Ein persönlicher Nachruf von Erich G. Fritz auf Michail Gorbatschow

Ohne Chance, sein Werk zu vollenden, bleibt er einer der größten Reformer der Geschichte 

Besuch von Michail Gorbatschow auf der Westfalenhütte in Dortmund.
Besuch von Michail Gorbatschow auf der Westfalenhütte in Dortmund.

Es ist keine Nostalgie, wenn ich in Sichtweite meines Schreibtisches immer noch den Helm liegen habe, den alle Besucher bei Michail Gorbatschows Besuch auf der Westfalenhütte in Dortmund tragen mussten. Voll Stolz auf den Erfolg von Werner Nass und vielen Mitstreitern vereinigen sich dort  die Signets seines Besuchs und der Name des Unternehmens, dem er einen Besuch abstattete.

Der sowjetische Staatspräsident Michail Sergejewitsch Gorbatschow signierte diesen Helm bei seinem Besuch in Dortmund. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Dieser 15. Juni 1989 war auch für die Auslandsgesellschaft ein denkwürdiger Tag. Endlich, so schien es, könnten die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion auf offene Weise entwickelt, vertrauensvolle Zusammenarbeit aufgebaut und eine gemeinsame friedliche Zukunft zwischen den Blöcken möglich werden.

Heute ist das Bild dieses Mannes in einem der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, in Russland bis zur Unkenntlichkeit verfälscht. Er gilt in der offiziellen Lesart und in den Augen vieler Russen als der Zerstörer der Sowjetunion.

Erich G. Fritz erinnert an den Besuch von Gorbatschow in Dortmund das Vermächtnis als Staatsmann.
Erich G. Fritz erinnert an den Besuch von Gorbatschow in Dortmund das Vermächtnis als Staatsmann.

Das Gegenteil ist richtig. Er hat nicht nur – wie viele Funktionäre – erkannt, dass die Sowjetunion am Ende war und ihre geistigen und ökonomischen Ressourcen verkommen ließ. Er hatte den Willen und die Kraft, daraus einen Zukunftsentwurf zu machen, die Menschen mitzunehmen und mutige Reformvorschläge zu machen.

Er wollte aus der stagnierenden Sowjetmacht eine offen, zukunftsfähige und kooperationsbereite Macht entstehen lassen, die ihren Bewohnern Partizipationsmöglichkeiten anbot, ihnen Freiheit ermöglichte und den Umbau von Staat und Gesellschaft, eine Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten und gleichberechtigte Partnerschaft mit der Welt versprach.

Er hatte keine Chance, diese Vorstellungen umzusetzen. Nicht, weil er alles zerstört hätte, sondern weil andere diesen Weg nicht mitgehen wollten. Darin waren sich die alten Eliten, der KGB und die drei Herren einig, die schließlich das Land zerrissen haben: Gorbatschow durfte keinen Erfolg haben.

Zerstört haben die  Sowjetunion und ihre Transformationsmöglichkeiten andere. Als sich  Jelzin, der mittlerweile das  Präsidentenamt in Russland eingeführt hatte (17. April 1991) sich  mit den Präsidenten der Ukraine und Belarus‘, Leonid Krawtschuk und Stanislau Schuschkewitsch, am 8. Dezember 1991 in Belawesschkaja Puschtscha traf, erklärten sie die Auflösung der UdSSR für bereits vollzogen. Sie wollten selbst Zaren sein. 

Der Staatsbesuch erforderte massive Sicherheitsvorkehrungen der Polizei.

Wenn heute in Russland Gorbatschow verdammt wird und Jelzin totgeschwiegen, so dient das einem Geschichtsbild, das die Wiederkehr der Diktatur mit sich bringt. Jelzins Politik hat zuerst den Weg frei gemacht für die Plünderung der Reichtümer des Landes und hat dann die Macht den Räubern überlassen. Als nichts mehr zu retten war, die Menschen verarmt waren, die Arbeiter ohne Löhne nachhause gingen und Rentner verhungerten, hat er über die Weitergabe der Macht an Putin Russland wieder dem KGB überlassen.

Das Ergebnis, ein Russland, das den Weg der Gewalt geht, die Rechte der Menschen verletzt und seine Zukunftschancen verspielt, ist jedenfalls das Gegenteil dessen, was Gorbatschow sich für die Bewohner des großen europäischen Landes vorgestellt hatte.

Nicht nur in Dortmund denken in diesen Tagen viele Menschen mit Respekt und positiven Gefühlen an den ersten und letzten Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow.

Besonders die Völker Mitteleuropas und besonders das geeinte Deutschland verdanken ihm dreißig Jahre friedlicher Entwicklung und wachsenden Wohlstand und soziale Sicherheit, Verlässlichkeit der politischen Grundlagen. Freilich müssen dazu die Menschen auch selbst viel tun, und sie haben es getan in Polen, in der DDR und in ganz Deutschland sowie in der heute zur Europäischen Union gehörenden Staatenfamilie. Aber ohne Gorbatschow wäre das alles noch für lange Zeit ein Traum geblieben.

Ihm gehören zu Recht die Herzen vieler Menschen bei uns, er hat zu Recht den Friedensnobelpreis erhalten und er wird in unserer Erinnerung bleiben.

Zur Person: Erich G. Fritz

  • Erich G. Fritz war von 1990 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und u.a. von 1994 bis 2002 außenwirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, seit 1998 Vorsitzender des Unterausschusses „Globalisierung/Regionalisierung“ bzw. seit 2002 „Globalisierung und Außenwirtschaft“ des Auswärtigen Ausschusses.
  • Als Mitglied im Wirtschaftsausschuss und im Auswärtigen Ausschuss beschäftigte er sich überwiegend mit Fragen internationaler Ordnung, dem Welthandelssystem und als Berichterstatter für Lateinamerika mit den Beziehungen zu den Ländern Mittel- und Südamerikas.
  • Bei der Bundestagswahl 2013 kandidierte er nicht mehr.Er war Mitglied des Vorstandes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Außerdem war er Mitglied der Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sowie der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppen des Deutschen Bundestages.
  • Fritz ist seit 1981 Mitglied im Vorstand der Auslandsgesellschaft NRW e.V. (Dortmund), seit 1983 Vizepräsident. 
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