Madita Oeming sprach in Dortmund über ihre Forschung 

Großer Redebedarf unter Erwachsenen und Jugendlichen über das Thema Pornos

Madita Oeming als Gast in der Gesprächsreihe "Konfliktzone" mit Aladin El-Mafaalani
Madita Oeming als Gast in der Gesprächsreihe „Konfliktzone“ mit Aladin El-Mafaalani Foto: Anna Tenholt

Schon die Festlegung auf eine Definition von „Porno“ fällt schwer, sogar einer Wissenschaftlerin, die darüber ein Buch geschrieben hat: Madita Oeming veröffentlichte im letzten Jahr „Porno. Eine unverschämte Analyse“. Mit Aladin El-Mafaalani sprach sie im Rahmen der Reihe „Konfliktzone” über den weitverbreiteten Konsum von Pornografie und das Fehlen einer sachlichen Auseinandersetzung damit. 

„Man kann diesen analytischen Blick einnehmen, auch wenn man Pornos guckt“

„Einen großen Teil meiner Arbeit mache ich nur aus Trotz”, verriet die Autorin dem Publikum im Schauspiel Dortmund. Kolleg:innen hätten schon danach gefragt, ob sie ihre Arbeit, ihre Wissenschaft, nicht leise machen könne. Aber Oeming sieht viele relevante Facetten, die sie weiter untersuchen möchte. Es sei ein „moralisch, politisch aufgeladenes Thema, was total unterschätzt wird“.

Rowohlt

Bevor sie ins Detail ging, stellte sie klar: „Man kann diesen analytischen Blick einnehmen, auch wenn man Pornos guckt.” Und die Analyse umfasste mehr als eine Disziplin: Geschichte, Kultur, Medien, Medizin, Psychologie, Politik und die Gesetze waren Themen des Abends. ___STEADY_PAYWALL___

Trotz sachlicher Analyse kam die Unterhaltung nicht zu kurz, denn Oeming kennt einerseits wahrscheinlich alle denkbaren Wortspiele, die mit Sex zu tun haben, und anderseits weiß sie aus etlichen Vorträgen und Seminaren, dass Humor am besten gegen aufkommende Gefühle von Peinlichkeit wirkt. Denn wenn es um Porno gehe, sei man schnell auf einer persönlichen Ebene – auch in der Wissenschaft. Im Porno geht es um sexuelle Fantasien.

„Das ist etwas, was wir manchmal nicht mal mit den Menschen, mit denen wir intim sind, sprechen. Worüber wir zum Teil noch niemals mit jemandem gesprochen haben.”  

Als Expertin für das Thema erlebe sie überall großen Redebedarf, sie erhalte viele Nachrichten und Emails oder werde nach Veranstaltungen mit persönlichen Fragestellungen angesprochen. „Es fehlt an Räumen, wo wir wertfrei darüber sprechen können”, das finde sie traurig. Sie sieht großen Handlungsbedarf bei jungen Menschen, daher hat sie sowohl für Jugendliche als auch für pädagogisches Fachpersonal einen „Pornoführerschein“ entwickelt.

Pornoforschung entwickelt sich zu einer eigenständigen Disziplin

Aktuell fahre die Polizei von Schule zu Schule und spreche über Sex, musste sie kritisch feststellen. Denn die Verbreitung von Pornografie, und dazu kann das Versenden von Videos oder Nacktbildern zählen, stehe im Strafgesetzbuch. Aber auch juristisch wurde der Begriff nicht eindeutig definiert. Es gebe die funktionale Definition, dass dazu masturbiert wird. Oeming kommentierte: „Zu allem kann jemand masturbieren.” Jedes Bild, jede Darstellung kann benutzt werden „als Pornografie“. Sie führte aus: „Wenn wir einmal die Idee rausnehmen würden, dass Porno so gefährlich ist, dann wäre es gar nicht mehr so wichtig”.

El-Mafaalani wollte Oeming schon lange vor Veröffentlichung ihre Buches nach Dortmund einladen
El-Mafaalani wollte Oeming schon lange vor Veröffentlichung ihre Buches nach Dortmund einladen Foto: Timon Seitzer/Bunt und Blinkt

Ein weiteres Problem sei die Abkoppelung von Körper und Geist in bestimmten Räumen, wie der Uni. Beim Thema Porno würde man auf einmal daran erinnert: „Wir haben übrigens auch Körper. Und das ist grundsätzlich erst mal unangenehm.”

In einem solchen Kontext – akademisch, elitär, intellektuell, bildungsbürgerlich – sei es grundsätzlich schwierig über etwas sachlich zu sprechen, was gleichzeitig so persönlich konnotiert sei. Es gehe gefühlt immer auch um die Menschen, die im Vortrag sitzen.

Aber ein erster Anfang wurde gemacht: diesen Januar 2024, trafen sich erstmals in Deutschland Menschen verschiedener Disziplinen, die zu Porno forschen. 25 Menschen haben sich gefragt: Können wir ein Feld sein? Über die Definition des Begriffs wurde dann zwei Tage lang diskutiert. „Ganz normale Wissenschaft“, fand Gastgeber El-Mafaalani. 

Scheinheilige Distanzierung vom Pornokonsum 

Ja, sie sei jetzt die Pornoperson – und steht damit oft allein auf weiter Flur. „Man ist oft die Einzelkämpferin oder der Einzelkämpfer”, daher empfahl sie Studierenden ein dickes Fell, wenn sie in diesem Bereich forschen wollten. Das sei zwar abschreckend, aber trotz dieser Warnung wünschte sie sich mehr Pornoforschung. Es werde zu wenig geforscht für so viel Porno, der konsumiert wird.

Archivfoto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Die meisten Untersuchungen seien psychologischer Art, dabei gehe es eher um die Wirkung: Was macht Porno mit uns? Oeming interessiere aber etwas anderes: „Es fehlen Antworten auf die Frage: was machen wir mit Porno?”. Das blieb nicht ihre einzige Kritik am Wissenschaftsbetrieb: Da sei eine Tendenz „sich auf die hochkulturelle Version von Porno zu stürzen, anstatt eben auf die Alltagspraxis, die ich persönlich interessanter finde. Also das, was Menschen heute als Lusthilfen benutzen.“

Wenn im Allgemeinen von Porno die Rede sei, ginge es eher um das, was auf Pornhub und ähnlichen Seiten zu finden sei. Und von der Nutzung dieser Seiten nähmen sich Wissenschaftler:innen gerne aus: „Es gibt so ein merkwürdiges Othering von Pornonutzern – also ‘Wir Forschenden’ und ‚Die, die Pornos gucken’. Und jede Form von Othering ist problematisch”, machte sie deutlich. „Anderen Medien und denen, die sich damit beschäftigen, wird vielmehr zugestanden, eine Fankultur zu haben. Mir wird ständig abgesprochen, irgendeinen persönlichen Bezug dazu haben zu wollen.“ Als Gegenbeispiel beschrieb sie Tarantino-Fans in der Filmwissenschaft.

Jugendliche suchen in Pornos Antworten auf ihre Fragen

Dabei kann der eigene Bezug ja auch dabei helfen, relevante Fragen zu formulieren: „Ich bin schon Next-Level-Pornoreflektion, selbst mir fällt es manchmal schwer zu sagen, was genau erregt mich jetzt an diesem Inhalt oder warum habe ich den angeklickt?“. Das ‘Warum?’ interessiere sie. Pornos seien „sehr weitverbreitete Medienpraxis”. Und das gelte, egal welches Geschlecht und schon in frühem Alter. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede seien gering. Man sehe an den Daten, dass viele Menschen schon entlang ihrer eigenen sexuellen Skripte Inhalte aussuchen. Gerade Jugendlichen suchen eher nach etwas, was sie schon kennen.

Sexualkunde-Atlas (Leske Verlag, 1969)
Sexualkunde-Atlas (Leske Verlag, 1969) Foto: Charlotte Herzog

Jugendliche haben weniger und später Sex, obwohl (oder weil?) Pornografie konsumiert wird und das „immer früher, immer mehr“. Jugendliche sähen oft mehrere Jahre Pornos bevor sie selbst zum ersten Mal Sex hätten. Im Kindesalter gibt es erste Kontakte zu Pornos, zwischen elf und 13 zum ersten Mal. In dem Alter werden die Bilder eher als Mutprobe betrachtet, es gehe mehr um Provokation mit „Ekel-Pornos“ und darum, Grenzen auszutesten. Das könnte auch abschreckende Wirkung haben, in Bezug auf eigene sexuelle Aktivität.

Problematisch findet Madita Oeming, dass die Jugendlichen versuchten, in Pornos Antworten auf ihre Fragen zur Sexualität zu finden. „Die sind nicht der richtige Ort um ihnen die Antworten dafür zu geben, weil Pornos keine Anleitung für Sex sind“.

Es handle sich um ein Unterhaltungsmedium, um Fiktion, ohne Bildungsauftrag. Und diesen Kontext müsse ihnen jemand erklären. Aktuell ließen Eltern, Schule, die Gesellschaft die Jugendlichen damit allein.„Man will wissen: Wie mache ich jemandem Lust, wie mache ich mir selbst Lust, welche Stellungen gibt’s? Wie sieht Sex aus? Wie weiß ich, dass jemand Sex mit Männern will? Wann soll ich aufhören, wann fange ich an? Ist mein Penis okay? Das sind die Fragen, die die Jugendlichen beschäftigen. Die werden überhaupt nicht beantwortet“, kritisierte sie in Bezug auf den Ist-Zustand von sexueller Bildung.

Gegen neue Dogmen beim Pornokonsum

Einen allgemeinen Sexismus-Vorwurf entkräftigte sie: „Manchmal ist unsere Brille sexistischer als das Bildmaterial, was wir angucken. Wir müssen manchmal auch unsere Muster überdenken und Frauen den Subjektstatus zusprechen, manchmal nehmen wir ihnen den auch einfach weg, indem wir sagen: Das kann nur von außen motiviert sein“. Sie stimmte der Kritik zu, dass in der Vergangenheit Pornos von Männern für Männer produziert wurden. Es gab nur diese Zielgruppe, es gab nur den männlichen Blick und die Darstellung kreiste um männliche Lust. Damit habe aber die Porno-Industrie nur fortgesetzt, was in anderen Bereichen der Gesellschaft etabliert war. 

Madito Oeming sprach mit viel Humor über die Themen Sex, Porno und ihre Wissenschaft
Madito Oeming sprach mit viel Humor über die Themen Sex, Porno und ihre Wissenschaft Foto: Timon Seitzer/Bunt und Blinkt

„Sexuelle Fantasien sind, in Anführungzeichen, oft extremer als unsere gelebte Sexualität.” Sie hätten wenig mit unserer Realität zu tun. Typische Szenarien seien Machtdynamiken wie zwischen einem Vermieter und der Mieterin, die die Miete nicht zahlen kann und Grenzüberschreitungen wie im Genre fake inzest. Es sei ein Spiel mit Tabubrüchen. „Sehr viele Dinge, die wir in Pornos sehen, wären in der Realität entweder illegal oder unangemessen.“ Das Falsche daran sei aufregend. 

Sie finde, Pornos transportierten eine wichtige Botschaft: „Frauen dürfen Bock auf Sex haben.” Und es sei gut, die alten Sehgewohnheiten aufzubrechen. Aber es dürfe nicht zu neue Regeln oder Dogmen führen, die bestimmen: wovon darf ich mich erregen lassen? Sexismus werde auch immer stark hervorgehoben, dabei sei Rassismus einfach erkennbar in der Industrie. Dabei würden Stereotypen fortgesetzt, die gesellschaftlich verankert seien. Die Ursache für bestimmte Stereotype und Fetischisierung sei koloniales Gedankengut. 

Was macht einen Porno feministisch? Oeming suchte die Antwort darauf eher in der Produktion als im Endprodukt: „Wie waren die Produktionsbedingungen, wer am Produktionsprozess beteiligt, wie fair wurden alle bezahlt? Das sind so Fragen, die für mich im Vordergrund stehen sollten. Wenn man sich die Oscarverleihung anguckt und denkt: Wieder keine Frau in der Regie nominiert – das ist bei den Porno-Oscars wirklich deutlich besser.“  

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