginnt und endet eigentlich die Brücke?
Wo beginnt und endet eigentlich die Brücke? Durch die Vielzahl der Gleise sind die Brücken kaum erkennbar. Klaus Winter | Nordstadtblogger

Von Klaus Winter

Fährt man als Bahnreisender mit einem Zug aus westlicher Richtung in den Dortmunder Hauptbahnhof ein, so überquert man die Schützenstraße. Allerdings bemerkt das nicht jeder Reisende, vielfach selbst dann nicht, wenn er aus dem Fenster schaut. Denn auf der Brücke liegen so viele Bahngleise, dass das Bauwerk als solches kaum erkennbar ist.

Westerviehgasse wechselte mehrfach den Namen

Die Schützenstraße ist aus der alten Westerviehgasse entstanden. Diesen Weg nutzten auch die Dortmunder Bürgerschützen, wenn sie zu ihrem Übungs- und Festplatz am Westerholz, dem heutigen Fredenbaum zogen.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erhielt die Westerviehgasse den Namen Sedanstraße, um an den Sieg über die Franzosen bei Sedan zu erinnern. Der Name Sedanstraße wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Schützenstraße geändert.

Seit 175 Jahren kreuzt die Eisenbahn die Schützenstraße

Aus nördlicher Richtung zum langen Brückenabschnitt
Aus nördlicher Richtung zum langen Brückenabschnitt. Klaus Winter | Nordstadtblogger

Im Jahre 1847 nahm der Dortmunder Bahnhof seinen Betrieb auf. Er war Station zweier Eisenbahn-Gesellschaften. Sowohl die Cöln-Berliner als auch die Bergisch-Märkische Eisenbahn legten Gleise nach Westen und kreuzten so die heutige Schützenstraße und wenige hundert Meter weiter auch die Unionstraße.

Die Straßen-Schienen-Kreuzungen waren niveaugleich; es gab keine Unter- oder Überführung. Der Verkehr wurde mittels Barrieren, wie die Schrankenanlagen damals genannt wurden, geregelt.

Schranken war oft und lange geschlossen

Der stetig zunehmende Eisenbahnverkehr hatte schließlich den sehr unangenehmen Effekt zur Folge, dass die Schranken immer öfter und länger geschlossen waren. Im März 1895 stellte man seitens der städtischen Obrigkeit wieder einmal Erhebungen über diese Verkehrsstörung an.

Die Zählung zeigte, dass die Schranken an der Sedanstraße, die den Verkehr über 13 [!] Gleise regelte, zwischen 6 und 20 Uhr bis zu 9 Stunden 24 Minuten täglich geschlossen waren. Bis zu 7.000 Personen und bis zu 280 Fuhrwerke mussten in der Zeit auf die Öffnung der Schranken warten.

Schlechte Verkehrssituation war selbst in Berlin bekannt

Am nördlichen Ende
Am nördlichen Ende. Klaus Winter | Nordstadtblogger

Viele der Wartenden waren Arbeiter des naheliegenden Union-Werks. Sie wurden auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz aufgehalten oder auf dem Heimweg nach ihrer langen Schicht. Da verlor so mancher die Geduld und überquerte die Gleise ungeachtet der damit verbundenen Lebensgefahr.

Dieser Missstand war nicht nur in der Stadt bekannt. Auch die Eisenbahndirektion und die zuständigen Stellen in Berlin kannten die Situation. Aber andere Lösungsvorschläge als die, die Zahl der Polizisten zu erhöhen, die die Schranken überwachten, verliefen im Sande.

Beim Bahnhofsumbau entstanden die heutigen Brücken

Der große Dortmunder Bahnhofs-Neubau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der mit einer gewaltigen Umgestaltung des Umfeldes verbunden war, führte endlich zu einer Lösung des Problems. Denn der neue Hauptbahnhof sollte höher gelegt werden.

Entsprechend musste auch die Anfahrt der Züge auf das Bahnhofsgelände angepasst werden. Es wurden Dämme aufgeworfen und die verkehrsbehindernden Schrankenanlagen durch Brücken ersetzt, die den Bahnverkehr über die Straßen führten.

Die Brücke war nur eine Baumaßnahme von vielen

Genietete Träger an der Eisenbahnbrücke über die Schützenstraße
Genietete Träger an der Eisenbahnbrücke über die Schützenstraße. Klaus Winter | Nordstadtblogger

Die Vorbereitungen an der Eisenbahnüberführung über die Sedanstraße begannen 1906. Obgleich es sich um eine Großbaustelle im wahrsten Sinne des Wortes handelte, finden sich in der Tagespresse nur gelegentlich Hinweise auf den Baufortschritt.

Der Grund dafür dürfte gewesen sein, dass dieser Brückenbau letztendlich nur eine Teilbaumaßnahme von vielen im Gesamtprojekt Bahnhofs-Neubau war.

Gerüste behinderten den Verkehr

Zunächst wurden die Maurerarbeiten ausgeschrieben und ausgeführt. Man schätzte, dass für die Brücken 1.800 Tonnen Stahl notwendig seien und die Bauphase etwa von Mitte 1907 bis Mitte 1909 dauern würde.

Es wurden Gerüste gerichtet, die die im Entstehen befindliche Brücken bis zu ihrer Fertigstellung stützten. Die Gerüste behinderten aber vor allem den Fuhrwerksverkehr, denn ihre Durchfahrtshöhe betrug lediglich 3,05 Meter.

Auch der Bahnverkehr musste sich dem Arbeitsfortschritt anpassen

Unter der Brücke
Unter der Brücke. Klaus Winter | Nordstadtblogger

Im September 1907 war der nördliche Teil der Baustelle im Wesentlichen abgeschlossen. Die Monteure der Fabrik von Jucho arbeiteten nun am fünften Überführungsteil der umfangreichen Brücke.

Die Arbeiten fanden bei laufendem Eisenbahnbetrieb statt, der wie der Straßenverkehr ebenfalls Einschränkungen unterlag und sich den Änderungen an den Baustellen anpassen musste. Beispielsweise wurden im Februar 1908 wegen der Bauarbeiten Gleise zusammengelegt, um den nach wie vor bestehenden Schrankenbetrieb zu verringern.

An der Brücke entstand ein Zentralstellwerk

Neben der gewaltigen Brückenanlage baute man an der Sedanstraße ein Zentralstellwerk. Von diesem war für den Fahrdienstleiter ein freier Blick über den gesamten neuen Bahnhof möglich.

Die Arbeiten an der Brücke über die Sedanstraße und dem Stellwerk scheinen pünktlich abgeschlossen worden zu sein. Die Abnahme der Teilstrecke Hauptbahnhof bis Sedanstraße erfolgte aber erst im Februar 1912. Damit setzte der fahrplanmäßige Betrieb ein.

Ausmaße der Brücke zwangen zu einer großzügigen Beleuchtung

Die an der Sedanstraße gebaute Brücke überspannte einen rund 120 Meter langen Abschnitt der Straße. Damit war sie wohl die mit Abstand breiteste Brücke der Stadt. Der unter der Brücke liegende Straßenabschnitt wurde durch das Bauwerk gegenüber dem Umfeld stark verdunkelt.

Die Beleuchtung ist auch tagsüber in Betrieb.
Die Beleuchtung ist auch tagsüber in Betrieb. Klaus Winter | Nordstadtblogger

Daraus folgte die Notwendigkeit einer verstärkten Beleuchtung. Zwölf dreiflammige Gaslaternen sollten gegen die Dunkelheit unter der langen Brücke ankämpfen und acht von ihnen auch tagsüber in Betrieb sein. Ohne die Brücke hätten nach damaligem Maßstab sechs Laternen für die Beleuchtung des Straßenabschnitts ausgereicht und die wären nur abends und nachts in Betrieb gewesen.

Trotz aller Wandel der Zeiten wird die ehemalige Sedanstraße, die heutige Schützenstraße noch immer durch eine für Fußgänger wie Autofahrer in der Stadt einmalig breite Brücke überspannt, die eine Beleuchtung notwendig macht – beinahe ein öffentlicher Angstraum.

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Reaktionen

  1. Torben Weibert

    Danke für den interessanten Artikel! Ich bin nur etwas verwirrt hinsichtlich der Bemerkungen zum Straßennamen „Schützenstraße“. Ich besitze einen Stadtplan aus der Kaiserzeit, vor dem Bau der Brücke und des neuen Bahnhofs, und dort heißt der Teil nördlich der Bahnstrecke bereits „Schützenstraße“, südlich davon „Sedanstraße“. Auf einem anderen Stadtplan von 1937 ebenso. Ich ging deshalb bislang davon aus, dass der Abschnitt unter der Brücke offiziell nicht zur Schützenstraße sondern zur Brinkhoffstraße gehört. Dafür spricht auch, dass die Shell-Tankstelle die Hausnummer 2-4 hat. Beim Geoportal NRW (TIM-online) wird der Abschnitt aber tatsächlich als „Schützenstraße“ geführt. Das muss also im Laufe der Zeit mal geändert worden sein.

    • Klaus Winter

      Ich habe gerade noch einmal in die Adressbücher 1915 und 1932 sowie auf einen topografischen Stadtplan der Dortmunder Innenstadt von 1940 geschaut: Die Sedanstraße begann direkt an der Rheinischen Straße. Das deckt sich mit den Angaben Sedanstraße in den Presseartikeln zum Eisenbahnbrückenbau dort. Der Name Sedanstraße wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben. Der südliche Abschnitt von der Brücke bis zur Rheinischen Straße hieß zum Schluss Brinkhoffstraße. Meiner Meinung nach beginnt die Schützenstraße direkt unter der Brücke. Ob ich da richtig liege, oder irre, wird sich feststellen lassen, denn da müsste ja ein Straßenschild stehen.

      • Torben Weibert

        Danke für die Antwort. Der südliche Anfang der Sedanstraße an der Rheinischen Straße ist unstrittig. Der interessante Punkt ist das nördliche Ende, bzw. der südliche Anfang der Schützenstraße. Adressbücher als Quelle heranzuziehen ist eine gute Idee, denn dort sind ja jeweils alle Einmündungen und Kreuzungen beschrieben. Ich habe eine kleine Stichprobe gemacht. Sowohl in der Ausgabe von 1894 (gibt es für ein paar Euro als Nachdruck im Buchhandel) als auch 1968 (die neueste Ausgabe, die derzeit online einsehbar ist) ist als Beginn der Schützentraße jeweils die Kreuzung mit der Treibstraße (heute der Fußweg zwischen Bahndamm und Shell) bzw. der Roßstraße (heute überbaut von der Post) angegeben. Also direkt nördlich der Unterführung. Und genau dort, wo der Fußweg hinter der Tankstelle mündet, hängt heute tatsächlich ein Straßenschild an der Laterne, nach Norden zeigend: „Schützenstr. 2-237“ steht drauf. In Richtung Süden hängt leider keins. Aber nach meiner Logik müsste dann dort die Brinkhoffstraße beginnen. Oder eben eine Art „Niemandsland“. So uneinladend, wie es unter der Brücke wirkt, würde es mich nicht wundern, wenn die Straße da einfach keinen Namen hat. Oder es der Stadt egal ist, wie es da heißt.

      • Torben Weibert

        Und noch eine letzte Ergänzung: Als ich heute unter der Brücke herlief, fiel mir auf, dass auf dem Bahn-Geböude, das auf der westlichen Seite zwischen den Brücken steht, eine Hausnummer steht: 30. Und tatsächlich gibt es bei der Google-Suche „Brinkhoffstr. 30“ einige Treffer. Offenbar war dort eine Außenstelle DB Gleisbau (bzw. heute Bahnbau) ansässig.

  2. Norbert

    Die Stadt Dortmund muss gemäß § 4 Absatz 1 Satz 3 Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ein Verzeichnis der Gemeindestraßen führen. Gemäß Satz 4 ist auch die Länge anzugeben, somit sollte sich die Frage mit dem Straßenverzeichnis der Stadt klären lassen.

    Das Straßennamensschild (ein amtliches Verkehrszeichen) muss nicht zwingend am faktischen Beginn stehen. Den genau Standort legt die Straßenverkehrsbehörde nach eigenem Ermessen fest (§ 45 Absatz 3 2. Halbsatz StVO). Die Verwaltungsvorschrift schreibt vor: „Die Zeichen sollen für alle Kreuzungen und Einmündungen und müssen für solche mit erheblichem Fahrverkehr angeordnet werden.“ Mit anderen Worten: Bei untergeordneten Einmündungen/Kreuzungen kann die Staßenverkehrsbehörde darauf verzichten, Zeichen 437 Straßennamensschilder anzuordnen. Dass der Fußverkehr keine Rolle spielt, zeugt von der Windschutzscheibenperspektive der StVO. Zum Fall, dass die Straße zwischen den Einmündungen/Kreuzungen beginnt, trifft die VwV-StVO keine Regelung, sodass die Straßenverkehrsbehörde eine Einzelfallentscheidung treffen darf und muss.

    Fazit: Das Straßennamensschild steht nicht zwingend am Beginn der Straße.

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