Wir sprechen von Inklusion, aber die Frage ist: Wer inkludiert hier wen? Mourad Louloud erzählt seine Inklusionsgeschichte

Mourad Louloud an seiner Braillezeile Fotos (3): Sarah von Borzestowski
Mourad Louloud an seiner Braillezeile. Fotos (3): Sarah von Borzestowski

Master-Abschluss in Arabistik mit dem Schwerpunkt Übersetzungen Deutsch-Arabisch, Arabisch-Deutsch. Guter C1 Abschluss am Goethe-Institut Mannheim/Heidelberg. Dozent für arabische Literatur an der Universität Marburg. Weiterbildungen im Bereich Kommunikation. All diese Qualifikationen kann der 36-jährige Mourad Louloud vorweisen. Was die ganze Vita noch beeindruckender macht, Louloud ist seit seinem 15. Lebensjahr blind.

Beeindruckende Vita bedeutet nicht automatisch einen guten und festen Job

Mourad Loulouds (M.) Team (v.l.): Stefan Wilke (Geschäftsführer Quickstepp GmbH), Ulrike Flaspöhler (Mitarbeiterin IFD), Stephan Gante (Agentur für Arbeit), Torsten Stern (IFD)

Jetzt arbeitet er als Fachberater für Integration bei der QuickStep GmbH Standort Dortmund. Mit seiner Arbeit unterstützt er Flüchtlinge, die eine Seh-oder andere körperliche Behinderung haben, sich an ihren Alltag zu gewöhnen. Neben Sprachtraining, kann das auch der Umgang mit der Sprachsteuerung oder Braillezeilen sein.

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„Mir geht es nicht darum Geld zu verdienen, sondern einen menschlichen Dienst zu leisten“, beschreibt Louloud seine Arbeitseinstellung. Er habe sich sehr gefreut, als er einem Mann, der noch nie vor einem Computer gesessen habe, den Umgang mit dem Internet beibringen konnte. Bei der Vermittlung hatte er Unterstützung. „Ich habe ein Team wovon man nur träumen kann.“

Zu dem Team gehört Ulrike Flaspöhler, Mitarbeiterin des Integrationsfachdienstes (IFD). „Eigentlich mache ich die gleiche Arbeit, wie die Kollegen der Arbeitsagentur“, erklärt Flaspöhler. Trotzdem habe sie weniger Klienten, sodass eine individuellere und passgenauere Beratung möglich sei.

Die Bundesagentur für Arbeit könne hingegen keine wirkliche Einzelfallberatung anbieten. „Auch wenn wir einen Rohdiamanten wie Herrn Louloud haben, müssen wir auch noch 450 weitere Menschen betreuen“, erklärt Stephan Gante Arbeitsvermittler Reha/SB der Bundesagentur für Arbeit Dortmund.

Wirtschaftlichkeit im Beruf ist immer noch höher angesiedelt als die soziale Komponente

Für Flaspöhler war Mourad Louloud auch der Erste den sie beraten hat, mit einer Sehbehinderung. Und genau das haben sie einige Arbeitgeber spüren lassen. „Ohne genauer hinzusehen haben viele Arbeitgeber direkt abgesagt“, so Flaspöhler. Die Barriere im Kopf der Arbeitgeber sei die größte Barriere.

Und das zeigt Loulouds Beispiel auch: Trotz unglaublich großer Fach- und Sprachkompetenz hatte er Probleme eine passenden Arbeit zu finden. „Die Arbeitgeber sind verpflichtet, Menschen mit Behinderung zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen“, so Louloud. Sie seien aber nicht verpflichtet, einen Menschen mit Behinderung einzustellen.

Oft schaue der Arbeitgeber bei behinderten Menschen eher auf die Defizite, als auf die Kompetenzen. Hinzukommt, dass Menschen mit Behinderung im Jahr fünf Urlaubstage mehr zustehen und sie auch unkündbar sind. Oftmals zählt auch die Devise „Zeit ist Geld“, weswegen viele es nicht mal ausprobieren wollen, einen Behinderten einzustellen.

Von den verschiedenen Fähigkeiten und Interessen kann jeder profitieren, am meisten der Kunde

IFD-Team Dortmund

All das spielt keine Rolle für die QuickStep GmbH. Geschäftsführer Stefan Wilke sagt: „Bei QuickStep haben wir kein klassisches Berufsprofil.“ Viele unterschiedliche Menschen mit und ohne Behinderung, sowie mit unterschiedlichen Fachkompetenzen arbeiten bundesweit zusammen.

„Uns interessiert nicht ob es geht, sondern wie es geht“, sagt Wilke. Der Fokus wird auf das Verstehen möglicher, in der Zukunft auftauchender Barrieren gelegt. Dann entwickeln die Mitarbeiter zusammen mit den Kunden (andere behinderte Menschen, die in ihren Alltag zurückfinden wollen) Strategien, diese Barrieren zu umgehen.

Gerade für Flüchtlinge kann das ein besonders großes Problem sein. Zum einen sind sie in einem fremden Land und verfügen (noch) nicht über die sprachlichen Kompetenzen. Zum anderen müssen sie zusätzlich mit einer Behinderung in einer fremden Kultur klarkommen. Und genau da profitiert Wilke von Mourad Louloud und seinen Kenntnissen der arabischen Sprache.

Die Arbeit verrichtet Mourad Louloud größtenteils allein, bei Schwierigkeiten bekommt er Unterstützung

Im Moment verbringt Louloud sechs bis sieben Stunden bei seinen Kunden und das drei Mal die Woche. Zusätzlich können ihn seine Kunden auch bei Problemen (z.B. mit dem Computer) anrufen. Auch administrative Arbeit wie Tätigkeitsnachweise und Berichte erstellen, gehören zu seinem Aufgabengebiet.

Bei allem, was zu schwer für ihn ist oder was zu viel Zeit in Anspruch nehmen könnte, unterstützt in sein Arbeitsassistent. Dazu gehören Aufgaben wie Post oder Schriftverkehr, der nicht mithilfe der Sprachsteuerung abgewickelt werden kann. Aber Louloud nimmt auch regelmäßig an Schulungen teil. In Zukunft soll er auch mehr reisen, unter anderem zu Kunden nach Hamburg.

Ein gelungenes Beispiel für Inklusion, aber noch viele Punkte an denen gearbeitet werden muss

Obwohl Mourad Louloud ein gelungenes Beispiel für Integration und Inklusion ist, existieren doch noch zu viele Barrieren in den Köpfen. „Barrieren kann man vor allem mit Humor abbauen“, erklärt Wilke. Die Frage die sich stelle sei, wer genau inkludiert werden soll: Die Menschen mit Behinderung oder die anderen.

Auch Ulrike Flaspöhler wünscht sich, dass Arbeitgeber auch Chancengeber seien. „Eine Behinderung kann auch etwas Positives sein.“ Und wenn mehr Arbeitgeber „den Sprung ins kalte Wasser“ wagen würden, dann ließen sich auch (noch) bessere Ergebnisse von Menschen mit Behinderung in einem aktiven Arbeitsleben erzielen.

 

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