Neue Ausstellung im Museum Ostwall im Dortmunder U

Kunst aus dem Büro: Ignacio Uriarte zeigt seine „Office Work“ im MO_Schaufenster

Ignacio Uriarte in seiner Ausstellung im „MO_Schaufenster“..
Ignacio Uriarte in seiner Ausstellung im „MO_Schaufenster“.. Foto: Katrin Pinetzki für die Stadt Dortmund

Die Utensilien des spanisch-deutschen Künstlers Ignacio Uriarte (Jahrgang 1972) stammen aus dem Büroalltag: Es sind Notizblöcke, Kugelschreiber, Heftklammern oder Lineale. Die daraus entstehenden Arbeiten bestechen durch eine Eleganz, die auf dem Akt der Wiederholung und Anordnung beruht. Diese simple Ausgangsposition lässt in meditativ anmutender Handarbeit eine Ästhetik entstehen, die den Prozess der Ausführung und die Materialität der verwendeten Utensilien in den Vordergrund stellt. Das Museum Ostwall im Dortmunder U zeigt bis zum 19. Juni 2022 in der Ausstellung „Office Work“ eine ausgewählte Übersicht des künstlerischen Schaffens von Ignacio Uriarte im „MO_Schaufenster“.

Vorgänge der Arbeitswelt: Die Kunst des Herausreißens

 Ignacio Uriarte, aus der Animation „Archivadores en Archivo“, 2007,
Ignacio Uriarte, aus der Animation „Archivadores en Archivo“, 2007, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2022. Courtesy Philipp von Rosen Galerie

Ausgangspunkte für die Arbeiten sind routinierte, fast langweilig erscheinende Vorgänge der Arbeitswelt, wie zum Beispiel das Kritzeln auf einen Schreibblock während eines Telefonates oder das Einordnen von Aktenordnern in ein Regal. Basierend auf diesen Bewegungen  entstehen Kunstwerke, die weder abbilden noch abstrahieren und daher in ihrer Formsprache an Minimal Art und Konkrete Kunst erinnern.

Zum Einsatz kommen dabei simple Techniken wie das Reihen, Spiegeln und Überlagern von Formen und Farben. Die entstehenden Muster und Abfolgen spielen mit der optischen Wahrnehmung ihres Gegenübers.

So zum Beispiel bei der Arbeit aus der Serie „Blocs“, die aus zwei DIN A4 Schreibblöcken besteht. Im Fokus steht hier der Vorgang des Herausreißens. Die Ausgangslage ist bekannt: Man möchte schnell eine Seite aus dem Notizblock reißen und produziert dabei rissige Ecken und Kanten, so dass man erneut versucht, eine Seite unversehrt und mit glattem Abriss aus dem Block zu entfernen.

Bei „Vier-Farbüberlagerung“ steht der Kugelschreiber im Mittelpunkt

Ignacio Uriarte, Vier-Farbüberlagerung, 2017, Dokumentenechter Kugelschreiber auf Papier
Ignacio Uriarte, Vier-Farbüberlagerung, 2017, Dokumentenechter Kugelschreiber auf Papier ©VG Bild- Kunst, Bonn 2022. Courtesy Philipp von Rosen, Foto: Simon Vogel

Dieser lästige Umstand des Büroalltags wird in „Blocs“ zur Kunstform umgewandelt. Nacheinander wurde hier jede einzelne Seite des Blocks, die an der Oberkante zusammen gehalten werden, in kurvig versetzten Bewegungen herausgerissen, wodurch sich Papierschichten in unterschiedlichen Höhenlagen herausbilden.

Die so entstandenen Werke erinnern stark an 3D-Scans von Landschaften, an Gesteinstexturen und schäumende Wasserwellen.

In der Arbeit „Vier-Farbüberlagerung“ steht der Kugelschreiber im Mittelpunkt. Ausgeführt mit den klassischen Bürofarben Schwarz, Grün, Rot und Blau formen sich durch geschwungenes, dichtes Gekritzel Rechtecke, deren Kanten sich überlagern. Diese Überlagerung von feinen, wellenartigen Farbstrukturen führt zur Simulation von Räumlichkeit.

Ignacio Uriarte in seiner Ausstellung im „MO_Schaufenster“..
Ignacio Uriarte in seiner Ausstellung im „MO_Schaufenster“.. Foto: Katrin Pinetzki für die Stadt Dortmund

Ähnlich der Op Art, die unter Verwendung reduzierter geometrischer Formensprache optische Wirkungen von Licht, Bewegung und Raum imitiert, spielt auch diese Arbeit mit der Wahrnehmung seines Gegenübers. Die Rechtecke erscheinen wie Dokumente, die durch einen Zusammenstoß im Büro auf den Boden gefallen sind.

Neben Notizblöcken, Kugelschreibern und Linealen, die bis heute auf fast jedem Schreibtisch zu finden sind, bedient sich Uriarte aber auch technischen Errungenschaften der Arbeitswelt, die bereits musealen Charakter besitzen.

Technische Errungenschaften: Moiré-Effekt mit der Schreibmaschine

 Ignacio Uriarte, aus der Serie "Four Geometry Sets", 2011
Ignacio Uriarte, aus der Serie „Four Geometry Sets“, 2011 ©VG Bild- Kunst, Bonn 2022. Courtesy Philipp von Rosen Galerie

Was heute auf dem Laptop geschrieben wird und relativ steril anmutet, wurde früher mit Papier und Farbband auf der Schreibmaschine getippt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts läutete diese in den Betrieben das Zeitalter der Ordnung, Sauberkeit und Produktivität ein.

Als ästhetisch produktiv erweist sich auch die Arbeit „Triangular Circle Suite 2“. Auf der Schreibmaschine getippte Schrägstriche formen Dreiecke, die sich in unterschiedlichen Winkeln überlagern und so Muster entstehen lassen, die einen dynamisch-schwingenden Eindruck vermitteln und den so genannten Moiré-Effekt erzeugen.

Der Moiré-Effekt (auch Rasterüberlagerung) entsteht, wenn sich zwei gleichmäßige Muster ungleichmäßig überlagern. Dem einstigen Gedanken der Beschleunigung beraubt, wird die Maschine hier zu einem Zeicheninstrument, das komplexe und optisch reizvolle Kompositionen entstehen lässt.

 Hanne Darboven, Agnes Martin oder Vija Celmis als Vorbilder

 Ignacio Uriarte, 3+1, 2015, Dokumentenechter Kugelschreiber auf Papier
Ignacio Uriarte, 3+1, 2015, Dokumentenechter Kugelschreiber auf Papier © VG Bild-Kunst, Bonn 2022. Courtesy Philipp von Rosen Galerie, Foto: Simon Vogel

Beeinflusst wurde Uriarte von Künstlerinnen wie Hanne Darboven, Agnes Martin oder Vija Celmis, deren Werke durch minutiöse handwerkliche Prozesse entstehen, die viel Geduld und Fleiß erfordern.

In ihren illusionistischen Naturdarstellungen überträgt beispielweise die Künstlerin Vija Calmis, basierend auf fotografischen Vorlagen, akribisch die organischen Oberflächen von Wüsten, Spinnennetzen und Seelandschaften auf Papier. Dabei experimentiert sie mit unterschiedlichen Qualitäten von Materialen und Formen der Druckgrafik und lotet immer wieder das Spannungsverhältnis zwischen Raumsuggestion und Abbildungsqualität aus.

Zur Person: Ignacio Uriarte

  • Ignacio Uriarte studierte zunächst in Madrid und Mannheim BWL und arbeitete anschließend viele Jahre in der Administration großer Unternehmen.
  • Nach seinem Zweitstudium Audiovisueller Kunst in Guadalajara (Mexiko) kündigt er 2003 seinen letzten Bürojob und widmet sich seither in Vollzeit der Kunst.
  • Seine Arbeiten sind unter anderem vertreten in der Berlinischen Galerie (Berlin), im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, in der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland (Bonn), dem Museum Ludwig (Köln), der Colección del Banco de España (Madrid) und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus (München).
MO-Direktorin Dr. Florence Thurmes (li) und Kuratorin Natalie Çalkozan mit Ignacio Uriarte in der Ausstellung.
MO-Direktorin Dr. Florence Thurmes (li) und Kuratorin Natalie Çalkozan mit Ignacio Uriarte in der Ausstellung. Foto: Katrin Pinetzki für die Stadt Dortmund
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