Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit wirksam begegnen – Vortrags- und Gesprächsabend in der Abu-Bakr-Moschee

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer neben Ahmad Aweimer in der Abu Bakr Moschee in Dortmund.
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer neben Ahmad Aweimer in der Abu Bakr Moschee in Dortmund. Fotos: Leopold Achilles

Von Clemens Schröer

Das Thema brennt auf den Nägeln, der Saal war rappelvoll, die Veranstaltung musste in zwei Nebenräume übertragen werden. „Rechtspopulismus und Angst vor dem Islam“ war Thema eines Vortrags- und Gesprächsabends mit Vertretern der NRW-Parteien, einem Vertreter der muslimischen Gemeinden und Prof. Wilhelm Heitmeyer, der in der Abu-Bakr-Moschee in der Dortmunder Nordstadt stattfand.

Wegen sich verschärfender Konfliktlagen musste Veranstaltungskonzept immer wieder umgeworfen werden

Seit einem Jahr wurde die Veranstaltung geplant – vom Christlich-Islamischen Forum NRW (ein Aktionsbündnis von evangelischen Landeskirchen, katholischen Bistümern sowie muslimischen Verbänden und Institutionen in NRW), dem Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus und dem Rat der muslimischen Gemeinden Dortmund. Doch immer wieder musste das Konzept umgeworfen werden, teilte Jutta Reiter mit, weil sich die Konfliktlagen ständig zuspitzten.

Im rechtspopulistischen Lager radikalisierte sich der islamfeindliche Ton, nachdem die Geflüchtetenzahlen in 2016 kontinuierlich sanken und ein neues publikumswirksames Feindbild hermusste, um das Überleben der AfD zu sichern.

Zugleich gingen aber die fremdenfeindlich motivierten Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte kaum zurück. Verbale und auch tätliche Rechtsaußen-Angriffe auf demokratisch gewählte PolitikerInnen hingegen nahmen zu.

Nach Brexit und Trump-Wahl witterten die Neo-Nationalisten europaweit Morgenluft. An Österreich ging mit der Wahl Alexander van der Bellens zum Bundespräsidenten Anfang Dezember der Kelch zwar noch einmal vorüber. In Frankreich jedoch gilt die rechtsextreme Marine le Pen für die Präsidenten-Stichwahl im Mai als gesetzt.

In den Niederlanden führt der autoritäre Islamhasser Wilders in den Wahlumfragen, in Polen und Ungarn werden Unabhängigkeit der Justiz und Pressefreiheit demoliert. Dass das alles kräftig befeuert vom russischen Autokraten Putin, der nichts sehnlicher wünscht als ein Ende von freiheitlicher Demokratie im vereinigten Europa.

Nicht wenige Fachleute trauen ihm allerlei Schmutzeleien auch im heraufziehenden Bundestagswahlkampf zu. Eine Kostprobe war im vergangenen Januar das von Putins Trollen wenn nicht zusammengebraute, so doch aufgekochte Lügenmärchen von der angeblich von Geflüchteten entführten und missbrauchten dreizehnjährigen Lisa, das nicht wenige politisch desorientierte Russlanddeutsche mit fremdenfeindlichen Parolen auf die Straßen trieb.

Auf der anderen Seite gingen im letzten Jahr die IS-Terroranschläge weiter (Brüssel, Marseille) und erreichten deutschen Boden, gipfelnd kurz vor Weihnachten vor der Berliner Gedächtniskirche mit zwölf Toten.

Dies, aber auch die Jagd nationalistisch-islamistisch aufgepeitschter Deutsch-Türken auf politische Gegner aus dem Gülen-, Kurden- oder säkular-linksliberalem Spektrum und die als Erdogan-Spitzel aktiven DITIB-Imame vertieften zusätzlich die Gräben.

Höchste Zeit für unsere Bürgergesellschaft, so meinten die Veranstalter, mit dem renommierten Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, Politikern der demokratischen Parteien sowie Vertretern der muslimischen Gemeinde zu diskutieren, wie Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit besser bekämpft werden können.

Vortrag Heitmeyer: Eine „entsicherte Zeit“ – und wie man sie menschenfreundlich gestalten kann

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer in der Abu Bakr Moschee.
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer

Heitmeyer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema – und macht sich, wie er zu Beginn seines Vortrags lakonisch feststellte, nirgends Freunde damit.

Denn er sieht auf allen Seiten Defizite: nicht nur bei den deutsch-völkisch-autoritären Rechten und den islamisch-fundamentalistischen Extremisten, sondern auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und in der mehrheitlich nicht-extremistischen muslimisch-deutschen Community.

Diese stünden in einem Wechselverhältnis miteinander, wenn auch in einem asymmetrischen von Mehrheit und Minderheit.

Zunächst erläuterte der Wissenschaftler, was er unter einer „entsicherten Zeit“ versteht: Die Globalisierung habe Ängste vor sozialem Abstieg hervorgerufen. Damit sei auch das Normengefüge erodiert. Unklar sei, was denn überhaupt noch gelte. Islamistische Terroristen suchten „weiche Ziele“, womit jedermann ins Visier gerate und bedroht sei.

Dazu  komme eine „entsicherte“ – lies: verrohte – Sprache im Internet. Die Unsicherheit werde von den Rechtspopulisten ausgebeutet. Sie setzten auf Angst, Hass, Feindbilder, Eskalation und böten „die Muslime“ und „den Islam“ als wohlfeile Sündenböcke an.

„Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in der Mehrheitsgesellschaft

Mehr als zehn Jahre untersuchte Heitmeyer die Entwicklung der Islamfeindschaft in der Mehrheitsgesellschaft, wichtiges Phänomen einer sogenannten „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“.

Dabei werden die Menschen muslimischen Glaubens zunächst als homogene Gruppe markiert, in einem zweiten Schritt abgewertet und ganz unabhängig von ihrem individuellen Verhalten stigmatisiert.

Bereits 2003, kurz nach Al Qaidas Terroranschlag auf die New Yorker Twin Towers, sprachen sich 26 Prozent der deutschen Bevölkerung ganz pauschal gegen muslimische Zuwanderung aus. 31 Prozent behaupteten, sich wegen der Muslime wie Fremde im eigenen Land zu fühlen. 36 Prozent sprachen dem Islam ab, eine Hochkultur zu sein. 51 Prozent gaben an, sie hätten ein Problem, in eine Gegend zu ziehen, in der Muslime wohnten. Drei Jahre später unterstellten 60 Prozent der repräsentativ Befragten den Muslimen, Sympathien für den islamistischen Terror zu hegen.

Der Aufmarsch soll - so zumindest wünschen es sich die Neonazis - in die Nordstadt führen.
Die Neonazis in Dortmund sind eine kleine – aber auch sehr lautstarke – Minderheit. Foto: Alex Völkel

Diese Zahlen haben sich seither nicht signifikant verändert. 2016 gaben sich 46 Prozent der Befragten aus der Mehrheitsgesellschaft überzeugt, „der Islam“ besitze zuviel Einfluss in Deutschland. Die schärfste Ablehnung finde sich bei den über 60-Jährigen, bei den Jungen dagegen die größere Gewaltbereitschaft.

In der christlichen Bevölkerung gebe es gleichfalls viele antimuslimische Ressentiments unter den einfachen Kirchenmitgliedern. Die kirchlichen Eliten scheuten aber die offensive Auseinandersetzung damit in ihren Gemeinden, kritisierte Heitmeyer.

Seit 2002 mache er auf manifeste Fremdenfeindlichkeit, anti-demokratisch autoritäre Dispositionen und Antisemitismus bei 20 Prozent der Deutschen aufmerksam, auch hier aus der Politik keine adäquaten Reaktionen.

Soziologisch betrachtet werde die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ durch die Metapher der Zwiebel einprägsam veranschaulicht: In der Außenschale herrschten die weitverbreiteten xenophob-autoritären Einstellungsmuster.

In der zweiten Schale fänden sich die Rechtspopulisten, in der dritten schließlich die extremistischen Systemfeinde.

Doch zwischen diesen finde ein Austausch statt und die Binnenverhältnisse veränderten sich seit ca. 2009, die Radikalisierung nehme zu. Nicht zuletzt die Verwerfungen der letzten großen Finanzkrise erzeugten ein zunehmendes Gefühl der Einflusslosigkeit. Dies machte anfällig für Wut und autoritäre Sirenengesänge.

Die Bereitschaft, auf die Straße zu gehen, zu demonstrieren und auch sich mit Gewalt Gehör zu verschaffen, nahm zu – dies alles noch vor Pegida und AfD.

Hergebrachte Beschwichtigungsstrategien der etablierten Parteien

Die etablierten Parteien, vor allem CDU und FDP, hätten die Bielefelder Warnungen jedoch leichtfertig beiseite geschoben. Sie verwiesen auf das historisch erlernte Nazi-Tabu, das österreichische Verhältnisse – mit der immer stärker werdenden rechtspopulistischen FPÖ – in Deutschland unmöglich mache.

Auch diente die Entdeckung des mordenden Nazi-Terror-Trios NSU im Jahre 2011 eher dem Selbstbetrug, einer human intakten Mehrheitsgesellschaft stünde nur eine verschwindend kleine rechtsextremistische Minderheit gegenüber. Dabei konnte, wer wollte, sehen, dass die Gewalttäter immer Legitimation aus dem Umfeld benötigten, ehe sie zur Tat schritten.

Als Beispiel führte Heitmeyer einen Dresdener Pegida-Redner an, der dort zuerst unter lautem Beifall gegen Muslime hetzte, ehe er einen Brandschlag auf eine Moschee verübte.

Neue Dimension von Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit durch „Mobilisierungsexperten“

Lautstarker und kreativer Protest schlug den AfD-Vertretern an der TU Dortmund entgegen.
Lautstarker und kreativer Protest schlug den AfD-Vertretern an der TU Dortmund entgegen.

Was nun aber seit ca. zwei bis drei Jahren neu ist, und wohl endlich auch die Politik aufschrecke, sei das Auftauchen von „Mobilisierungsexperten“ der rechten Ressentiment-Milieus, der Bachmanns, Petrys, Höckes.

Ihnen „ist es gelungen, die individuellen Ohnmachtsgefühle im Alltag in kollektive Machtfantasien in der Öffentlichkeit mitsamt ihrer Verbreitung zu verwandeln“, so Heitmeyer in seinem Tagesspiegel-Essay vom 3. Februar 2017.

Pegida und AfD seien dabei nicht nur zur politischen Gestaltung drängende Organisationsformen. Zusammen mit den permanent befeuerten Echokammern Gleichgesinnter in den sozialen Netzwerken dienten sie auch als Radikalisierungsinstanzen.

Sie arbeiteten mit Emotionalisierung, eskalierten das Freund-Feind-Denken und spalteten damit die Gesellschaft in privilegierte „Volksgenossen“ und zu entrechtende „Gemeinschaftsfremde“.

Dies flankiert von einem immer radikaleren und roheren Sprachgebrauch, der auch Nazi-Begriffe zu enttabuisieren trachte. Menschenfreundliche demokratische Politiker oder Geflüchtetenhelfer würden als verschwörerische „Volksverräter“ diffamiert und zunehmend das gesamte politische System delegitimiert.

Radikalisierungstendenzen einer Minderheit unter den Muslimen

Ein bedrohliches Szenario – doch damit nicht genug: Im zweiten Teil seines Vortrags knöpfte sich der Sozialwissenschaftler die muslimische Community vor.

Auch hier sieht er in wachsendem Ausmaß Tendenzen zu Fundamentalismus, Intoleranz, parallelgesellschaftlicher Abkapselung, denen vonseiten des muslimischen Establishments nicht hinreichend entgegengearbeitet werde. Ursachen sieht er teilweise in einem Wechselverhältnis zum Integrationsstatus in der Mehrheitsgesellschaft.

Im Dortmunder Stadtbild sind nicht nur Kopftücher zu sehen.
Im Dortmunder Stadtbild sind nicht nur Kopftücher zu sehen. Archivbild: Alex Völkel

Die einschlägige Forschung habe aufgezeigt, dass Integration gelingen könne, wenn objektive Faktoren wie Arbeit und Wohnung, und darauf aufbauend das subjektive Gefühl individueller Anerkennung gegeben seien, zweitens der Zugang zur Öffentlichkeit für das Individuum und die Gruppe, schließlich die moralische Anerkennung der eigenen Gruppe durch die Mehrheitsgesellschaft.

Bei Anerkennungsdefiziten setze jedoch die Suche nach Alternativen ein. Und wenn diese nicht erfolgreich sei, diene die Religion oftmals als letzter Identitätsanker, den man sich selbst aussuchen kann. Doch leider versehe man dann aus Angst, auch diesen letzten Schutz noch zu verlieren, die Religion oft mit einem Immunisierungspanzer gegen kritisches Hinterfragen. Der Weg in Fundamentalismus und Intoleranz ist beschritten.

Diese Argumentationsfigur unterfütterte der Sozialforscher ebenfalls mit zahlreichen empirischen Belegen. 47 Prozent der Türken halten einer Studie der Uni Münster zufolge die Befolgung von Religionsgeboten für wichtiger als die staatlicher Gesetze. 50 Prozent sehen den Islam als die einzig „wahre Religion“ (ein Kernbegriff der Salafisten). 20 Prozent glauben die islamische Welt durch den Westen bedroht und rechtfertigen seine Verteidigung (die Opferrolle legitimiert oft auch die Gewalt).

Schon 1997 hielten 28 Prozent der türkischen Jugendlichen Gewalt zur Durchsetzung des Islam für legitim. Heitmeyer zitierte zu diesem Teil abschließend eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung als Beleg für ein negatives wechselseitiges Aufschaukeln: 57 Prozent der Ostdeutschen und 46 Prozent der Westdeutschen halten den Islam für bedrohlich.

 Statt gleichgültiger Toleranz aktiv erstrittene wechselseitige Anerkennung auf Augenhöhe

Muslimische Frauen auf dem Wochenmarkt
Muslimische Frauen auf dem Wochenmarkt.

Nun folgte Teil drei seines Vortrags, die 100.000-Dollar-Frage: Was tun? Die Mehrheitsgesellschaft müsse darauf bestehen, so Heitmeyer, dass die muslimische Communitiy zunächst einmal differenziert betrachtet werde, um so das pauschalisierende Feindbild der Islamfeinde zu konterkarieren.

Dazu gehöre zweitens, die liberalen, aufgeklärten Muslime zu stützen. Grauzonen, wie z.B. beim teils Erdogan-hörigen DITIB dürfe man aber keineswegs verschweigen, sondern müsse sie klar benennen. Denn sonst biete man den Rechtspopulisten leichtfertig Angriffsflächen. An dieser Stelle kritisierte Heitmeyer das peinliche Lavieren der Dortmunder Muslim-Community, als es um die örtlichen Kontakte des IS-Terroristen Anis Amri ging.

Drittens forderte Heitmeyer, die gutwillige nichtmuslimische Mehrheit und muslimische Minderheit müssten über das Stadium einer Tolerierung hinauskommen. Denn diese kaschiere oft nur bloße Gleichgültigkeit. Sie rühre zudem nicht an der Dominanz der Mehrheitsgesellschaft. Denn eine Minderheit könne eine Mehrheit schlecht tolerieren.

Stattdessen solle eine wechselseitige Anerkennung auf Augenhöhe angestrebt werden. Diese müsse aber ausgekämpft werden, wie jede Erfahrung mit sozialem Wandel lehre. Eine These, die vielen Dortmundern vom „Talk im DKH“ des Münsteraner Politikprofessors El-Mafaalani her bekannt vorkommen dürfte.

Erste Podiumsrunde: Von trockenen Alkoholikern und Eliten, die keine sein wollen

Andrea Asch MdL, Die Grünen
Andrea Asch MdL, Die Grünen

Jetzt hatten die PolitikerInnen und Ahmad Aweimer als Vertreter der Muslime das Wort. Bedauerlich, dass die angefragten Politiker der CDU und FDP, Henning Rehbaum (MdL, CDU) und Dr. Joachim Stamp (MdL, FDP), verhindert waren.

Ein Dortmunder Aktivist aus dem rechten „Pro-NRW“-Spektrum dagegen saß im Saal und verhielt sich angenehm still. So gab es an diesem Abend in vielen Bereichen große Einigkeit, statt tiefer Gräben meist nur feine – und doch bemerkenswerte – Risse.

Andrea Asch, Landtagsabgeordnete der Grünen, fragte, ob die Deutschen nicht noch immer „trockene Alkoholiker“ seien, wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt einmal argwöhnte: Ein Schluck aus der Pulle – Sarrazin, Pegida, Radikalisierung in den rechten Echokammern der sozialen Netzwerke – und schon ist das Nazi-Tabu ist gefallen und der braune Dämon kehrt wieder.

Christian Leye, Landessprecher der Partei „Die Linke“ und Landtagswahlspitzenkandidat, trauerte der sozialintegrativen „guten alten Zeit“ der klassischen Industriegesellschaft nach. Damals wurde ein 20-Jähriger, der am Wochenende „Mist gebaut“ hatte, am darauffolgenden Montag „auffe Zeche, auffe Hütte“ von seinem Betriebsrat aufgesucht und mit den Worten wieder eingenordet: „Das war Mist, kommt jetzt aber nie wieder vor; Schluss is‘, dann gut is‘.“

Beide wiesen, wie auch Nadja Lüders, Dortmunder Landtagsabgeordnete der SPD, Heitmeyers Begriff der politischen Eliten zurück. Denn gerade damit gingen ja die Rechtspopulisten auf Stimmenfang, wenn sie das demokratische Führungspersonal als abgehobene „Volksverräter“ diffamierten.

Lüders mahnte, mit der Sprache sorgsamer umzugehen und griff dazu den stigmatisierenden Begriff „Flüchtlinge“ heraus. Vor allem aber schloss sie sich Heitmeyers zentraler Forderung an, statt häufig nur gleichgültig-duldender Toleranz aktiv gelebten Respekt gegenüber dem jeweils Anderen in einem Dialog auf Augenhöhe zu praktizieren.

Der Landessprecher der Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen, Christian Leye.
Der Landessprecher der Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen, Christian Leye.

Ahmad Aweimer, Vorstand und damit „Hausherr“ der Abu-Bakr-Moschee, konzentrierte sich in seinen Beiträgen auf positive Entwicklungen in den muslimischen Gemeinden und ihrem Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft.

So habe es unter den Muslimen in den letzten beiden Jahrzehnten viel Aufklärung und Liberalisierung gegeben. Auf die von Heitmeyer beklagten Gegentendenzen ging er jedoch nicht weiter ein.

1993, nach Solingen, dem schrecklichen rechtsradikalen Brandanschlag, der unter den türkischen Bewohnern des ausgebrannten Hauses mehrere Tote forderte, habe es in Dortmund die erste größere öffentliche Protest- und Gedenkveranstaltung seiner Community auch mit deutscher Beteiligung gegeben.

Seither habe die Anerkennung seiner Religion stetig zugenommen, bis hin zum berühmten Satz des Bundespräsidenten Christian Wulff am Tag der Deutschen Einheit 2010: „Der Islam gehört zu Deutschland.“

In Dortmund habe es sieben Jahre gedauert, bis der Oberbürgermeister ihn als Vertreter der Muslime eingeladen hat, doch mittlerweile sei er in vielen Beratungs- und Entscheidungsgremien vertreten. Die Landtagspräsidentin lade wie selbstverständlich im Ramadan zum Fastenbrechen in den Landtag ein.

Dann folgte ein „Basar des Dialogs“, auf dem die Besucher bei arabischen Köstlichkeiten ins Gespräch kommen und mit den Podiumsteilnehmern diskutieren konnten.

Klare Kante zur Verteidigung des demokratischen Kompromisses gegen autoritäre Homogenitätskonzepte

Nadja Lüders möchte erneut für den Landtag kandidieren.
Nadja Lüders (SPD-MdL)

Moderator Ralf-Lange-Sonntag (Referent der Evangelischen Kirche von Westfalen für Fragen des christlich-islamischen Dialogs) eröffnete sodann das Hauptpodium mit der Frage, welche Anstöße die Teilnehmer aus dem Basar mitgenommen hätten.

Die SPD-Vertreterin Nadja Lüders freute sich über den Wunsch ihrer Gesprächspartner nach stärkerer Partizipation am politischen Entscheidungsprozess.

Dann hielt sie ein engagiertes Plädoyer für mehr Ehrlichkeit und Kompromissbereitschaft, aber auch freiheitliche Standfestigkeit zwischen Politik und Bürgergesellschaft: Immer mehr Menschen zögen sich vor den Zumutungen des vielfältigen gesellschaftlichen Wandels in private Schutzräume zurück. Dort suchten sie immer nur Bestätigung und wollten dann ihre Vorstellungen zu hundert Prozent verwirklichen.

Aus diesem biedermeierlichen Anspruch heraus denunzierten sie dann die demokratische Politik des Ausgleichs divergierender legitimer Interessen als kompromisslerischen Verrat am Willen „des Volkes“. Verantwortungsbewusste Politiker sollten aber daraus nicht den Schluss ziehen, den umworbenen Wählern vorzugaukeln, dass sie ihnen ihre Wünsche ohne Abstriche erfüllen könnten.

So müsse man klar kommunizieren, dass es absolute Sicherheit vor Terror eben nicht gebe und man die teuer erkauften Freiheitsrechte der Bürger dem Sicherheitswahn nicht opfern dürfe.

Integrationskonzepte zwischen abrahamitischen Versöhnungsvisionen
und laizistisch-materialistischer Klassensolidarität

Andrea Asch von den Grünen möchte die starren Frontlinien aufweichen. Zum einen bringt sie den grundgesetzkonformen islamischen Religionsunterricht an den nordrhein-westfälischen Schulen gegen den „Moschee-Fundamentalismus“ in Stellung. Zum anderen sucht sie die nur schwach mit rechtsautoritärem und islamfeindlichen Gedankengut in Kontakt gekommenen Bürger durch intensive Aufklärungsarbeit aus den Fängen der fanatischen Rechtspopulisten und Rechtsradikalen zu befreien.

Als evangelische Landessynodale wünscht sie sich auch mehr „Abrahamsfeste“, bei denen die gläubigen Juden, Muslime und Christen sich ihrer gemeinsamen Wurzeln und Verpflichtung zum respektvollen und friedlichen Zusammenleben stärker bewusst werden.

Da schlug Ahmad Aweimer ein, der im Zentralrat der Muslime in Deutschland auch Dialogbeauftragter für die Kirchen ist und auf mehr Interreligiöse Begegnungen setzt. Denn die Vorurteile gediehen dort am trefflichsten, wo man sich nicht begegnet, wie im weitgehend „muslim-freien“ Osten.

Christian Leyes Ansatz wich in zwei Punkten deutlich davon ab: Wie auch Lüders stört den Linkspolitiker als überzeugtem Laizisten die starke Betonung des Religiösen, etwa in der Schule.

Gemeinsamkeiten – gerade in der Nordstadt – sieht er eher in dem kollektiven Schicksal sozialer Benachteiligung. Der Kampf dagegen schweiße die Menschen verlässlicher zusammen.

Demoskopische Untersuchungen zeigten, dass 75 Prozent der AfD-Wähler diese Partei nicht aus inhaltlicher Übereinstimmung wählten. Ihr Motiv sei sozialökonomischer Protest und die Enttäuschung, dass die regierenden Parteien an ihrer misslichen Lage nichts änderten.

Ein Blick auf das Wahlprogramm der Rechtspopulisten zeige außerdem, dass die AfD die Umverteilung von unten nach oben sogar noch verschärfen wolle, etwa in der Steuer- und Rentenpolitik. Da müsse man den potentiellen Wählern nur die Augen öffnen.

Heitmeyers Schlussplädoyer: Aufforderung zu selbstkritischem Blick und Mut
zum Unbequemen – für eine menschenfreundliche Bürgergesellschaft in Vielfalt

Prof. Heitmeyer wies in einem längeren Statement zunächst die Kritik am Elitenbegriff zurück: Elitenbildung sei eine soziologische Tatsache. Dies zu tabuisieren, weil Rechte ihn benutzten, sei falsch. Man könnte ergänzen, dass es nicht zuletzt den politischen Funktionsträgern obliegt, in unübersichtlichen Zeiten ihren Wählern Orientierung, ja transparente Führung anzubieten – statt in der Verantwortungsdiffusion Runder Tische abzutauchen.

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer neben Ahmad Aweimer in der Abu Bakr Moschee in Dortmund.
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer neben Ahmad Aweimer in der Abu Bakr Moschee in Dortmund.

Ahmad Aweimers Optimismus, in nichtmuslimischer Mehrheits- wie muslimischer Minderheitsgesellschaft seien die Verhältnisse besser geworden, teilte Heitmeyer ebenfalls nicht. Der von keinem der sonstigen Podiumsteilnehmer widersprochenen „Kontakthypothese“ mochte er auch nur eingeschränkt zustimmen: Unabdingbar sei, dass sich beide Seiten auf gleicher Statushöhe befänden.

Abschließend kritisierte der Professor auch noch einmal die grassierende Harmoniesucht und schwindende Konfliktbereitschaft. Er forderte von Muslimen wie Nichtmuslimen Mut, etwa auf Familienfeiern, das Wort dagegen zu erheben, wenn ein Angehöriger zu später Stunde menschenfeindliche Sprüche klopft.

Bei vielen Muslimen störe ihn, dass sie immer so leicht die selbstentmündigende Opferrolle einnähmen, oft im jähen Wechsel mit Superioritätsgefühlen gegenüber den „Nichtgläubigen“. Generell solle man vermeiden, sich nur noch in homogenen Gruppen aufzuhalten, da diese zur Radikalisierung neigten. Stattdessen solle man den Kontakt und produktiven Konflikt mit den „Anderen“ suchen, aber nach einvernehmlich ausgehandelten Regeln.

Aus dem Plenum konnten nur wenige Fragen gestellt werden, etwa zur doppelten Staatsbürgerschaft und der Optionspflicht. Rot-Grün war mit Asch und Lüders gegen diesen Entscheidungszwang zwischen alter und neuer Heimat – für eine echte Diskussion an dieser Stelle fehlte jedoch Schwarz-Gelb.

Doch konnten alle Besucher gewiss ein wenig „klüger als zuvor“ von dannen ziehen. Denn es gab nicht nur präzise Lageanalysen einer bedrohlich „entsicherten Zeit“, sondern auch konkrete Zuversicht und Handlungsperspektiven, Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit, aber auch muslimischen Fundamentalismus wirksam zu bekämpfen. Wie sagte doch Professor Heitmeyer: „Ich habe kein Schlusswort, wir sind erst am Anfang!“

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Reaktionen

  1. David Flüchter

    Wo waren denn die Piraten, die sich in Dortmund massiv gegen Rechte Umtriebe stellen und auch im Landtag vertreten sind. Waren die auch verhindert?

  2. Islamseminar

    Islamseminar zum Wandel der Religion

    Der Trägerkreis des Islamseminars lädt am Dienstag, 25. April, 19.30 Uhr, in die Abu-Bakr-Moschee, Carl-Holtschneider-Straße 8a, ein. Georg Borgschulte, katholischer Diplom-Theologe, referiert dann zum Thema „Wie wandelbar ist unsere Religion? – aus christlicher Sicht“.

    Dabei erörtert er Fragen wie „Welche Veränderungen in der Gesellschaft und im Glauben beschäftigen heute die Geistlichen und Gläubigen?“ oder „Wie verändert sich die Gemeinschaft der Gläubigen?“

    Das Islamseminar ist eine gemeinsame Initiative des Evangelischen Kirchenkreises, des Katholischen Forums und Dortmunder Moscheevereine.

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