Berichterstattung in Zeiten von G20, Wutbürgern, Nazidemos: Debatte im Depot über den Druck auf (Foto-)JournalistInnen

Diskussion: „Berichterstattung in Zeiten von G20, Wütbürgern
Diskussion anlässlich der World Press Photo-Ausstellung im Sweet-Sixteen-Kino des Dortmunder Depots.

Von Thomas Engel (Text) sowie Leopold Achilles und Roland Klecker (Fotos)

Mit dem World Press Photo Award werden jährlich die besten Fotografien ausgezeichnet, die um die Welt gingen. Die ein Thema, eine Geschichte in besonders gelungener Weise darstellen, interpretieren oder BetrachterInnen schlicht bewegen. Als Bilder können sie kritische Öffentlichkeit erzeugen, anregen zur Diskussion, zu Debatten. Das schafft nicht nur Freunde, sondern erzeugt unter Umständen massiven Druck auf die JournalistInnen.

Öffentlichkeit durch unabhängige Presse keine Selbstverständlichkeit mehr

Ausstellung World Press Photo in der Halle des Depots. Foto: Lena Arsenovic/dofoto
Ausstellung World Press Photo in der großen Halle des Depots. Foto: Lena Arsenovic/dofoto

Gelungene Bilder sind unabdingbarer Bestandteil demokratischer Prozesse und Meinungsbildung in Gesellschaften und Staaten, in denen die Beteiligung von BürgerInnen noch etwas zählt. Das Grundgesetz der Bundesrepublik, Art. 5, schützt daher über die Meinungsfreiheit in einem besonderen Maße die Arbeit von BildjournalistInnen wie die ihrer KollegInnen der schreibenden Zunft.

Doch ihre Tätigkeit gerät seit längerem von verschiedenen Seiten her massiv unter Druck. Das fängt an bei notorischen Denunziationen als „Lügenpresse“ durch Rechtspopulisten und der politisch interessierten Präsentation von „alternativen Fakten“.

Setzt sich fort bei Neonazi-Aufmärschen, wenn KollegInnen bedrängt und/oder von angeblichen MedienvertreterInnen aus dem Rechtsspektrum abgelichtet werden. Und geht unter anderem bis zum kurzfristigen Ausschluss kritischer JournalistInnen von der Berichterstattung, wie beim G20-Gipel in Hamburg.

World Press Photo-Ausstellung im Depot: Anlass zum Hinterfragen eigener Rollen

Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-Landesverbandes NRW
Volkmar Kah (r.), Geschäftsführer des DJV-NRW, mit Organisator und Nordstadtblogger Alexander Völkel. Foto: dofoto

Die 42 in diesem Jahr prämierten World Press Photos sind derzeit in der großen Halle des Dortmunder Depots zu sehen. Das ist insofern etwas Besonderes, als solche Ausstellungen auf der ganzen Welt offenbar an einer Hand abgezählt werden können.

Für den Deutschen Journalistenverband (DJV NRW), den Presseverein Ruhr (DJV Dortmund/Unna) und die Nordstadtblogger eine gute Gelegenheit,  ins Sweet-Sixteen-Kino zu einer kleinen Podiumsdiskussion rund um das Thema „Berichterstattung in Zeiten von G20, Wutbürgern und Nazidemos – (Foto-)JournalistInnen unter Druck“ einzuladen.

Mit von der Partie, um die Medienperspektive über den eigenen Tellerrand hinaus zu prüfen: der Dortmunder Polizeipräsident und Jurist Gregor Lange. Jemand, so Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-Landesverbandes NRW, in seiner kurzen Eröffnungsansprache, der einerseits die journalistische Arbeit schützen, andererseits auch immer mal wieder schimpfen müsse, wenn etwa journalistische Funktionen missbraucht würden.

Ausschluss von JournalistInnen von der Berichterstattung bei G20

Kay Bandermann vom Presseverein Ruhr moderierte die Diskussion. Foto: dofoto
Kay Bandermann vom Presseverein Ruhr moderierte die Diskussion. Foto: dofoto

Ein Thema, das im Laufe der Debatte wieder zur Sprache kommen sollte. Zunächst aber ging es um den ganz normalen „Wahnsinn“ des journalistischen Alltags, den es so nicht geben müsste. Beispielhaft dokumentiert durch ein Vorkommnis im Vorfeld des Hamburger G20-Gipfels im letzten Sommer.

Damals waren 32 kritische JournalistInnen kurzfristig von der Berichterstattung über den Gipfel am Ort des Geschehens seitens der bundesrepublikanischen Sicherheitsbehörden ausgeschlossen worden.

Darunter: Björn Kietzmann, freier Fotograf aus Berlin. Einer, der dahinginge, wo es wehtäte, kriselte, nicht gerade Kaffeekränzchen-Stimmung angesagt sei, wird er von Moderator Kay Bandermann, Vorsitzender des Pressevereins Ruhr (DJV-Ortsverein Dortmund/Unna), vorgestellt.

Wie es denn zu dem Ausschluss gekommen sei?, will der Moderator natürlich wissen. – Und der Kollege erzählt, was es mit den sog. sicherheitsrelevanten Hinweisen, mit denen das Bundeskriminalamt (BKA) seinerzeit den kurzfristigen Entzug von Akkreditierungen begründete, auf sich hatte.

Was ein Studierender demonstrativ unternimmt, bleibt selbstverständlich erhalten

Björn Kietzmann, freier Fotograf
Björn Kietzmann, freier Fotograf

Da habe er während seiner Studienzeit an diversen Demos teilgenommen, erklärt Kietzmann – gegen Studiengebühren an der Schleuse zum Landtag in Düsseldorf Lieder gesungen (Anzeige Hausfriedensbruch); in Wuppertal war‘s eine Sitzblockade gegen einen Neonazi-Aufmarsch (Versammlung gesprengt). Jeweils eingestellt.

Später, schon im Zusammenhang mit seiner journalistischen Tätigkeit: Marsch von Flüchtlingen von Griechenland nach Mazedonien begleitet (illegaler Grenzübertritt), Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz, weil PolizeibeamtInnen auf Fotos zu deutlich zu sehen waren (eingestellt).

Und, am „krassesten“, so Björn Kietzmann: Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Aua. Hat daher irgendwie Verständnis für die Hamburger Entscheidung – beim Rollentausch, wenn er sich in die Sicherheitsbehörden hineindenkt. Der eigentliche Sachverhalt allerdings, das sind Peanuts, denn er wurde zu Unrecht beschuldigt.

Weil er in Berlin-Kreuzberg im Kreis von mehreren JournalistInnen zwischen Demonstrierenden und der Polizei gestanden habe und irgendwann ein Böller Richtung der BeamtInnen geflogen sei, was zunächst ihm angelastet worden wäre. Auch hier: Einstellung nach Anhörung mehrerer ZeugInnen.

Systemlogik der Sicherheitsbehörden entpuppt sich als wenig zeitsensitiv

Frank Überall, DJV-Bundesvorsitzender
Frank Überall, DJV-Bundesvorsitzender

Das war‘s – hat aber dem BKA-Sicherheitsteam in Hamburg gereicht. Denn die Einstellung von Verfahren sei eben kein Freispruch und würde offenbar anders gewertet. So, als dräute noch etwas. Und wirkt sich in der Folge bei einem sicherheitssensitiven Ereignis wie G20 auf die Möglichkeit aus, als Fotojournalist dem Beruf nachzugehen.

Denn da stand er plötzlich, in Hamburg an der Sicherheitsschleuse zum Medienzentrum des G20-Gipfels, der nette Beamte vom BKA, dem nach eigenen Bekunden alles sehr leid täte. Aber die Akkreditierung müsse widerrufen werden.

Genau hier sieht der DJV-Bundesvorsitzende, Frank Überall, Handlungsbedarf – und einen ersten Erfolg: Nach zähem Kampf sei nach G20 nämlich durchgesetzt worden, dass es beim Bundespresseamt nun einen Akkreditierungsbeauftragten gäbe, der genau an jenem Scharnier positioniert sei, wo besagter BKA-Beamter wegen des von höherer Stelle angeordneten Akkreditierungswiderrufs nur sein Bedauern ausdrücken konnte.

Keine Rehabilitation bei unbestätigten Verdachtsmomenten von anno tuck?

Kein Mangel an Publikum bei der spannenden Debatte
Kein Mangel an Publikum bei der spannenden Debatte – 70 Gäste hörten im Kino im Depot zu.

Jemand, der vor Ort erreichbar und mit der Befugnis ausgestattet sei, in die Originaldateien des BKA hineinschauen zu dürfen, müsse es sein, wenn es – wie in Hamburg – etwas zu klären gebe. Zudem sei es ein Rheinländer, so Überall zur Erheiterung des Publikums.

Dahingestellt sei, ob mit rheinländischen Frohnaturen zukünftige Funktionsabläufe in Sicherheitskreisen pressefreundlicher sein werden. – Einen Aspekt des grundsätzlichen Problems, das damit keineswegs aus der Welt geschafft ist, macht der DJV-Chef aber deutlich.

Nach einem Gefängnisaufenthalt gäbe es einen Rehabilitationsanspruch. Die Datensätze des BKA würden aber leider nicht (im Sinne der Betroffenen) gepflegt: Einmal eingestellt, sind sie perennierend, obwohl es die dazugehörigen Ermittlungsverfahren schon lange nicht mehr gibt. Daher könne es jeden treffen, selbst Grundrechtsträger wie JournalistInnen. Oder gerade die, weil keine NormalbürgerInnen die Bundeskanzlerin aus der Nähe fotografieren möchten.

Neonazi-Aufmärsche sind keine hermetisch abgeschotteten Veranstaltungen mehr

Alexander Völkel, Nordstadtblogger
Alexander Völkel, Nordstadtblogger (li.)

Szenenwechsel, Dortmund, Druck von Rechts, journalistischer Alltag: Alexander Völkel, Nordstadtblogger der ersten Stunde, weist auf Veränderungen in den letzten drei, vier Jahren hin. Früher sei eine Neonazi-Demo eine eher hermetisch abgeschlossene Veranstaltung gewesen. Das habe sich verändert.

Während sich zuvor die Neonazis auf der einen Seite befunden hätten – dann die Polizeiabsperrung und auf der anderen Seite Gegendemonstranten wie JournalistInnen – gehe es bei solchen Gelegenheiten mittlerweile zu wie in einem Taubenschlag: ein Kommen und Gehen. Die neue Unübersichtlichkeit, sozusagen.

Da fotografierten und bedrängten Neonazis unter anderem MedienvertreterInnen oder dokumentierten Klingelschilder an Häusern, aus denen heraus die BewohnerInnen ihren Unmut über deren Aufmarsch klar zum Ausdruck gebracht hätten. Dies würde aber seitens der Polizei nicht unbedingt unterbunden, kritisiert Völkel.

Und natürlich würden sich KollegInnen fragen, wie sie sich verhalten sollten, würde ihnen zu solchen Gelegenheiten seitens der Einsatzkräfte unter Umständen mitgeteilt, sie sollten nicht provozieren. Ansonsten gäbe es halt die üblichen Hausnummern der Neonazis im journalistischen Betrieb: von Drängeleien und Pfeffersprays bei Demos bis hin zu fingierten Todesanzeigen und tätlichen Angriffen, gerichtet gegen MedienvertreterInnen mit neonazi-kritischer Berichterstattung.

Jeder Einsatzbefehl der Polizei weist auf das hohe Gut der Pressefreiheit hin

Polizeipräsident Gregor Lange
Polizeipräsident Gregor Lange

Polizeipräsident Gregor Lange kann als Beamter zu Einzelfällen natürlich wenig sagen. Er sieht aber als Jurist in der debattierten Problemzone gleich eine Reihe verfassungsmäßig gesicherter Rechtsgüter, die es zu bewahren und im Einzelfall gegeneinander abzuwägen gälte. Vor allem: Artikel 5 und 8 Grundgesetz (GG), Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Auf das hohe Gut der Pressefreiheit, auf deren Schutzbedürftigkeit würde schon in den Einsatzbefehlen für Veranstaltungen hingewiesen, so Lange; dort gäbe es auch die Anweisung, die Bewegungsfreiheit von JournalistInnen – sofern es die Umstände erlauben – zu garantieren.

Weitergehende Angebote von OrdnungsvertreterInnen für die Presse, quasi in Verteidigung von Art. 5 GG, zur Begleitung im Einsatz, laufen für Frank Überall allerdings auf einen „embedded journalismen“, auf polizeilich betreute Berichterstattung hinaus, die nur in Ausnahmefällen eine Handlungsoption sein könne. Denn dauerhaft im Windschatten der Polizei betrieben, kommt sie notwendig in den Verdacht, sich einem Gefälligkeitsjournalismus zu nähern.

Von Pyrrhussiegen im Umgang mit Grundrechten bei der Bekämpfung von Neonazis

Offizieller Presseausweis
Offizieller Presseausweis. Foto: Thomas Engel

Was die Frage betrifft, wie Neonazis die Stirn zu bieten sei, warnt Gregor Lange ausdrücklich vor Pyrrhussiegen, indem etwa Rechtsextremen das Versammlungsrecht beschnitten würde. Denn der Preis dafür sei zu hoch – und genauso verhielte es sich mit dem Presserecht. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus könne nicht über die Einschränkung von Grundrechten geführt werden.

Auch die Versuche einzelner Personen aus solchen Kreisen, sich als PressevertreterInnen hochzustilisieren, bereiten Lange offenbar weniger Kopfzerbrechen als die Frage, ob jemand grundsätzlich gefährlich ist oder nicht. Demgegenüber werden für den Journalisten Überall hier bereits rote Linien überschritten.

Was den Beruf gegenwärtig noch schütze, sei der neue Presseausweis, der auf seiner Rückseite standardmäßig von einem Vertreter der Bundesinnenministerkonferenz gezeichnet ist und nur von dafür zertifizierten Stellen wie dem DJV an hauptamtlich tätige JournalistInnen ausgegeben wird. Das Ding ist also nicht unbedingt an jeder Ecke erhältlich.

Unvereinbarkeit rechtspopulistischer Programmatik mit Ethos des Journalismus

Dennoch: Durch das Diffundieren von Rechtsextremisten in die Berichterstattung könne irgendwann die Situation eintreten, dass dieses System überdacht werden müsse, gibt Frank Überall zu bedenken. Ehrengerichte könnten beispielsweise erwogen werden.

Nämlich genau dann, wenn dieser Personenkreis versuche, an solche Ausweise zu gelangen. Davon sei in der Gegenwart aber noch nichts bekannt.

Allerdings sind mittlerweile mindestens RechtspopulistInnen im Geschäft, sofern es KollegInnen vom Fach gibt, die sich diesem politischen Trend zugewandt haben. Als sich vor einiger Zeit ein relativ bekannter Reporter bei der Wahl zu einem Ausschuss innerhalb einer journalistischen Vereinigung als Kandidat aufstellen ließ, erhielt er keinerlei Ja-Stimmen, weil er sich zuvor der AfD angeschlossen hatte.

Denn, so die nachvollziehbare Argumentation der KollegInnen auf der Wahlversammlung, deren Programmatik und der Ethos journalistischer Tätigkeit seien nicht miteinander vereinbar. Gleichwohl dürfte er aktuell seinen Beruf weiter ausüben.

Was dürfen JournalistInnen nicht, wenn sie ihrer Tätigkeit nachgehen?

Abschließend die Frage: Was dürfen JournalistInnen, was nicht, wenn es darum geht, über ein Ereignis zu berichten? Die Antwort ist im Grundsatz eindeutig, der Teufel steckt aber im Detail. – Sie dürfen natürlich keine Straftaten begehen. Also etwa bei der Berichterstattung über eine Hausbesetzung mit den BesetzerInnen das Haus betreten und damit zu Akteuren werden.

Björn Kietzmann berichtet, wie er Flüchtlinge von Griechenland nach Mazedonien begleitete und dort zunächst festgesetzt worden sei – wegen illegalen Grenzübertritts. Mit diesem Beispiel allerdings nähert sich ein Situationstypus, der in eine Grauzone und darüber hinaus führt. Irgendwann wäre nämlich ein rechtfertigender Notstand erreicht, erklärt Frank Überall.

Und dies sei eben dann der Fall, so der DJV-Vorsitzende, wenn ein zeitgeschichtlich relevantes Ereignis vorläge. Ob dem so ist oder nicht, mag aber interpretationsfähig sein, so dass bei einer ganzen Reihe von Ereignissen eine gewisse Unsicherheit bestehen bleiben dürfte. Im Zweifelsfall müsse eben ein Justitiar zu Rate gezogen werden, so Überall.

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Reaktionen

  1. Bebbi

    Ich finde es weiterhin verwunderlich, dass es von Bedeutung ist, ob jemand hauptamtlich tätig ist oder nicht. Hochwertigen Journalismus gibt es in Zeiten des Internets ehrenamtlich erstellt während anderswo hauptamtliche Kräfte Bullshit verzapfen. Ein Qualitätsschwelle gibt es nicht, daher ist das nicht leicht umzustellen. Zumindest sollte es eine Öffnungklausel geben, dass beim Nachweis journalistischer Tätigkeit auch nebenberufliche oder unbezahlte Journalisten da dran kommen. Es gibt schließlich Nischen, in denen man kein Geld verdienen kann bzw. schafft es Unabhängigkeit, wenn ich mit dem Journalismus kein Geld verdienen muss.

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