Die Beratungsstelle Arbeit ist für drei weitere Jahre gesichert:

Deutlich gestiegener Beratungsbedarf wegen Energiekrise, Bürgergeld und Verschuldung

Andrea Torlach, Mirja Düwel, Christian Urlaub, Heike Henze-Brockmann und Beata Gilge stellten die Einrichtung vor.
Andrea Torlach, Mirja Düwel, Christian Urlaub, Heike Henze-Brockmann und Beata Gilge stellten die Einrichtung vor. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Gute Nachrichten von der Beratungsstelle Arbeit: Auch in den kommenden drei Jahren ist die Arbeit der Beratungsstelle in der Leopoldstraße in der Nordstadt finanziert. Das ehemalige Arbeitslosenzentrum Dortmund hatte sich nach der Neuorganisation wegen der Landesvorgaben gemeinsam mit der Erwerbslosenberatung im Frauenzentrum Huckarde zu einer Kooperation entschieden, da die Förderung für Beratungsstellen in Dortmund auf drei Personalstellen gekürzt wurde.  

Ab 2023 gibt es befristet eine halbe Stelle mehr

Mit weniger Stellen übernehmen Frauenzentrum und die Beratungsstelle Arbeit in Kooperation die Aufgabe der Beratung an zwei Standorten. Ab 2023 gibt es befristet eine halbe Stelle mehr – für die Beratung von Menschen aus der Ukraine. Doch die Energiekrise lässt den Beratungsbedarf in die Höhe schnellen.

Die Beratungsstelle Arbeit in der Leopoldstraße 16-20 - das ehemalige Arbeitslosenzentrum Dortmund - ist für weitere drei Jahre gesichert.
Die Beratungsstelle Arbeit in der Leopoldstraße 16-20 – das ehemalige Arbeitslosenzentrum Dortmund – ist für weitere drei Jahre gesichert. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Christian Urlaub ist der neue Leiter der AWO-Einrichtung, der sich mit den Beraterinnen Beata Gilge und Andrea Torlach um Menschen kümmert, die entweder von Arbeitslosigkeit bedroht, arbeitslos sind oder sich in schwierigen Beschäftigungsverhältnissen befinden. Dazu gehören auch prekäre und ausbeuterische Beschäftigungen. 

Das war das Themenfeld, welches NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) neu vorgab, als er die „Abschaffung von Doppelstrukturen“ verordnete. Laumann hatte 2020 angekündigt, die Förderung der 79 Arbeitslosenzentren einzustellen. Ihre Aufgaben sollen von 73 Erwerbslosen-Beratungsstellen übernommen werden.

Ab 2020 durfte es – wieder co-finanziert durch den Europäischen Sozialfonds – nur noch eine Angebotsform geben, nun mit dem Namen Beratungsstelle Arbeit. Seit 2021 ist der Bereich ausbeuterische Beschäftigung ein neuer Schwerpunkt.

Ausbeuterische Strukturen als weiteres Arbeitsfeld

Was als Abschaffung von Doppelstrukturen angekündigt wurde, hatte quasi zu einer Verdreifachung geführt. Denn um das Themenfeld der prekären und ausbeuterischen Beschäftigung kümmern sich noch zwei andere Beratungsstellen: Während sich die Beratungsstelle „Faire Beschäftigung“ um Drittstaatler*innen kümmert, ist die Beratungsstelle „Faire Mobilität“ für Beschäftigte aus Süd- und Osteuropa zuständig (also EU-Bürger*innen). 

Christian Urlaub ist neuer Leiter der Beratungsstelle Arbeit.
Christian Urlaub ist neuer Leiter der Beratungsstelle Arbeit. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Nun tummelt sich seit dem Jahr 2021 auch die Beratungsstelle Arbeit in diesem Themenfeld, was sie nun in der neuen Förderperiode noch intensivieren muss. „Das ist ein Thema, wo einerseits die Ratsuchenden uns wahrnehmen müssen und wo man als Beratungsstelle in den ein oder anderen Gremien wahrgenommen werden muss, um überhaupt beraten zu können und in Extremfällen Hilfe leisten zu können“, erklärt Christian Urlaub. 

„Ich sage bewusst schwerwiegende oder Extremfälle. Wir reden hier nicht von falscher Arbeitszeiterfassung. Da können wir schnell Hilfe geben. Aber wenn Beschäftigte z.B. nicht ausreisen können, weil der Arbeitgeber den Pass eingezogen hat oder die Wohnung vom Ausbeuter gestellt wird, haben wir ein richtiges Problem“, erklärt Urlaub. „Die Kopplung von Unterkunft und Arbeit ist häufig ein Problem, ob mit oder ohne Pass“, ergänzt Heike Henze-Brockmann, Bereichsleitung für Bildung und Arbeit bei der AWO. 

Ausbeuterische Strukturen gibt es vor allem in der Logistik- und Paketbranche. Häufig geht es da um Werkverträge und Beschäftigung bei Sub-Unternehmen, wo die Beschäftigten vielfach ihre Rechte und Ansprüche nicht kennen. Die Tür der Beratungsstelle Arbeit steht allen Menschen offen: „Jeder kann unser Beratungsangebot nutzen, unabhängig von der Nationalität. Wir können zwar auf ein Dolmetschernetzwerk zugreifen. Aber bevor wir jemanden nach Hause schicken müssen, vermitteln wir auch zu anderen Stellen.“

In der Beratung ist die Energiekrise das Mega-Thema

Aktuell kommen allerdings vor allem Ratsuchende, die mit den gestiegenen Energiekosten kämpfen. Die Menschen kommen mit gewaltigen Heizkostenerhöhungen oder sehr hohen Stromrechnungen, wo keine Ratenzahlung mehr möglich ist. Sie suchen daher Hilfe und Vermittlung, zum Beispiel weil sie sich im „Ping-Pong-Spiel“ zwischen Energieversorger und Jobcenter verloren fühlen.

Beata Gilge ist Beraterin in der Beratungsstelle Arbeit.
Beata Gilge ist Beraterin in der Beratungsstelle Arbeit. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

„Wenn die Beratungsstelle Arbeit nicht selbst helfen kann, haben wir eine Lotsenfunktion“, sagte Andrea Torlach und verweist auf weitere Angebote wie beispielsweise Schuldnerberatungen oder die Verbraucherzentrale. Aber auch diese Anlaufstellen erleben derzeit eine riesige Nachfragewelle. „Die Beratungsstellen sind jetzt schon überlastet“, weiß Beata Gilge. Das Problem: Die in Ansicht gestellten Hilfen der Entlastungspakete sind noch nicht in Gesetzesform gegossen. 

Daher können sie viele Fragen noch nicht beantworten – das gilt auch bei der Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023, welches das Arbeitslosengeld 2 bzw. „Hartz IV“ ablösen wird. „Wir warten auf die Entscheidung der Politik, werden geschult und können dann auch informieren und beraten“, beschreibt Christian Urlaub die Herausforderung. Das Bürgergeld wird eines der wichtigsten Themen und einer der ersten Programmpunkte für 2023.

Der Beratungsbedarf ist höher als vor der Corona-Pandemie

Corona hat den Beratungsbedarf in der Beratungsstelle Arbeit verändert – die Beratungszahlen sind im Vergleich zu 2019 sogar höher. „Ganz deutlich hat sich Form der Beratung verändert. 2019 hatten wir insgesamt 1400 Beratungen, davon 100 telefonisch. In den ersten drei Quartalen 2022 hatten wir schon mehr als 1500 Beratungen, davon über 700 telefonisch“, berichtet Christian Urlaub.  

Die Beratungsstelle Arbeit in der Leopoldstraße 16-20 - das ehemalige Arbeitslosenzentrum Dortmund - ist für weitere drei Jahre gesichert.
Die Beratungsstelle Arbeit in der Leopoldstraße 16-20 – das ehemalige Arbeitslosenzentrum Dortmund – ist für weitere drei Jahre gesichert. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Der Zugang zu Terminen hat sich verändert.  Während früher viele Kontakte über freie Sprechstunden in Präsenz liefen, die während Corona eingestellt werden mussten, läuft das meiste jetzt über telefonische Terminvereinbarung. Vieles lässt sich direkt über telefonische Beratung lösen oder muss sogar vorab in die Wege geleitet werden. Nur bei komplizierteren Vorgängen schließt sich dann meist eine Präsenzberatung an, wo dann auch die „Papierberge“ gesichtet werden können, die die Hilfesuchenden mitbringen. 

Seit November 2022 gibt es wieder eine offene Beratung – Hilfesuchende können dienstags zwischen 14 und 16 Uhr ohne Termin kommen. „Wir fangen da wieder klein an. Das war früher mehr, aber die Corona-Zahlen gehen ja wieder hoch. Wird es gut angenommen, erhöhen wir die offenen Zeiten. Wir sind ja geöffnet, aber mit Termin“, so Urlaub.

„Wir haben am Montag von 8.30 bis 12.30 Uhr und am Donnerstag von 14 bis 16 Uhr immer den PC-Raum für alle geöffnet, um dort z.B. Bewerbungen zu erstellen oder zu bearbeiten. Wer sich mehr Unterstützung wünscht, als ,mal drüber gucken, wenn wir Zeit haben‘, kann einen Einzeltermin mit uns vereinbaren“, so der Leiter der Beratungsstelle.

Die Einfühung als Bürgergeld als neues Thema

AWO-Geschäftsführerin Mirja Düwel lobt die Arbeit und wirbt dafür, das Angebot noch stärker zu bewerben. Denn durch die Energiekrise drohen noch mehr Menschen, die bisher keine Leistungen beanspruchen mussten, ins Transferleistungssystem abzurutschen. „Sie sollen sich nicht schämen, Hilfen zu beantragen und Ansprüche anzumelden“, so Düwel. 

Eine große Entlastung werde es durch das Bürgergeld nicht geben: „Das Bürgergeld ist ein richtiger Schritt. Aber es reicht so nicht aus – die Höhe ist kaum mehr als ein Inflationsausgleich“, betont die AWO-Geschäftsführerin. „Es muss deutlich erhöht werden, weil die Sätze für die einzelnen Felder vorher schon nicht ausgereicht haben.“ 

Dennoch findet sie anerkennende Worte für die Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Die Einführung ist gut, auch weil deutlich gesagt wird, dass es den Menschen zusteht. Es gibt auch ein Mehr an Würdigung und Wertschätzung – das nehme ich schon wahr.“ Was allerdings auf die Beratungsstellen zukommt, lässt sich noch nicht absehen: Die Beantragung des Bürgergelds soll leichter und unbürokratischer werden. „Ob das so sein wird, muss sich erst noch bewahrheiten.“

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Reaktionen

  1. Zwei Schritt vor, einen Schritt zurück: Haushaltskonsolidierung durch 100-Prozent-Sanktionen beim Bürgergeld? (PM Sozialforum Dortmund)

    Das 2023 in Kraft getretene Bürgergeldgesetz wird aktuell von Arbeitsminister Heil (SPD) in Teilen zur Disposition gestellt. Sein Ministerium hat dem Finanzminister Vorschläge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts vorgelegt, die u.a. verschärfte Sanktionen bei „nachhaltiger Leistungs­verweigerung“ von Bürgergeld-Empfängern vorsehen. Allein von dieser Verschärfung verspricht sich die Behörde Minderausgaben von 170 Mio. € pro Jahr.*
    Die Vorschläge sind mittlerweile in den Entwurf des Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 eingegangen und bereits Gegenstand der Beratungen im Bundestag.**

    Auf welchen Erfahrungswerten die Verschärfung der Sanktionsregeln beruht, bleibt wohl das Geheimnis des Arbeits­ministers. Übersetzt würde eine Einsparung von 170 Mio. € rund 210.000 Vollsanktionen pro Jahr bedeuten (für jeweils 2 Monate). Ein Blick in die Sanktionsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit aus früheren Jahren zeigt, dass Sanktionen bei Verweigerung von Beschäftigungsaufnahmen nie auch nur annähernd eine solches Ausmaß erreichten. Sprich: Das angenommene Einsparvorlumen von 170 Millionen dürfte nie und nimmer zusammenkommen.
    Was aber im Ergebnis von populistischen Gesten solcher Art hängen bleiben wird, ist, dass sämt­liche Bürgergeldbezieher unter Generalverdacht geraten (als seien sie alle potentielle Drückeberger). Das ist ein Rückfall in die Denke von Hartz IV, ein System, das sich als nicht geeignet erwies, arbeits­willige Erwerbslose in existenzsichernde Beschäftigung zu bringen und von daher mit Recht abgeschafft wurde.

    Die Ampelregierung war mit dem Anspruch gestartet, Schwächen des alten Systems zu über­winden und mehr Menschen in eine existenzsichernde Beschäftigung zu bringen. Von diesem Ziel hat sich die Bundesregierung wohl mittlerweile verabschiedet. Oder ist es schlicht Opportunismus, nach dem Motto: Wir nehmen’s bei denen, die sich vermutlich am wenigsten wehren (können)?
    Der Großteil der Erwerbslosen sind keine Arbeitsverweigerer! Für das Problem, dass sich die Vor­stellungen von Politik und Bürokratie (Jobcenter) häufig nicht mit den Anforderungen der freien Wirtschaft decken, dafür können Arbeitslose nicht verantwortlich gemacht werden. Eine bessere Idee wäre beispielsweise, die Gesetze so anzupassen, dass Arbeitswillige die Möglichkeiten erhiel­ten, flexibel mit Firmen über Weiterbildung zu verhandeln.

    Wir fordern daher, die Verschärfung der Sanktionen als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung ersatzlos zu streichen.

    16.1.2024, Sozialforum Dortmund

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