Ein Stern für Dixi: 22. Internationaler Drogentotengedenktag erinnert auch in Dortmund an Lage von Konsument*innen

Zum Ende der Veranstaltung und für alle, die es traf: ein weißer Luftballon, versehen mit dem Namen fliegt in den Himmel. Fotos: Susanne Meyer

Martin, den alle nur Dixi nannten, war ein Mann, der immer ein offenes Ohr für seine Mitmenschen hatte. Einer, der mit seiner ruhigen, zurückhaltenden Art stets positiv auffiel. Dixi, der viele Jahre suchtmittelabhängig war, ist tot: er starb im Januar im Alter von 53 Jahren – eines natürlichen Todes.* Nicht nur um ihn trauerten rund 80 Teilnehmer*innen am Internationalen Drogentotengedenktag am Mahnmal im Dortmunder Stadtgarten. Insgesamt 17 Menschen starben 2019 durch Drogenkonsum in Dortmund – in diesem Jahr sind es bisher neun. Eine Zahl, die im Vergleich zur Drogenstatistik 2019 mit 1.398 Toten in ganz Deutschland zwar sehr klein erscheint, aber für Jan Sosna, Leiter des Drogenhilfeeinrichtung „Kick“ immer noch zu groß ist. Denn: „Hinter jeder Zahl steht ein Menschenleben – keine Zahl ist hinnehmbar“.

Wohnraum, soziale und medizinische Hilfen müssen Menschenrecht sein – ob mit oder ohne Corona/COVID 19

„#WirBleibenZuhause“, lautete der Name einer Kampagne des Bundesministeriums für Gesundheit, gefolgt von den einleitenden Sätzen: „Damit sich das Virus langsamer verbreitet. Wer sich schützt, schützt auch andere. Vor allem unsere Älteren und gesundheitlich vorbelasteten Mitmenschen jeden Alters.“

Den Drogentoten zum Gedenken. Foto: Alex Völkel

Für jemand, der wohnungs- oder gar obdachlos und Drogen nimmt, muss dies nach Satire klingen.  Der Hashtag „Wir bleiben zuhause“ sei ein Hohn für jeden Menschen, der kein Zuhause hat, machte Jan Sosna in seiner Rede während der Veranstaltung deutlich.  ___STEADY_PAYWALL___

Es liegt auf der Hand: Wie soll man zuhause bleiben, wenn gar kein Zuhause vorhanden ist? Hinzu kommt die Tatsache, dass gerade Drogengebraucher*innen aufgrund von Begleiterkrankungen und einer meist geschwächten körperlichen Konstitution der Risikogruppe zuzuordnen sind.

Gefährdung auf der einen, fehlender Krankenversicherungsschutz auf der anderen Seite – leider keine Einzelfälle, wie in den vergangenen Corona-Wochen immer wieder klar wurde. Kein Weg führte denn auch bei der Veranstaltung am Stadtgarten drumherum, die Folgen der Pandemie für Konsument*innen von verschiedenen Seiten unter die Lupe zu nehmen.

Corona-Pandemie und spezielle Herausforderungen im Hilfesystem für drogengebrauchende Menschen

Wie etwa soll „Social Distancing“ eingehalten werden, wenn man zwingend auf Hilfsmaßnahmen angewiesen ist, die jedoch aufgrund von Hygienevorgaben in einem deutlich reduzierterem Umfang vorgehalten werden? Viele Fragen, jedoch nur wenige Antworten – manche Personengruppen, die in prekären Lebensverhältnissen leben, fallen nach wie vor einfach durch das Raster. Besonders getroffen hat Corona obdachlose Drogenkosument*innen.

In diesem Umkreis gibt es Unterstützungs- und Handlungsbedarf, der sich auch im Motto des diesjährigen Gedenktages widerspiegelte: „Versorgungssicherheit (nicht nur) in Zeiten von Corona“. Ziel müsse es daher sein, die Drogenhilfeeinrichtungen in Dortmund mit weiteren Angeboten – wie einer Diamorphinambulanz und der von der Stadt geplanten Notschlafstelle für Süchtige – noch besser auszubauen: „Damit befassen wir uns gerade“, erklärt Sosna.

Immerhin: Während im Rahmen des Lockdowns das öffentliche Leben größtenteils zum Erliegen kam, gelang es dem Netzwerk an Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe, Beratungsangebote eingeschränkt oder aber telefonisch fortzuführen und im niedrigschwelligen Bereich die Vergabe von Konsumutensilien sowie einen sicheren Konsum in Drogenkonsumräumen weiter aufrechtzuerhalten.

Es geht um Menschenleben: 2019 sterben fast 1.400 Menschen an den Folgen des Drogenkonsums

Hinzu kamen flexiblere Regelungen, um Personen im Rahmen von Substitutionsbehandlungen kontinuierlich versorgen bzw. eine kurzfristige Aufnahme gewährleisten zu können. Zugleich wurde aber auch deutlich, dass viele Nahtstellen brüchig sind und unser Hilfesystem breiter aufgestellt werden muss. – Durch die Begleitumstände der COVID 19-Pandemie wurde einmal mehr dessen Wert für drogengebrauchende Menschen deutlich.

Der Ruf nach Versorgungssicherheit ist einfach erklärt: „Es geht jetzt darum, Leben zu retten!“ Diesen Satz äußerte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, als sie im März die Zahl der Drogentoten veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt war das Thema „Corona“ jedoch schon derart präsent, dass andere Mitteilungen in diesem Zusammenhang nur als Randnotiz wahrgenommen wurden.

Daher sei noch einmal erwähnt: 1.398 Menschen starben 2019 an den Folgen ihres Drogenkonsums. Im Vergleich zum Vorjahr mit 1.276 Todesfällen ist dies ein Anstieg um 9,6 Prozent. Aufgrund der Entwicklung der vergangenen Jahre äußerte die Drogenbeauftragte: „Diese Zahlen können wir nicht hinnehmen! Wir brauchen flächendeckende Substitutions- und Hilfeangebote – auch in der Coronakrise.“

Weiße Luftballons, versehen mit den Namen der Toten, steigen in den blauen Sommerhimmel

Dixi hatte sich zu Lebzeiten viele Jahre lang liebevoll um die Pflege des Mahnmals im Stadtgarten gekümmert. Am Gedenktag lagen dort viele kleine Sterne, dazu Rosen und Kerzenhalter als Erinnerung an ihn wie an die Drogentoten in der Stadt. Mitglieder des Angehörigenkreises Drogen konsumierender Menschen hatten diese Gegenstände dort abgelegt – für alle Teilnehmer*innen zum Mitnehmen.

Neben dem Angehörigenkreis wurde die Veranstaltung von Drogenhilfe PUR, dem Café Kick, JES Dortmund und Pfarrer Andreas Bäppler organisiert – natürlich unter Beachtung der Corona-Regeln. Zum Ende der Gedenkstunde ließen die Anwesenden weiße Luftballons, versehen mit den Namen der Toten, in den blauen Sommerhimmel steigen. Und der Angehörigenkreis weiß, dass es nicht einfach sein wird, einen Menschen zu finden, der das Mahnmal weiterhin so liebevoll pflegen wird, wie Dixi das getan hat.

* In einer früheren Version des Artikels hieß es, Dixi sei durch eine Überdosis gestorben. Dies ist nicht richtig. Wir haben die Passage entsprechend korrigiert.

Weitere Informationen:

  • In Dortmund wird die Veranstaltung zum Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen vom Angehörigenkreis Drogen konsumierender Menschen, der Drogenhilfe PUR gGmbH, der Drogenhilfeeinrichtung kick, von JES Dortmund sowie dem Pastor Andreas Bäppler organisiert und durchgeführt.

  

Unterstütze uns auf Steady

 

Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:

Die Bezirksvertretung der Innenstadt-Nord will kein neues „Haus zur Betreuung Drogenabhängiger“ in der Nordstadt

Veränderte Drogenpolitik: Grüne wollen durch legale Cannabisabgabe in Dortmund Dealerstrukturen zerschlagen

 

 

Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. aidshilfe dortmund e.v. (PM): Dortmunder Studie „We Care!“ zu Hepatitis C bei Drogenkonsument*innen

    Dortmunder Studie „We Care!“ zu Hepatitis C bei Drogenkonsument*innen

    Hepatitis C ist eine der zentralen Herausforderungen in der Drogenhilfe, ist doch ein Großteil der Klientel von dieser häufig chronischen und damit lebensbedrohlichen Infektion betroffen. Um ihre Angebote noch wirksamer ausrichten zu können, hat die aidshilfe dortmund eine eigene Studie verfasst, die wichtige neue Erkenntnisse liefert. Der Abschlussbericht wurde nun veröffentlicht, weitere Publikationen und Veranstaltungen zur breiteren Kommunikation der Ergebnisse folgen.

    Obwohl bis zu 80% der Drogenkonsument*innen von Hepatitis C (HCV) betroffen sind und inzwischen die medizinische Behandelbarkeit sehr gut ist, verharren die Neuinfektionsraten bundesweit seit Jahren auf hohem Niveau, die Behandlungszahlen sind sogar rückläufig.

    Die aidshilfe dortmund engagiert sich in ihrer Drogenhilfeeinrichtung kick bereits seit vielen Jahren mit spezifischen Angeboten und wegweisenden Modellprojekten, gleichwohl sind die Erfolge auch hier begrenzt.

    Angesichts ambitionierter Ziele – Deutschland hat sich den WHO-Zielen einer Eliminierung von HCV bis 2030 verschrieben – und einer nur sehr mäßigen Studienlage war dies Anlass für eine eigene qualitative Studie. In Kooperation mit Gilead Sciences GmbH und begleitet von einem externen Expertengremium (Dr. S. Christensen, Prof. Dr. J. Reimer, D. Schäffer) wurden unter der Leitung von W. Rensmann qualitative Interviews mit akut Drogengebrauchenden aus Dortmund und Köln geführt und ausgewertet sowie darauf basierende Empfehlungen formuliert.

    Wichtige Erkenntnisse: Auch akut Drogenabhängige sind zu einem „guten“ HCV-Gesundheitsverhalten in der Lage, angesichts einer nach wie vor breiten Verdrängung in der Szene bedarf es aber einer „Normalisierungsstrategie“ und breit kommunizierter, unkomplizierter und möglichst partizipativ ausgerichteter Hilfeangebote. Diese müssen dann jedoch die unmittelbare, ganzheitliche und ggf. längerfristige Unterstützung der Betroffenen – von der ersten Aufklärung über einen Test bis hin zur Therapieaufnahme – einschließen.

    Insbesondere substituierende Ärzte, aber ebenso die ambulante Drogenhilfe sind dringend aufgefordert, sich dem Thema auch strukturell viel intensiver zu widmen und jedem Drogenkonsumenten den Weg zur möglicherweise lebensrettenden Testung und Behandlung aktiv zu eröffnen. Generell ist es geboten, dass die Drogenhilfe ihre Angebote der Schadensminimierung in Richtung einer aktivierenden, ganzheitlichen Gesundheitsförderung weiterentwickelt.

    Der komplette Studienbericht steht unter http://www.aidshilfe-dortmund.de zum Download zur Verfügung.

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert