Rund 100 Seiten stark wird der erste umfassende Sachstandsbericht zum Thema Flüchtlinge werden, den die Verwaltung dem Rat vorlegen wird. Zu entscheiden gibt es dabei nichts, es geht um eine Kenntnisnahme. Allerdings könnte es wieder ausführliche Diskussionen geben, wie schon bei der Sondersitzung des Rates im Herbst.
165.993 Menschen durchliefen 2015 die Dortmunder Erstaufnahmeeinrichtung
Die Vorlage, die im März im Rat behandelt werden soll, liefert viele Zahlen, Daten und Fakten. Mitunter werden sie auch wieder Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten sein.
Lagen die Zahlen der Zugänge im Bereich der Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund – von hier werden die Ankommenden bundesweit weiterverteilt – in Jahr 2013 noch bei insgesamt 34 043 Personen, waren es im Jahre 2014 bereits 63 475 Personen.
Die aktuelle Situation wird bei der Anzahl der Zugänge in 2015 deutlich: Sie bedeutet mit einer Gesamtzahl von 165 993 Personen eine Zuwachsrate gegenüber dem Jahr 2013 in Höhe von 387,6 Prozent.
Organisatorisch abgefedert wird dies mittlerweile durch die neue Außenstelle der EAE am Westfalenpark: An der Buschmühle stehen mehr als drei Mal so viele Plätze zur Verfügung wie in Hacheney.
UMF: Inobhutnahmen beim Dortmunder Jugendamt stiegen von 171 auf 1408
Im Bereich der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) lag die Zahl der Inobhutnahmen in Dortmund im Jahr 2015 bei 1408.
Die Zuwachsrate gegenüber dem Jahr 2013 mit 171 Inobhutnahmen beträgt damit 823,39 Prozent. Dies liegt vor allem an der Erstaufnahmeeinrichtung. Kommen hier alleinreisende Minderjährige an, muss das örtliche Jugendamt aktiv werden.
Mittlerweile können die Jugendliche auf andere Jugendämter verteilt werden, was zu einer Entspannung in Dortmund und zu einem Abschmelzen der Zahlen führen wird.
Auch im Bereich der kommunal zugewiesenen Flüchtlinge sind die Zugänge sprunghaft gestiegen. Im Jahr 2013 wurden 546 Asylsuchende Dortmund zugewiesen, im Jahr 2014 waren es insgesamt 857. Die Zugänge im Jahr 2015 lagen bei 4137. Dies bedeutet eine Zuwachsrate gegenüber dem Jahr 2013 von 657,7 Prozent.
Vergleich mit 2013: Zahl der kommunal zugewiesenen Flüchtlinge stieg um 900 Prozent
Berücksichtigt man zusätzlich die einmalige Verrechnung von 1405 Asylsuchenden aufgrund der Erstaufnahmeeinrichtungen im Jahr 2015, ergibt sich vom Jahr 2013 auf das Jahr 2015 eine Steigerung von 914,9 Prozent.
Eine weitere Dynamisierung erfolgte durch die Entscheidung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die zum damaligen Zeitpunkt in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge – ursprünglich als einmalige, kurzfristige Maßnahme angekündigt – in Deutschland aufzunehmen.
In der Folge wurde im September 2015 Dortmund praktisch über Nacht zur ersten „Drehscheibe“ außerhalb von Bayern; eine Funktion, die die Stadt Dortmund im Dezember 2015, nunmehr in Arbeitsteilung mit anderen Städten in Nordrhein-Westfalen, wieder übernommen hat.
Dortmund hat als einzige NRW-Stadt mit allen „Phänomen“ zu tun
„Dortmund ist die einzige Stadt, die alle Einrichtungen und Phänomene zum Thema Flüchtlinge hat – Drehscheibe, Erstaufnahme und viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, betont OB Ullrich Sierau. „Das hat keine andere Stadt in Nordrhein-Westfalen.“
„Wir haben gezeigt, dass wir durchaus durchsetzungsfähig sind mit unseren Vorschlägen. Land, Bund und andere Städte haben sich teils unseren Forderungen und Positionen angeschlossen“, zeigt sich der Oberbürgermeister zufrieden.
Daher sei die Stadt auch 2016 gerüstet, mit den Herausforderungen umzugehen – nicht zuletzt wegen der gelebten Willkommenskultur.
„Wir sind ganz gut zurecht gekommen, weil wir auf Krisenstabsstrukturen gesetzt haben. Wir haben vieles vor dem Zug gemacht. Der Kämmerer hat da einiges basarartig proper bewältigt, wo andere später für teuer Geld eingekauft haben“ gibt es Lob für den Stadtdirektor.
Bericht beleuchtet alle Themenfelder – von Ankunft bis zur Integration
Darüber wird auch der Sachstandsbericht Auskunft geben. Die umfassende Vorlage ist nach thematischen Schwerpunkten aufgebaut.
Sie gibt einen systematischen Rückblick auf das Jahr 2015 mit Fokus auf die Maßnahmen und Aktivitäten der Verwaltung, die im Zuge der Entwicklung im gesamten Themenfeld der Flüchtlingsaufnahme, Flüchtlingsunterbringung und Flüchtlingsbetreuung eingeleitet und umgesetzt wurden.
Im Einzelnen sind dies:
- Betrieb der Erstaufnahmeeinrichtung sowie der Drehscheibe Dortmund,
- Verfahren der Rückführung
- Minderjährige und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UmF) in
Dortmund (Inobhutnahme, Schutz und Integration) - Kommunale Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen
in Dortmund inkl. Herrichtung erforderlicher liegenschaftlicher Strukturen - Kindertageseinrichtungen / Schule
- Wohnbauflächenentwicklung / Wohnungsneubau
- Berufliche Integration
- Sachstand zur Personalsituation, in den Bereichen, die mit
Flüchtlingsaufgaben beschäftigt sind. - Zudem werden die einzelnen erforderlichen Verfahrensschritte zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen aufgezeigt.
Ein eigenes Kapitel bekommen die Aktivitäten im Geschäftsbereich Bürgerinteressen und Zivilgesellschaft im Amt des Oberbürgermeisters und des Rates, die Koordinierung des Ehrenamtes in der Flüchtlingsarbeit (Freiwilligenagentur Dortmund), die Aktivitäten im Rahmen des Masterplans Migration/Integration (MIA-DO-Kommunales Integrationszentrum Dortmund) sowie Umsetzung des Dortmunder Aktionsplans gegen Rechtsextremismus (Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie).
Flüchtlings-Zuzug in Deutschland wird auf einem hohen Niveau weitergehen
Für die Bewältigung der Aufgaben war und ist auch weiterhin ein Höchstmaß an Kapazitäten und Anstrengungen erforderlich. Dennoch wird es erforderlich, den Blick nach vorn zu richten. Die Flüchtlingszahlen, davon gehen Politik und Fachöffentlichkeit aus, werden sich für einen nicht vorhersehbaren Zeitraum auf einem hohen Niveau halten.
Um diese große Herausforderung zu bewältigen, hat die Verwaltung, gemeinsam mit vielen Unterstützern und Helfern aus der Bürgerschaft, der Zivilgesellschaft, mit Unternehmen, Organisationen und Vereinen und auch mit der Polizei Dortmund erforderliche Weichen gestellt und notwendige Schritte eingeleitet.
Das Zusammenspiel von kommunaler Politik und Verwaltung ist aus Sicht der Stadtspitze als positiv zu bewerten und führe dazu, dass die gemeinsame Aufgabe trotz des bekannten Handlungs- und Termindrucks erfolgreich gemeistert werden könne.
„Das Dortmunder Hilfesystem für die Aufnahme, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen erscheint auch unter qualitativen Aspekten bedarfsgerecht und im kommunalen Vergleich gut aufgestellt“, heißt es in dem Bericht.
Offene Fragen bei Integration und finanziellen Rahmenbedingungen
Fakt ist für die Verwaltungsspitze aber auch, dass noch viele Fragen offen sind, wie die Aufnahme der Menschen und ihre Integration unter den gegebenen – auch finanziellen – Rahmenbedingungen sowie auf der Zeitschiene gelingen könne.
„Es geht letztendlich darum, die Kommunen strukturell und dauerhaft in die Lage zu versetzen, die Stadtgesellschaft für alle in Dortmund lebenden Bürgerinnen und Bürger einschließlich der neu ankommenden Personengruppen inklusiv weiterzuentwickeln“, heißt es dazu in dem Bericht.
„Vieles wird nur Schritt für Schritt zu realisieren sein und erfordert darüber hinaus eine weitergehende Unterstützung durch den Bund und das Land NRW. Die Verantwortlichen in der Stadt, in Politik und Verwaltung lassen in ihren Bemühungen nicht nach, um die berechtigten kommunalen Forderungen auf die genannten Ebenen zu befördern und dort zu diskutieren. Es besteht auch ein enger Schulterschluss mit den kommunalen Spitzenverbänden.“
Dortmunder Stadtspitze setzt weiterhin auf den Dialog mit der Bürgerschaft
Der Dialog mit der interessierten Bürgerschaft werde unter anderem auf Ebene vieler „runder Tische“ in den Stadtbezirken fortgesetzt.
Ausdrücklich bedankt sich die Verwaltung in dem Bericht bei den vielen Menschen, die sich ehrenamtlich engagierten und dadurch „einen überragenden Beitrag zur Integration der Flüchtlinge in unserer Stadtgesellschaft leisten“.
Ebenso gehe ein besonderer Dank auch an alle Kolleginnen und Kollegen der Stadtverwaltung, die in ihrem beruflichen Arbeitsfeld Außergewöhnliches leisteten, um diese Aufgabe zu bewältigen.
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Grüne
Kostenerstattung für die Unterbringung von Flüchtlingen –
GRÜNE fordern sofortige Vorgriffsregelung des Landes
Die GRÜNEN im Rat fordern vom Land eine sofortige Vorgriffsregelung für die Kostenerstattung
für die Unterbringung von Flüchtlingen. Hintergrund ist die Ankündigung der
Bezirksregierung, kommunale Haushalte nur dann zu genehmigen, wenn diese von inzwischen
längst überholten Flüchtlingszahlen ausgehen.
Ingrid Reuter und Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher*innen der GRÜNEN:
„Das ist absurde Bürokratie und geht an der tatsächlichen Situation vollkommen vorbei.
Wir haben in NRW längst mehr als die 194.000 Flüchtlinge, die die Bezirksregierung in
den kommunalen Berechnungen zulassen will. Wir nehmen die zu uns kommenden
Menschen in Dortmund so gut wie möglich auf. Dafür muss aber dann auch zeitnah das
benötigte Geld fließen. Es kann nicht sein, dass Innenministerium und Bezirksregierung
kurz vor Weihnachten ein Schreiben zur Aufstellung der kommunalen Haushalte verschicken,
das erstens realitätsfern ist und zweitens auch noch viel zu spät kommt. Wir
haben unseren Haushalt schließlich bereits am 10. Dezember verabschiedet, um
schnellstmöglich im neuen Jahr handlungsfähig zu sein. Das wird jetzt durch das Land
sogar bestraft. Nicht umsonst haben die kommunalen Spitzenverbände und das Land
vereinbart, aufgrund der aktuellen Flüchtlingszahlen Anfang 2016 die Gelder für die
Kommunen unverzüglich weiter aufzustocken. Wir fordern deshalb das Land auf,
schnellstmöglich eine Regelung zu erlassen, damit im Vorgriff diese bereits zugesagten
zusätzlichen Mittel in den städtischen Haushalten eingeplant werden können und diese
dann auch genehmigt werden.“
Mario Krüger, Landtagsabgeordneter und kommunalpolitischer Sprecher der
GRÜNEN Landtagsfraktion: „Das Schreiben der Bezirksregierung vom 17. Dezember
2015 kommt zu spät. Ich habe bereits Anfang November ebenso wie die kommunalen
Spitzenverbände gegenüber dem Innenministerium darauf aufmerksam gemacht, dass
die NRW-Kommunen für die Verabschiedung ihrer Haushalte eine klare Regelung
brauchen. Die könnte ähnlich aussehen wie seinerzeit bei der vorzeitigen Berücksichtigung
der Bundesmittel im Bereich der Eingliederungshilfen. Dies war für das Ministerium
in 2014 möglich, dies muss auch für die Flüchtlingsaufwendungen in 2016 möglich
sein. Entsprechende Gespräche werden mit dem Innenminister geführt. Ich gehe davon
aus, dass die Angelegenheit alsbald auszuräumen ist.“
Ingrid Reuter und Ulrich Langhorst:
„Sollten Land und Bezirksregierung bei ihrer Haltung bleiben, dann haben alle Kommunen
ein großes Problem. Nicht nur, dass bereits verabschiedete Haushalte hinfällig
sind. Auch wichtige Investitionen könnten dann nicht ausgeführt werden. Das betrifft
insbesondere auch die Maßnahmen des Kommunalinvestitions-förderungsgesetzes.
Hier geht es alleine in Dortmund um Investitionen in Höhe von 85 Millionen Euro insbesondere
für Kindertageseinrichtungen, Schulen und energetische Sanierung. Die Maßnahmen
müssen spätestens bis zum 31.12.2018 abgeschlossen sein. Das ist ein ambitionierter
Zeitplan, der auch darauf setzt, dass der Haushalt schnellstmöglich durch die
Bezirksregierung genehmigt wird.
Zusätzlich sind wir der Auffassung, dass die geplante Erstattung von 10.000 Euro pro
Jahr pro Flüchtling nicht ausreicht. Insbesondere die Bundesregierung ist aufgefordert,
hier mehr in den Topf zu tun. Der Bundesfinanzminister sitzt auf dem Geld und sonnt
sich im Glanz seines ausgeglichenen Haushalts, während die Kommunen ächzen. Das
kann nicht sein.“