Projekt „Wege der Zuwanderung“ zeigt in der Nordstadt, wie kulturelle Vielfalt Dortmund über die Jahrzehnte geprägt hat

Heike Kollakowski mit der Infotafel, die am Eingang zum Italienverein im Depot angebracht wurde.

Dortmund und insbesondere die Nordstadt ist von multikultureller Einwanderungsgeschichte geprägt. Menschen aus rund 150 Nationen leben hier friedlich miteinander. Mittendrin Annette Kritzler, Heike Kollakowski und Gode Klingemann, die sich seit Jahren kreativ und leidenschaftlich im Stadtteil engagieren. Sich der Geschichte ihres Heimatquartiers bewusst, lieben sie gerade die bunte Vielfalt der Nordstadt, die sich durch Zuwanderung und Migration spätestens seit Ende der 50er Jahre entwickelt hat. Um diese Symbiose im öffentlichen Raum sichtbar zu machen, die interkulturelle Gemeinschaft zu stärken und zu zeigen, dass friedliches Zusammenleben trotz kultureller und spiritueller Unterschiede möglich ist und das Leben umso lebenswerter macht, haben sie das Projekt „Wege der Zuwanderung“ ins Leben gerufen.

Vier Standorte in der Nordstadt, weitere sollen im nächsten Jahr folgen

An vier Standorten in der Nordstadt informieren seit Mittwoch (16. Dezember) nun hübsch gestaltete Infotafeln über die Geschichte der einzelnen Migrationsgemeinschaften in Dortmund und insbesondere der Nordstadt. Für die historische Recherche war die im Depot ansässige Geschichtsmanufaktur zuständig, die in ihren Archiven gewühlt und aussagekräftige, repräsentative Bildmotive ausgesucht hat. ___STEADY_PAYWALL___

Online sind eine Standortkarte und weitere Informationen abrufbar. Foto: Screenshot

Neben dem Foto liefern die Tafeln kurze Informationen zur Geschichte der jeweiligen Gemeinschaft in Textform. Wem diese Kurzinfo nicht reicht, der kann über einen QR-Code weitere Informationen mit dem Smartphone abrufen.

„Wege der Zuwanderung“ will zeigen, wie engmaschig die Wurzeln der Migration mit der Dortmunder Stadtgeschichte verwoben sind. Die Infotafeln stehen jeweils in Bezug zu dem Gebäude, an oder vor dem sie installiert wurden.

Bei positivem Förderbescheid ist geplant, dass weitere Standorte im nächsten Jahr folgen sollen. „Wege der Zuwanderung“ wird gefördert durch das Dekadenprojekt „nordwärts“ und ist eine Gemeinschaftsproduktion von K4 Projektraum (Gode Klingemann, Heike Kollakowski ), der Geschichtsmanufaktur und den Borsigplatz VerFührungen (Annette Kritzler). Die ursprüngliche Idee stammt von Annette Kritzler.

„Bei all den Nationalitäten, die unsere Stadtgesellschaft ausmachen, war es meine Motivation, mit Hilfe von Informationstafeln diese Vielfalt für alle Dortmunder*innen sichtbar zu machen, die Beweggründe von Migration zu verdeutlichen und dabei, mit Blick auf unsere Schulen und Bildungseinrichtungen, auch einen pädagogischen Zweck zu erfüllen“, erklärt die Nordstädterin, die selber über 20 Jahre als Museumspädagogin tätig war.

Aufmerksame Beobachter*innen werden nun auf ihrem Weg durch die Nordstadt beispielsweise an der Flurstraße zwischen der Russisch-Orthodoxen Gemeinde und der Lydia-Gemeinde auf eine solche Station der „Wege der Zuwanderung“ stoßen. Das Fotomotiv zeigt eine typisch russisch-orthodoxe Ikonendarstellung.

Erste Station Flurstraße: Die Russisch-orthodoxe Gemeinde in Dortmund

Infotafel in der Flurstraße. Fotos (3): Annette Kritzler

Der begleitende Text informiert über die Migrationsgeschichte im Zuge der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion, als viele Menschen sich auf den Weg nach Deutschland machten, um dem wirtschaftlichen Niedergang aber auch ethnischen Konflikten zu entfliehen.

Die sogenannten Russlanddeutschen wurden in ihrer Heimat als Faschisten beschimpft und galten hier nun als Russen. War es zunächst schwer Sprachbarrieren zu überwinden, was vielfach zu Arbeitslosigkeit und sozialer Deklassierung führte, gilt die Integration der jungen Generation heute als gelungen.

Auch viele jüdische Emigrant*innen kamen zu dieser Zeit aus dem Ostblock nach Deutschland und Dortmund und mit ihnen veränderte sich auch das Glaubensleben in der Stadt. Die jüdische und die russisch-orthodoxe Gemeinde wurden größer, etablierten sich und wurden zu einem elementaren Teil der Dortmunder Stadtgesellschaft.

Dortmund, wie das Ruhrgebiet, sind ohne die Menschen mit türkischen Wurzeln kaum vorstellbar

Die Infotafel an der Stadtteil-Schule.

Genauso wie die türkische Migrationsgemeinschaft. Ihre Station auf dem Weg der Zuwanderung findet man an der Stadtteilschule in der Oesterholzstraße. „Selam Dortmund“ werden die Betrachter*innen der Tafel begrüßt und erfahren, dass die Zuwanderung aus der Türkei 1961 mit dem Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei begann.

Die Ankunft in der Fremde war nicht leicht: Zur Sehnsucht nach Heimat und den Sprachproblemen kam die Ablehnung aus der Bevölkerung. Vor allem für die jungen Menschen waren die Anfänge keine einfache Zeit.

Getrennt von Eltern und Geschwistern litten sie unter Heimweh und mussten sich an trübes Wetter und harte Arbeit unter Tage gewöhnen. Erwachsene Arbeitsmigrant*innen aus der Türkei wurden zumeist in den Wohnheimen der Betriebe untergebracht.

Einerseits argwöhnisch ob ihrer Essgewohnheiten und der fremden Religion betrachtet, wurde zumindest am Arbeitsplatz die Solidarität rasch Normalität. Wie tausende andere fanden auch sie in Dortmund eine neue Heimat und leben hier heute gemeinsam mit ihren Kindern, Enkel und Urenkeln.

Geschichte der Libanesen beweist, dass Integration ein fortwährender Lernprozess ist

In der Münsterstraße findet man die Infotafel am beliebten libanesischen Restaurant Caracalla.

Die dritte Station auf dem „Weg der Zuwanderung“ befindet sich in der Münsterstraße am beliebten libanesischen Restaurant Caracalla. Das historische Fotomotiv zeigt eine Szene aus der libanesischen Hauptstadt Beirut. Die Betrachter*innen erfahren, dass der libanesische Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 Auslöser für eine große Migrationswelle aus dem Libanon war.

Mit der Situation damals völlig überfordert, setzte die Bundesregierung Maßnahmen zur Verschärfung des Asylrechts um, die die Menschen davon abhalten sollten, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen, im Endeffekt jedoch dazu führten, dass eine gesellschaftliche Teilhabe der Menschen aus dem Libanon so gut wie ausgeschlossen war.

So wurden patriarchalische Familien- und Clanstrukturen bis heute beibehalten, da sie Schutz und Sicherheit boten. Staatliche Autoritäten wurden nicht anerkannt. In den 1990er Jahren wurden schließlich viele der geflüchteten Libanesen eingebürgert. Doch eine Integration in die Mehrheitsgesellschaft, zu der sie nie gehören durften, fand nicht statt.

Vierte Station: Italienverein im Kulturort Depot in der Immermannstraße

Die vierte und vorerst letzte Station des Weges finden Interessierte am Kulturort Depot in der Immermannstraße. Am Eingang zum Italienverein wird man nun von dem historischen Fotomotiv begrüßt. Es zeigt Gastarbeiter in einem Zug am Dortmunder Hauptbahnhof auf dem Weg in ihre Heimat.

Man erfährt, dass die Migrationsbewegung in Italien unmittelbar mit der schlechten wirtschaftlichen Lage des Landes nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusammenhängt. So trat zu Beginn der 1950er Jahre Italien an die Bundesrepublik in der Hoffnung heran, ein Abkommen zur Entsendung von Arbeitskräften schließen zu können.

Nach anfänglicher Skepsis in Deutschland aufgrund von Wohnraumproblematiken und schwankender Beschäftigungslage auf dem Arbeitsmarkt, schloss die Bundesrepublik mit Italien ein Anwerbeabkommen, das zum Musterbeispiel für alle folgenden Abkommen werden sollte. Mit der Annahme einer Arbeitsstelle in Deutschland bot sich vielen italienischen Arbeitern erstmals die Möglichkeit, die finanzielle Situation für ihre Familien nachhaltig zu verbessern.

Von Vorurteilen über Freundschaften zum festen Bestandteil der Gesellschaft

Die Firma Kost bedruckte die Tafeln und brachte sie an den Standorten an. Fotos (3): Sascha Fijneman

Bis in die 70er Jahre hatten die italienischen Gastarbeiter jedoch einen ziemlich schweren Stand in Deutschland. Im Ruhrgebiet waren sie meist unter Tage und in Stahlwerken tätig. Das hart verdiente Geld schickten sie in die Heimat.

Auch wenn sie schnell als fleißige Arbeiter galten, begegnete man ihnen vielerorts mit Vorurteilen: Sie seien ungebildet, altmodisch, zu laut und zu religiös. Dementsprechend schwer war es für die italienischen Arbeiter, Anschluss in der Fremde zu finden.

Dies änderte sich in den 70er Jahren allmählich, als die Gastarbeiter zunehmend ihre Familien zu sich in die neue Heimat holten und Beziehungen und Freundschaften zu Deutschen entstanden. Das italienische Leben in der BRD wurde organisierter, man engagierte sich in Vereinen und Gewerkschaften, was Schritt für Schritt die Integration vorantrieb.

Auch wenn Sie für viele deutsche Bürger*innen bis dato nur Gäste blieben, sind die ehemaligen italienischen Gastarbeiter und ihre Familien aus dem Ruhrgebiet und aus Deutschland heute nicht mehr wegzudenken.

 

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Reaktionen

  1. SPD-Ratsfraktion beantragt die Schaffung eines Denkmals für Gastarbeiter*innen in Dortmund (PM)

    SPD-Ratsfraktion beantragt die Schaffung eines Denkmals für Gastarbeiter*innen in Dortmund

    „In der kommenden Sitzung des Kulturausschusses wollen wir als SPD-Fraktion die Schaffung eines Denkmals für Gastarbeiter*innen beantragen. Dieses Denkmal soll die Geschichte und die Leistungen der Gastarbeiter*innen in Dortmund würdigen. Da die Gastarbeiter*innen ein bedeutender Teil der jüngeren Geschichte Dortmunds sind, soll dieses Denkmal innerhalb des Wallrings entstehen“, erklärt der kulturpolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion Dortmund, Dominik De Marco.

    Die Verwaltung soll daher damit beauftragt werden, eine geeignete Stelle für dieses Denkmal zu finden und für die Gestaltung des Denkmals einen Wettbewerb auszuloben. Die eingegangenen Vorschläge sollen anschließend unter Beteiligung von relevanten Akteur*innen der Stadtgesellschaft in Form einer Jury bewertet und ausgewählt werden.

    Das Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik Deutschland hat dazu geführt, dass in den 1950er und -60er Jahren immer mehr ausländische Arbeitskräfte angeworben worden sind, da die benötigten Arbeitskräfte auf dem innerdeutschen Arbeitsmarkt nicht gefunden werden konnten. In Folge dessen haben bis zum Anwerbestopp 1973 14 Millionen Menschen als Gastarbeiter*innen in Deutschland gearbeitet. Auch wenn Arbeitgeber*innen und die Behörden lange Zeit davon ausgegangen sind, dass die Gastarbeiter*innen bald wieder in ihre Heimatländer zurückgehen würden und entsprechend wenig für die Integration der Gastarbeiter*innen in die Gesellschaft unternommen haben, fanden 3 Millionen Menschen dauerhaft ein neues Zuhause in Deutschland – aus Gastarbeiter*innen wurden Einwanderer*innen und ihre Kultur ist Teil der Gesellschaft geworden.

    „Auch in Dortmund haben viele Gastarbeiter*innen und ihre Familien ein neues Zuhause gefunden und einen erheblichen Teil dazu beigetragen, Dortmund zu einer lebenswerten Stadt zu machen – sei es als Arbeitskraft oder als Bewohner*in. Um diesen bedeutenden Teil der Dortmunder Geschichte aufzugreifen, sollen daher die Geschichte und die Leistungen der Gastarbeiter*innen in Dortmund in Form eines Denkmals gewürdigt werden. Besonders hervorzuheben ist der Ort des Denkmals, welcher zentral und mitten im Herzen unserer Stadt liegen soll“, fasst Dominik De Marco den Antrag der SPD-Fraktion zusammen.

  2. „Es kamen Menschen an“ Multikulturelles Forum erinnert an Anwerbeabkommen mit der Türkei vor 60 Jahren (PM)

    „Es kamen Menschen an“ Multikulturelles Forum erinnert an Anwerbeabkommen mit der Türkei vor 60 Jahren

    Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in der Zeit des Wiederaufbaus ist wohl die bedeutendste Zäsur in der Migrationsgeschichte Deutschlands. Ein Teil der sogenannten „Gastarbeiter“ ist geblieben und lebt heute in dritter oder gar vierter Generation in Deutschland.

    60 Jahre nach dem Abschluss des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens möchte das Multikulturelle Forum am Mittwoch, den 28. April, zwischen 17 und 19:15 Uhr im Rahmen einer Online-Veranstaltung zurückblicken. Mit interaktiven und kreativen Methoden wird den Lebensgeschichten von „Gastarbeitern“ nachgespürt: Wie sah ihr Alltag aus? Welche Erfahrungen waren prägend? Wie entwickelte sich die Perspektive der Menschen über die Jahre? Auch der Bogen zur Gegenwart wird geschlagen: Wie wird die Migrationserfahrung der Großeltern oder Eltern von der jüngeren Generation verarbeitet? Welche Auswirkung hat die Migrationserfahrung auf ihre Lebenswelt(en)?

    Der Referent des Abends Veranstaltung, Dr. Bora Akşen, ist beim Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte für das Projekt „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ der Kulturstiftung des Bundes verantwortlich. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Migrationsgeschichte, interkulturelle Bildung und Digitalisierung.

    Organisiert wird die Online-Veranstaltung durch das Projekt „Muslime im Dialog“ des Multikulturellen Forums. Ziel des Projektes ist es, die Partizipation von Musliminnen und Muslimen zu fördern, Vorurteile und Stereotype abzubauen und damit das wertschätzende Miteinander von Menschen mit unterschiedlichem religiösen und kulturellen Hintergrund zu fördern.

    Anmeldungen sind telefonisch (02306 37893-12) oder E-Mail (anmeldung-bw@multikulti-forum.de) über das Bildungswerk Multi-Kulti sowie online unter http://www.multikulti-forum.de/kurse möglich.

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