Landgericht verhängt Haft- bzw. Geldstrafen für Neonazis wegen Volksverhetzung und Billigung von Straftaten

Am 21. Dezember 2014 fand die Demo in der Nordstadt statt - erst jetzt startet die Berufunbgsverhandlung vor dem Landgericht. (Video-Screenshot)
Am 21. Dezember 2014 fand die letztendlich verhinderte Kundgebung der Neonazis in der Nordstadt statt – erst jetzt gab es die Urteile in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht in Dortmund. (Video-Screenshot)

Rund fünfeinhalb Jahre nach der (verhinderten) Kundgebung in der Nordstadt und drei Jahre nach dem Urteil des Amtsgerichts hat nun das Landgericht Dortmund zwei Neonazis wegen Volksverhetzung bzw. Billigung von Straftaten verurteilt. Beide Politiker der Partei „Die Rechte“ sind vor Gericht keine Unbekannten: sie waren mehrfach verurteilt worden. Und Christoph Drewer nahm – aus dem offenen Vollzug kommend –  auf der Anklagebank Platz. Doch auch der neue Anlauf brachte für beide kaum günstigere Urteile. Haft- bzw. Geldstrafe wurden weitestgehend bestätigt.

Dortmunder Kader der Neonazi-Partei „Die Rechte“ standen erneut vor Gericht

Gegen das Urteil des Amtsgerichts hatten sowohl Christoph Drewer als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Foto: Alex Völkel
Gegen das Urteil des Amtsgerichts hatten sowohl Christoph Drewer (Foto) als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Foto: Alex Völkel

Grundlage der Verurteilungen waren Videos der Polizei sowie eines Dortmunder Journalisten, mit denen die volksverhetzenden Äußerungen sehr plakativ deutlich gemacht werden konnten.

Zu sehen und zu hören war so ziemlich alles, was sich mittlerweile seit Jahren als verbotene Parolen in den Auflagen der Dortmunder Polizei für Neonazi-Aufmärsche findet – darunter viele äußerst geschmacklose, verächtlich machende und Straftaten billigende Parolen, die geballt am 21. Dezember 2014 von den hier Angeklagten sowie weiteren Demoteilnehmer*innen skandiert wurden. 

„Anne Frank war essgestört“, „Wer saß im Schrank? Anne Frank!“  – dafür hatte Lukas B. seinerzeit schon seine Strafe kassiert. Dagegen gab es keine Berufung. Christoph Drewer, kurzzeitig kommissarischer Bundesvorsitzender der Partei „Die Rechte“ und derzeit wegen anderer Propaganda-Delikte als Freigänger in der JVA Castrop-Rauxel, sowie der Scharnhorster Bezirksvertreter André Penczek hatten Berufung eingelegt und forderten weiterhin Freispruch für sich – erfolglos, wie der fünfte und letzte Verhandlungstag zeigte.

Lediglich die Aktivistin D. G. konnte ohne neue Strafe den Gerichtssaal verlassen – die Vorwürfe gegen sie wurden nach § 154 (2) Strafprozessordnung eingestellt, da die im vorliegenden Verfahren zu erwartende Strafe im Verhältnis zu den anderen Gerichtsentscheidungen nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würde. 

Verhöhnung von Opfern politischer Straftaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Drewer und Penczek blieben mit ihrer erneuten Forderung nach einem Freispruch jedoch wie in erster Instanz erfolglos. Penczek hatte u.a.: „Thomas Schulz, das war Sport, Widerstand an jedem Ort“, skandiert, was vom Gericht nicht nur als volksverhetzend, sondern auch als Billigung von Straftaten gewertet wurde. 

"Kein Vergeben - Kein vergessen" ist das Motto der Antifa zur Erinnerung an die Ermordung von Thomas "Schmuddel" Schulz.
„Kein Vergeben – Kein Vergessen“ – Bild zur Erinnerung an die Ermordung von Thomas „Schmuddel“ Schulz.

Thomas „Schmuddel“ Schulz war vor 15 Jahren von einem Neonazi in der Stadtbahnstation Kampstraße erstochen worden. Dazu passt auch die von Drewer und anderen skandierte Parole „Schmuddel hat’s erwischt“, die von rhythmischem Klatschen begleitet wurde.

Weitere Parolen der Demo: „Wir kriegen euch alle“, „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, „Antisemiten kann man nicht verbieten“, „Ali, Mehmet Mustafa, geht zurück nach Ankara“, „Frei, sozial und national“ – die sich in der Anklageschrift wiederfinden. 

Zudem gab es Parolen, die zwar dokumentiert wurden, aber jetzt nicht Gegenstand des Verfahrens sind, beispielsweise: „Ein Hammer, ein Stein, ins Arbeitslager rein“, oder: „Alles für Volk, Rasse und Nation“. Mehrere Parolen hatten zudem direkten Dortmunder Bezug.

„Mehmet hat’s erwischt“, „Linkes Gezeter, 9 Millimeter“ oder „Gregor Lange aus der Traum, bald liegst Du im Kofferraum“, wo die Neonazis also u.a. mit Erschießungen von politisch Andersdenkenden drohen, die Erschießung des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubaşık quasi feierten oder dem Polizeipräsidenten ein Ende im Stile der RAF-Morde der früheren Jahrzehnte prophezeiten. Diese sind aber offenbar teils den hier Angeklagten nicht einzeln zuzuordnen. 

Zentraler Streit drehte sich um die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“

Beide hatten zudem die auch juristisch nicht unumstrittene Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandiert. Dazu gibt es sehr unterschiedliche Urteile – eine Strafbarkeit ist demnach vom Kontext der Äußerung abhängig, das Skandieren der Parole alleine ist noch nicht strafbar. Darum drehte sich auch alles bei den Plädoyers – die Verteidiger sahen diese Äußerung von der Meinungsfreiheit gedeckt. 

Am 21. Dezember 2014 fand die Demo in der Nordstadt statt - erst jetzt startet die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht. (Video-Screenshot)
Am 21. Dezember 2014 fand die Demo in der Nordstadt statt – erst jetzt kam es zur Berufungsverhandlung vor dem Landgericht. (Video-Screenshot)

Staatsanwaltschaft und Gericht sahen dies jedoch anders: Denn genau die vorliegenden Rahmenbedingungen sorgten dafür, dass die Äußerung volksverhetzend wirke. Sie beinhalte die Aufstachlung zum Hass und zur Störung der öffentlichen Ordnung.

Denn das gemeinschaftliche Auftreten und Skandieren der Parole – von Einzelnen wie auch der Gruppe, und das immer wieder – hätten auf die Öffentlichkeit einschüchternde Wirkung gehabt. 

Insbesondere im Hauptbahnhof sei dies deutlich geworden. „Dass die Menschen dort Angst kriegen, liegt auf der Hand. Ich hätte auch Angst gehabt“, betonte der Vorsitzende Richter. „Daher bestehen überhaupt keine Zweifel, dass auch der Tatbestand der Volksverhetzung gegeben ist.“

Zudem – und da widersprach das Gericht eindeutig der Rechtseinschätzung von Penczeks Verteidiger Picker – sah das Landgericht den Kontext der anderen skandierten Parolen durchaus als relevant an. Die Angeklagten seien sehr wohl dafür mitverantwortlich, in welchem Kontext sie Parolen skandierten. „Es war eine wirklich perfide und widerliche Art, wie dort mit Anne Frank, Mehmet Kubaşık oder Thomas Schulz umgegangen wird.“

Bezirksvertreter billigte laut Gericht den Totschlag an Punker Thomas Schulz

Ebenso eindeutig war dies beim zweiten Vorwurf gegen Penczek. Dieser hatte „Thomas Schulz, das war Sport, Widerstand an jedem Ort“ skandiert, was vom Gericht nicht nur als volksverhetzend, sondern auch als Billigung von Straftaten gewertet wurde. Die Verteidigung hatte versucht, daran Zweifel zu wecken, „Wer war Thomas Schulz? Was hat das mit Sport zu tun? Widerstand an jedem Ort?“ 

Neonazi Andre Penczek (gelbes T-Shirt) ist für Daniel Grebe in der BV Scharnhorst nachgerückt.
Neonazi André Penczek wurde erneut verurteilt – er sitzt für die Partei „Die Rechte“ in der Bezirksvertretung Scharnhorst. Archivbild: Alex Völkel

Außenstehende Dritte könnten damit nichts anfangen und dies auch nicht verstehen – daher sei dies weder volksverhetzend, noch stelle dies die Billigung von Straftaten dar. Auch die Polizisten hätten bei der Zeugenbefragung mit dem Namen Thomas Schulz nichts verbunden, erklärte Picker.

Doch mit dieser Argumentation blitzte der Rechtsanwalt bei der Kammer ab. Für sie war es unerheblich, ob Polizisten aus anderen Städten etwas mit dem „Allerweltsnamen Thomas Schulz“ verbinden könnten oder würden. „In Dortmunder Kreisen wurde dieser Fall ausgesprochen bekannt – insbesondere unter dem Spitznamen des Opfers „Schmuddel“, so Richter Pennig. 

„Die interessierten Kreise wussten es ganz genau und haben entsprechend reagiert. Darum geht es. Die Kammer hat keine Zweifel, dass dies als Provokation der Linken gedacht war und genau so auf die anwesende Öffentlichkeit wirkte, wie es wirken sollte. Das reicht für den § 140 aus“, so das Gericht.

Haft- bzw. Geldstrafen wurden vom Landgericht bestätigt – Höhe des Tagessatzes fraglich

Daher  folgte das Landgericht weitgehend dem Urteil des Amtsgerichts vor drei Jahren. „Die beiden ausgeteilten Einzelfreiheitsstrafen waren angemessen und richtig, aber es ist viel Zeit ins Land gegangen“, sagte das Gericht mit Blick auf André Penczek. Es habe keine neuen Straftaten mehr gegeben, nur noch Geldstrafen. 

Das Landgericht bestätigte weitgehend die Urteile des Amtsgerichts. Foto: Alex Völkel
Das Landgericht bestätigte weitgehend die Urteile des Amtsgerichts. Foto: Alex Völkel

Daher sei eine neue Freiheitsstrafe nicht gerechtfertigt. 120 bzw. 60 Tagessätze für die beiden Parolen seien stattdessen angemessen. Diese würden zu einer Gesamtstrafe von 130 Tagessätzen gebildet – inklusive „Härteausgleich“. Denn wäre das Urteil früher erfolgt, hätte Penczek eine neue Gesamtstrafe mit den anderen Verurteilungen zu Geldstrafen bekommen können. Doch diese hat er mittlerweile bezahlt. 

Allerdings kam das Gericht ihm bei der Höhe der Tagessätze entgegen: statt 20 Euro – wie von der Staatsanwaltschaft gefordert – verhängte das Gericht nur zehn Euro Tagessatz. Dies war unverständlich und entspricht dem Tagessatz für Arbeitslose. Allerdings ist Penczek berufstätig und ließ sich sogar an zwei Verhandlungstagen wegen seiner Arbeit von seinem Anwalt vertreten. Doch zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen wollte er nichts aussagen – dies kam ihm nun zugute.

Christoph Drewer kassierte erneut sechs Monate Haft ohne Bewährung. Dieser habe sich schon mehrfach als Bewährungsversager erwiesen und diverse Taten auch unter laufender Bewährung begangen.  Diese sechs Monate fließen in eine neue Gesamtstrafe mit den bereits laufenden Haftstrafen ein, so dass er nun ein Jahr und drei Monate bekommt – die höchste laufende Einzelstrafe von zehn Monaten wird entsprechend erhöht. Eine Aussetzung zur Bewährung kommt weiterhin nicht in Betracht.  

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