Der Schultenhof steht unter neuer Leitung: Der Öko-Betrieb richtet sich stärker auf die Bedürfnisse der Kund*innen aus

Marthe Pflüger (37) hat die Nachfolge von Landwirt Johannes Jüngst als Leitung des Schultenhof angetreten.
Marthe Pflüger (37) hat die Nachfolge von Landwirt Johannes Jüngst als Leitung des Schultenhof angetreten.

Der Schultenhof hat eine neue Leitung : Marthe Pflüger (37) hat die Nachfolge von Landwirt Johannes Jüngst angetreten, der sich beruflich neu orientiert. Das Besondere: „Die Neue“ ist keine Landwirtin, aber auf dem Hof keine Unbekannte: Bereits 2002 bis 2007 arbeitete sie dort im Hofladen. Nach 20 Jahren in der Biobranche will sie nun auf dem Schultenhof der AWO neue Akzente setzen. Marthe Pflüger bringt nicht nur sprichwörtlich den richtigen Stallgeruch mit: Im Münsterland aufgewachsen, hatte sie von klein auf mit Tieren zu tun. „ Ich bin sehr ländlich groß geworden.“ Und auch das Soziale und die damit verbundenen Werte wurden ihr und ihren beiden Brüdern von klein auf mitgegeben: Ihre Eltern sind  Lehrerin und Sozialarbeiter.

20 Jahre Bio-Erfahrung: Vor der Hofleitung war sie in der Geschäftsführung von „Fruchtbare Erde“

Jetzt wieder auf dem Schultenhof zu arbeiten, ist für sie ein nach Hause kommen. Während des Studiums war sie vor allem im Hofladen tätig  – sie lernte neue Beschäftigte an und arbeitete sich auch in administrative Dinge ein. Was eigentlich als Nebenjob gedacht war, entwickelte sich zum Hauptberuf. Denn biologisch angebaute Lebensmittel und fair gehandelte Produkte waren von je her ihr Steckenpferd. ___STEADY_PAYWALL___

So fasste sie in der Biobranche Fuß. Im Dortmunder Bioladen „Fruchtbare Erde“ stieg sie zügig in die Geschäftsführung auf. Doch den Kontakt zu den Kund*innen verlor sie nie. „Bei uns gab es flache Hierarchien, Schichten an der Kasse oder hinter der Theke waren nicht unüblich.“ Daher weiß Marthe Pflüger sehr genau, was die Dortmunder*innen von einem Biomarkt erwarten und welche Ansprüche sie an die mitunter kostspieligen Waren stellen.

Da sie auch für den Einkauf zuständig war, hat sie gute Kontakte in die Branche und kennt auch viele der Hersteller und Lieferanten. Sie weiß, was Dinge im Einkauf kosten und was sie auch im Verkauf bringen sollten. 

Engeres Zusammenspiel zwischen Produktion und Vertrieb auf dem Schultenhof

Die durch Corona geprägten Monate haben ihre Sicht auf ihre bisherige Karriereplanung deutlich verändert. „Plötzlich galt es nur noch die Kundenmassen durch die Läden zu schleusen. Mit Fachhandel hatte das nur noch wenig zu tun. Ohne meinen Mann, der mir zuhause trotz seiner Arbeit den Rücken frei hält, hätte ich das Arbeitspensum nicht schaffen können.“

Mit Blick auf den ursprünglichen Gedanken der Biobewegung reizt sie das enge Zusammenspiel zwischen Produktion und Vertrieb auf dem Schultenhof. Insbesondere die Mitarbeiter*innen mit Behinderung in allen Bereichen des Hofs zu fördern ist ihr ein wichtiges Anliegen. 

Sie ist selbst Mutter einer dreijährigen Tochter – Familie und Beruf besser vereinbaren zu können ist für sie wichtig. Aber auch zu zeigen, dass Frauen in Führungspositionen Leistung bringen. Ihre kleine Tochter ist jedenfalls begeistert und hat schon im Stall geholfen.

Die neue Chefin packt mit an und macht sich auch gerne die Hände schmutzig

Die Verbindung zwischen der Fruchtbaren Erde als größtem Kunden der AWO-Einrichtung ist nach wie vor eng. „Natürlich habe ich immer darauf geschaut, was auf dem Hof passiert.“

Der Wechsel erfolgte dann in aller Freundschaft. Die Biobranche ist sehr familiär. Diese wichtige Erfahrung als Einkäuferin kann sie nun auf der anderen Seite  – der des Erzeugers – einbringen. Auch wenn sie keine Landwirtin ist, scheut sie nicht davor, sich die Hände dreckig zu machen und tatkräftig mit anzupacken.

Das ist auch – zumindest in der Corona-bedingten Umbruchszeit – sehr wichtig. Denn von „jetzt auf gleich“ fehlten durch die behördlich angeordnete Schließung der Behinderten-Werkstätten rund 50 Beschäftigte. Doch ein landwirtschaftlicher Betrieb kann nicht einfach gestoppt werden: Die Tiere müssen versorgt, die Felder bestellt werden. Harte Wochen und Monate für den Betrieb.

Die strategische Arbeit ist in der kurzen Zeit – sie hat erst in den Sommerferien begonnen – noch etwas in den Hintergrund getreten. Doch ihre Handschrift wird zunehmend erkennbar. Denn sie schaut ganz anders auf die erzeugten Produkte – und vor allem auch die Kalkulation.

Der Schultenhof will künftig näher am Markt und den Kund*innen agieren

„Ich bin ein gutes Bindeglied und habe ganz nah am Markt gearbeitet. Ich weiß, wie groß die Möhre sein soll. Doch ist sie zu klein, zu groß oder zu hässlich, muss sie nicht gleich verfüttert werden. Vielleicht bietet es sich an, diese in großen Gebinden als Saftmöhren zu vermarkten“, macht sie an einem Beispiel deutlich. Sie wird zukünftig verstärkt darauf schauen, was für welchen Preis und welche Zielgruppe produziert wird. 

Ihre Kritik: „Wir produzieren noch zu häufig irgendwas, weil wir es können, aber nicht weil wir den Markt dafür haben. Neue Abnehmer*innen zu erschließen ist ihr bereits gelungen: „Wir verfüttern viel weniger Obst und Gemüse an unsere Tiere und verkaufen verstärkt auch an Großhändler. Das ist ein erster Erfolg“, so Pflüger. Auch wenn sie im Marketing und der Betriebswirtschaft zu Hause ist, wird sie weiterhin mit anpacken und auch Trecker fahren.

„Ich fahre hier auch Trecker, weil ich verstehen will, wie der Hof funktioniert, aber nicht weil es meine Hauptaufgabe ist. Sie bringt ihre 20 Jahre Erfahrung in der Biobranche ein. Eine Erkenntnis: „Auf dem Hof reagieren wir bisher noch nicht optimal auf den Markt und die Nachfrage. Da  werden wir uns umstellen und manches „liebgewonnene Seelengärtchen“ aufgeben. Das schafft aber auch Raum und Energie für Neues.“

In Hofladen-Leiterin Monica Stanbridge hat sie eine enge Verbündete. Sie ist die erste und wichtigste Kundin des Landwirtschaftsbetriebs: Sie entscheidet ob und wieviel sie abnehmen will. Künftig sollen dort auch -mehr als bisher- Menschen mit Behinderung eine Arbeit finden. Sie sind vor allem in der Produktion beschäftigt, aber kaum im Laden. „Dabei wäre es für viele der perfekte Arbeitsplatz“, glaubt die neue Chefin.

 

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